Beiträge von Ben2 im Thema „Übersetzen vs. lokalisieren“

    Man kann also nicht sinnvoll sagen: Dieser Text wurde nicht übersetzt, sondern lokalisiert. Ein Text wird (in unserem Diskussionskontext) immer übersetzt.

    Da hast du natürlich Recht. Aber ich denke, die Intention meiner Aussage zu Erika Fuchs war trotzdem klar. Einigen wir uns auf:

    "Erika Fuchs hat nicht nur übersetzt, sondern darüber hinaus auch vieles in der Welt von Entenhausen lokalisiert."

    Okay?

    Jetzt weiß ich auch, wer du bist. :winke:

    Genau - wie oben geschrieben ist das zwar richtig aber für uns eine versuchte Abgrenzung. Im wissenschaftlichen Sinn hast du Recht Joker.

    Wenn es besser klingt oder ich schon der Meinung bin, dass das Original nicht zur Illu oder zum Sinn des Effektes passt, wir das geändert. Da bin ich ganz rücksichtslos :D

    Falls du Zeit und Lust dazu hast, mich würden sehr ein paar anschauliche Beispiele deiner Arbeit ( z.B. in der Form: Spiel, Originalbegriff, Lokalisierung, Gedanke dahinter) interessieren.

    Zeit ist der entscheidende Faktor momentan. Ich kann gerne mal ein bisschen was dazu erzählen.

    Gerade sehr aktuell und auch etwas was ich später im Podcast zu Aeons End noch mal erzählen werde: POWER cards sind Pläne auf Deutsch. Power tokens sind aber Zeitmarker. Aus Unleash wurde der Spezialangriff mit dem Keyword Spezial und einer Zahl dahinter, die angibt, wie häufig man das ausführen soll.

    In aller Kürze die Gedanken jeweils dahinter: der erste Schritt war meine Unzufriedenheit mit dem Power tokens. Das war mir zu abstrakt und wenig intuitiv. Ich wollte das klar ersichtlich ist was der Sinn der Tokens ist: Ein Zeitanzeiger, wann die Fähigkeit auf der Karte ausgelöst wird. Das wird dann besonders interessant, wenn man es mit der Anleitung koppelt und dann so Anweisungen schreiben kann wie „Führt die Effekte auf allen Karten aus ... Entfernt 1 Zeit von jedem Plan. Habt ihr die letzte Zeit entfernt, führt den Effekt des Planes aus.“ (das ist jetzt nicht verbatim sondern nur als Beispiel - ich hab die Formulierung jetzt nicht zur Hand).

    Dann hatte ich eine sehr lustige Unterhaltung mit dem Übersetzer der Texte - er meinte das sich Zeitkarte ja doof anhört. Als ich zu ihm gesagt habe, dass das nicht identisch sein muss, nur weil das auf Englisch identisch ist - war die Reaktion die übliche: Aber das ist doch auf Englisch identisch. Und ich: Muss es aber nicht! Und so war eher die Überlegung, was die Erzfeinde so machen - und da gibt es eben: Angriffe, Spezialangriffe und die langfristigeren Pläne. Deren Ausführung Zeit benötigt und die verhindert (ebenso ein neues Keyword) werden können. Das fügte sich wunderbar ein. Ähnlich ergab es sich eben mit Unleash. Es sollte eine thematische Einheit zwischen den Erzfeinden geben, die sich über alle Erzfeinde erstrecken und auch spielmechanisch passen.

    Die ursprüngliche Übersetzung, die ich für die erste Hälfte des Projektes verwendet hatte war „Nemesis“, was eigentlich ja die englische Bezeichnung für die Erzfeinde war und ich aber sehr passend für ihren Spezialangriff fand. Aber auch hier: Intuitiv vor hübsch. In den meisten Unterhaltungen mit Matthias habe ich automatisch immer gesagt „bei ihrem Spezialangriff“. Und so war es relativ schnell klar, dass es viel sinnvoller wäre, es so zu benennen, wie man es eh nennen würde, weil es einfach passt.


