Beiträge von MetalPirate im Thema „BerlinCon auf 4.-6.12. verschoben“

    Du übersiehst dabei, dass die wichtigsten Entscheidungen in den USA nicht vom Präsidenten getroffen wurden, sondern von den Gouverneuren.

    Bei den Gouverneuren gibt es auch solche und solche. Stichwort Florida.

    Und was Jogger angeht: Das Problem mit keuchenden Joggern in geringer Überholdistanz scheine nicht nur ich zu haben, sonst hätte ich die Frage danach nicht bereits in diversen Medien gesehen. Ich meine sogar, davon auch schon hier bei Unknowns gelesen zu haben. Im übrigen ist ein "Es gibt solche rücksichtslosen Jogger" noch lange keine Behauptung, dass alle Jogger so wären. Das sind sie nicht. Man muss immer auf den konkreten Einzelfall schauen, bei den Joggern genauso wie bei den Religionsgemeinschaften. Allerdings IMHO immer mit dem Grundgedanken, dass alles, was nicht aus wirklich guten Gründen komplett verboten werden muss, lieber erlaubt sein sollte, ggf. unter definierten und nachvollziehbaren Rahmenbedingungen. Das gilt für das Joggen genauso wie für religiöse Treffen oder Demonstrationen, deren aktuelles De-facto-Verbot ich im Rechtsstaat auch sehr problematisch finde.

    Die Führungsebenen der Kirchen und auch der nicht-christlichen Religionsgemeinschaften zeigen sehr wohl die Bereitschaft, sich den gesetzlichen Regeln der Distanzierung zu unterwerfen und religiöse Zusammenkünfte nur unter solchen Bedingungen durchzuführen. Jüngst z.B. auch der Zentralrat der Muslime, und das finde ich gerade bei den anstehenden Ramadan-Feierlichkeiten durchaus bemerkenswert.

    Natürlich ist das auch taktisch bedingt, um einen Fuß in die Tür zu kriegen, und was die Gemeinden vor Ort dann daraus machen, sollten die zuständigen Behörden schon noch aufmerksam beobachten (und natürlich auch einschreiten, wenn die Regeln verletzt werden), aber grundsätzlich bin ich schon dafür, die Religionsgemeinschaften dann beim Wort zu nehmen. Religionsfreiheit ist immerhin ein grundgesetzlich garantiertes hohes Gut, egal wie man persönlich zu Religion steht.

    Wenn die Religionsgemeinschaften ihre Zusammenkünfte unter Einhaltung sinnvoller Distanzierungs- und Hygienemaßnahmen durchführen könnten, dann sollten die das ohne Wenn und Aber auch tun dürfen. Sonst landen wir bei Willkür.

    Ehrlich gesagt glaube ich nicht an die Vernunft der Gesamtbevökerung.

    Ich schon. Sicher nicht bei jedem, aber definitiv in dem Rahmen, dass ein sozialer Druck ausgeübt wurde, sich an die vorgegebenen Regeln zu halten. Genau das gefährden wir, wenn die Bevölkerung in ihrer Breite die Einschränkungen nicht mehr voll akzeptiert. Dann wird's ganz schnell normal, dass jeder nach seinen eigenen Regeln lebt.


    Oder wir machen es, wie du es offenbar willst: Wir öffnen wieder alles.

    Unfug. Lies was ich schreibe. Ich fordere nur dazu auf, bei den Öffnungsmaßnahmen auch die gesamte (!) Bevölkerung im Blick zu haben und nicht nur die Gruppen, die Lobbyisten in Berlin und bei den Landesregierungen haben. Außerdem möchte ich allgemeingültige Abstands- und Hygiene-Regeln für alle anstelle von Einzelfall-Entscheidungen, die unvermeidlicherweise immer einen gewissen Charakter von Willkür haben.

    Beispiel: Wenn zwei Personen gleichzeitig zum Inhaber im Ladengeschäft der kleinen exklusiven Weinhandlung hier vor Ort sein dürfen, aber das Betreten der Spielplätze an der frischen Luft für Familien 2500 Euro Strafe kostet, dann sind das die aktuellen Regeln, an die man sich halten muss. Soweit richtig. Aber ich sage voraus, dass das ohne Modifikationen die noch auf breiter Front herrschende Bereitschaft, sich den Corona-Regeln zu unterwerfen, innerhalb kürzester Zeit zerstören wird.

    aber den [exponentiellen Verlauf] haben wir nur nicht, weil in vielen Ländern davon auszugehen ist, dass die Anzahl der durchgeführten Tests viel zu gering ist.

