ZitatAlles anzeigenOriginal von Eduard Zuhorstrapadse
Die Überbewertung "neuer" Spiele. Ich empfinde es jedenfalls so, dass ein Spiel, welches "neu" ist, extrem positiv bewertet ist, obwohl es eigentlich kaum etwas taugt, geschweige denn innovativ ist. Die auffälligsten Beispiele des Vorjahres sind für mich Valdora, Alea iacta est oder Finca, die jetzt schon wieder allerorten verstauben. Zur Zeit ist es Fresko, welches ich einmal gespielt habe und welches nun wirklich nichts gegenüber den zahlreichen ähnlichen Vorgängern wie Maestro Leonardo, Säulen der Erde oder Caylus hervorhebt. Für mich stellt sich sofort die Frage: Wozu braucht man ein solches Spiel?
Was können Spiele heute mehr?
Das Material ist aufwendiger und besser.
Viele Spiele sind komplexer, aber nicht taktischer.
Viele Spiele bieten Abwechslung über vielfältige Erweiterungen.
Die ganze Sache ist schnellebiger, aber gerade weil sich die Spiele so schnell verbrauchen, habe ich das Gefühl, ist man so wahnsinnig auf die kommenden Neuheiten fixiert.
Gleichzeitig gibt es eine geradezu abfällige Haltung gegenüber allen älteren Spielen, was sich ganz deutlich in den bgg-bewertungen nachlesen lässt.
Beispiele:
1) Diplomacy
Dieses Spiel ist wohl eines der vielschichtigsten und gleichzeitig einfachsten Spiele seiner Art. Es geht nur um die Interaktion, das Spielen, das, was zwischen den Spielern abläuft, die Regeln sind so einfach, dass das Spiel selber im Hintergrund bleibt.
Heute spielt man lieber Imperial und kriegt noch Imperial 2030 draufgedrückt oder auch den Eisernen Thron?
2) Can't Stop und Choice
Die Würfelklassiker von Sackson, wenn es um Würfelwahrscheinlichkeiten und deren taktische Nutzung geht, steckt hier alles drin. Wozu muß ich heute Alea iacta est oder das aufgemotzte Kingsburg spielen?
3) Showbiz
Geniales Poker und Bluffspiel, rangiert mit einer Bewertung von 6.00 als Durchschnittsspiel bei BGG.
4) Acquire, Bazaar
Weitere Klassiker von Sackson, welche in Einfachheit der Regeln, kurzer Spieldauer und nachhaltigem Spielspaß uns noch heute bestechen, vielerorten aber vergessen zu sein scheinen.
5) PS
Autorennen aus dem Hause Hans im Glück, hatte das Pech zu einer Zeit erschienen zu sein, als es noch keine Erweiterungen gab, folglich gibt es nur eine einzige Strecke. Von Formula De gibt es etliche, der Glücksfaktor ist dennoch höher, der Spielspaß aber nicht. Die Bewertung von PS bei BGG ist ein Witz.
6) Die Kramer-Klassiker Abenteuer Tierwelt (Expedition) oder Formel 1 (Top Race)
Einfache Taktik-/Kartenmanagementspiele mit enormer Spieltiefe, welche ich jederzeit einem Race for the Galaxy oder Dominion vorziehen würde.
7)1830
Immer noch der Maßstab für alle Eisenbahnspiele, ich kenne kein besseres.
8) Cosmic Encounter
Die neue Fassung bekommt sogar einen eigenen Eintrag bei bgg und wird direkt mit 0,5 Punkten höher bewertet, das Spiel hat sich gegenüber der Fassung von 1977 meines Wissens nicht verändert.
9) Civilization
Käme immer eher als Rise of Empires auf den Tisch.
Und ich stelle auch nicht fest, dass jüngere Mitspieler auf diese Spiele nicht anspringen, man muß sie eben nur aus dem Schrank holen.
Außerdem ist es meiner Meinung nach so: Es gibt so viele wirklich gute Spiele, da reicht mir eines aus jedem Genre, um meine Bedürfnisse abzudecken. Da brauche ich wirklich nicht die x-te Variation des worker-placement Genres, Fresko empfinde ich hier wirklich als Zumutung, weil alleine Caylus um so vieles besser ist. Wenn ich Lust auf ein solches Spiel habe, warum sollte ich Fresko spielen und Caylus im Schrank stehen lassen?
