Beiträge von MetalPirate im Thema „13.10.-19.10.2014“

    Ich glaube hier liegt der Hase im Pfeffer, dass hier im Allgemeinen unterschiedliche Dinge gemeint sind, die Du in einen Topf wirfst. Wenn Du Deine Eindruck als einen solchen bezeichnest und nicht als Review; Review hat viele Wortbedeutungen aber eben nicht Ersteindruck


    Die Unterscheidung zwischen verschiedenen "Güteklassen" von Erfahrungsberichten ist für mich eher theoretischer Natur. In der heutigen Zeit bekommen die bekannten Reviewer Geld dafür, ein bestimmtes Spiel, z.B. zum Start einer Kickstarter-Kampagne positiv zu besprechen und die weniger bekannten, die diesen Status erst errreichen wollen, setzen schon mal vorsorglich die Zensur-Schere im Kopf an und vermeiden tunlichst jede Kritik, auf dass sie ja auch noch in Zukunft bei den Verlagen wohl gelitten sind und weiter kostenlose Review-Exemplare erhalten.


    In der Praxis sind's alles nur irgendwelche persönliche Meinungsäußerungen, die man als Konsument in jedem Falle kritisch rezipieren muss, dabei tendenziell zu viel Gejubel und zu wenig Kritik. Ob man das jetzt Ersteindruck, Review, Erfahrungsbericht oder sonstwie nennt, ist mir mittlerweile völlig wurscht. Man nimmt viele davon, bewertet das mit seiner Meinung zu dem jeweiligen Autor und zusammen ergibt das dann irgendein unscharftes Bild, das man sich von einem Spiel macht. Wenn ich in der heutigen Zeit nicht weiß, welche Abhängigkeiten der Autor zu dem Hersteller hat, dann ist's nicht mehr mein größtes Problem, wie oft der Autor das Spiel in welcher Besetzung gespielt hat. Sagt er was dazu, ist's gut, dann fließt's in mein Bild ein. Wenn nicht: auch gut.

    Mir geht es auch darum, dass solche Einschätzungen über den Wert der Arbeit, die hinter dem Spiel steckt, etwas unfair und anmaßend sind, wenn man sich selber kaum damit auskennt. [...]


    Hochjubel-Reviews gibt's wie Sand am Meer. Von daher lese ich immer gerne, wenn jemand zu einem Spiel schreibt, was ihm nicht gefallen hat. Dabei ist für mich selbstverständlich, dass man solche Sachen immer passend einordnen muss. Ob man denjenigen, der da etwas berichtet, für vertrauenswürdig, unbefangen, kompetent, etc. hält und natürlich auch, ob man ein geschildertes Problem für sich auch hätte. Schlechte 2-Spieler-Eignung ist für den einen ein Riesenproblem, weil er nur mit Lebenspartner(in) spielt, für den anderen mit seiner festen 4er-Gruppe aber komplett irrelevant. Letztendlich ist das alles nur persönliche Meinung, und wer Erfahrungsberichte liest, muss sich aus vielen Meinungen selbst ein Bild machen. Insofern betrachtet meine Eindrücke als Informationsangebot; ich bin der Letzte, der seine Meinung zu irgendwas für allgemeinverbindlich halten würde.


    Zu der zwischen den Zeilen doch deutlich genug geäußerten Kritik, dass meine Kritikpunkte voreilig und anmaßend wären, muss ich dann aber trotzdem noch etwas sagen. Für mich ist es ein großer Unterschied, ob man bei komplexen Strategiespielen mit vielen Wegen zum Ziel die Ausgewogenheit beurteilen will oder bei eher einfach gestrickten Optimierungsspielen. Bei den komplexen Spielen erlebt man ja gerne mal, dass man meint, etwas verstanden zu haben, und dann spielt man auf einmal mit einer anderen Gruppe und bekommt gezeigt, wo der Hammer hängt. Waggle Dance ist da für mich eine andere Baustelle. Dessen Komplexität ist überschaubar. Ich bin geneigt zu sagen: leider zu überschaubar, weil die Hauptaktionen zufällig nicht von Karten bestimmt werden, sondern immer gleich sind. Wenn man es darauf anlegen würde, könnte man das Spiel sogar mit einem Computerprogrämmchen unter nur geringen Modellannahmen zu Wahrscheinlichkeiten bezüglich Sonderkarten und Würfelergebnissen zu 90% durchsimulieren und so eine fast-optimale Strategie bestimmen, die gegen durchschnittliche menschliche Gegner öfter gewinnen als verlieren würde.


