Beiträge von Bierbart im Thema „Warum ist Spielen ein "Kulturgut" und warum ist es wichtig, dies so zu betonen?“


    Begriffe wie Kulturgut oder früher Hochkultur sind der Versuch einzelne Gruppen bzw bestimmte Lebensäußerungen auszugrenzen. Platt gesagt Bach soll besser sein als afrikanische Buschtrommler.


    Ich denke, das ist ein wichtiger Einwurf. Der Begriff "Kultur" hat bedingt durch den Abbau von gesellschaftlichen Hierarchien und das Aufkommen der Massenmedien über die letzten Jahrzehnte sicher einen Bedeutungswandel erfahren, und zwar eine Erweiterung vom Elitären hin zum Populären. Das ist für das Verständnis des Gebrauchs solcher Wörter sicher nicht ganz unerheblich.

    Mich wundert, dass gerade dieser Kreis hier so viele Skeptiker hervorbringt,
    wenn es um die Anerkennung des Kulturguts Gesellschaftsspiel geht.


    Ich picke mir mal Dein Zitat heraus, weil ich glaube, dass Du (und danach Uzi in Zustimmung dazu) falsche Schlüsse ziehen. Der Aufhänger für die Diskussion war die Frage, ob Spielen ein "Kulturgut" sei. Das ist dann aber praktisch sofort vermengt worden mit der Frage, ob das Brettspiel ein Kulturgut sei. Das ist einfach eine andere Frage. Ich versuche das hiermit mal aus meiner Sicht wieder aufzudröseln. Wir haben erörtert:

    • "Spielen ist ein Kulturgut" - diesen Satz halte ich aus o.g. Gründen für falsch (siehe Fahrradfahren, Fernsehkucken...)
    • "Das Brettspiel ist ein Kulturgut" - Stimmt nur dann sicher, wenn jedes Produkt kreativer Arbeit automatisch als "Kulturgut" qualifiziert (zweifelhaft)
    • "Brettspieldesign ist eine Kunstform" bzw. "Brettspiele sind Kunstwerke" - stimmt nur dann sicher, wenn jedes Produkt kreativer Arbeit automatisch als "Kunst" qualifiziert (zweifelhaft)
    • "Das Brettspiel stellt einen kulturellen Mehrwert dar" und "Brettspieldesign ist ein kreativer Prozess" - das ist der Konsens unter allen Teilnehmern (oder?)


    Und schließlich bleibt noch die von der Klörung der Begriflichkeit "Kulturgut" unabhängige Frage, ob eine Imagekampagne für das Brettspiel sinnvoll ist. Da kann man ja dafür sein, aber den Satz "Spielen ist ein Kulturgut" - der ist einfach IMHO falsch. Würden wir stattdessen "Das Brettspiel ist ein Kulturgut" propagieren, würde ich wahrscheinlich mitmachen.


    Anmerkung zu 3.: Der Vergleich mit der Fettecke passt darum auch nicht, weil er voraussetzt, dass im Umkehrschluss jedes Kunstwerk ein Kulturgut darstellt. Die Fettecke ist nach meinem Verständnis zwar ein Kunstwerk, aber kein Kulturgut.

    Also... ist Kultur nur das, was intelligente Menschen versuchein darin zu interpretieren?


    Im Prinzip ja, allerdings nicht in Bezug auf Kultur, sondern auf Kunst: Etwas wird normalerweise erst dann als "ernsthafte" Kunst anerkannt, wenn es die etablierte Elite dazu erklärt (ich meine das feststellend, nicht wertend), daher auch der Verweis auf Feuilletons. Ich persönliche halte allerdings, wie gesagt, die Idee für ziemlich abwegig, in Brettspiele eine künstlerische Absicht der oben diskutierten Art hineinzuinterpretieren.


    Nicht als Antwort auf Deinen Post, sondern allgemein überlegt: Was ist "Kultur"? Im Prinzip doch alles, was unser gesellschaftliches Leben ausmacht. Ist ein "Kulturgut" somit alles, was dazu dient, dieses gesellschafltiche Leben zu praktizieren? Das kann man natürlich so sehen, aber dann haben wir natürlich einen sehr weiten Begriff, der uns nicht weiterhilft. Jedenfalls ist "Kulturgut" dann kein Qualitätsmerkmal.
    Wenn wir auf der anderen Seite ein "Kulturgut" gewissermaßen als Adelung unseres Hobbys verstehen wollen, und dazu "Kultur" und "Kunst" synonym gebrauchen, um Brettspiele mit Kunstwerken gleichsetzen, dann sehe ich einen echten Rechtfertigungsbedarf. Wenn ein Spieleautor sich dementsprechend äußern und sein Werk argumentieren würde, dann wäre es meiner Einschätzung nach aber schon denkbar, Brettspieldesign als Kunstform in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren.


