Beiträge von PeterRustemeyer im Thema „Die Jäger des verpassten Schnäppchens und wieso ich auch mit 20% auf Alles keine 80% Verständnis aufbringen kann“

    misterx


    Wenn ich das Geschäftsmodell und die Geschichte von Schwerkraft richtig verstanden habe (man möge mich gerne korrigieren):


    Schwerkraft hat keinen eigenen Vertrieb, sondern ist Teil eines bestehenden größeren Vertriebs (BNW), der die Marke - zumindest in einer Welt vor #TerraformingMars - ermöglicht, gefördert und unterstützt hat.


    Schwerkraft könnte sein Geschäftsmodell nicht alleine durchziehen, weil ihnen Lager und Logistik fehlen würden.

    Und ob die sich mit den paar Titeln einen Eigenvertrieb leisten könnten?

    Vielleicht wären die Spiele dann nochmal ne Ecker höher preisstabil.


    Aber eher gäbe es Schwerkraft in einer fiktiven Welt ohne Händler überhaupt nicht, wenn sie nie die Symbiose mit einem Händler/Vertrieb hätten eingehen können.


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    Abgesehen davon glaube ich auch nicht, dass das Hobby so aussehen würde wie heute, wenn nicht gewisse Brettspiele (Catan, Caracassonne etc) auf breiter Verkaufsfläche angeboten werden würden. Und ohne Carcassonne gäbe es keine Hans im Glück und kein Marco Polo, Russian Railroads oder Paleo...

    Und ohne Omas, die für den Enkel im Karstadt ein verrücktes Labyrinth gekauft haben (und sonstige Laufkundschaft und neue Rekruten), wäre die Szene auch nicht halb so groß wie heute.


    Kurz: ich halte es für eine sehr befremdliche Ansicht, dem Handel die Daseinsberechtigung abzusprechen, nur weil man selbst voll der informierte Typ in einer digitalen Welt ist - die auf den Schultern von sehr realen Läden, Messen, Verlagshäusern steht.

    Schwerkraft nimmt immer die volle Marge mit, hat keinerlei Diskussion mit " Der Händler verkauft das aber für 30% weniger, dass kann ich mir als Händler ohne Internet nicht leisten , mach was Hersteller" und keinerlei Diskussion mit Einkäufern die Werbekostenzuschüsse, Jahreskonditonen und Abschriftenbeteiligungen haben wollen, einfordern.

    Das ist mir völlig klar.


    Aber wenn das alle Verlage so machen würden, gäbe es kein Brave New World mehr, und damit auch keinen Schwerkraftverlag.


    Oder andersrum: Schwerkraft kann ohne die Händler, weil die anderen Verlage die Händler und die Szene am Leben halten.

    Ein vernünftiger Fachhändler führt eine Win-Win-Situation herbei: er empfiehlt dir ein Spiel, von dem er denkt, dass es zu dir passt. Damit du Spaß damit hast, und damit du wiederkommst, wenn du das nächste Spiel haben willst, weil er ja schon beim ersten Mal einen guten Tipp gegeben hat.


    Dir einen Ladenhüter oder einfach nur irgendwas anzudrehen, wäre nicht sonderlich zielführend für euch beide.

    (natürlich gibt es solche Händler auch, und natürlich ist ein gewisses Misstrauen nicht völlig fehl am Platze, wenn dir jemand was verkaufen will)


    Sich im Internet zu informieren, find ich aber kein Stück besser.


    Communities klappen halb bis gar nicht:

    Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn jemand mit "Ich hab Catan und UNO gespielt" Hintergrund in einer Facebook-Brettspielgruppe fragt, was ihm/ihr sonst noch gefallen könnte, und dann schreibt jeder nur sein Lieblingsspiel hin, und am Ende sind die meistgenannten Spiele dann "Kingdom Death: Monster, Tainted Grail und Terraforming Mars". Ja, sind gute Spiele, nein, sind keine guten Tipps.


    Blogger klappen halb bis gar nicht:

    Systemimmanent befeuern die letztlich nur den ewigen Neuheitenwahn, weil sie sich ja verpflichtet fühlen, ständig neuen Kontext rauszuhauen, und über aktuelle Titel zu berichten. Über ein Spiel von 1996 zu berichten, bringt auch einfach keine Klicks.

