Beiträge von [Tom] im Thema „Muss man (Anti-)Wargames rechtfertigen?“

    Wie ich schon geschrieben habe: Bei mir haben viele Spiele erst das Bedürfnis ausgelöst, bestimmte Aspekte der Geschichte genauer nachzulesen. Und auch wenn ich von Sternenfahrer als ungebildeter Bauer hingestellt werde: Bei mir wurde zu Schulzeiten nie der Erbfolgekrieg oder der Aufstand des 2. Mai behandelt. Insofern ist es gut, wenn im Rahmen seiner Bildung diese Themen behandelt wurden - bei mir war dem nicht so, und es gab vor den Spielen keinen Auslöser, der mich dazu gebracht hätte, mich zu informieren.


    Bei mir funktioniert also der Ansatz des Spieleentwicklers, dass ich mich durch das Spiel näher mit dem Thema befasse. (Übrigens hat auch 303 bei mir die Frage ausgelöst, weshalb denn bitteschön die Polen ein Spiel über den Luftkampf in Großbritannien herausbringen... ^^)

    Zitat

    Original von duchamp
    Aber es gibt jenseits von dieser persönlichen Grenze schon auch folgende Überlegung:
    Wenn - wie einige hier schreiben - vor allem der Spielreiz entscheidend ist, warum werden dann die "fertigen" Spiele nicht in ein unreales Szenario übertragen? Der Themen sind viele, der Spielreiz wäre nicht geringer. Oder doch? Ich habe mich als Jugendlicher beim Baue von Revell-Modellen schon immer gefragt, wieso so viele Panzer und dergleichen erhältlich waren, während meine historischen Segelschiffe oft als "langweilig" bezeichnet wurden. Es ist eben DOCH etwas anderes, wenn die "xte Division" mit ihren historisch korrekten Panzern und Nachschublinien vorrückt. Da weht so ein "heroischer" Wind - "Conflict of Heroes" und so. Eine für mich sehr US-amerikanische Sichtweise, die mir gänzlich zuwider ist.


    Mir ist klar, dass die User dieses Forums diese Sichtweise nicht teilen (offensichtlich) - aber sie steckt doch hinter der Entwicklung vieler solcher Spiele. Vielleicht finde ich einfach, mein Leben ist zu kurz, als dass ich mich mit diesen "faszinierenden" und "spannenden" Themen wie der Kriegsführung aus Generals-Sicht möglichst detailliert auseinanderstzen müsste. Mich interessieren eher Bücher wie "Davon haben wir nichts gewusst" von Peter Longerich - dazu brauche ich kein Ostfront-Spiel.


    Wahrscheinlich stellen die Spieleentwickler (und viele Wargamer) genau die entgegengesetzte Frage: Wieso sollen wir denn ein reales Szenario in eine unreale Welt versetzen? Was würde sich ändern, wenn in NO RETREAT nicht etwa Deutschland über Russland herfallen würde, sondern Orkhorden über unvorbereitete Elben, die sich dann aufrappeln, ihre Harfen und Lauten beiseite legen, und zu den Waffen greifen?
    Ich psersönlich nehme an, dass es auch etwas mit Marketing zu tun hat:
    "No Retreat! - Russische Ostfront" sagt jedem sofort etwas. Der Konflikt ist bekannt, die Situation auch, man weiß also gleich "woran man ist".
    "No Retreat! - Orcs vs. Elves" ist vollkommen unbekannt. Dass sich dahinter ein komplexes und spannendes Strategiespiel usw. versteckt, muss erst erklärt werden.


    Plus der Vorwurf, man würde mit einem "harmlosen" Fantasy-Setting einen grausamen Krieg "verstecken" wollen.