    Dass die Komponenten schlechter sind und das Artwork unschlüssiger ist, als ich das man das bei renommierteren Verlagen gewohnt ist, sagt einem die Erfahrung. Und um zu sehen, dass der immer gleiche Startaufbau ohne jedes Zufallselement die Wiederspielbarkeit reduziert, muss man auch kein Hellseher sein. Was genau an meinem Review / Erfahrungsbericht / Ersteindruck (für mich letztendlich das gleiche) findest zu voreilig? Es soll nicht mehr sein als ein Bericht nach einem Spieltag, das steht oben so drüber, und berichtet wird meiner Meinung nach aus nichts, was man nicht guten Gewissens nach einer solchen Zeit behaupten kann.

    @Andreas Odendahl : Ich habe Waggle Dance zweimal gespielt. Ich würde sogar behaupten, dass man das meiste von dem, was ich oben geschrieben habe, sogar nach dem Auspacken (-> miese Komponentenqualität), nach Regelstudium (-> einfache Regeln, -> null Variabilität im Setup und von daher fraglicher Langzeit-Wiederspielwert), nach der Regelerklärung an die Ehefrau (-> superleichter, intuitiver Einstieg) oder nach den ersten Spiel (-> durchaus komplexe Mechanismen elegant verpackt) merkt.


    Außerdem: ich hatte das Spiel vorbestellt und du kannst davon ausgehen, dass ich mich vorher gründlich informiere, bevor ich sowas mache. Video (-> Rahdo) wie auch Geschriebenes. Ich wusste schon relativ gut, was mich erwartet. Der Tip zu Waggle Dance kam übrigens hier aus dem Forum.


    Was ich zum Beispiel an dem Spiel ändern würde, wenn ich es im Prototyp-Stadium hätte spielen dürfen und mit dem Designer Kontakt gehabt hätte:

    • Das Spiel braucht ein Spielbrett. Spielkarten, auf die man Meeples oder Klötzchen setzt, gibt's auch anderswo (Targi, Snowdonia, andere), aber in dem Moment, wo ich Marker/Meeple/Klötzchen nicht mehr irgendwo auf die Karte, sondern auf ein bestimmtes von mehreren Einsetzfeldern platzieren muss, ist bei mir der Punkt erreicht, wo ich Karten statt Spielfeld als Mangel empfinde. Karten rutschen immer auf dem Tisch weg, Spielfeld nicht. Das abgestellt => 1/2 Punkt mehr.
      Folge: Ich werde mir selbst ein Spielbrett basteln.
    • Über die Klötzchenqualität braucht man eigentlich nicht reden. Wenn's aktiv stört, weil Stapelbarkeit auf kleinen Wabenfeldern wünschenswert wäre, dann wären bessere Würfelchen wieder ein 1/2 Punkt mehr.
      Folge: ich werde sie zumindest mal probeweise fürs nächste Spiel ersetzen. Solche vermeintlichen Kleinigkeiten wirken unterbewusst und können den Eindruck von einen Spiel stärker positiv bzw. negativ beeinflussen, als man denkt.
    • Variabilität im Setup. Ich persönlich mag's einfach nicht, wenn die null ist. Gerade bei einem Optimierungsspiel hat man als mathematik-affiner Mensch dann mehr oder weniger schnell das Gefühl, das Spiel optimal gelöst zu haben. Eine erste Idee für eine Lösung hätte ich auch schon: jeder bekommt am Anfang einen Bienchen-D6 weniger und dafür zwei oder drei Königinnenkarten (ggf. mit passendem Handkartenlimit). Schon hat man unterschiedliche Startbedingungen, die die optimale Strategie leicht verändern. Das "leicht" reicht völlig. Hauptsache nicht mehr "gelöstes Optimierungsproblem".
    • Mit den Königinnenkarten bin ich auch nicht 100% glücklich und die Aktion zum Verschieben/Tauschen der Nektarwürfel ist weitgehend witzlos, denn wenn man sie braucht, hat man fast immer suboptimal gespielt. Da fehlt meiner Meinung nach ein bisschen Balancing. Und ja, ich traue mir zu, das nach zweimal spielen, mit einer Mischung aus intuitivem Bauchgefühl und ein paar theoretischen Überlegungen bereits so zu behaupten.


    Wenn ich mich recht erinnere, hast du in einem anderen Thread geschrieben, dass du auch Waggle Dance gekauft hast. Bitte schreibe deine Meinung dazu, egal ob Ersteindruck oder fundiertes Review nach X Spielen. Interessiert mich wirklich!

    Donnerstag Messe, dort 10 Spiele gekauft, dann Freitag bis Sonntag je ein Spiel davon gespielt. Das "Freitagsspiel" war Waggle Dance. Review unten.