    Das ist doch keine Alternative zu einer vernünftigen Kaufberatung.


    Sich das alles selbst zu erarbeiten, klappt halb bis gar nicht:

    Sich über Titel zu informieren, Reviews und Empfehlungen zu kontextualisieren und zu hinterfragen usw. Bei der heutigen Flut an Neuerscheinungen ist das halt eine absurde Menhe Arbeit, und warum sollte ich mir die machen, wenn es jemand anders hauptberuflich für mich macht?

    PowerPlant


    (Antwort auf den längeren Beitrag der letzten Seite, hier war irgendwie viel los in der Zwischenzeit)


    Ich bemerke (für mich) das Gegenteil.


    Ja, es gibt die Malls. Ja, die Innenstädte Deutschlands sehen inzwischen alle gleich aus, weil sich nur noch die großen Ketten die Pacht auf den Einkaufsmeilen leisten können. Ja, es gibt Onlinehandel (mit dem Luxus, dass man das Zeug einfach nach Hause bekommt, was auch immer es ist).


    Aber ich nutze das alles nicht. Teils aus Überzeugung, teils, weil ich gewisse Geschäftsmodelle nicht unterstützen möchte, teils, weil es für mich Lebensqualität bedeutet, dass ich eben nicht zuhause sitze und das im Netz bestelle.


    Und ich sehe auch eine Gegenbewegung zu Amazon, Aldi und Konsorten. Ich sehe an allen Ecken und Enden kleine Läden aufpoppen, in denen bärtige Hipster versuchen, es wieder richtig zu machen. Bäckereien, wo das Brot dann halt 5 Euro kostet, aber es schmeckt halt wieder wie richtiges Brot und nicht wie die Altpapier-Aufbackscheiße, die alle anderen mir als Brot verkaufen wollen. Kleine türkische oder indische "Supermärkte", Gemüseläden ohne Verpackungen, klassische Marktstände, Kaffeemanufakturen, was auch immer.

    Und die Leute nehmen das Angebot an. Und das sind nicht nur bärtige Hipster wie ich.


    Brettspielläden müssen - wenn wir keine Pandemie hätten - meiner Meinung nach nicht hin zum Onlinehandel, sondern hin zum persönlichen Kontakt. Raus aus der Nerd-Ecke, die Kunden mit Veranstaltungen, Brettspielcafés usw in den Laden locken. Das das ganze zum Erlebnis wird, dass der Laufkunde sieht, huch, da geht ja was. Das sieht ja interessant aus. Kann ich mitmachen? Kann ich Freunde mitbringen? Kann ich das auch zuhause erleben? Klar, bitte schön, packe ich ihnen direkt ein.


    Onlinehandel gibt es schon genug, ich sehe den Zugewinn nicht, wenn es statt 50(?) kleineren Brettspielonlineshops auf einmal 250 gibt.

    Ich sehe aber einen massiven Zugewinn durch Läden wie Freispiel Freiburg.

    Man müsste halt als Verlag aufhören, Thalia zu beliefern, wenn Thalia das Geschäft kaputt macht. Zu gehen scheint es ja - wenn ich mir Schwerkraft angucke.

    Wenn alle das Modell Schwerkraft fahren würden (nur Direktvertrieb, Händler zahlen quasi dasselbe wie Kunden), dann gibt es keine Spieleläden mehr, keine Spiele im Buchhandel, im Kaufhaus, im Müller/DM/Aldi usw. Dann gibt es nur noch ein paar Verlags-Onlineshops, und das war's.

    Ist das die Brettspielwelt, die du haben willst?


    Kommt mir nicht sonderlich gesund vor für die Außenwirkung der Branche.


    Imho kann Schwerkraft das nur machen, weil die anderen das nicht machen.

    Sag mal, wenn ich bei Thalia ohne Rabatt kaufe, bekommt der Hersteller doch genau so viel wie wenn ich bei Thalia mit Rabatt kaufe, oder?

    (Ich nehme an, es gibt schon von vorneherein weniger Geld/Stück von Thalia denn vom kleinen Laden, Endkunden-Rabatt hin oder her)


    Selbst wenn dem so ist, senkt es halt die Latte, wie viel ein Spiel dem Kunden wert ist.