    Wenn ich die Beiträge richtig verstnden habe, sehen wir Brettspiele irgendwo in der Mitte zwischen beiden Extremen. Das hilft uns jetzt natürlich bei der Klärung des Begriffs "Kulturgut" nicht arg viel weiter, aber zumindest können wir einengen, wovon wir reden.


    Warum ist ein Butterfleck (der von der Putze entfernt wurde) von höher Qualität, als ein "Spiel des Jahres", an dem sich mehr als eine Million Bundesbürger jährlich beglücken? ;)


    Was möchte der Künstler mit seinem Werk denn eigentlich bewirken?
    Eine Auseinandersetzung mit dem Thema? Eine emotionale Reaktion?


    Einem Spieleautor ist dieses Begehr fremd?


    Du sagst es selbst: Es kommt darauf an, was derjenige bewirken will. Ein Butterfleck ohne Kontext ist keine Kunst. Sich selbst den Hodensack an den Roten Platz anzunageln ergibt auch nur im Kontext Sinn. Dementsprechend könnte ich natürlich auch ein Brettspiel als Kunstwerk azeptieren, sobald mir jemand einleuchtend erklären kann, warum es eins sein soll. Ist einem Spieleautor also dieses Begehr fremd? Ich denke schon, zumindest ist mir persönlich noch kein einziger Spieleautor aufgefallen, der für seine Spiele öffentlich den Anspruch erhoben hat, sie seien Kunstwerke (mit Ausnahme vielleicht von der durchgeknallten Katalyka-Frau). Mir ist auch kein einziger Spieleautor bekannt, der sich abseits der Spielebranche irgendwo im Kulturbetrieb profiliert hätte.


    Ernsthaft: Wenn man das Brettspiel zu einem besseres Standing im Kulturbetrieb verhelfen will, dann müsste man ein paar Meinungsmacher aus dem Feulleton dazu bringen, sich damit zu befassen. Die würden da meiner Meinung nach zwar viel mehr daraus machen, als es tatsächlich ist, aber das würde die Wahrnehmung von Brettspielen sicher positiv beeinflussen.Mann, ich versuche mir gerade nur mal vorzustellen, was diese Leute alles in "Fortress America" hineininterpretieren könnten, oder in "Hansa Teutonica"...


    Ich würde Dir übrigens unvoreingenommen zuhören, wenn Du anhand von einem Beispiel erklären würdest, wo Deiner Meinung nach mehr in einem Brettspiel steckt als ein Zeitvertreib, bzw. wo ein bestimmtes Brettspiel den diskutierten künstlerischen Ansprüchen genügt.

    Vorsicht, wir werfen hier "Kunst" und "Kultur" in den selben Topf. Ohne die kreative Leistung eines Spieleautoren herabsetzen zu wollen, aber ich sehe ehrlich gesagt schon noch einen qualitativen Unterschied zu den etablierten Kunstformen, die in der Diskussion bisher erwähnt wurden. Ein Brettspiel reflektiert weder aktuelle gesellschaftliche Fragen, noch kann es den Anspruch auf die Offenbarung universeller Wahrheiten oder Schönheiten oder Ideale erfüllen, oder was auch immer man für Maßstäbe an Kunst anlegt. Das kann man natürlich alles in Frage stellen, sschließlich ist jede Mozartsymphonie letztlich nur Tanzmusik, und ein schwarzes Quadrat ist unterm Strich auch nur ein schwarzes Quadrat etc., aber ich glaube, entscheidend ist hier, dass die Selbstwahrnehmung von Spieleautoren eine völlig andere als die eines Künstlers ist.


    Um die Begrifflichkeiten etwas sauberer zu trennen: Das Spielen von Brettspielen ist zweifellos ein Teil unserer Kultur, genauso wie das Singen von Volksliedern Teil unserer Kultur ist; Fernsehschauen und Komasaufen gehören aber auch dazu. Die Aktivität des Brettspielens an sich kann also eigentlich kein Kulturgut sein, es sei denn, man will dem Fernsehschauen diesen Status ebenso zugestehen.


    Die Frage wäre also vielleicht eher, ob ein einzelnes Brettspiel den Anspruch erfüllen kann, einen signifikanten kulturellen Wert darzustellen. Bei Siedler würde ich das sogar bejaen, auch bei Skat oder DoKo. Bei den anderen - hm.... Oder aber wir wollen dem "German Game" per se zugestehen, ein Kulturgut zu sein. Jedenfalls ist es ein kultureller Exportschlager, der für manche Leute mit Deutschland verbunden wird wie das Oktoberfest, oder Black Metal mit Norwegen, oder Pizza mit Italien. Ich persönlich sehe das deutsche Brettspiel als eine kulturelle Errungenschaft, die in gewissem Maße auch erhaltenswert und darum förderungswürdig ist. Wenn man das "Kulturgut" nennen will, klingt es zumindest nicht falsch für mich.