Darüber, dass es bei Spielen niemals um ein tatsächliches "Brauchen" geht sind wir uns vermutlich alle einig, und wer bspw. ein Skat-Fanatiker ist, wird direkt sagen, dass man zum spielen nichts weiter als die bekanntesten 32 Spielkarten "braucht". Der Geschmack ist das einzige Argument, was unser und eigentlicher aller Menschen Hobby bestimmt.
Ja, es erscheinen kaum Spiele, die wirklich in ihren Mechanismen geschweige den Themen neu bzw. innovativ sind. Und wen juckt es? Wenn ich ein Mensch ärger dich nicht toll finde, dass ich von meiner Oma geerbt haben könnte, aber meine unstillbare Spongebob-Sucht mich diese neue Version besser finden lässt... dann hol ich mir die neue Version. Zugegeben, blödes Beispiel.
Ich versuche es mal anders: Irgendwann erreicht jede Industrie eigentlich jedes Genre eine Stufe an dem es ausgeschöpft ist, an dem lediglich ein Sprung in der Technologie noch tatsächliche Innovationen ermöglichen kann. Unser Hobby basiert auf 2D-Papp- oder Papierplänen, Karten, Würfel, Plastik und Holzfigürchen (Pöppel, Meeples etc.) irgendwann wird da alles ausgeschöpft sein. Das einzige, was aber vermutlich bis in alle Ewigkeit "Änderung" bringt sind neue Kombinationen der "alten" Mechanismen und Themen.
Ja, Fresko mag für die meisten in keinem Punkt besser sein als Caylus... aber vielleicht hab ich an einem Abend eben mal mehr Lust an einer Decke zu pinseln?!
Zu deinen Beispielen:
1) Volle Zustimmung, es ist wirklich schade das Regelleichtgewichte mit trotzdem sehr hoher Spieltiefe untergehen. Das müssen wir wohl unnter "Zeichen der Zeit" abhaken. Es ist vermutlich für viele Menschen/Spieler bequemer(?) sich einem komplexeren Regelwerk unterzuordnen und in dem Rahmen zu handeln anstatt kreativ zu denken.
2) Hm, mein Geschmack sagt mir: Can't stop sieht mieserabel aus, Kingsburg dagegen sehr gut. Warum hässlich, wenn es auch schön geht? Nicht falsch verstehen, Can't stop ist auch für mich ein tolles Spiel, und zwar eins das vermutlich eine längere Zeit in der Spielewelt überdauern wird als Kingsburg. Meinen Geschmack trifft letzteres trotzdem insgesamt mehr.
3) + 5) Die Mehrheit der BGG-User teilt da einfach nicht deinen Geschmack.
4) Unsere Spielrunde spielt zum Großteil Neuheiten, aber Acquire wird auch gespielt... und zwar mit großer Begeisterung.
6) Science Fiction Fans werden dir da gerne widersprechen.
8) Dass das Spiel einen neuen Eintrag bekommen hat, verstehe wer will, aber dass es besser bewertet wird könnte an der besseren Optik liegen. Geschmackssache, natürlich, aber ein weiterer definitiver Pluspunkt ist, dass man die neue Fassung kaufen kann, die alte nicht mehr. Okay, das sollte bei der Bewertung keine Rolle spielen...
Zu Civ und RoE kann ich nichts sagen, da ich beide noch nicht gespielt habe.
Bei den Spielen, die nichts neu machen, oder die einfach Neuauflagen alter Schätze sind, muss ich sagen, dass ganz simpel das bessere Thema, das bessere Material und natürlich die Lieferbarkeit entscheidende Argumente für die "Neuheiten" sind.
Etwas kann man den ganzen Neuheiten jedenfalls nicht absprechen: Sie halten den Industriezweig am laufen, der unser Hobby versorgt und ermöglichen, dass eben auch seltene Perlen erscheinen, die die Zeit überdauern. Und vielleicht erinnern sie auch manchen daran, dass da doch noch ein tolles Spiel beinahe vergessen auf dem Dachboden liegt, das man mal wieder zu einem Treffen mitnehmen könnte.