Beiträge von Fluxx im Thema „Wie intensiv erlebt ihr Brettspiele?“

    Als kleines Beispiel mag Scythe dienen. Das Spiel als solches erzählt ja jetzt nicht wirklich eine Geschichte. Der Ansatz zum Storytelling sind die Begegnungen. Die kann man so spielen, wie Jamey das empfiehlt, nämlich das Bild betrachten, sich in die dargestellte Situation hineindenken und auf dieser Grundlage die Texte zu den möglichen Alternativen lesen und dann adäquat entscheiden. Ich mag das, aber keiner meiner Mitspieler sieht das auch so; der "Schlimmste" sagt einfach nur: "Was bekomme ich? Sonst interessiert mich nichts." Das ist Abstellen auf rein spielmechanische Relevanz, für mich eine todtraurige Herangehensweise. Dieser Mitspieler hat aber auch nie Fantasy- und SF-Geschichten gelesen, die ich mein Leben lang "geliebt" habe. Das bloße Abarbeiten von Spielmechaniken ist für mich so ziemlich das Ödeste, was man beim Spielen machen kann.

    Obwohl ich mein ganzes Leben (was zugegeben deutlich weniger ist als bei dir) Fantasybüchr geliebt und verschlungen habe, bin ich da ganz bei deinem Mitspieler. (Ich habe Scythe selber noch nicht gespielt, denke aber ich kann da aus anderen Spielen gut extrapolieren.) Du sagst es selbst: "Das Spiel als solches erzählt ja jetzt nicht wirklich eine Geschichte." Warum soll ich da verzweifelt etwas rausholen, was das Spiel nicht leisten kann. Wenn die ganze Situation ist "Du begegnest ein paar Flüchtlingen, die dich um Essen anbetteln A) Du gibst ihnen etwas ab (-1 Nahrung, + 1 Ansehen) B) Du erschlägst sie und stiehlst ihre wenigen Wertgegenstände (+2 Geld)" und danach weißt du mit Sicherheit, dass du von dieser Flüchtlingsgruppe nie mehr hörst - es kommt kein Bruder eines der Füchtlinge, der Nachforschungen anstellt oder du begegnest keinem der Flüchtlinge später, der dich wiedererkennt und dir irgendwo hilft - dann sehe ich da keinen Grund eine Story reinzubasteln, wo keine ist. Wenn ich eine Story erleben möchte, dann spiele ich ein Rollenspiel. Das habe ich auch jahrelang gemacht und hatte da auch kein Problem Entscheidungen zu treffen, die für meinen Charakter/die Gruppe nachteilig waren weil sie in dem Moment einfach stimmungsvoller/charaktergerechter waren. Ich wusste aber auch, dass der Meister in der Regel dafür sorgen wird, dass ich als Spieler dadurch belohnt werde, dass er es als Anlass nimmt die erlebte Geschichte insbesondere meinen Charakter lebendiger und interessanter zu gestalten. Da würde ich auch nicht auf Werte schielen, sondern machen, was mir thematisch passend erscheint. Aber Brettspiele können so etwas i.A. nicht leisten, warum es also unbedingt versuchen. Da konzentriere ich mich lieber auf das was Brettspiele besser können als Rollenspiele - nämlich mich vor interessante (Optimierungs-) Probleme zu stellen, die ich lösen soll.

    Umgekehrt ist es auch bei kompetativen Brettspielen in der Regel so, dass sie wesentlich spannender und interessanter sind, wenn jeder beteiligte versucht zu gewinnen. Wenn ein Spieler nach einem Drittel des Spiels keine Gewinnchancen hat, weil er wiederholt "dumme" Entscheidungen getroffen hat "weil sie gerade lustiger waren/besser in die Story passten", kann es schnell dazu führen, dass das Spiel für die anderen Spieler, die eine Herausforderung darin sehen zu gewinnen, eher langweiliger wird. Ziel eines kompetativen Spiels ist es, mich möglichst besser als meine Mitspieler dem von den Regeln vorgegebenen Sieg anzunähern. Wenn ich da Entscheidungen treffen, die mich davon wieder wegführen, dann spiele ich nicht im Sinne des Spiels (z.B. wenn ich im obigen Beispiel den Flüchtlingen helfe, obwohl mir nur noch 3 Geld für den Spielsieg fehlen, während der Ansehensunterschied egal ist). Das finde ich den Mitspielern gegenüber unfair, die eine spannende Partie mit einem harten Kampf um den Spielsieg erleben wollen.