    Gekaufte Spiele:


    Amerigo [Queen] - vor Essen gekauft
    Among The Stars (Bundle) [Artipia]
    AquaSphere [Hall/Pegasus]
    Die vergessene Welt [Schwerkraft]
    Dragonscroll [Fragor]
    Galaxy of Trian [Creative Maker]
    Massilia [Quined]
    Murano [Lookout]
    Patchwork [Lookout]
    Rialto [Pegasus] - vor Essen gekauft
    Vor den Toren von Loyang [Hall/Pegasus] - vor Essen ersteigert
    Waggle Dance [Grublin]
    ZhanGuo [What's Your Game?]



    In Essen gekaufte Erweiterungen:


    Carson City: Gold&Guns [Quined]
    Concordia: Britannia & Germania [PD-Verlag]
    Hansa Teutonica: Britannia [Argentum]
    Keyflower: The Merchants [R&D]
    Village: Port [Pegasus]




    Okay. Dann zu dem ersten Review. Es geht um Waggle Dance [Grublin Games]:


    "Waggle Dance" heißt Bienentanz. Ja, das gibt's wirklich und bezeichnet das "Tanzmuster", das zum Bienenstock zurückkehrende Honigbienen ihren Kolleginnen vorführen, um zu zeigen, wo die nektarreichsten Blümchen zu finden sind. Um Bienen, Nektarsammeln und Honigproduktion geht es in dem Spiel. Als Bienchen dienen D6-Würfel, die auf zentralen Arbeitsfeldern oder im eigenen Bienenstock plaziert werden, um so Nektar (-> Holzwürfelchen in sechs verschiedenen Farben) zu sammeln und letztendlich in Honig zu verwandeln. Die gewürfelte Zahl bestimmt, welche Felder zur Verfügung stehen; für manche Aktionen braucht man einen Pasch. Im Kern also Worker Placement mit Würfeln bzw. "dice placement". Dazu kommt noch ein bisschen eingestreute Mehrheitenwertung, nämlich bei den Blüten. Die sechs Blüten haben alle eine endliche Menge Nektar zu bieten und wer am meisten Bienen (Würfel) zu einer Blüte schickt, bekommt 2, der zweitmeiste noch 1 Nektarwürfel.


    Zur Charakterisierung eines Spiels wird gerne übergeordnetes Thema (hier: Bienenstock managen) oder Spielmechanismus auf Zugebene (hier: Worker Placement) herangezogen. Um Waggle Dance passend zu beschreiben, braucht es meiner Meinung nach aber die eher selten betrachtete Ebene dazwischen, den übergreifende Mechanismus im Ganzen. Bei Waggle Dance gibt ein klar definiertes Ziel, nämlich als erster auf 7 Feldern des eigenen Bienenstocks Honig produziert haben (-> Umdrehen der Wabenplättchen; danach nicht mehr anderweitig nutzbar). Das bringt, nebenbei gesagt, einen gewissen Rennspiel-Charakter rein und jeder weiß immer, wo wer in Bezug auf das 7-Honigfelder-Ziel steht. Die verschiedenen Aktionen bauen entweder Infrastruktur auf (Bienenstock vergrößern durch Anbau von Waben; neue Bienchen/Würfel erlangen durch Eier und Brutpflege) oder dienen direkt der Honigproduktion: Nektar sammeln, Nektar im Stock verteilen, Honigproduktion aus vier gleichfarbigen Würfel. Durch das klar definierte Spielziel ergibt sich für den erfahrenen Spieler damit schon eine grobe Richtschnur für erfolgreiches Spielen: erst Infrastruktur verbessern und dann im richtigen Moment mehr oder weniger scharf umsteuern Richtung Honigproduktion aus dem, was man hat. Wer am Ende noch viele Ressourcen übrig hat (Eier übrig, Nektar übrig, zu viele Waben), der hat etwas falsch gemacht. Unter dem Strich also eine Optimierungsaufgabe in Sachen Effizienz.


    Vom Spielgefühl her erinnert mich Waggle Dance daher an Spiele wie Stone Age (der Vergleich passt auch in Sachen leichter Zugänglichkeit) oder, wenn wir zeitlich etwas weiter zurückblicken, an St. Petersburg. Bei letzterem: Geld in Handwerker investieren, um noch mehr Geld zu bekommen, mit dem man letztendlich Siegpunkte kauft. Im Prinzip ungegrenztes "engine building", bei dem man das rechtzeitige Umschwenken Richtung Siegpunktgenerierung nicht verpassen darf. So fühlt sich auch Waggle Dance auf einer funktional abstrahierten Theorie-Ebene an. Nur dass hier Siegpunkte durch ein weniger abstraktes Spielziel ersetzt wurde und im Vergleich zu ähnlichen Spielen die verschiedenen Aktionen deutlich vielfältiger sind und eine sehr schöne Integration zwischen Thema und Mechanismus bieten. Würfel auf Blüten setzen = Bienchen zu Blüten fliegen lassen. Mehrheit auf Blüten bestimmt, wer den 2 Nektar bekommt. Komplexere Aufgaben wie Honigproduktion oder Eier ausbrüten erfordern zwei kooperierende Bienen = Pasch. Und anderes mehr. Das Spiel ist wunderbar schnell erklärt und, trotz durchaus komplexer Mechanismen, ausgesprochen intuitiv zu spielen. Bitte daher nicht von meinen theoretischen Überlegungen abschrecken lassen. Wer nicht Vielspieler mit mathematisch-technischem Hintergrund ist, wird das einfach nur als nett gemachtes Worker Placement Spiel erleben... :)