    Welche Länder denn? Bei Diktaturen ohne freie Presse glaube ich die Corona-Zahlen selbst genauso wenig wie die Zahlen zu den Tests. Die müssen wir rausnehmen. In der westlichen Welt war der Vorwurf der deutlich zu wenigen Tests am Anfang in vielen Ländern korrekt (insbesondere natürlich USA), aber mittlerweile ist das so auch nicht mehr haltbar. Spätestens bei den Corona-Toten müsste man ja auch bei einem Test-Defizit noch einen weiteren exponentiellen Anstieg sehen, und das ist auch in den USA oder im UK nicht der Fall. Auch dort hat sich die Lage trotz miserabler bis nicht-existenter Vorbereitung stabilisiert.


    Übrigens liegt Schweden, wenn man all die Winzstaaten mal auslässt, auf Platz 6 der meisten Coronatoten pro 1 Million Einwohner, und nicht wenige dort wünschen sich straffere Maßnahmen...

    Ich finde es nicht nett, Belgien oder Niederlande einen "Winzstaat" zu nennen. (Denn UK, IT, FR oder ES kannst du ja wohl kaum meinen und die genannten sechs Länder haben alle mehr Tote pro Einwohner als Schweden.)

    BTW: USA haben deutlich weniger Tote pro Einwohner als Schweden. Viele Tote pro Einwohner alleine scheint also kein hinreichendes Kritierium für Missmanagement der Regierung zu sein, sonst müssten die Amis und ihr Präsident haushoch führen.


    [eingeschränkte Spielplatz- und Kirchenöffnung bei geforderter Abstandseinhaltung]

    Weil das nicht geht und Unsinn wäre.

    Nach welcher Logik entscheidet ein spritueller Führer, wer am Gottesdienst / Gebet teilnehmen darf und wer nicht? [...]

    Bei so mancher Religionsgemeinschaft hätte ich durchaus auch etwas Bauchschmerzen, weil starke Gläubigkeit mit Rationalität meist nicht so wirklich gut zusammenpasst. Aber in dieser Absolutheit? Neeee, so geht's nicht. Gleiche Regeln für alle. Die Kirchen / Moscheen / sonstwas, die die Regeln nicht einhalten, werden dann eben genauso dicht gemacht wie die Geschäfte, die sich nicht an ihre Bedingungen halten. Schließen, Bußgeldverfahren einleiten, gut ist's. (Übrigens gestern hier vor Ort bei gleich drei verbotenerweise offenen Geschäften über 800 m^2 Verkaufsfläche passiert.)

    Ich halte es für etwas überheblich, sämtlichen Religionsgemeinschaften und Eltern so pauschal die Fähigkeit abzusprechen, mit Regeln verantwortungsvoll umgehen zu können. Findest du nicht?

    [Verbreitung durch Kinder]

    Hast Du einen Link zu den Studien oder einer Diskussion darüber?

    Das war gestern auch ein Thema im NDR-Podcast mit Prof. Drosten. Es gibt nach neuesten Studien Indizien für "Kinder verhalten sich nicht wesentlich anders als Erwachsene bzgl. Infektiosität". Was aber mindestens genauso auch eine Ausage gegen die Erwachsenen ist, denn der Normalfall bei Infektionskrankheiten wäre, dass Kinder sie aufgrund der fehlenden Immunität stärker verbreiten ("Kitas sind Virenschleudern"; kennt jeder mit Nachwuchs). Im Falle von Covid-19 geht den Erwachsenen der Schutz ab, den sie normalerweise gegen die üblichen gewohnten Viren und Bakterien haben. Dass Kinder sich ihren Schutz gegen Infektionskrankheiten erst aufbauen, ist völlig normal.

    BTW: Auch wenn's nur unbewiesene "anectodal evidence" ist, würde ich aus eigener Erfahrung davon ausgehen, dass Eltern mit Kindern mit Kindergartenalter, die ihr Kind nicht erst seit wenigen Monaten in der Kita haben, über ein überdurchschnittlich gut trainiertes Immunsystem verfügen. :)

    Und in Schweden sterben viele Menschen.