    Ab wann hat sich ein Spiel amortisiert?

    Wieviel Spielzeit pro Euro, den wir ausgegeben haben?

    Ich lege meinen Luxus/Hobby-Einkäufen seit ewig und 3 Tagen einen 10 Euro Stundenlohn zugrunde.


    Wenn es mich mehr kostet als ich damit "Stundenx10" Spaß habe (oder das zumindest glaube), lasse ich es bleiben.


    Bei Brettspielen kommt theoretisch noch xN für die Spielerzahl dazu, aber weil meine Mitspieler in der Regel nicht meine Brettspiele mitfinanzieren, klammere ich das meistens aus. Sind sie halt eingeladen. ;)


    Damit ist das Hobby Brettspielen übrigens eins der kostengünstigsten, vorausgesetzt, du kaufst nicht jedes Spiel der Welt und spielst es nur einmal.

    Kino ist hart an der Grenze, Skifahren absurd drüber.

    Im Handel ist der Preis ja oft von der abgenommenen Menge abhängig. Ist es als Verlag hier nicht möglich mal an der Preisschraube für die Großen zu ziehen und dem lokalen Handel (Premiumpartner ... usw) bessere Konditionen anzubieten?

    Kommt ja immer super an hier im Forum, wenn Verlage ihre Spiele erst einmal exklusiv an Partner-Spielehändlern rausgeben.


    Ansonsten, am Beispiel eines Spiels, das für 10€ beim Händler landet:

    Wenn du einen kleinen Spieleladen hast, musst du Pacht, Mitarbeiter usw einkalkulieren, und brauchst ne hohe Marge, sagen wir 10+10=20€.

    Wenn du Thalia etc bist, hast du immer noch Ladengeschäfte usw, aber absurd mehr Umsatz, da reicht dir vielleicht 10+5=15€.

    Ähnlich, wenn du einen Onlinehandel hast, da fallen die Kosten für die Ladengeschäfte weg, da reicht vielleicht auch 10+5=15€.

    Wenn du über Amazon handelst (und deren Lager und Vertrieb nutzt), reicht dir vielleicht sogar 10+1 (für Amazon)+2=13€.

    Und schon fängt die Preisspirale an.

    Aber der kleine Händler kann nicht realistisch auf die 13 Euro runter, ohne sich die Lebensgrundlage kaputt zu machen. Das Verhältnis Umsatz/Fixkosten ist leider beim Fachhandel so ziemlich das schlimmstmögliche.


    Und dein Vorschlag wäre jetzt, Amazon das Spiel für 17 Euro zu verkaufen, wenn du es Thalia und Fantasywelt für 15 Euro und den Spielehändlern für 10€ gibst? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Beteiligten das mitmachen.

    "Ich nehme direkt 2000 Spiele, dafür zahl ich dir 5€ mehr pro Stück" ist leider nicht das Modell, auf das sich unsere BWL-Professoren geeinigt haben. ;)


    Wenn du die Preise stabil halten willst, sehe ich keine Alternative zum Direktvertrieb (wie Schwerkraft). Aber die machen sich a) auch nicht gerade allzu beliebt bei den Händlern (und Kunden), und sitzen b) in der glücklichen Position, auf die Strukturen von Brave New World (Lager, Vertrieb usw) zugreifen zu können, wenn ich das Geschäftsmodell richtig verstanden habe.


    Oder ein Modell ähnlich der Buchpreisbindung.

    Bei über 1000 (?) Neuerscheinungen, die jedes Jahr auf den Markt geworfen werden

    Beziehst du dich auf die Ankündigungen zur Spiel / Spiel.digital?

    Die sind künstlich aufgeblasen mit Erweiterungen, Doppel- und Dreifachnennungen desselben Spiels bei anderen Verlagen, Titeln, die lange davor oder danach erschienen sind usw.


    Dieses Jahr finden sich in dieser Geek List nur ca. 70 Titel.

    SPIEL.digital Ranking Tracker | BoardGameGeek

    JonTheDon

    Soweit ich das verstehe, ist die Argumentation von Ben2, dass es - aufgrund des hiesigen Preisdrucks - nicht unbedingt möglich ist, eine bunte Materialschlacht zu einem für den deutschen Markt angemessenen Preis zu produzieren. Dass uns andere Länder den Rang ablaufen, was Premiumqualität im Materialbereich angeht.


