Beiträge von LookAtTheBacon im Thema „SPIEL '21“

    Hatte lustigerweise vorige Woche was Längeres dazu geschrieben und wollte auch schon den alten Thread ergänzen, jetzt poste ich es einfach der Vollständigkeit halber mal hier mit rein ;) Sorry im Voraus für die Länge…
    PS: Nicks von Usern habe ich absichtlich nur gefettet und nicht mit einem @ markiert, einfach weil ich nicht hundert Leute gleichzeitig nutzlos anstupsen wollte ^^


    Fast fünf Monate ist die SPIEL digital 2020 nun schon her. Das „Experiment“ des Friedhelm Merz Verlages, der die größte Gesellschaftsspielemesse der Welt einfach mal komplett ins Internet verlegt hat. Und bald haben wir schon wieder Halbzeit. Denn im Oktober soll schon die nächste SPIEL vom Band rollen: die 2021er-Version. Doch wird sie überhaupt live stattfinden können? Oder wird es erneut ein multimediales Stelldichein geben? Und will man Letzteres in der Community eigentlich? Eine Momentaufnahme.

    Covid-19 hält uns seit März 2020 richtig auf Trab. Das Virus hat weltweite Wellen geschlagen und hat dabei natürlich auch Deutschland nicht verschont. Konzerte wurden abgesagt, Gaststätten geschlossen – selbst die Bürger mussten über weite Strecken des letzten Jahres oft zuhause bleiben. Keine Frage, dass eine derart besucherstarke Messe wie die SPIEL in Essen hier ebenfalls ihre analogen Pforten geschlossen lassen musste. Doch dankenswerterweise entschlossen sich Dominique Metzler und ihre KollegInnen, in Zusammenarbeit mit mehreren externen Firmen und YouTubern, die Messe kurzerhand online abzuhalten. Eine Art virtueller Raum wurde geschaffen, optisch einem Sternenhimmel ähnelnd, in dem man frei hin und her manövrieren und verschiedene hexagonale Verlagsstände besuchen konnte. Mit ein paar weiteren Klicks wurde man oftmals auf das firmeneigene Discord weitergeleitet, wo man via Sprachchat einer Spielerunde beiwohnen konnte – meistens unterstützt durch ein externes Programm wie Tabletopia oder gar einer externen Webseite wie beispielsweise BoardGameArena. Somit mussten Demorunden für uns Brettspielfans aus aller Welt glücklicherweise nicht gänzlich ausfallen, auch wenn viele Verlage leider keinen solchen Service anbieten konnten – sei es durch mangelndes technisches Know-How, fehlende Vorlaufzeit oder zu wenig Personalstärke. Aber wie kam das Event denn nun bei uns in der Community an? Ich habe ein paar Meinungen zusammengetragen:

    Unser hauseigener Admin Sankt Peter zeigt sich enttäuscht und muss leider für sich feststellen, „dass das alles nur eine »Notlösung« für eine echte Messe sein kann“. Es fühle sich für ihn „wie das Surfen auf Boardgamegeek an, mit eingebautem Kaufen-Button. Uninteressant.“ Er hätte bei einer Partie Paris zugeschaut, doch das wäre ihm zu langweilig gewesen. Nicht das eigentliche Spiel, sondern das Zuschauen an sich, wie Leute das Spiel lernen und dann eine Erstpartie vor sich hinspielen. Weiterhin meint Sankt Peter, dass „ohne die Szene-YouTuber und Blogger das [Ganze] noch uninteressanter geworden [wäre]“. Insgesamt habe man aber dennoch gemerkt, dass „in der kurzen Zeit viel aus dem Boden gezerrt wurde“, um überhaupt eine Alternative anbieten zu können.