    Punktabzug gibt's aber wegen qualitativ minderwertiger Komponenten. Die Würfelchen sind eher Quaderchen; die Kantenlänge schwankt wild zwischen 8 und 10 Millimetern. Das ist nicht nur rein optisch ein Problem. Auf eigenen Waben liegen bis zu vier Nektar-Würfelchen, und wenn das vier gleiche sind und man daraus Honig machen will, muss man noch zwei Würfel dazu packen. Naheliegend wäre: oben drauf legen. Genau das wird aber schwierig, wenn die Würfel unterschiedlich hoch sind. Außerdem würde ich mir wünschen, dass das Spiel ein Spielbrett hätte. Das zentrale "Spielbrett" besteht nämlich einfach aus 12 auszulegenden Karten (3 nebeneinander - 6 in Blütenform im Kreis - 3 nebeneinander).


    Plus:
    * Thematische Integration
    * Leichte Zugänglichkeit
    * Komplexe Mechnismen (Würfeleinsetzen + Mehrheiten) elegant verpackt


    Neutral:
    * Optimierungsspiel in Sachen Effizienz; kein Strategiespiel mit zig verschiedenen Wegen zum Ziel
    * Sonderkarten sind teilweise (!) von der Sorte: "bäh, dafür habe ich jetzt einen Zug verschwendet?!" (Aber im Durchschnitt passt's schon, von daher noch okay.)
    * Interaktion durch Mehrheitenwertung auf Blüten, durch genre-typische Blockade von Einsetz-Felder und durch negative, d.h. einem Mitspieler schadende, Sonderkarten
    * Optisch im Prinzip nett aufgemacht, aber eingestreute Klötzchengrafik und Technikbezüge im Artwork wirken etwas fragwürdig. Kommt ein bisschen so rüber, als hätte der Künstler selbst nicht wirklich gewusst, in welche Richtung er wollte.

    Minus:
    * minderwertige Komponenten
    * zu wenig Zufallselemente in Sachen "grundsätzliche Aufgabenstellung"



    Fazit: 6/10 Punkte (dabei schon 1 Punkt abgezogen wegen schlechtem Material)


    Auf eine Zahl heruntergebrochen klingt das aber schlechter als es ist. Zum einen bin ich kein Freund von Bewertungsschemata, bei denen sich alles zwischen 6/10 und 10/10 Punkten bewegt. Ein 6/10 heißt bei mir tatsächlich (leicht) überdurchschnittlich. Zum anderen gehört Waggle Dance für mich zu den "Spielen mit Ecken und Kanten aus Kleinverlagen", die durchaus ihre Berechtigung haben. Ein Spiel mit ausgesprochenen Stärken, ebenso ausgesprochenen Schwächen -- und leider einer gehörigen Portion verschenktem Potenzial. Genau das gleiche Spiel hätte mit minimalen Änderungen und ordentlicher redaktioneller Betreuung bei einem renommierten Verlag gut und gerne 8/10 bekommen können. Statt 1 Punkt Abzug eben 1 Punkt mehr für den letzten Feinschliff, der dem Spiel fehlt. Lohnt sich das Spiel? Meiner Meinung nach ja, wenn man auch mal "Spiele mit Ecken und Kanten" jenseits des Mainstreams spielt, d.h. wenn man die Stärken schätzen kann, auch wenn man dazu die Schwächen übersehen muss. Leider dürfte genau das das Problem für das Spiel sein. Wer solche "Ecken und Kanten"-Spiele sucht, der meint damit oft nur heftige (d.h. für Normalspieler nicht mehr zumutbare) Vielspieler-Drogen anstatt gehobenere Familienspiele auf Stone Age Niveau. Das ist etwas schade, denn Waggle Dance ist im Kern ein wirklich gutes Spiel, das die Aufmerksamkeit des Publikums verdient hätte -- aber wohl nicht bekommen wird.


    #WaggleDance