    Gerade Schweden ist doch ein gutes Beispiel, dass es auch ohne größere Verbote und Zwangmaßnahmen möglich ist, die Pandemie soweit in den Griff zu kriegen, dass das Gesundheitswesen nicht komplett kollabiert. Von der Fallexplosion, die ihnen viele Experten vorhersagt haben, sind die ein gutes Stück entfernt und bei den Toten pro Einwohner sortieren sie sich zwischen Niederlande, Schweiz, Irland und USA ein, also weder auffällig viel noch besonders wenig, sondern genau im Kontext ähnlich entwickelter Länder:

    Sweden Coronavirus: 15,322 Cases and 1,765 Deaths - Worldometer

    Klar, verschiedene Länder sind nur bedingt vergleichbar. Die Schweden sind im allgemeinen recht vernünftig, brauchen keine großen Verbote, um sich an eine wissenschaftlich begründete Empfehlung zu halten, und eine geringe Bevölkerungsdichte ist auch sicher nicht schädlich, um eine Epidemie zu bremsen. Im direkten Vergleich zu ihren nordeuropäischen Nachbarn haben sie schon die meisten Corona-Fälle, aber auch hier nicht unbedingt signifikant viele mehr in dem Sinne, dass es einen falschen Weg beweisen würde.

    Deren spezieller schwedischer Weg hat sich zumindest nicht zu der Katastrophe entwickelt, die ihnen viele vorhergesagt haben (und auch ich wäre von explodierenden Fallzahlen dort nicht überrascht gewesen). Da muss man dann eben auch mal feststellen: so komplett falsch war es wohl offensichtlich doch nicht, was die gegen den weltweiten Trend gemacht haben.


    Insgesamt kann man wohl festhalten, dass man gegen die Verharmloser des Typs "es ist doch nur eine Grippe!" nicht unbedingt mit der Gegenposition "alles falsch, es ist eine Katastrophe, die uns 2+ Jahre komplett einschränken wird!" reagieren sollte. Das eine ist genauso falsch wie das andere. Richtig ist einzig und allein das etwas unbefriedigende: wir wissen's nicht.

    Covid-19 ist eine neue Krankheit, die noch nicht gut erforscht ist, und solange das so ist, muss man logischerweise auch die worst case Szenarien auf dem Schirm haben; alles andere wäre unverantwortlich. Aber einen exponentiellen Verlauf, mit Verdopplung der Fallzahlen alle 2-3 Tage, haben wir im Moment in keinem einzigen Land der Welt mehr, nicht mal bei den Ländern mit wissenschaftsfeindlicher populistischer Regierung und komplett verschlafenen Gegenmaßnahmen. Und wer härtere Eindämmungs-Maßnahmen per Anordnung, Gesetz und Strafe fordert, der darf auch ruhig mal auf Länder wie Frankreich mit früh eingeführten, harten, strafbewährten Ausgangssperren schauen (incl. Bemühen von Kriegsrhethorik durch Macron), wo die Zahl der aktiven Fälle eben nicht so stark rückläufig ist wie in Deutschland mit "nur" Kontakteinschränkungen statt Ausgangssperren. Vielleicht ist die allgemeine Akzeptanz von ausgewogenen Regeln, die alle gleichermaßen belasten (und nicht primär die sozial Schwachen!) eben doch etwas wert. Ich denke, das sollten wir uns erhalten, und dazu muss die Kita mehr zählen als der Weinhändler. Auch und gerade für die Wirtschaft, denn zu 3,5 Mio Kita-Kindern gehören auch mehrere Millionen Arbeitnehmer als Eltern, die im Moment eine Doppelbelastung schultern müssen.

    Geschäfte sind jetzt schon angehalten, das Einhalten des Mindestabstands zu überwachen

    Warum sollte man nicht genau das Gleiche auch von den Eltern beim Spielplatzbesuch, von den Religionsgemeinschaften bei der Durchführungen ihrer Zusammenkünfte oder von den großen Firmen beim Öffnen ihrer Kantinen mit entsprechendem Schutzkonzepten verlangen können?

