Beiträge von Dee im Thema „22.02.-28.02.2021“

    Anachrony (Mindclash Games, 2017)

    Das Thema von „Anachrony“ ist etwas komplizierter, wie das oft bei Zeitreise-Aspekten der Fall ist. Auf das Essentielle heruntergebrochen: Die Erdbevölkerung wurde durch eine Explosion vor Hunderten von Jahren nahezu ausgelöscht. Die Überlebenden teilten sich in vier Gruppen auf – und experimentieren mit Zeitreisen. Denn ein Asteroid rast auf die Erde zu und könnte alles Leben komplett auslöschen. Seltsamerweise scheint die Energiesignatur des Asteroiden der Explosion hunderte Jahre zuvor zu entsprechen.


    Mechanisch handelt es sich um ein Arbeitereinsetzspiel. Es gibt zwei Bereiche dafür: Zum einen die Hauptstadt, in der ich mit meinen Mitspielern um die begehrten Plätze buhle. Zum anderen meinen lokalen Bereich, der aus 4x3 Feldern für Gebäude besteht. Gebäude und neue Arbeiter erhalte ich in der Hauptstadt. Die lokalen Gebäude verschaffen mir meist Ressourcen wie Titan, Gold, Uran, Neutronium (vom Asteroiden), Energie oder Wasser, auch wenn die Ressourcen im Spiel – wie bei vielen Eurogames – irgendwann zu generischen Farbwürfeln degradiert werden. Da brauche ich für den Bau eines Gebäudes eben nur 2 grüne Würfel, 2 schwarze und 1 gelben und 2 Wasser. (Wasser wurde nicht durch Würfel dargestellt, sondern durch Wassertropfen, sodass wir ganz automatisch immer bei der thematischen Wortwahl blieben.) Für den Einsatz in der Hauptstadt muss ich die Arbeiter in Exosuits (von uns auch „Mechs“ genannt, weil wir Exosuit nicht korrekt aussprechen konnten) stecken, die ich noch vor dem Arbeitereinsatz einplanen und mit Energie versorgen muss. Viele Aktionsfelder haben dabei die Bedingung, dass nur bestimmte Arbeitertypen (Ingenieur, Forscher, Verwalter, Genie) diese nutzen können.


    Den Ausbau des eigenen Tableaus mit Gebäuden habe ich letztens erst in „Carnegie“ wiedergesehen. Mir gefällt das, weil ich mir dann selbst meine Aktionsfelder zusammensuchen kann, wie ich das für richtig halte. Ebenfalls gefallen haben mir die gemeinsamen Aktionsfelder in der Hauptstadt. Aufgrund der Beschränkung der Felder kamen wir uns zu zweit sehr oft in die Quere – was bei einem Arbeitereinsetzspiel den Reiz ausmacht. Beides zusammen führte aber zu einem seltsamen Rundenablauf: Zuerst stürzten wir uns mit unseren Mechs auf die Hauptstadt-Felder. Das war hoch-interaktiv, frustrierend und spaßig. Und danach setzten wir die restlichen Arbeiter, soweit es noch möglich war, auf unserem lokalen Tableau ein. Das war reines Solitär-Puzzeln und mir war absolut egal, was mein Mitspieler macht. Das ist ungewohnt für ein Arbeitereinsetzspiel, denn meist leben diese von der Behinderung und Aktionsknappheit. Ich gebe zu, dass mich das etwas gestört hat. Es fühlte sich für mich wie zwei Arbeitereinsetz-Mechanismen an, die irgendwie nicht richtig zusammenpassen.


    In der Hauptstadt gibt es die wichtigen Felder, um das eigene Tableau mit Gebäuden zu erweitern oder auch neue Arbeiter anzuheuern. Da ich die Arbeiter nicht ernähren muss, bietet es sich an, viele davon zu haben. Zu viele ist aber nicht sinnvoll, denn wenn ich keine Mechs oder lokalen Aktionsfelder habe, kann ich diese nicht alle gleichzeitig einsetzen. Da die Arbeiter nach dem Einsatz meist erschöpft werden (analog zu „Nah und Fern“ – ich versuchte auch ständig die Arbeiter auf die Rückseite zu drehen, aber sie waren beidseitig gleich bedruckt), ist ein kleiner Überhang an Arbeitern nicht schlecht. Aber prinzipiell läuft es optimal, wenn ich alle Arbeiter einsetzen und sie nächste Runde wieder aufwecken kann. Diese Optimierung zwischen Arbeitern und Aktionsfeldern erinnerte mich auch stark an „Dice Hospital“, bei dem mir dieser Aspekt schon gefallen hat.



