Beiträge von Spielphase im Thema „Qualität und Grenzen der Erklärbären in Essen“

    Moin!


    So wie Du es beschreibst, sollte es auch eigentlich sein. Leider gibt es dabei aber Marktmechanismen, die trotz aller guten Vorsätze (niemand will schließlich zur Messe gehen und nichts verkaufen oder zumindest promoten) das Ganze zum Wanken bringen können.


    Ein Beispiel:
    Hier kann ich dieses Jahr Matagot anführen. Sie wollten als Verlag ihr großes Spiel rausbringen, aber irgendwie hat es mit den Miniaturen nicht rechtzeitig geklappt. Man bekommt dies vom Lieferanten aber immerhin noch einigermaßen rechtzeitig vor der Messe mitgeteilt und entscheidet sich spontan (und für viel Geld wohl auch...), schnell ein paar Holzfiguren beizulegen. Dazu kommt noch ein Zettel, daß man die eigentlich veranschlagten und produzierten Kunststoff-Figuren kostenlos bekommt (noch einmal wird Geld ausgegeben, um die Porto- und Umschlagskosten zu bezahlen. Von den Mitarbeiter-Löhnen reden wir mal lieber nicht und denken, daß dies der Chef persönlich nach Feierabend oder in seiner Toilettenpause erledigt).
    So, der Kelch sollte also noch einmal am Verlag vorbei gegangen sein. Dann stellt man jedoch erschreckenderweise fest, daß man auch die Stanzbögen noch mal eben ändern muss, um Kreaturenscheiben zusätzlich einzubringen. Die sind wohl auch eigentlich als Spielfiguren aus Kunststoff vorgesehen und werden natürlich auch nicht früher fertig. Also schnell mal eben fünf Grafiken zusammenschnibbeln, kreisförmig ausrichten und auf ein Stanztableau setzen. Oh, die Dinger sind ja voll und es gibt nicht genügend Platz für alle Kreaturen. Die Folge: Zwei Geldmarker müssen weichen. Spieltechnisch vollkommen egal, weil das Geld laut Autor (von dem diese Infos stammen) eh immer reicht.
    Puhhh, hat es der Verlag also doch noch mal geschafft. Für den ganzen Stress gibt es aber dann noch als Belohnung anstelle zweier Kampfwürfel in neutraler Farbe fünf Kampfwürfel in den Spielerfarben. Schicker Lederbeutel inklusive und das ganze wird als Vorpremiere deklariert.
    Schade ist nur, daß in der schon gedruckten Anleitung diese Last-Minute-Veränderungen nicht mehr eingepflegt werden können. Dazu müssten die drei (?) Redaktionen (Englisch, Deutsch, Französisch) die Layouts abändern, alles zusammenbasteln und noch einmal komplett drucken. Dafür reicht einfach die Zeit nicht mehr.


    Ein Regelerklärer, der die Spielanleitung und ein solches Spiel dann am Mittwoch in Essen zum ersten Mal sieht, fällt zwar nicht in Ohnmacht, hat aber etwas mehr zu tun. Zumal, wenn er diesen "Job" nicht bereits einige Jahre macht.



    Die meisten Spiele, die in Essen vorgestellt werden, existieren erst eine oder zwei Wochen vor Öffnungen ganz real als Schachtel. Die Spielkartenhersteller und Spielekonfektionierer aus Deutschland, Polen, Tschechien, Belgien und Frankreich produzieren 24h am Tag vor diesem Event, damit die Produkte rechtzeitig fertig werden. Die Ware wird nach Möglichkeit gar nicht erst eingelagert, sondern direkt auf den LKW und die Straße gebracht. Oft gibt es sogar nur Teilproduktionen (1000 Spiele zur Messe, 3000 kommen danach), um Zeit zu sparen. Jeder Verlag hat eben nur ein gewissen Zeitfenster zum Konfektionieren seiner Ware beim Konfektionierer. Fabrikmanager und Insel der steinernen Wächter sind z.B. nur zwei Spiele, die direkt am Donnerstag morgen um 9 Uhr eingetroffen sind.


    Spielanleitungen sind natürlich immer recht früh fertig und könnten den Erklärern natürlich auch direkt vorgelegt werden. Aber nur anhand einer Spielanleitung hat man es schwer, ein Spiel zu erklären. Der Rest des Materials ist genauso wichtig. Ich muss Ereigniskarten sehen können, Kurzspielregel-Blätter kennen, Würfelseiten verinnerlicht haben und und und... Das geht alles erst direkt vor der Messe.


    Andererseits: Ein Verlag könnte natürlich seine Spiele auch schon im September fertig haben. Oder im August. Das ist aber werbetechnisch blöd. Bei Spielen, die im August veröffentlicht wurden und dann in den Handel kommen, handelt es sich für die informierten Spieler ja nicht mehr um richtige Neuheiten. Das kennt man eventuell schon, es gibt Testberichte, es entsteht kein Hype und auch Spontankäufe wegen gutem Material oder Grafik sind viel seltener als auf einer Messe. Außerdem kann man mit zwei Monate alten Pressemitteilungen bei den Printmedien und dem Radio/Fernsehen nicht besonders gut punkten.


    Letzte Alternative ist die Produktion im Sommer (August) und dem Einlagern der Spiele bis zum Oktober. Das wären dann aber zwei oder drei Monate Lagerhaltungskosten, ohne Abverkäufe zu haben. Das können sich kleine und mittlere Verlage nicht leisten, denn Lagerkapazität kostet... Ich habe auch schon versucht, mir ein Außenlager für meine Spielesammlung anzumieten. Da wird man schon arm, wenn die Halle gewisse Standards haben muß (Stichworte: Luftfeuchtigkeit, Sauberkeit, Tierbefall).


    Zurück zu den Erklärbären:


    Es gibt da verschiedenste Typen:


    a) Autor oder Prototyp-Tester: Bester Informationsgehalt. Wenn dann noch Redefreude dazu kommt, ist diese Kombination perfekt. Funktioniert aber meist nur bei Kleinverlagen.


    b) Freunde / Forenteilnehmer / Vielspieler / Ehefrauen / Kinder: Diese Gruppe erklärt ordentlich, kennt meistens auch alle Regeln und ist engagiert. Sie erhalten Belohnungen in Form von Verlagsspielen, Geld, Verpflegung, Eintrittskarten, Stellfläche-Möglichkeiten für Spielekäufe, Sex (bei Ehefrauen) oder Androhung von Enterbung (Kinder oder Ehefrau?)


    c) Angemietete Erklärbären: Über Jobagenturen werden diese Leute eingestellt. Eventuell auch über das schwarze Brett einer Universität bzw. Schulen. Die Motivation dieser Leute ist unterschiedlich, genauso wie ihr Spielebackground. Gestandene Verkäufer können alles anpreisen, aber ein Erklärer, der sonst nicht gerne spielt und sich in dem Metier nicht auskennt, ist eher fehl am Platz. Aber gerade bei großen Verlagen muß/mußte man schon öfter auf diese Leute zurückgreifen. Es funktioniert ja auch leidlich.


    ... und jetzt stelle dir mal c) vor, wenn die Person die Spielanleitung zu einem mittelkomplexen Spiel am Donnerstag Morgen um 8:30 Uhr (ich bin ja gar nicht so) bei z.B. Amigo bekommt. "Das wird schwer windig auf Norderney, sagt der Wettervogel im Fernsehen". Um 10:02 Uhr sitzt die erste Truppe bereits am Tisch.


    Ciao,


    Andreas Keirat
    www.spielphase.de