    Trajan sieht es ähnlich und meint: „Ich bin sehr schnell davon gelangweilt, anderen beim Spielen zuzugucken oder fließbandartige Präsentationen anzuschauen und kann es auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, stundenlang irgendwelchen Streams zu folgen. Dafür ist mir meine freie Zeit zu kostbar. Daher war für mich schon im Vorhinein glasklar, dass der Besuch der digitalen SPIEL so gar nichts für mich ist.“

    Machiavelli101 stimmt beiden zu und sagt: „Toll, dass überhaupt eine Notlösung auf die Beine gestellt wurde. Ersetzen wird es die Messe [aber] nicht. Denke, auch nicht parallel.“

    Brettpotato pflichtet bei und äußert sich ausführlicher: „Für mich persönlich ist das alles […] überhaupt nichts. Ich habe hier und da gesurft und mir was angeguckt, aber ich fand das alles total langweilig und uninteressant. […] Ich finde es auch nutzlos, wenn Leute Spiele anschauen, auspacken und sie in die Kamera halten, ohne sie selbst gespielt zu haben. Mir ist schon klar, dass sie die zig Neuerscheinungen vorher auch nicht alle haben Testspielen können, aber deshalb muss ich ja an dieser Art der Präsentation keinen Gefallen finden. Für mich hat das, insbesondere was ich auf den YouTube-Kanälen gesehen habe, den (Anti-)Charme von Shopping-Kanälen. […] Die Spiele haben mich auch nicht interessiert und kämen für mich nicht in Frage. Auf online Kaufrausch und online-Shopping habe ich ohnehin keine Lust. […] [Ich] kaufe dann doch lieber (später) im Spieleladen oder ich bestelle gezielt Spiele, die ich haben möchte, die es aber auf der SPIEL ohnehin so gut wie nie zu finden gibt.“

    Brett Pit stimmt in den eher negativ konnotierten Reigen mit ein und lässt verlauten: „Es ersetzt die Messe in Essen in keinem Fall. Da merkt man dann auch, dass man nicht alles einfach digitalisieren kann. Der Tag in den Hallen und der Stapel an Spielen, den man dann am Abend mit nach Hause schleppt, das ist schon was Besonderes. […] Ich hoffe einfach, dass es 2021 dann irgendwie wieder in Echt funktioniert. Die Mischung vor Ort ist halt schon speziell.“

    917kh schlägt einen noch kritischeren Ton an und stellt fest: „Naja, ist halt nur Content der mir nix bringt, viel Rumgelaber...und das geht jetzt 4 Tage so...reichlich Informationen aus zweiter/dritter Hand, gibt es so auch ohne Messe. Leider Schade, hat halt nichts mit der SPIEL zu tun.“

    Ähnlich M.Blitz: „Keine Ahnung, aber ich finde die spiel.digital einfach nur nicht gut! Ich wollte ein wenig einkaufen, paar Perlen von ausländischen Verlagen, aber Pustekuchen...“

    MetalPirate macht kurzen Prozess und schlussfolgert für sich: „Brauche ich nicht. Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, mir selbst in riesigen Hallen genau das anzusehen, was ich will, sei es gezielt oder sei es aus Lust und Laune heraus, dann finde ich es interessanter, Spielregeln als PDF zu lesen. Dafür brauche ich die Spielemesse in Digitalform höchstens indirekt, weil zu dem Anlass halt "zufälligerweise" viele Neuheiten auf einen Schlag erscheinen.“

    Herbert spricht wiederum einen anderen Punkt an, nämlich verminderten Konsum, und konstatiert gewohnt lakonisch, es sei „günstig“ gewesen. „Kein Arbeitsausfall, kein Geld für Anreise und Ticket, kaum Geld für Spiele ausgegeben“. Das hört man tatsächlich öfter. Hillbilly treibt dies schön auf die Spitze: „Am schlimmsten ist, dass es fast keine Neuheiten zu Kaufen gibt. Für mich war die Messe auch immer ein Einkaufsparadies. Aber wenn ich hier "Kaufen" drücke, werde ich meistens zu Shops geleitet, die ‘nen UVP-Preis von mir wollen und dann so vage Aussagen wie „voraussichtlich verfügbar am 15. November“ [dazuschreiben]. Komplett uninteressant. Ich hab kein Problem [damit], ein paar Euro mehr zu bezahlen, dann möchte ich es aber auch gleich haben. So kann ich auch warten, bis es bei den üblichen Verdächtigen verfügbar ist.“

