Beiträge von LemuelG im Thema „Finden gute Spiele ihren Weg?“

    Zitat

    Original von Winterfeld
    Ich versuche lediglich mein persönliches Fazit zu ziehen: Weder Autor noch Verlag allein garantieren ein gutes Spiel, der Rest meiner Beiträge ist lediglich meine Argumentationskette, warum ich persönlich für mich dieses Fazit ziehe und wie ich generell die Entwicklung der Branche in den letzten Jahren wahrnehme.


    Marcel Reich-Ranicki hat sinngemäß mal gesagt, dass alle Autoren schlechte Bücher schreiben, aber dass bei den großen Autoren dann und wann mal ein gutes Buch dabei ist. Bei Spielen ist das sicherlich ganz ähnlich.


    Bei Deinem Fazit sind wir beieinander, das sehe ich auch so. Im Gegensatz zu Dir finde ich das aber auch völlig unproblematisch. Bekannte Autoren haben es in der Vergangenheit geschafft, das eine oder andere gute Spiel zu publizieren. Damit haben sie es sich aus meiner Sicht redlich verdient, dass man ihre neueste Schöpfung zumindest mal in Augenschein nimmt - gerne kritisch - unter Einsatz der wertvollsten Ressource des Spielers, seiner Zeit. Erstautoren müssen sich diesen Vertrauensvorschuss erst noch verdienen, indem sie an geeigneter Stelle ihre eigene Reputation aufbauen ... sei es, dass sie sich via Print-and-Play einen ersten Stamm von Fans aufbauen, dass sie sich mit ihrem Konzept den Stürmen des Crowdfunding stellen, dass sie einen Verlagsredakteur überzeugen, etc.


    Darf ich Dich fragen, wo Du Deine Spiele kaufst? Im Internetshop xy, der gestern neu aufgemacht hat und von dem noch kein Mensch etwas gehört hat, oder beim Versandhändler oder Ladengeschäft Deines Vertrauens, wo Du schon häufiger Kunde warst? Und wenn die Antwort auf diese Frage so lautet wie ich erwarte - denkst Du nicht, dass die Reputation auch bei Spieleautoren etwas Sinnvolles sein kann?

    Von blindem Hinterherlaufen kann doch bei den allermeisten Leuten gar keine Rede sein. Spiele werden vielleicht wegen des Autorennamens gekauft oder zumindest ausprobiert - aber wenn sie dann den Geschmack nicht treffen, dann wird man doch einen Teufel tun und sie behalten. Ich finde beispielsweise Bora Bora ganz großartig (weiterhin), aber Brügge und Rialto haben meinen Geschmack überhaupt nicht getroffen. Darum besitze ich ersteres und die letzten beiden nicht. Man müsste schon ein Komplettist sein, um das nicht entsprechend zu handhaben, und das sind wenige Leute.


    Und umgekehrt: Es gibt so viele Neuerscheinungen unbekannter Autoren. Ganz sicher sind dort einige tolle Spiele darunter. Aber ohne einen gewissen Hype-Faktor oder einen etablierten Verlag oder zumindest ein originelles Thema dahinter würden viele dieser Spiele ohne einen Autorennamen, der sie hervorhebt, in der Masse untergehen, weil ich eben nicht 500 Neuerscheinungen im Jahr spielen kann.


    Und was Leute angeht, die nur BGG-Top100-Spiele spielen wollen: Snobs gibt es überall. Man muss ja nicht mit ihnen spielen. Und ich glaube nicht, dass ihre Zahl allzu groß ist.

    Winterfeld: Spiele sind Erfahrungsgüter. Das bedeutet, ich kann die Qualität eines Spiels erst dann zu 100% beurteilen, wenn ich es gespielt habe (und manchmal noch nicht einmal dann). Sonderfälle wie eine katastrophale Regel, die einem schon vorab deutlich macht, dass das kein gutes Spiel sein kann, seien hier mal außen vor gelassen.


    Aufgrund der Tatsache, dass Erfahrungen subjektiv sind, ist übrigens auch die Beurteilung in gute oder weniger gute Spiele subjektiv, aber das führt vielleicht zu weit vom Thema weg.


    Alles, was nun als Indikator im Dschungel der Neuerscheinungen dienen kann, in dem es unmöglich ist, jedes neue Spiel auszuprobieren, ist darum durchaus sinnvoll - insbesondere für die Verlage (BTW, können wir uns bitte auf den korrekten Plural ohne ä einigen?!), deren Weiterbestehen - von großen Gewinnen will ich gar nicht reden - von halbwegs erfolgreichen Verkäufen abhängt. Autorennamen (und übrigens auch Verlagsnamen wie alea) signalisieren Qualität, weil man ggf. mit Spielen dieses Autors in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht hat. Das ist bei Buchautoren und bei Musikern und bei Regisseuren auch nicht anders. Ich zum Beispiel freue mich wie ein Schneekönig auf den neuen Film von Alfonso Cuaron, der nächste Woche anläuft, weil ich auf Basis meiner Erfahrungen mit den früheren Werken dieses Regisseurs mit Zuversicht sagen kann, dass ich mich hier in gute Hände begebe. Das schließt gelegentliche Enttäuschungen nicht aus - im Spielebereich haben etwa die Lamont-Brüder den Goodwill, den sie bei mir mit Snow Tails gesammelt haben, mit den Nachfolgewerken bei mir verwirkt. Das ist also ein dynamischer Prozess.


    Und würde man die Spiele ohne Ansehen des Autorennamens veröffentlichen und kaufen, so würde meiner Ansicht nach seltener ein subjektiv gutes Spiel erwischt als heute.