    Und dass es nicht so leicht ist, "mal eben auf Kickstarter zu wechseln", um die Händlermargen zu umgehen und dadurch mehr Spielraum zu bekommen.


    Ich sehe hier aber nicht zwingend die Folgerung, dass das jetzt schon zu Selbstmord oder Selbstausbeutung führt.

    ( Ben2 möge mir gerne widersprechen)


    Eine - recht naheliegende und sicher schon genutzte - Möglichkeit ist zum Beispiel, dass man direkt einen Haufen ausländische Partnerverlage mit ins Boot holt, und sich mehr auf internationale Lizenzeinnahmen konzentriert denn auf den hiesigen Markt.

    Aus meiner Sicht zeigen all die Beispiele, dass es doch geht

    Dein ganzer Beitrag hängt an der Definition von "geht".


    Klar kannst du alles mögliche verwirklichen, wenn dir der finanzielle Gewinn völlig egal ist, oder wenn du sogar noch draufbutterst.

    Oder wenn du Leute findest, die voll Spaß daran haben, sich selbst auszubeuten.


    Für alle, die einen halbwegs sicheren, halbwegs anständigen Lebensunterhalt mit Brettspielen verdienen wollen, die ihre Mitarbeiter fair bezahlen wollen, die nicht das Risiko eingehen wollen, ihr Unternehmen an die Wand zu fahren, "gehen" gewisse Dinge eben nicht.

    Auf meine Bespiele, wie #CrimsonCompany und #EraOfTribes bist du noch nicht eingegangen.

    Was haben die gemacht, was andere etablierte Verlage nicht können?


    Die haben keinerlei Gewinnerzielungsabsicht. ;)


    Crimson Company: 32.000€ :12 = 2.666

    Era of Tribes: 90.000€ : 50 = 1.800

    (ich nehme die billigste Förderstufe, die ein Spiel mitbringt, um die Auflage grob nach oben hin abzuschätzen)


    Es ist reines Hobby, sich derart den Hintern für 2.000-3.000 verkaufte Schachteln aufzureißen.

    Das ist jetzt nichts Schlimmes, es ist ja völlig ok, etwas aus Spaß an der Freude zu tun, dass das eigene Spiel jetzt in physischer Form existiert und ein paar Leute erreicht. Ich weiß jetzt nicht, ob da auch am Ende ein bisschen Geld abgefallen ist für die Projektstarter, oder ob sie noch ein bisschen draufzahlen mussten (auch das wäre ja prinzipiell kein Ding, wenn sie das "aus Stolz" machen), ich würde mal grob von plusminus Null ausgehen.


    Wenn du als Verlag tatsächlich Gewinn erzielen möchtest und so eine Fördersumme erzielst, ist das ein Musterbeispiel für einen Pyrrhussieg.

    Davon kannst du keine Mitarbeiter über den Zeitraum bezahlen, den es braucht, um aus einem Prototyp ein vernünftiges Brettspiel zu machen.

    Und den Illustrator. Und den Grafiker. Und den Autor.

    Warum, respektive, warum nicht? Was ist an deutschen Verlagen so anders als an denen aus dem Rest der Welt?

    Die Betonung war nicht auf "deutsch", auch wenn es da sicher auch Gründe gibt. ZB musst du dann halt auch die englischsprachige Version stemmen, bzw wieder jemanden dafür bezahlen oder sonstwie ins Boot holen. Ein rein deutscher Kickstarter ist erfahrungsgemäß den Aufwand nicht wert. Das System Crowdfunding ist hierzulande zwar akzeptiert, aber die Backerzahlen bleiben doch überschaubar, so weit ich das beurteilen kann.


    Es kommen einfach viel höhere Auflagen zustande, wenn du deine Käuferschicht nicht künstlich auf diejenigen beschränkst, die überhaupt wissen, was Kickstarter ist, die kein Problem damit haben, 2 Jahre vor Erhalt der Ware zu bezahlen, und die dir das Geld in einem sehr kurzen zeitlichen Intervall geben wollen.