    Doch ravn zeigt hier schön die traurige Crux dieser Tatsache auf, mit der der ein oder andere von uns in letzter Zeit des Öfteren konfrontiert wurde: „Ich hatte […] eine Kaufliste angefangen. Mich für einzelne Neuheiten begeistert. Dann ist mir eingefallen, dass wohl in den kommenden sechs Monaten oder noch länger keine Spieletreffen in der von mir erhofften Form möglich und sinnvoll sein werden. Somit sind direkt alle Spiele, die besser für 3 und mehr Spieler funktionieren, wieder rausgefallen. Die kann ich auch später nachholen, weil wirklich gespielt können die aktuell eh nicht werden.“ Ein spannender Gedankengang.

    Doch war wirklich alles schlecht? War die SPIEL digital laut unknowns ein Reinfall, ein totaler Flop? Keine Chance, groß einzukaufen; und die Chancen, die da waren, waren langweilig, nicht lukrativ, oder unter Lockdown-Bedingungen nicht sinnvoll?

    Man kommt selbst als harter Kritiker ins Grübeln, liest man sich die andere Seite des Meinungsspiegels durch:

    „Bedingt durch Beepleradio und die vielen Youtuber und Blogger, die auf allen Plattformen wirklich coolen Inhalt beisteuern, habe ich […] viel Spaß und ein bisschen Messefeeling. Unterm Strich wird viel geboten - für kein Geld. […] Es macht mir Laune.“ – Bergziege

    „Wir haben unseren Beamer aufgebaut und mit einer Freundin gebruncht. Wir sitzen hier seit 9.30Uhr und schauen gemeinsam diel Spiel Digital und kaufen nebenbei ein :D“ – meeple

    „Ich finde es wirklich eine gute Alternative. Da wurde wirklich meines Erachtens nach ordentlich Arbeit reingesteckt...gerade auch [in] das Rahmenprogramm.“ – Braz

    „Das Team ist gut ausgewählt und macht seine Sache gut und professionell. Auch die Technik läuft reibungslos, der Chat wird mit eingebunden, es werden Fragen beantwortet und Gewinnspiele durchgeführt. Den [Stream] zu schauen hat mir durchaus viel Spaß gemacht.“ – Immerlicht

    „Da haben sich aber eine Menge Leute sehr viel Mühe gemacht. Erstaunlich, was da in der Kürze der Zeit auf die Beine gestellt wurde.“ – ecki

    „Meine ganz persönliche Meinung ist, [dass] das, was hier in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft wurde, schon beachtlich [ist]. Mir gefällt auch Einiges nicht, aber das Gesamtbild ist schon stimmig.“ – Goblinmeister

    „Für mich war die Spiel.digital ein tolles Erlebnis. […] Es war meine dritte Spiel überhaupt. Und es hat mir, vielleicht auch auf Grund meiner Erwartung, sehr gut gefallen.“ – leidensgenosse

    „Mir haben die paar Stunden Surfen sehr gefallen. Ich habe gerade in den Abendstunden mehr Zeit dort verbracht, als zuerst geplant, da ich mich hier gut […] über Neuheiten informieren konnte. Und [das] in einem Format, das mich dabei besser unterstütze, als z.B. die Neuheitenliste auf BGG.“ – HRune

    „Ich fands klasse!“ – hobs006

    Selbst alte Fehden wurden (temporär?) beiseitegelegt:
    „Ich war heute beim Digger im Stream. DAS war tatsächlich lustig. Und nicht wie man erwarten würde, wenn wir aufeinandertreffen :D Es gab keine Fausthiebe oder so. Sehenswert, wer mal reinschauen will :D“ – Ben2