    IMHO müssen wir ganz dringend von den willkürlichen Erlauben/Verbieten-Unterscheidungen weg hin zu einer möglichst klaren und einfachen regelbasierten Defintion für alle. Sonst fliegt die Gesellschaft auseinander und das wäre beim Kleinhalten der Epidemie schlecht für alle. Dass Deutschland im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern bisher Corona relativ gut überstanden hat, liegt auch ganz wesentlich daran, dass die Exekutive es bisher sehr gut geschafft hat, die gesamte Bevölkerung auf diesem schweren Weg mitzunehmen. Dieser soziale Zusammenhalt ist etwas, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte. Genau das passiert aber, wenn selbsternannte Beratergremien, die fast ausschließlich aus alten weißen Männern bestehen, Forderungen wie "Kitas zu bis zu den Sommerferien!" aufstellen. Dann erwarte ich von der Politik, dass sie dem widersprechen.

    Die Zeiten des expontiellen Wachstums der Pandemie sind vorbei. Jetzt darf und muss eine freie Gesellschaft von der Politik wieder Erklärungen und Begründungen für Einschränkungen von Freiheitsrechten einfordern können. Das Thema sollte man auch nicht den Hetzern von den politischen Rändern überlassen.

    [...] Die Alternative ist leider eben nicht mehr Lockerung, da wir dann Szenen wie in Italien hätten. [...]

    Genau das bezweifele ich mittlerweile. Die Alternative ist eine andere Priorisierung bei den Lockerungen, und die kann man auch bei vollem Verständnis für die Notwendigkeit, R <= 1 zu halten, sehr wohl von der Politik einfordern.

    Bei aller Zustimmung zum Rest deines Beitrages halte ich es in der aktuellen Lage immer dringender für geboten, alle Verbote rein sachlich zu begründen, und das heißt dann im wesentlichen: keinerlei künstliche Unterscheidung mehr zwischen einzelnen Tätigkeiten, solange die oberste Direktive "Vermeidung von direktem Kontakt (kleiner 1,50 m)" eingehalten werden kann.

    Dann muss es egal sein, ob ein Geschäft 799 oder 801 Quadratmeter Verkaufsfläche hat, ob ein Kind pro Spielgerät auf dem Spielplatz spielt oder ob der Gottesdienst mit zwei bis drei freien Plätzen/Reihen zwischen den Teilnehmern stattfindet, für das Dutzend Leute, das sich am normalen Sonntag in der Kirche versammelt. Das muss genauso wichtig sein wie wenn der Villenviertel-Bewohner in seiner liebsten Weinfachhandlung einkaufen möchte. Man kann nicht komplett einseitig nur Sachen für diejenigen freigeben, die die stärksten Lobbyorganisationen aufbieten können und genau dieser Eindruck drängt sich im Moment für viele Menschen leider auf.

    Wenn ich mir anschaue, was mittlerweile in den Geschäften wieder ganz legal abgeht, dann ist doch den Familien nicht mehr zu erklären, dass das Betreten eines Spielplatzes 2500 Euro Strafe nach sich zieht. Mit "ein Kind pro Spielgerät, Eltern müssen darauf aufpassen" würde da an freier Luft garantiert weniger Infektionsgeschehen passieren als durch rücksichtslose Jogger, die derzeit überall im Grünen prustend und schnaufend mit 20cm Abstand an einem vorbeilaufen oder beim jetzt wieder völlig legalen Shopping nicht-essentieller Sachen in geschlossenen Räumen, wie wir es seit heute wieder erleben können.

    [ These "Keine schnelle medizinische Lösung möglich", z.B. hier: ]

    In der Regel braucht ein Medikament für die verwaltungs- und krankenkassentechnische Zulassung ca. 3 Jahre, [...]


    Daran musste ich heute morgen denken. FAZ von heute (Artikel im Zitatkopf verlinkt) :

    Unterdessen haben die Pharmaindustrie und Arzneimittelbehörden ihre Arbeitsabläufe angesichts der Covid-19-Krise erheblich beschleunigt. Was sonst Monate oder Jahre brauche, werde nun binnen weniger Wochen erledigt, sagten Branchenvertreter am Montag bei einer Veranstaltung des Verbandes EFPIA. Bis zum Ende des Jahres könne man deshalb mit Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 rechnen, erklärte Paul Stoffels von Johnson & Johnson und dessen Konzernteil Janssen Pharmaceutica.

    Die Entwicklung eines Ebola-Impfstoffs habe nur sechs Monate gedauert, weil man auf Erfahrungen aus früheren Forschungen habe zurückgreifen können. „Jetzt sind wir noch weiter“, sagte Stoffels.