    Aber Du beschreibst ja auch sehr gut, weshalb die Kriege des vergangenen Jahrhunderts für Dich zu nahe sind. Kann ich gut verstehen. Ich habe mir die Frage gestellt, als ich sowohl History of War, als auch Flames of War gespielt habe. Gerade bei dem ersten habe ich lange mit meiner Schwester diskutiert, da ich das Spiel nicht nur gespielt habe, sondern auch auf den Messen und Spieleconventions Demospiele gemacht habe. Da muss man sich natürlich auch die Frage gefallen lassen, wieso man denn ein Spiel repräsentiert, in dem man Nazis spielen kann...


    Womit ich mich übrigens nicht anfreunden kann, ist der Ausdruck "gewaltverherrlichend" bzw. "kriegsverherrlichend". Ich empfinde es nicht so, dass die Spiele Gewalt und Krieg als etwas Positives oder Erstrebenswertes darstellen - eher versuchen sie, das Tatsächliche - also die Gewalt im Detail - zu verbergen, indem ja kein Counter wirklich stirbt, sondern immer wieder ins Spiel kommt, und sowieso die meisten Ergebnisse ein Zurückdrängen sind - das diese simple Bewegung eins Counters um 2 Felder nach hinten in Realität (im Krieg) viele, viele tote Soldaten (und Zivilisten) gefordert hat, bleibt im Rahmen des Spiels natürlich verborgen.


    Aber da sind wir ja wieder bei der alten Puerto Rico-Diskussion: Sklaven werden auf den Plantagen zur Arbeit gezwungen, dargestellt durch braune Pöppel, die auf die Plantagenfelder platziert werden. Alles hübsch abstrahiert.
    Ich denke, dazu muss sich jeder selbst seine Gedanken machen, was in den Spielen, die er spielr, dargestellt werden darf - und wie. Und was eben nicht.

    Zitat

    Original von GangZda
    Macht ihr Witze über das Aktuelle Spielgeschehen? Wenn zum beispiel durch kuriose Würfelwürfe eine absolut unterlegene rumänische Armee plötzlich 2 russische Fronten zurückdrängt. - Sagt ihr dann: "Jawoll! Voll die krassen Ninja-Rumänen" :) oder sowas wie "Die Rumänen hatten wohl einige Tiger-Panzer geliehen bekommen."


    Und allgemein gibt es bei euch während des Spiels kommentare um das Spiel zu verdeutlichen, um aufzuzeigen was gerade passiert? "Ouh... die Russen halten sich trotz Unterzahl fanatisch auf dem Berg" o.ä.


    Sagen wir mal so: Das hängt vom Spiel und vom Spielpartner ab.


    Bei Hammer of the Scots sage ich schon, wenn ich Wallace endlich habe (als Brite): Und ab auf den Folterblock mit Dir! - in Anlehnung auf den Film Braveheart.
    Und bekomme als Antwort: Immerhin hat er vorher noch die Frau von Deinem Sohn genagelt!
    Aber: Das häng wiederum immer vom Spiel und vom Spielpartner, sprich: Seinem/Ihrem Humor ab.


    Ein defintiv heikles Thema, da stimme ich Dir zu, weshalb ich auch lieber im privaten Kreis (Sprich: zu Hause) spiele, als auf Conventions, wo sich ein unbeteiligter Zuschauer auf Grund einer Momentaufnahme ein Bild von mir machen könnte.


    Dirtbag: Ich finde im Übrigen, dass man sehr wohl differenzieren kann, welche Kriege und Konflikte man spielen mag, und welche nicht. Und ich finde es auch nicht scheinheilig, wenn jemand sagt, dass ihm der 2. Weltkrieg "zu nahe dran" sei, eben auch auf Grund der Informationslage/Dokumentation, der zeitlichen Nähe, und damit verbunden auch der persönlichen Nähe (auch meine Großeltern haben die direkten Auswirkungen des Kriegs erlebt, und meine Eltern immer noch die Nachwirkungen).
    Das ich aber relativ leidenschaftslos die Folgen des Erbfolgekrieges betrachten kann, oder die Ereignisse des Aufstands des 2. Mais in Madrid (Monat, nicht Feldfrucht! ^^) empfinde ich nicht als inkonsequent.


