Beiträge von Gead im Thema „Werden Spiele in der eigenen Wahrnehmung schlechter...“

    Das mit der Erweiterung des eigenen Horizonts ist schön, aber auch ein bisschen ein Problem unserer Zeit, wenn Erweiterung (in die Breite) lediglich Ablösung bedeutet. Gibt es nicht so viel Auswahl, dann spielt man das was man hat, länger und fast zwangsläufig intensiver. Ist geduldiger. Heutzutage rücken ständig und in immer kürzeren Intervallen Neuheiten nach, die altes zuerst überlagern, dann an die Seite schieben und schließlich selbst über die Jahre lieb gewonnenes ganz aus dem Regal verdrängen. Der Druck von außen steigt, alles unbedingt verbessern und optimieren zu müssen. Die Spiele sollen auch in der Wahrnehmung schlechter werden. Dafür sorgt allein schon die Werbeindustrie (mein liebstes Feindbild). Das muss aber nicht sein.


    Ich kann mich noch sehr gut an mein allererstes Spiel erinnern, dass ich mir vor über 40 Jahren vom Taschengeld gekauft habe. Alaska (von Eric Solomon) kann ich immer noch und immer wieder mal aus dem Regal hervorholen – weil das Spiel dort einen jederzeit sichtbaren Platz hat, damit es gar nicht erst in Vergessenheit geraten kann. Tatsächlich spiele ich es auch gelegentlich und das mit großer kindlicher Freude. Es mag zwar aus heutiger Sicht antiquiert erscheinen und ein paar Schwächen haben, die hatte es aber wahrscheinlich schon damals. Dass bspw. ab einem gewissen Punkt klar ist, wer gewinnt; und dass das Glück manchmal zu viel die Finger im Spiel hat, wenn Eiskarten unpassend gezogen werden, oder man selbst einfach keine Hubschrauberkarte auf die Hand bekommt (aber dafür die anderen). Doch das ist verzeihbar, weil es eben beständig für Emotionen sorgt. Den Zufrier- und Auftaumechanismus schätze ich jedenfalls bis heute sehr. Die Übersichtlichkeit des Spielplans mit dem See und der Insel in der Mitte, den wenigen Feldern ringsherum, ist mir auch heute wesentlich lieber als die meisten der teils völlig überfrachteten „modernen“ Pläne. (Catan zeichnet sich übrigens auch durch eine ähnliche Klarheit im Aufbau aus.) Inwieweit das erste Spiel eine Sonderrolle im Herzen und auf dem Spieltisch einnimmt, kann ich nicht völlig objektiv beurteilen. Da ich aber noch nie eines meiner Spiele verkauft oder mich anderweitig davon getrennt habe, weiß ich auch noch, wo ich jederzeit viele der nächsten Stationen meiner spielerischen Entwicklung und Sozialisation finde. Dadurch kann ich mich auf spielerische Weise in meine Kindheit, Jugend und die Zeit danach zurückversetzen. Indem ich alte Schätzchen wieder spiele, fühle ich mich so jung wie damals, und auch die Spiele erscheinen gleich in einem anderen Licht. Neues bekommt gerne eine Chance. Und darf die Sicht nach vorne erweitern.