Beiträge von MetalPirate im Thema „Euros - austauschbares Thema?“

    Das mag alles wunderbar zu Vinhos passen, aber es kann trotzdem auch für andere Themen funktionieren. Und wer sagt denn, dass die Plättchen gleich bleiben?

    Klar. Aber dann musst du dir neue Boni ausdenken; einfaches Namen-Austauschen reicht dann eben nicht mehr. Und ob die neuen Boni deines Kinderspielzeug-Fabrik-Rethemes ihre gesteigerte Regelkomplexität (bei Vinhos bedeutet das auch gerne mal Extra-Meeples oder Extra-Tokens) ebenso gut rechtfertigen können durch eine starke thematische Integration wie bei den Weinregionen Portugals, das wage ich dann doch zu bezweifeln.

    Genau in sowas steckt eben Arbeit drin, die der eine Spieleautor/Redakteur sich macht und der andere halt nicht. Und genau das macht dann im Endeffekt den Unterschied zwischen einer dünnen Schicht drübergeklatschtem Thema, das sich leicht austauschen lässt, und einem (zumindest in Teilbereichen des Spiels) stärker verankertem Thema, wo man ziemlich viel neue Arbeit investieren müsste, wenn man ohne nennenswerte Verluste aus dem Retheme rauskommen will.

    Klar: Thema austauschen geht grundsätzlich immer. Aber irgendwann ist's halt den Aufwand nicht mehr wert, wenn's nachher noch genauso gut sein soll wie zuvor.


    [Lacerda]

    Es macht es eben einfacher, einen persönlichen Bezug dazu zu haben. Er muss in einem neuen Spiel also wieder seine Heimat als Bezug nehmen. ^^

    100% dafür! Vinhos und Lisboa sind für mich die beiden besten Lacerdas. Spiele ich beide sehr gerne. Zwei andere sind bei mir noch im Bestand, aber alles andere musste gehen bzw. wurde nach Anspielen während der Kampagne (TTS/Tabletopia) gar nicht erst angeschafft. Nimm bei Lacerda die starke thematische Integration weg und es bleibt nur noch mechanische Verkomplizierung zum Selbstzweck übrig. Das erinnert mich dann schnell eher an das Lösen von partiellen Differenzialgleichungen als an entspanntes Spielen in geselliger Runde.


    Ich treffe eine Entscheidung im Spiel also, weil Sie mechanisch UND thematisch Sinn macht und verstehe so im besten Fall sogar besser, warum diese Entscheidungen im echten Leben getroffen werden.

    Wichtiger Punkt, der für mich aus guten Spielen erst sehr gute oder gar herausragende Spiele macht: mechanisch gut spielen und thematisch richtig spielen gehen Hand in Hand. Ein Spiel, das das nicht leistet, hat bei mir keine Chance, bei 9/10 Punkten oder höher zu landen.

    Auch das bereits genannte Vinhos von Vital Lacerda wurde im Nachhinein ja nochmals angepasst in der 2016er Version, da es spielerisch Sinn machte, die Regeln um das Bezahlsystem zu streamlinen.

    Vinhos (WYG) zu Vinhos (EGG) ist IMHO einfach nur normales Streamlining; das hätte genauso gut auch schon bei der ersten Version passieren können. An dem Charakter von Vinhos, stark durch das Thema getrieben zu sein, ändert sich dadurch überhaupt nichts.

    Ein noch stärker thematisches Lacerda-Spiel ist übrigens Lisboa. Die anderes Lacerdas ... nicht so sehr. Das ist IMHO eher Mechanismen-Salat, auf den man alles Mögliche als Thema hätte drüberstülpen können. Für mich ist's auch kein Zufall, dass ausgerechnet die beiden Spiele mit Themen aus Lacerdas portugiesischer Heimat so thematisch sind.


    [Hat Vinhos ein austauschbares Thema?]

    Ich habe keine Ahnung mehr wie genau die Abläufe im Spiel waren, aber bin mir 100%ig sicher, dass es auch hier möglich ist. Vermutlich könnte ich ein Whiskey Spiel draus machen und wenn es noch weiter weg sein soll, dann wahrscheinlich auch etwas wie eine Fabrik in der man Kinderspielzeuge herstellt.

    Persönliche Einschätzung: Unterschiedliche Elemente von Vinhos würden sich für ein Re-Theme in sehr unterschiedlichem Maße eignen. Solche normalen Engine Building Elemente wie Kauf von Weingütern oder Weinkellern kriegt man wohl relativ problemlos auf ein neues Thema transferiert. Bei den Wein-Bewertungen gemäß Kriterien/Wünschen von Gutachtern wird's schon etwas schwieriger, denn die Abhängigkeit von externen Bewertungen ist nicht in jedem Geschäft so stark wie beim Weinhandel.

    Ganz eindeutig wird's aber bei den speziellen Boni je nach Region in Vinhos. Diese bilden die Eigenheiten dieser portugiesischen Weinregionen ab. Das wird's schier unmöglich, das auf Whiskey oder Kinderspielzeug zu transferieren. Beispiele: Wein aus der Region Minho (-> der bekannte Vinho Verde) muss jung getrunken werden, deshalb kein Kellerbau erlaubt. Wein aus Duoro kann mit speziellen Tokens zu Portwein aufgemotzt werden. Dão-Wein hat besonders hohes Alterungspotenzial, deshalb Bonus-Keller, wenn man dort startet. Und bei der Stretch Goal Region Madeira gibt's sogar Touristen-Meeple, die einem Extra-Geld bringen, wenn sie das eigene Weingut besuchen. Sowas ist für mich einfach wunderbar thematisch!

    Die Frage ist eben oft, ob zuerst das Thema da war, das man als Brettspiel verwirklichen wollte, oder ob man doch eine Mechanik als Idee hat, über die man ein Spiel und Thema stülpen möchte.

    Ist das wirklich immer so klar zu trennen? Bei den BGG News lese ich gerne Designer Diaries und da gibt's genügend Fälle bzw. Berichte von neuentwickelten Spielen, wo sich beides parallel entwickelt hat, dabei durchaus auch auf beiden Seiten mit Sprüngen. Mechanische Änderungen bringen thematische Anpassungen und umgekehrt. "Thema erst nachträglich drübergeklatscht" gibt es öfter, "Thema zuerst" (was ich deutlich lieber mag!) gibt es schon seltener, aber die Mehrzahl der Spieleentwicklungen dürfte irgendwo in der Mitte liegen.

    Im Übrigen sollte man auch unterscheiden zwischen dem, was der Autor als Prototypen entwickelt, und dem, was der Kunde am Ende beim Händler kaufen kann. Dawischen liegt noch die redaktionelle Entwicklung beim Verlag. Und wenn der Verlag das wirtschaftliche Risiko der ganzen Geschichte trägt, dann hat er absolut das Recht, nur die Mechanik aus dem eingereichten Prototyp zu nehmen und ein neues Thema drüberzuklatschen, von dem er annimmt, dass es den wirtschaftlichen Erfolg steigert. Inklusive komplettem Rausschmeißen von Allem, was in unserer heutigen, allzu schnell hyperventilierenden Gesellschaft irgendwo angreifbar sein könnte. Konkret hier bei #Golem also z.B. alles, was näher auf Judentum und Antisemitismus (Golems als Verteidiger des Ghettos) eingehen würde.

    Durch solche gewollte Vermeidung aller thematischen Risiken, insbesondere in jedem historischen Kontext, kommt dann auch ein Teil des Gefühls zustande, dass man es in Euros nur noch mit austauschbaren drübergeklatschten 08/15-Wohlfühl-Settings zu tun hat.