Beiträge von MetalPirate im Thema „Warum werden Spiele so gut wie nie weiterentwickelt?“

    malzspiele : Wie oft man dem von dir skizzierten Modell einer "2nd edition" als generalüberholte Version eines alten Spiels begegnet, hängt, glaube ich, auch sehr stark von dem Spielegenre ab, in dem man sich bewegt. Ebenso von der Sprache. Das kann sich aus der persönlichen Anschauung heraus ganz unterschiedlich darstellen (was natürlich dann auch die Diskussion in einem Thread wie diesem erschwert).


    Bei den klassischen Eurospielen deutscher Verlage sind Neuauflagen selten. Da würde von der Kundschaft sofort mit anklagendem Unterton gefragt: "Warum wurde das nicht vor der ersten Veröffentlichung schon gleich richtig gemacht? Haben die nicht genug getestet?" Da ist die Erwartungshaltung, dass alles gleich von Anfang an perfekt stimmt (mit Ausnahme von Kleinigkeiten). Ob da mehr Mut für 2nd Editions angebracht wäre, will ich erstmal gar nicht bewerten. Ich stelle nur fest, dass es selbst bei sowas Bekanntem wie Agricola rund 10 Jahre gedauert hat, bis der Verlag sich an eine nicht nur in Details veränderte Neuauflage herangetraut hat. Ähnliches kennt man von Puerto Rico oder anderen Spielen. Oft muss auch erstmal das Jubiläum kommen, bevor sich der Verlag an eine echte Neuauflage traut. Sonst gehen die Besitzer der ersten Version allzu schnell auf die Barrikaden.


    Wer sich dagegen eher im internationalen (englischsprachigen) Bereich bewegt oder bei Ameritrash zuhause ist, der kann einen ganz anderen Eindruck gewinnen von der Verbreitung der 2nd editions. Viele Beispiele wurden ja im Thread genannt. Descend, War of the Ring, Thunderstone, Twilight Imperium. Fast alles aus dieser Ecke. Ami-Verlage sind da relativ schmerzlos. Auch im Crowdfunding-Bereich, dann auch bei Euro-lastigerem Zeugs. Greenland 3rd Edition, Empires of the Void II, City of Iron 2nd Edition. Vinhos hat zwei Editionen, Kanban auch, in absehbarer Zeit sogar drei.


    Sagen wir's mal vorsichtig: Ich sehe da nicht nur Vorteile drin. In dem Moment, wo andauernde Neuauflagen normal-akzeptiert sind, sinkt die Schwelle für Autoren und Verlage, unreife Sachen zu veröffentlichen. Standardmäßig munter veränderte Living Rules nachschieben, bis es halbwegs stimmt, und drei Jahre später die 2nd edition, "kauft's bitte neu, es ist jetzt alles viel, viel besser!", Abwertung älterer Ausgaben inklusive -- das kann's ja auch nicht ganz sein. Auf der anderen Seite sieht man gerade bei Agricola, dass eine mit deutscher Gründlichkeit durchgeführte Überarbeitung sogar ein 10/10 Spiel noch besser machen kann (was ja eigentlich gar nicht gehen dürfte, aber gut, anderes Thema). Die Agricola-Überarbeitung hätte von mir aus auch früher kommen dürfen. Ich war skeptisch, aber die ist rundherum empfehlenswert! Ein bisschen mehr Mut bzw. Akzeptanz dürfte die deutsche Kundschaft schon für Neuauflagen haben. Zu amerikanischen Verhältnissen sollten wir meiner Meinung nach aber trotzdem nicht hinstreben. Es muss nichts für die Ewigkeit designt sein, aber ein paar Jahre Haltbarkeit sollten schon das Ziel sein. Update-Intervalle von mindestens 5, gerne auch10 Jahren sind vielleicht gar nicht so schlecht, und dann sind wir dann doch wieder bei den Jubiläums-Editionen...

    Es ging nach meinem Verständnis um eine klar als solche deklarierte "Version 2" des genau gleichen Spiels ohne zusätzliche Extras jeglicher Art:

    Damit ich meine ganz explizit keine Erweiterung und keine Module, die ergänzt werden. Also auch nicht eine Neuauflage mit hinzugefügten optionalen Modulen [...] oder ein "neues" Spiel

    Es ist jedoch klar, dass das im Einzelfall nicht immer 100% klar zu trennen ist. Etwa weil eine (sanfte) Überarbeitung des Grundspiels zusammen mit der Veröffentlichung einer Erweiterung geschieht. Die Überarbeitung, weil Autor und Verlag diese Verbesserung genau in dem von malzspiele genannten Sinne selbst wollen, aber die Erweiterung eben auch noch zusätzlich, weil man für die ganze Geschichte eine Finanzierung durch Käufer braucht. Die Backer/Käufer muss man irgendwo hin mitnehmen; da sollte nicht nur der Eindruck "wir fixen jetzt ein kaputtes Spiel" hängenbleiben.

    warum werden Spiele eigentlich so gut wie nie weiterentwickelt? Warum ist jedes Spiel praktisch ein Schuss ins Blaue, ohne die anschließende Erfahrung damit zu nutzen, um das Spiel besser zu machen?

    Ich sehe schon, dass die gewonnene Erfahrung genutzt wird. Sie fließt halt nicht in ein Spiel "XYZ Version 2" ein, sondern viel eher in (additive) Erweiterungen oder bei größerem Änderungsbedarf in komplett neue Spiele mit altem Kern, aber deutlich geändertem Thema (neben Gaia Project wären da z.B. noch Altiplano oder Clank in Space zu nennen). Das ist für die Verlage besser zu verkaufen. Ein XYZ Version 2 würde überwiegend negative Reaktionen der Sorte "Das ist doch Abzocke!!! Warum soll ich mir das gleiche Spiel nochmal kaufen?!" provozieren.


    Mit der Veröffentlichung von Version 2 entwertet der Verlag außerdem die eigene Version 1. Sowohl im übertragenen Sinne als auch ganz direkt in Sachen Wiederverkaufswert. Das gefällt den Besitzern der Version 1 natürlich nicht. Das gilt umso mehr, wenn der Verlag aus wirtschaftlichen Gründen (geringer und unklarer Bedarf) keine Upgrade-Kits von Version 1 auf Version 2 anbieten kann. Klar, dass die Verlage dann lieber bequemere Wege suchen als die eigenen Fans zu vergrätzen. Da muss dann eben ein Re-Theme her, das wird von der Kundschaft akzeptiert...


    Die Zeit für eine verbesserte/überarbeitete Neuauflage ist erst reif, wenn die Erstausgabe ein paar Jährchen out of print war. Jedenfalls in Europa. Die Ami-Verlage sind da gefühlt etwas freier darin, eine 1st edition als obsolet zu deklarieren und durch eine 2nd edition zu ersetzen. Oder entsprechend für höhere Nummern. Bei Twilight Imperium sind wir z.B. inzwischen bei Version 4.



    BTW: Endeavor: Age of Sails unterscheidet sich vom Original-Endeavor (deutsch: Magister Navis) nicht nur durch die Hinzunahme der Erweiterung. Da wurde auch das Grundspiel überarbeitet.