    Dann noch ein zusätzlicher Hintergrund: Ich übersetze in 90% der Fälle nicht selbst. Ich habe Übersetzer, die mir einen Rohtext liefern. Von diesen Übersetzern erwarte ich auch eine extrem wörtliche Übersetzung. Am besten schon mit meinem vorher erarbeiteten Glossar. Je nach Projekt erwarte ich da immer schon eine Transferleistung; habe aber auch leider festgestellt, dass da viele dran scheitern und es schlicht nicht können. Daher gehe ich größtenteils wieder zurück zur 100% wörtlichen Übersetzung. Aber da BEGINNT meine Arbeit erst. Und mit diesem Text fange ich dann an die Überarbeitung zu erstellen. Es ist für mich einfacher starke Textarbeit an einem deutschen Text gleich durchzuführen, als an einem englischen. Das ist einfach nur ein gewisses Maß Bequemlichkeit und Zeitersparnis, gerade wenn ich an mehr als einem Projekt arbeite. Vollständig übersetzt habe ich in letzter Zeit nur Siderische Konfluenz, Unterhändler, Pharaon, Lux Aeterna, die Anleitungen von DotZ (minus der Basis-Anleitung, da hatte ich einen Rohtext) und alle Karten und jetzt dann wahrscheinlich Kemet, wobei das nicht eingeloggt ist.

    Ich möchte einfach möglichst viel am Text arbeiten können und da kann ich zumeist nicht auch noch übersetzen.

    Da fällt mir gerade noch ein: bei Pharaon heißt viel nun ganz anders als vorher. Ich fand das ursprünglich extrem nüchtern und da ich ein Fan von Ägypten bin, habe ich mich noch ein wenig eingelesen und thematischere und passendere Begriffe für die Orte und Karten gefunden.

    Nur vertut ihr euch terminologisch: Was ihr meint (mit Beispielen wie Erika Fuchs) sind einfach gute Übersetzungen (gut, weil textsorten- und zielgruppengerecht). Auch der theoretische Titel Valhalla wäre eine Übersetzung des Spieltitels Blood Rage. Es wäre keine Übersetzung, die man gemeinhin als "wörtliche Übersetzung" bezeichnet, sie wiese keine semantische Äquivalenz auf, auf beim Übersetzen kommt es eben nicht immer und nicht nur auf semantische Äquivalenz an.

    Inhaltlich hast du vollkommen Recht. Mir ist das auch durchaus wissenschaftlich bewusst - ich hatte Translation Theory und 3 Seminare dazu im Studium und ich hatte einen Prof. Der auf maximale Wörtlichkeit pochte. Und übrigens auch keine gebräuchlichen Lehnworte zuließ. Aus Cellphone durfte nicht Handy werden, sondern Mobiltelefon. Aus computer nicht Computer, sondern Rechner.

    Sagen wir’s mal so: es gab leichte Reibungspunkte. Aber ich hatte auch andere Profs gottseidank.

    Zum Thema: Ich verwende schon aktive neue Verwendung von Worten oder baue deutsche Wortwitze oder oder oder ...

    Ich trenne es auch zusätzlich deswegen als Lokalisation/Lokalisierung, weil eben die meisten Spieleübersetzungen eben nicht nur schlimmste wörtliche Übersetzung sind, sondern wie schon gesagt oft bis zum Punkt und Komma amerikanische Grammatik verwenden.

    Und für mich ist das eine notwendige Abgrenzung von genau diesem:

    Ich muss und möchte einen Mehrwert bieten bezüglich einer englischen Version - selbst wenn das Spielmaterial sprachneutral ist. Und dieser Mehrwert muss über das reine „FAQ-Einarbeiten“ oder neue Struktur hinausgehen. Wenn ich etwas mache, soll es die beste Version sein, die ich mit meinen Mitteln machen kann. Das kann bei der Optik anfangen, bei der Ikonographie weitergehen, ein komplett neues Handling sein (wie die komplett neue Kontaktphase bei Nemos War) oder indem ich zusätzliche Immersion biete (wie jetzt bei Aeons End mit einer ganzen Reihe neuer Flavortexte oder bei Unterhändler auf den Eskalationskarten - auf beiden Stand vorher nichts - oder bei Siderische Konfluenz, wo ich für alle Spezies neue Backgroundstories geschrieben habe mit dem Autor zusammen).

    Das hat den doppelten Vorteil: Bietet einen Mehrwert gegenüber Englisch und es bietet hoffentlich ein hohes Niveau im Inhalt.

    Das einzige woran wir momentan noch etwas kranken ist zu wenig Korrektoren, die kurzfristig auf Grammatik und Rechtschreibung schauen können. Da haben wir 1-2 momentan. Hätten aber gern 2-4. Dann erfüllen unsere Spiele auch wirklich alle gehobenen Kriterien, die ich an sie Stelle.

