Beiträge von ravn im Thema „Was sind eure jeweils Top 2 der für euch meist unterschätzten und überschätzten Spiele?​“

    Shadowrun habe ich leider selbst nie gespielt. Leider. DSA als Low-Fantasy, mit wenig Magie aber viel mehr Alltagsproblemen war hingegen eine tolle Abwechslung zu AD&D, wenn man sich eben nicht mit verfluchten +5 Schwertern herumschlagen musste, sondern die Probleme eines Schnupfens erlebt hat, den man sich auf dem schlammigen Weg zum nächsten Dorf zugezogen hat und jetzt nur eine Unterkunft für die Nacht sucht, aber kein Geld in den Taschen hat und ein Pferd sowieso nicht - weshalb man auch zu Fuss bei diesem Wetter unterwegs ist und im Gebäusch es verdächtig raschelt. :)

    Ich muss hier einfach mal eine andere Perspektive auf das Spiel einbringen. Die eines D&D-Spielers, der gut ein Jahrzehnt wöchentlich bis zweiwöchentlich in den Welten der Forgotten Realms versunken ist mit seinen Kumpels damals. Und dabei die Rollenspielwelt von Advanced Dungeons and Dragons (Regelwerke 2.0 bis 3.5) von der storylastigen Spielweise erlebt hat, dank eines grandiosen Dungeon Masters, der die Welt hat lebendig werden lassen. Danke an TK aus Hagen an dieser Stelle. Damals viel zu wenig gewürdigt, welche Arbeit dahinter steckt.


    Rein spielmechanisch betrachtet ist Lords of Waterdeep ein recht seichtes Workerplacement. So eine Art Caylus Ultralight. Dazu ist es auch noch ungerecht, weil Aufträge zufällig ausgelegt werden und manche passen besser zum eigenen Lord und geben geheime Bonuspunkte und andere Aufträge kann man kaum erfüllen, weil es einen ebenso zufälligen Engpass an passenden Abenteurern gibt, die über zufällig neue Gebäude vermehrt ins Spiel kommen können. Dazu noch die Pflicht-Questen, die man von Mitspieler aufs Auge gedrückt bekommt, während die Anderen fleissig ihre Siegpunkte sammeln. Gefühlt macht man wenig und hat dazu auch noch zu wenig Aktionen und Möglichkeiten. Für den reinen Eurogamer ein spielerischer Albtraum.


    Allerdings war hier ein Autorenteam am Werk, welche die Forgotten Realms ebenso atmen wie ich selbst. Eben weil jede Quest ganz genau so auch in den unzähligen Rollenspielsessions vorgekommen ist oder hätte vorkommen können. Dazu noch thematisch perfekt in die Welt eingewoben und thematisch erklärt, warum man genau diese Zusammenstellung für diese Aufgabe braucht. Plus der atmosphärische Kurztext auf jeder Karte, welcher die Situation auf den Punkt bringt und eben die genau passende Illustration.


    Wir sind eben nicht die Abenteurer eines D&D-Abenteuers, sondern die in geheimen agierenden Lords of Waterdeep. Die Strippenzieher im Hintergrund, die eine Bedrohung für die Stadt und die Region und damit für den eigenen Stand und Wohlstand sehen. Deshalb wird eine Abenteurertruppe rekrutiert und die mit Geldmitteln unterstützt. Für genau dieses Abenteuer, diesen Auftrag. Diese Abenteurer finden wir in den diversen Lokalitäten der Stadt Waterdeep und durch die Benennung der Lokalität ist thematisch klar, warum die da zu finden sind. Deshalb schicken wir unsere Agenten los, unsere Mittelsmänner. Wir selbst bleiben hingegen im Hintergrund und machen uns auch nicht unsere Finger schmutzig.


    Allerdings bauen wir keine langfristige Bindung mit diesen Abenteurern auf. Die sind für uns nur Mittel zum Zweck. Unsere Werkzeuge, um unsere Ziele zu erreichen. Hire and fire. Ganz genauso habe ich es in meinen D&D-Abenteuern erlebt. Nur eben auf der Seite eines Abenteurers, der von einem Auftraggeber angeheuert wurde und meist steckte doch viel mehr hinter diesem Auftrag, wie es zunächst hiess. War der Auftrag erledigt und mein Held bezahlt, lockten wieder neue Abenteuer und Aufträge. Eine wirkliche Bindung zu einem Auftraggeber war eher selten und wenn doch, dann als Teil einer storylastigen Kampagne oder in dem ein Gegenspieler oder Helfer auf diese Weise eingeführt und aufgebaut wurde vom Dungeon Master.


    Lords of Waterdeep lässt mich diese Rollenspielzeit am Brettspieltisch erneut erleben. Ich ziehe einen Auftrag und schmunzel innerlich, weil ich genau diese Situation kenne, in die ich die anzuheuernden Abenteurer schicken werde. Die Sprüche der Karten passen wie Faust aufs Auge. Das Kopfkino beginnt und ich bin wieder mitten drin. Deshalb erzähle ich bei Auftragserfüllung auch, was hier passiert anstatt stumm diese Karte abzuhandeln. Während andere Mitspieler nur bunte Holzklötzchen sehen und die wie beliebige Ressourcen sammeln, eben weil es auf der Karte steht. Nur schade, dass die Lords of Waterdeep nie so erleben werden können wie ich. Deshalb verstehe ich nur zu gut, warum für die das Spiel eine spielerische Enttäuschung sein kann.

    Überschätzt

    • Caverna : Agricola in schlecht für viele, weil es keine Anfangsvarianz bietet und keinen Ernährungsdruck aufbaut
    • Flügelschlag : Die Mitspieler bestimmen durch die Kartenauslage und Würfelauswahl, ob ich was passenden machen kann


    Unterschätzt

    • Pantheon : So grandiose Spannungsbögen in einem ebenso grandiosen Spannungsbogen eingebettet, das hat kein anderes Spiel
    • Revolver : Thematische direkte 2er-Konfrontation, bluffen, taktieren, hoffen und dann direkt nochmals mit vertauschten Rollen