    Wer sagt, dass es sicher eine Lösung geben wird, der lügt. Aber Schwarzmalerei und Panikmache ist genauso wenig begründet. Zwischen "in ein paar Monaten komplett erledigt" und "auch in zwei Jahren noch große Einschränkungen nötig" ist alles möglich.

    Ich bin hier wohl angesprochen....

    Von mir nicht. Das ist ein allgemeiner Eindruck, der sich mir immer mehr aufdrängt: Diejenigen, die eigentlich am wenigsten Grund zum Klagen haben, weil sie finanziell abgesichert sind, Home Office bei 100% der Bezüge machen können, Haus mit eigenem Garten haben und sich komplett aus Kontakten mit möglicherweise infizierten fremden Menschen heraushalten können, sind oft ausgerechnet diejenigen, die sofort nach verschärften Strafen und weiteren Einschränkungen rufen, wenn die 1,5 m Abstand mal nicht exakt eingehalten werden.

    Sagt das mal dem Paketboten oder Krankenpfleger oder Busfahrer, der in seinem Job die 1,5m Abstand gar nicht 100%-ig einhalten kann, selbst wenn er es wollte. Von daher sollte man dann auch nicht allzu überrascht sein, wenn diese Leute, die für uns alle den ganzen Laden gerade am Laufen halten, auch beim Einkaufen im Supermarkt exakt null Probleme damit haben, sie im Abstand einer Einkaufswagenlänge in eine Schlange anzustellen. Da müssen ein paar Befürworter kompletter Selbstisolation aus ihren Villenvierteln einfach mal in der Realität ankommen. Ich behaupte mal ganz frei: Beim Schlangestehen passiert so gut wie nichts. Sonst wären Paketboten, Busfahrer, Kassiererinnen doch schon längst zum größten Teil im Krankenhaus.

    Wie in vielen anderen Bereichen gilt wohl auch bei den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus: 10-20% der Maßnahmen bringen schon 80-90% des Ergebnisses; irgendwann muss man überproportional viel Aufwand treiben, um die letzten paar Prozent auch noch heraus zu kitzeln. Genau diese letzten paar Prozent hat man in der Phase der exponentiellen Ausbreitung gebraucht, aber jetzt eben nicht mehr.

    Weil die Zahlen im Moment eben nicht mehr steigen, sondern deutlich fallen, ist den Menschen, die schon in ihrem Alltag ständig mit kontrollierten Risiken umgehen müssen, eben einfach nicht mehr zu vermitteln, dass die 1,50 m Regel päpstlicher als der Papst einhalten werden soll oder dass Spielplätze im Gegensatz zu Geschäften nicht mal alleine benutzt werden dürfen (Strafandrohung im vierstelligen Euro-Bereich). Rein epidemiologisch mag das begründbar sein, aber das sprengt die Gesellschaft.

    Ich glaube nicht, dass ein zweiter Shut-Down kommt. Durch das Schlimmste sind wir durch.


    Im Übrigen habe ich manchmal den Eindruck, dass viele von den überwiegend gutverdienenden Personen, die als IT-ler oder in anderen Dienstleistungsberufen ohne Job-Sorgen bequem im eigenen Häuschen Home Office machen und ihre Kinder (sofern überhaupt vorhanden) im eigenen großen Garten spielen lassen können, gerade ein wenig den Bezug verloren haben zur Realität vieler Menschen. Nämlich zu den sozialen Schichten, die als Paketbote, Krankenpfleger, Busfahrer oder Supermarkt-Kasserier draußen an der Corona-Front den ganzen Laden gerade am Laufen halten (Dank dafür: nichts außer warmen Worten) oder die als Städter mit Familie in einer kleinen Wohnung eingepfercht sind, ohne die Möglichkeit, Spielplätze benutzen zu dürfen.

    Meiner Meinung nach droht die Stimmung im Lande gerade etwas zu kippen. Bei den Lockerungen bisher profitieren überwiegend diejenigen Gruppen mit großem Lobbyeinfluss, während die Familien, Frauen und Geringbeschäftigen das kürzere Ende abkriegen und bei den Senioren wird sogar Wegsperren mit Kontaktverbot ernsthaft als "Lösung" diskutiert wird. Bei allem Verständnis, dass man die Reproduktionsrate unter 1 halten muss: Da müssten meiner Meinung nach ein paar Prioritäten mal ernsthaft diskutiert werden, wenn die Politik den Anspruch hat, auch weiterhin alle Menschen in der Gesellschaft so mitzunehmen wie bisher.