    Der Zeitreise-Aspekt ist durch eine variable Zeitleiste umgesetzt, die gleichzeitig auch die Rundenanzahl angibt. In jeder Runde können die Spieler sich Ressourcen nehmen, die sie später zurückzahlen müssen. Solange ich mir in der Vergangenheit etwas ausgeliehen und noch nicht zurückgezahlt habe, erhalte ich Anomalie-Marker. Habe ich zu viele davon, muss ich einen Gebäudeslot abdecken, was mich ein klein wenig blockiert und mir Minuspunkte bringt. Richtig neu ist das nicht, denn es handelt sich um ein simples Kredit-Zins-Tilgungs-Prinzip. Also nichts anderes als zum Beispiel in „Prêt-à-Porter“, in dem ich Geld als Kredit aufnehmen kann und den irgendwann zurückzahlen muss oder Strafzinsen dafür zahle. In „Anachrony“ wurde dies nur erweitert für Ressourcen und sogar Arbeiter.


    In unserer Partie nutzten wir diese Mechanik der Ressourcen-Ausleihe nur spärlich. Anfangs kam mir die Bestrafung mit Anomalie-Markern und blockierten Gebäudeslots sehr groß vor. Nach der Partie dachte ich mir, dass ich viel mehr darauf hätte gehen müssen, um gewinnen zu können. Grund ist, dass es eine Siegpunktleiste gibt für Zeitsprünge in die Vergangenheit (über bestimmte Gebäude), bei denen ich dann eine der ausgeliehenen Ressourcen zurückzahle. Ich hatte ein anderes Gebäude, womit ich die Ressourcenmarker ohne Zeitreise (und ohne Rückzahlung der Ressource) einfach ablegen konnte. Im Nachhinein war dies aber ein Fehler, denn so ging ich auf der Zeitsprung-Siegpunktleiste keinen Schritt vorwärts.


    Wichtig ist auch, dass in dieser Zeitleiste nach vier Runden der Asteroid „entdeckt“ wird und die Spieler nur noch drei Runden Zeit haben, um von der Erde zu fliehen. Genau genommen handelt es sich bei der Flucht aber nur um ein neues Aktionsfeld, auf das ich mich mit einem Mech setzen kann, um Punkte zu machen. Wofür es Punkte gibt, steht auf meinem ausgewählten Charakter. Das war bei uns sehr generisch: Punkte für ein Paar aus Ressource plus Arbeitertyp. Durch diese generischen Aufgaben fiel das Thema für mich völlig hinten runter. Insgesamt haben die vier unterschiedlichen Fraktionen, in welche die Menschheit zersplittert sind, in unserem Spiel kaum Auswirkungen gehabt. Natürlich gibt es andere Startressourcen und die zwei gewählten Charaktere haben Spezialfähigkeiten, aber die waren mir einfach zu abstrakt. Unterschiedliche Fraktionen in dieser Art (Erde, Himmel, Wasser etc.) kenne ich bereits aus „Euphoria“. Dort kommen die Völker aber besser zum Tragen, da das ganze Spiel und das Spielbrett auf die vier Fraktionen zugeschnitten ist. Da fand ich schade, dass ich in „Anachrony“ nie das Gefühl hatte, den Pfad der Harmonie (Pflanzen) beschritten zu haben.


    Die Spieldauer finde ich für das, was „Anachrony“ mir geliefert hat, etwas zu lang. Sicherlich lag das an der Erstpartie, aber 2 1/2 Stunden für ein Zweispieler-Spiel – wo das Spiel selbst 30 Minuten pro Spieler angibt – ist sehr viel. Auch die Erklärung dauerte seine Zeit: Nach ca. einer Stunde konnten wir erst loslegen. Daran sieht man auch, dass „Anachrony“ kein Leichtgewicht ist. Dávid Turczi hat aber bereits bei anderen Werken wie „Tekhenu“ oder „Tawantinsuyu“ gezeigt, dass er es komplex und verzahnt mag.



    In Summe bleibt für mich eine durchwachsene Erfahrung. Das lag auch an der (mir fehlenden) Übersicht. Denn in der vorletzten Runde hatte ich schon geplant, meine Leute von der Erde fliehen zu lassen. In der letzten Runde bemerkte ich, dass ich mir keine Siegpunkte dafür genommen hatte – und zwar, weil ich die Aktion gar nicht ausgeführt hatte. Dummerweise hatte ich meine Ressourcen, die ich zum Punkten benötigt hätte, schon fast alle ausgegeben, weil ich gedacht hatte, ich bräuchte sie nicht mehr. Das war sehr ärgerlich! Mit 47:71 habe ich also mit weitem Abstand verloren. Ich würde „Anachrony“ nach der Erstpartie gerne noch einmal zu dritt oder viert spielen. Am besten mit Personen, die das Spiel kennen, denn noch einmal eine einstündige Spielerklärung will ich mir nicht geben. (7,0)