    Bleiben wir Mal bei Erika Fuchs, sie hat ja auch viele Eigennamen geändert von Charakteren und Orten. Da gäbe es doch heutzutage einen Aufschrei im Internet, wie sie es wagen könnte so etwas zu tun.

    Ich bin auch nur froh, dass das bei meinen Spielen noch niemand bemerkt hat :D Wenn es besser klingt oder ich schon der Meinung bin, dass das Original nicht zur Illu oder zum Sinn des Effektes passt, wir das geändert. Da bin ich ganz rücksichtslos :D

    Ich habe jetzt den Begriff von Wikipedia übernommen und da steht eben "Übersetzungen" im Kapitel "Übersetzertätigkeit".

    Klar. Wird in 99% der Fälle synonym verwendet. Wir versuchen aber ja gerade abzugrenzen, wo die Unterscheidung ist.

    Jede Lokalisation ist auch eine Übersetzung aber nicht jede Übersetzung ist eine Lokalisation :D

    Ich möchte fast sagen: das ist genau deswegen negativ. Weil man etwas bekanntes ändert. Die sprechenden Namen finde ich besonders hier eigentlich auch sehr wichtig. Hat man sich aber am Anfang nicht drum geschert. Erst als es groß wurde.

    Aber wie gesagt - wir sind da einfach (gibt es "negativ verwöhnt"?); weil bei Brettspielen sehr häufig nur Amateure an der Übersetzung arbeiten. Was aus Kostengründen unsere Branche nicht einfach macht.

    Deswegen schätze ich deine Übersetzungen tatsächlich sehr, weil sie versuchen Sprache wirklich gerecht zu werden. Ich fände den Untertitel "blutiger Sand" tatsächlich auch sehr charmant, aber sie evoziert bei mir einen sentimentalen Schlachtabgesang, eine vergangene Schlacht in den Boden gesogen. Das evoziert a) nicht der englische Titel und b) entspricht es auch so gar nicht dem Spielgefühl von Kemet, wo Schlachten ein spielmechanischen Grüß-Gott sind. Aber das weißt du ja eh alles schon.


    Allgemein fände ich tatsächlich eine Eindeutschung vieler Titel gar nicht so verkehrt, ja ja ich weiß sehr beliebte Meinung. Aber ich finde es manchmal einfach schade, dass durch die vielen internationalen Produktionen und das dementsprechende internationale Branding, die Schickheit der Sprache nicht auch im Titel zum tragen kommt.

    Danke! Das ehrt mich sehr. Made my day :danke:

    Im negativen Fall von Greyjoy und Graufreud sieht man, dass es nicht immer funktioniert (die erste deutsche Auflage hat übrigens die Eigennamen nicht übersetzt. Ein Snow hieß dort auch noch Snow und ein Greyjoy hieß Greyjoy. Das kam erst in späteren Auflagen).

    Ich möchte fast sagen: das ist genau deswegen negativ. Weil man etwas bekanntes ändert. Die sprechenden Namen finde ich besonders hier eigentlich auch sehr wichtig. Hat man sich aber am Anfang nicht drum geschert. Erst als es groß wurde.

    Aber wie gesagt - wir sind da einfach (gibt es "negativ verwöhnt"?); weil bei Brettspielen sehr häufig nur Amateure an der Übersetzung arbeiten. Was aus Kostengründen unsere Branche nicht einfach macht.

    Die hier aufgezählten Titel sind aber Eigennamen. Jedenfalls empfinde ich den Titel eines Spieles als Eigenname und ich glaube das geht vielen so. Natürlich kann man "Stone Age" auch problemlos als "Steinzeitalter" übersetzen, nur habe ich irgendwann mal gelernt, dass Eigennamen und feststehende Begriffe nicht übersetzt werden. Niemand würde die Enterprise aus "Raumschiff Enterprise" in "Raumschiff Unternehmung" übersetzen. Selbst da ist das - auch von mir - verteufelte Denglisch immer noch am elegantesten. Untertitel etc. dürfen natürlich übersetzt werden. Ich hätte z.B. mit "Abomination - Die Erben Frankensteins" überhaupt kein Problem. Mit "Die Abscheulichkeit - Die Erben Frankensteins" aber sehr wohl.

    Ich sag mal das juristische "kommt drauf an". Beispiel: Abomination - Die Erben Frankensteins -> top titel.

