So: Ich kam gestern zu meiner Testpartie von ST - Spiel zu dritt. Direkt gestartet mit Kampagnenmodus, absichtlich alles aus der Anleitung heraus geschrieben, weil es im Vorfeld ja schon hieß, die sei nicht so dolle. Zwei Missionen gespielt, dann abgebaut, wird verkauft. Ich mache dazu sicher noch ein Video, aber ich war überrascht, wie unspannend das dann doch war. Deswegen hier mal holzschnittartig:
- LMS haben es scheinbar absolut nicht drauf, Regeln zu schreiben. Es häufen sich FAQs, Forenfragen etc. Die Reaction-Regel, die Unterbrechungsangriffe beschreibt, ist das typische Beispiel. Es ist aus der Anleitung nicht klar, wer da wen angreift. Wir haben die erschwerte Variante gespielt. Kurzversion: Wer auf dem Momentum einen Gegner überholt, bekommt von Gegnern in "Sichtweite" einen Gegenangriff. Gemeint ist die Regel so, dass wirklich nur der Held angegriffen wird, der gerade überholt. Wir haben mit den Gegnern, die Helden im Radius hatten, ebenfalls angegriffen. Klar schwieriger. Und solche Regelfälle gibt es häufiger. Das allein reicht aber nicht: Gegner bekommen dann einen Erschöpfungstoken und geben bei der nächsten "GRUPPENAKTIVIERUNG" ihre gesamten Aktionspunkte aus. Direkt nächste Frage: Reactions sind keine Gruppenangriffe, also dürfen/dürfen sie nicht jedes Mal REAGIEREN? Wir habern es natürlich so gespielt, was zu etwas weiterem führt (siehe unten). Kann ich mit solchen Regelsachen eigentlich leben, wenn das Spiel es auch wert ist und die theretische Idee war/ist es auch.
- Speziell die Reaction-Regel (was eine optionale Regel ist) grenzt die Spielräume auf dem Momentum extrem ein bzw. macht optimale Spielzüge offensichtlich: Da die Unterbrechungsangriffe zu teuer sind, "exploitet" man die Regel und überholt nicht, sondern nur bis INS Feld aus dem Momentum. Dadurch werden einige Spielzüge sehr lahm, aber sehr effizient - "Ich ziehe nur ein Feld, dann bin ich auf der Höhe vom Gegner. Das machen jetzt alle und dann starten alle unsere Tokens in dem Feld des Gegners und wir schießen alle weg".
- Das Momentum verspielt trotz Reaction-Regel alles Potential. Es forciert keine Kooperation, es ist nicht viel mehr als eine Standard- Initiativleiste. Wir sind weit weg von einem Perditions´Mouth. Auch Skills verspielen Chancen, das Momentum einzusetzen. Da kratzte ich mioch direkt am Kopf: WENN diese Mechanik doch mein Alleinstellungsmerkmal ist, dann SOLLTE doch genau dieses Instrument Dreh- und Angelpunkt des Spiels sein. Skills, die sich direkt auf das Rondell beziehen. Fehlanzeige. Und ohne Reaction-Regel muss ich mir noch weniger Gedanken machen. Es ziehen immer die, die hinten sind und fertig. Keine Einbußen, keine Mali...so viel verschenktes Potential. Bitter.
- KI: Nicht existent. Die Wachseimkeitsradien und Bedrohungslevel sind eine nette Idee - unterm Strich macht das für taktische Entscheidungen keinen Unterschied. Freihheitsgrade für das Setzen der Monster gibt es trotzdem. Auch hier bleibt viel taktisches Potential auf der Strecke. Synergieeffekte von Monstern ebenfalls Fehlanzeige.
- Missionsdesign: Die erste Storymission und die erste Explorationsmission sind schwach. Speziell die Mission "Hamburger Hill" (also eine zufällige Explorationsmission, die auch die vierte Mission sein könnte) kommt mit nur einer Gegnergruppe, verteilt auf zwei Spielfelder, die man problemlos aushebeln kann, da Gegner sich ja nur aktivieren, wenn man auf deren Spieltile zieht oder in deren CA oder sie beschießt. "Spannend". Auch abseits davon: Ein Rondell mit einem Gegnertoken ist ja noch schwächer als das Tutorial. Wieso designt man sowas, wenn man doch die Stärken seines eigenen Spiels kennt? Story ist 0815, Missionsevents und dynamisch wechselnde Ziele Fehlanzeige. Wir sind hier weit weg vom Missionsdesign eines Sword & Sorcery, GD o.Ä. Auch die Idee, generische Missionen zu bauen, dass Spielplanteile überhaupt keinen Effekt haben (man könnte auch einfach ein weißes Karomuster nutzen), versteh ich nicht. Dazu gesellen sich die extrem geringe Gegnervielfalt in der Grundbox. Ich habe schon das Gefühl, nach zwei Missionen alles gesehen zu haben.
- Umfang - viele Missionen, ja. Generisch Umsetzung ebenfalls ja. Equipmententwicklung vorhanden, aber auch hier: Du hast zu Beginn des Spiels alles gesehen. Nahezu alle Items sind im Spiel schon präsent, die man dann noch durch Ressourcen leveln muss. Also spielt man die Missionen für die Ressourcen, um dann die Items später nutzen zu können. Überraschungsmomente durch wechselndes Equipment, die auch mal den Spielradius verändern - Fehlanzeige.
- Progression: Die Skilltrees sind eine nette Idee. Sie sind aber ebenfalls sehr standard und gerade der Verzicht, Skills auf das Momentum zu beziehen, ist eine schmerzhaft vertane Chance, die mir unbegreiflich ist.
Kurzfazit: In unserer Runde zu dritt gab es zwei GD-Fanatiker und einen Gloomhaven-Fan. Ende vom Lied: Alle waren enttäuscht. Ich frage mich, wer das Zielpublikum von diesem Spiel ist. Einsteiger sind durch die Anleitung völlig verloren. Viel-/Expertenspieler finden bessere Geschichten in Sword & Sorcery, GD etc.. Taktikfreunde finden bessere Tiefe ebenfalls woanders, wie in GD, Perdition´s Mouth. Innovationsfreunde finden mutigere Spiele in Gloomghaven, PM etc.
Wer ist der Zielmarkt? Ich sehe ihn nicht. Es wird schnell eintönig sowohl auf taktischer als auch missionbasierter Ebene. Man möchte vermuten, dass ein zweiter Titel in der Serie (nach Nova Aetas), Kinderkrankheiten ausgemerzt sind und Entwicker die Stärken ihres Systems kennen. Das Spiel fühlt sich danach an, dass man EINE richtig gute Idee hat, diese aber kaum mit Tiefe füttert und drum herum ein Standard-Taktikspiel baut, so dass ich mich dann fragte, wofür ich das Momentum eigentlich wirklich benötige.
So viel erstmal von mir: Es ist kein Gloom of Kilforth-Niveau , aber das Spiel braucht auch wieder keiner. Ich ärgere mich wieder maßlos um die Zeit, die das Regellesen, das Rausschreiben, das FAQ-Lesen gedauert hat, weil es das Spiel einfach nicht wert ist.