    Und darüber hinaus: Würde es dir etwas nichts ausmachen, dich anzustecken und zwar zu überleben, aber den Rest deiner Lebens mit einem um 20-30% reduzierten Lungenvolumen zu leben?

    Ach komm, André, diese Art des Diskutierens hast du doch nicht nötig...

    Ich halte es für vorstellbar (nicht unbedingt wahrscheinlich, aber durchaus vorstellbar), dass noch in diesem Jahr eine Sars-Cov-2 Infektion soweit behandelbar ist, dass eine Hospitalisierung, insbesondere im Intensivbereich, wesentlich seltener erforderlich wird oder der Krankheitsverlauf dann zumindest deutlich milder verläuft, auch mit weniger Spätschäden. Da gibt's ja ein paar Ansätze, ob mit vorhandenen Medikamenten, neuen Medikamenten oder Lösungen wie Antikörpern von Geheilten. Wieso sollte man davon ausgehen, dass die gesamten aktuell laufenden und in nächster Zeit noch in großer Anzahl dazukommenden klinischen Studien allesamt nichts bringen werden?

    Wohlmerkt: Das ist nicht zu verwechseln mit der festen Erwartung einer Heilung in einer Zeitspanne X. Dass das nicht planbar ist, ist ebenso klar wie die Tatsache, dass man beim aktuellen Status Quo die Infektionsrate weiterhin niedrig halten muss, R <= 1, weil man die Kapazität des Gesundheitssystems sonst ganz schnell sprengt. Aber bei der ganzen Aktion fährt die Politik auf Sicht, bewertet alle zwei Wochen die Lage neu, und der Status Quo kann im Juni, August oder Dezember schon wieder ganz anders aussehen als heute.

    Die pessimistische ist das es in den nächsten Jahren gar keine Impfung gibt.

    Ja. Das ist das andere Ende des Spektrum der möglichen Entwicklungen. Ich vermag nicht vorherzusagen, wo wir am Ende herauskommen werden, ob bei "Therapie im Sommer und Impfstoff im Herbst" oder bei "auch in zwei, drei Jahren noch keinen Impfstoff; dann langsames Verabschieden vom Konzept der Messen / Conventions / Sportgroßereignisse mit Zuschauern". Gegen ein anderes fieses Virus, das sich weltweit ausgebreitet hat, nämlich HIV, gibt's auch nach 40 Jahren noch keine Schutzimpfung oder Heilungsmöglichkeit. Wer denkt, dass er Forscher nur mit Geld zuschmeißen muss und dann in einem von ihm gewünschten Zeithorizont eine Therapie hat, der lügt sich bloß in die Tasche.

    Back on topic. Das heißt für mich: zu Großveranstaltungen im Herbst oder später, also z.B. Spielemesse im Oktober oder die verlegte BerlinCon im Dezember, sind vernünftige Prognosen aktuell weder möglich noch sinnvoll.

    Ich fand die Ankündigung der deutschen Bundesregierung, bis 31. August alle Großveranstaltungen abzusagen, schon recht mutig und auch eher durch die damit geschaffene Planungssicherheit zu rechtfertigen als durch eine rein sachliche Notwendigkeit. Nicht dass ich jetzt erwarten würde, dass bis dahin die Covid-19 heilbar wäre. Das nicht. Aber wie würden z.B. Organisatoren von jetzt abgesagten Veranstaltungen im August reagieren, wenn, mal rein theoretisch, im Mai eine Therapie mit bereits (anderweitig) zugelassenen Medikamenten gefunden wird, die Covid-19 seine Tödlichkeit nimmt? Die Absage der Großveranstaltungen bis Ende August ist sicher vertretbar. Aber war's wirklich notwendig, viereinhalb Monate im Voraus?

    Mit der Etablierung einer Covid-Therapie und erst recht mit der Entwicklung eines Impfstoffes kann (!) sich die Situation auch schneller zum Positiven ändern als das viele aktuell denken. Bei so viel Aufwand, wie da aktuell für Corona getrieben wird, teils auch unter Aushebelung bisher üblicher ethischer und regulatorischer Standards, wäre ich auch nicht überrascht, wenn das schneller geht als es in der Vergangenheit normal-üblich war für andere Infektionskrankheiten. Allerdings gilt wie immer, dass sich Forschungsergebnisse nicht wirklich zeitlich einplanen lassen.