    Wäre der Titel aber: Thisphylis - dann würde ich das übersetzen. Warum? Zu viel potential für falsche Aussprache und oder falsche Schreibweise.

    Und das zweite "kommt drauf an": Ich lese A Song of Ice and Fire nur auf Englisch. Und die vielen sprechenden Namen sind mir eine Freude.

    Ich kann es aber SOFORT verstehen, dass man in einer deutschen Übersetzung dann auf deutsche Namen gegangen ist, weil diese das für uns bekannte Mittelaltersetting nicht nur greifbarer machen, sondern oft die Verbindung verständlicher macht. Klar, sicher kennen die meisten Leute das Wort "Snow" - aber wenn ich "Schnee" höre, macht das ein ganz anderes Gefühl. Bin ja auch mit Deutsch um mich herum aufgewachsen. Das erzeugt automatisch und intuitiv ein anderes Bild.

    Finde ICH das für mich gut? Nein. Wenn ich Graufreud statt Greyjoy lese - schüttelt es mich. Deswegen lese ich es aber auch NUR auf Englisch. Oder lese Lord of the Rings nur auf Englisch. Aber klar heißt Bilbo auf deutsch "Beutlin" und nicht Baggins oder Treebeard dann Baumbart.

    Lokalisation ist eben nicht das gleiche wie Übersetzung. Aber wenn ich ein Spiel lokalisiere, dann muss ich alles daran setzen, dass das Produkt auf Deutsch rundum gut funktioniert und NICHT, dass ich einfach alle Worte, die da stehen, jetzt lesen kann.

    Um nochmal zu meiner Frage zurück zu kommen. Ich kann eure Ansicht nachvollziehen, bin aber froh, dass nicht alle Verlage so argumentieren.

    Man stelle sich nur vor wir hätten Titel wie "Blutwut", "Die aufgehende Sonne", "Der Nebelweg", "Steinzeit" oder "Himmel und Bier" im Regal stehen. Also ich fände es nicht wirklich ansprechend und bin froh, dass in diesen Fällen keine Übersetzungen der Titel vorgenommen wurden.

    Du sprichst ein gutes Thema an - ein Titel darf niemals einfach übersetzt werden. Ein Titel muss lokalisiert werden. Genau wie das auch beim Inhalt der Fall sein muss. Amüsant aber, dass du zwei Spiele von deutschen Verlagen aufgegriffen hast, die englische Titel gewählt haben, weil das für sie internationale Markenrelevanz hat :D Das sind ja gerade keine englischen Spiele, die für den deutschen Markt lokalisiert wurden ;)

    Aber noch mal zurück zu meinem Punkt: Zum damaligen Zeitpunkt war es eine gute und richtige Entscheidung auf deutsch den "Krieg der Sterne" zu haben - wobei das noch eine sehr deutliche Übersetzung und keine Lokalisierung ist. Oder auch "Der Herr der Ringe" :)
    Ein viel besserer Vergleich ist: die Stimme von Otto als Drache Mushu bei Mulan. Es bringt nichts zu versuchen einen Eddie Murphy zu kopieren - es war aber durchaus sinnvoll seine Funktion auf Deutsch zu übertragen: Warum wird dieser Drache von Eddie Murphy gesprochen, was für einen Effekt soll das haben? Und das muss man in der Zielsprache ebenfalls so anfassen.

    Bei Brettspielen haben wir das kaum - es gibt zu 99% absolut direkte Übersetzung - teils inkl der amerikanischen Grammatik wortwörtlich übertragen. Und seltenst eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Blood Rage (wenn das relevant ist für den deutschen Markt) könnte Valhalla heißen oder gar ganz anders.
    Wichtig ist, dass man das Herz und die Seele des Spiels erhält und das gleiche Bild im Kopf erzeugt, wie das bei einer anderen Sprache der Fall ist.
    Das geht auch andersrum: Kosmos Spiel: auf deutsch "Halali" auf Englisch dann "Tally-Ho!" auf niederländisch: "De beer is los!" (weil man EXAKT das auf dem Cover sieht).

    Ja, wir sind jetzt schon deutlich mehr englische Titel gewöhnt, aber oft nur aus diesem Grund, nicht weil wir das was da geschrieben steht auch intuitiv als Bild erfassen. Und dann ist der Titel eigentlich schlechter, als er sein könnte.
    /exkurs ende :D