    Andere scheinen gar restlos begeistert gewesen zu sein, wie beispielsweise der überschwängliche Andy_Zoo: „Ich bin positiv überrascht von der Spiel.digital! Bei mir in der Bude hat sich ein echtes Messefeeling eingenistet. Ich habe einiges (an)gespielt (Tawantisuyu, Sagani, Isle of Cats, Paleo, Tuscany, Renature) und bin voll auf meine Kosten gekommen. Ich habe mit Freunden gespielt (Elektro), mit Leuten aus dem Ausland, mit Leuten die nicht witzig waren, ... also alles was dazu gehört. Auf der Plattfrom finde ich (manchmal erst auch nach einiger Zeit) Videos, Streams, andere Informationen, ... und auf Discord kann ich Fragen stellen und mich austauschen. Da haben sich wahnsinnig viele Leute, wahnsinnig viel Mühe gegeben und Zeit investiert und versuchen uns zu unterhalten.“

    UserIn Maus: „Für mich ist die digitale Messehalle optisch sehr ansprechend gestaltet. […] Ich finde, hier wird dem worst case-Szenario (keine Spiel 2020) was Schönes entgegengesetzt. […] Gratulation und Vielen Dank!“

    … oder Dihego: „Ich fand die Spiel.digital richtig gut. Ich scheine genau zu der Zielgruppe zu gehören. Ich habe mich zwei Tage lang sehr komprimiert über Brettspiele informieren können, habe an Online-Spielrunden teilgenommen, spontan Spiele gekauft und viel Unterhaltung genossen. Riesen Dankeschön an alle Beteiligten.“


    Aber ist das alles überhaupt realistisch? Egal wie wir die Spiel.digital denn nun letztendlich jeweils fanden – dürfen wir uns überhaupt auch nur im Ansatz einbilden, uns darauf freuen zu können, uns im Oktober wieder in Essen in den (spielerischen) Armen zu liegen?

    Ich persönlich glaube das nicht.

    Denn selbst wenn bald der Impfstoff von Johnson & Johnson in Deutschland verimpft wird und man die aktuell absehbaren Lockerungen am Horizont betrachtet – eine Messe mit über hunderttausend Teilnehmern live abzuhalten, erscheint mir im Jahr 2021 leider immer noch utopisch. Die Coronavirus-Mutationen häufen sich, das Impftempo ist noch lange nicht so hoch, wie wir gern möchten – von der Impfbereitschaft der Deutschen anlässlich des wackeligen Starts von AstraZeneca mal ganz zu schweigen(!) – und die Inzidenzzahlen sind noch nicht niedrig genug und werden vermutlich durch die bald geschehenden Schulöffnungen und schrittweisen Einzelhandels-Öffnungen ebenfalls wieder steigen. Man muss demnach unter dem Strich kein Hellseher sein, um feststellen zu können, dass wohl auch 2021 die Essener Spielemesse wieder digital stattfinden wird. Ob im gleichen Format wie letztes Jahr oder leicht verändert, wird man sehen.
    Und mir ist klar, dass das letztendlich Spekulation ist, aber das ist am Ende jede Meinung über den Verbleib der Messe zum aktuellen Punkt ;) Daher ist es mir lieber, mich zu positionieren, als mich auf ein Live-Event vorzufreuen, was dann vielleicht doch nicht passiert.

    Was aber definitiv spannend bleibt, sind die Veränderungen. Werden die eingangs genannten Kritikpunkte der Community Beachtung finden, oder wird man sie seitens der Orga einfach ignorieren und unter den Tisch kehren? Wie kann man hunderte Verlage bestmöglich unter einen Hut bekommen und gerade die technische Seite noch weiter ausbauen? Startschwierigkeiten minimieren, Einstiegshürden abbauen, mehr Kaufmöglichkeiten schaffen? Es gibt Fragen über Fragen.

    Ich wünsche Frau Metzler und ihrem Team für deren Beantwortung meinerseits jedenfalls bestmögliche Lösungsansätze und ganz viel Kraft für die kommenden Wochen und Monate.
    Lg