    Edit:
    Nochmal Dirtbag: Wenn ich es richtig sehe, dann hast Du hier ja auch den Helm eines Khorne-Berserkers als Avatar - dann hätte ich es doch sehr amüsant gefunden, wenn Du _gegen_ Kriegsspiele wettern würdest... ;)


    Nochmal Edit:
    Zudem ist es ja auch immer eine Frage, wie ein Spiel den Krieg darstellt. Aus gegebenen Anlass am Beispiel von ECLIPSE: Bei Weltraumspielen werden ja in der Regeln Raumschiffe entfernt, wenn man einen Kampf verliert. Wer denkt da an die 1000 Mann Besatzung eines Dreadnoughts? Oder die 10.000 Mann Besatzung einer Warsun bei TI:3?
    Und wenn man dann alleine im System des Gegners ist, dann darf man mit Allen Waffen auf die Planeten Feuern, und bei Treffern die Würfel an den Mitspieler zurückgeben: Man veranstaltet also mit den eigenen Truppen ein Massaker unter der werlosen Bevölkerung einer anderen Rasse... Aaaaber das Ganze ist abstrahiert in einen kleinen Würfel, den man einfach vom Planeten nimmt und zurück in die persönliche Auslage legt. Ist das nun verharmlosend, oder ist es einfach nur ein Spiel? :)

    Was mir bei dem Thema auch noch einfällt:


    Ich habe mich mit vielen historischen Konflikten überhaupt erst auseinandergesetzt und beschäftigt, WEIL ich ein Spiel zu diesem Thema gespielt habe, und neugierig wurde, worum sich das Spiel eigentlich dreht - welche Aspekt des Spiels wollen historische Begebenheiten abbilden? Wo wird abgewichen von der wirklichen Geschichte?


    Als Beispiele:
    Dos de Mayo
    Maria
    A Few Acres of Snow
    Great Fire of London


    (Ja, das letzte Spiel stellt nicht mal einen Konflikt dar, aber ist dennoch ein gutes Beispiel für das Wecken von Interesse für eine Thematik)


    Wenn mir also jemand vorwerfen würde, dass es doch verantwortungslos oder gedankenlos - zumindest aber geschmacklos sei - ein solches Spiel zu Spielen, und diese tragischen Ereignisse auch noch selbst auszulösen und zu nutzen zur Unterhaltung, dann kann ich ruhigen Gewissens entgegnen, dass die Spiele nicht etwa Verharmlosen, sondern im Gegenteil für Aufmerksamkeit, Aufklärung und Wissbegierde sorgen.

    Ich für meinen Teil mag NO RETREAT! sehr gerne, und es gefällt mir unter Anderem auch deshalb gut, weil versucht wird/wurde, von der Politik hinter dem Krieg - und den Idealen - Abstand zu nehmen. Ich finde es auch angenehm, dass die Spielkarten keinerlei Illustrationen haben. (Es gibt ein Projekt bei BGG, bei dem illustrierte Magic-Karten für NO RETREAT! angefertigt wurden. Das gefällt mir zum Beispiel nicht, weil es mich wieder ein Stück "näher dran" rückt.)
    Mir würde NO RETREAT! auch gefallen, wenn es ein vollkommen anderes, fiktives Szenario wäre, in dem dieselbe "Unbalance" zwischen den Fraktionen aufgestellt wäre - das ist es eigentlich, was mich an dem Spiel reizt.


    Man darf eben die eigentliche Geschichte über diesem Thema nicht vergessen. Cosim-Spieler, die sich auf Conventions in authentischen Kostümierungen zeigen, kann ich nicht verstehen, denn ich selbst bin doch nicht ein deutscher General! Überhaupt ist doch dieses gesamte Szenario völlig abstrakt und abgeleitet aus dem "echten" Konflikt und Krieg, den es gab - von den Möglichkeiten der "totalen Kontrolle" und dem "Wissen" über die Mechanik hinter dem Spiel mal ganz zu Schweigen.