Beiträge von MetalPirate im Thema „BGG Ranking - Top100 - Wichtiger Anhaltspunkt oder eher nebensächlich?“

    Ein "längst nicht mehr so wichtig wie beim Erstkontakt" heißt doch noch lange nicht "unwichtig". :P


    Ich will nur darauf hinweisen, dass bei BGG viele Noten vergeben werden zu einem Zeitpunkt, wo man außer der Aufmachung oder "ich mag den Autor" nicht allzu viel anderes bewerten kann, jedenfalls nichts wie Spieltiefe. Dazu muss man nur auf die Noten noch nicht veröffentlichter Spiele schauen. In einer perfekten Welt dürfte es solche Noten gar nicht erst geben.


    Angesagte deutschsprachige Dummbabbler Youtuber machen sogar nur auf Basis von "die Aufmachung ist toll" oder "der Autor hat eines meiner Lieblingsspiele gemacht" ihre Essen Top-100-Listen, ohne sich dafür zu schämen. In einer solche Welt ist Aufmachung notwendigerweise überbetont als Kriterium für hohe Ranking-Platzierungen.


    Wenn alles andere gleich ist, gewinnt natürlich das hübsche Spiel gegen das hässliche. Logisch. Aber mich stört es schon ein wenig, wenn Grafik schon ganz alleine ausreicht, um riesige Hypes zu erzeugen und anscheinend nur noch eine kleine Minderheit fragt: "äh, ja, und was ist das Spiel dahinter?" (Jüngstes Beispiel: Tidal Blades: 6000 Backer und mehr als eine halbe Million Dollar eingeworben. Bei einem Autor, der außer einem hübschen, aber relativ belanglosen Familienspielchen bisher nichts Nennenswertes in seiner Ludografie stehen hat.)

    Vielleicht hängt es auch einfach damit zusammen, dass schöne Aufmachung und wertiges Material zum Spielvergnügen beitragen.

    Das wird niemand bezweifeln. Ich würde jedoch auch behaupten wollen, dass bei einem wirklich guten Spiel beim zehnten Spielen die Aufmachung längst nicht mehr so wichtig ist wie beim Erstkontakt. Auf Dauer betrachtet wird Aufmachung immer unwichtiger, weil der Spielreiz dann von allerlei anderen Dingen kommen muss, die die wirklich guten Spiele auszeichnen.


    Wenn offene Bewertungssysteme (also die sogenannte "Schwarmintelligenz" anstelle von Experten) genauso wie viele vermeintlich wichtige Video-Reviewer und sonstige Influencer zunehmend dazu neigen, dass Spiele nach 0-2 Spielen schon mit dem Anspruch eines finalen Urteils bewertet werden, dann heißt sowas wie "BGG-Top-100" zunehmend nur noch "löst beim Erstkontakt einen garantierten Wow!-Effekt aus". Das ist besser als nichts. Aber ein verlässlicher Ausweis für wirklich gute Spiele, die auch beim zehnten Spielen noch Spaß machen, ist BGG-Top-100 dann leider nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so, wie es das in der Vor-Crowdfunding-Zeit (= vor der Überbetonung von Bling-Bling) war.

    Nehmen wir die Top-10 des letzten Jahres (2017); 10+ Monaten nach Erscheinen der Spiele kann man das als halbwegs stabilisiert betrachten:

    1. * Gloomhaven (Rang 1)
    2. Gaia Project (8)
    3. * The 7th Continent (14)
    4. Twilight Imperium (17)
    5. * Spirit Island (26)
    6. Pandemic Legacy (34)
    7. Azul (37)
    8. * Clans of Caledonia (45)
    9. * Anachrony (64)
    10. * Lisboa (94)

    (Das ist, nebenbei gesagt, auch alles aus 2017 in den Top-100.)


    Mit "*" markierte Spiele sind Kickstarter-Spiele, zusammen 6 von 10. Das würde auch so ähnlich weitergehen, wenn man das auf Top-200 oder Top-300 erweitern würde: rund die Hälfte Kickstarter-Sachen. Positiv ausgedrückt: Die bessere Produktionsqualität eines $80 oder $100 Kickstarter-Spiels (im Vergleich zur regulären Verlagsveröffentlichungen) spiegelt sich auch in den Rankings wieder. Oder anders ausgedrückt: Leicht überdurchschnittliche Sachen wie Clans of Caledonia oder Anachrony erreichen durch Crowdfunding-Hype auf einmal Regionen in den Rankings, wo sie für meinen persönlichen Geschmack beim besten Willen nicht hingehören.


    EDIT: Dass 3 von 4 Nicht-Kickstarter-Sachen auch überproportional teure und ziemlich aufgemotzte Materialschlacht-Dinger sind (in Sachen "aufgemotzt" eigentlich sogar alle vier!), bestätigt nebenbei meine Ansicht, dass für die BGG-Rankings Produktionsqualität immer wichtiger geworden ist. Da hat die durch Crowdfunding angestoßene Entwicklung auch schon deutlich in den normalen Brettspielmarkt hinein gewirkt.

    [...] dass da von Jahr zu Jahr mehr Hype einfließt

    Im Grunde bin ich da ganz bei dir, aber versuchen wir ruhig mal, das ein bisschen neutraler zu formulieren. "Hype" klingt so nach Kampfbegriff...


    Fakt ist, dass die Durchschnittsnoten von Jahr zu Jahr besser werden. Meiner Meinung nach (Meinung, kein Fakt!) ohne dass die Spiele im gleichen Maße besser geworden sind als die der Vergangenheit. Etwas besser vielleicht schon, aber sicher nicht eine Notenstufe. Wobei man natürlich über sowas immer diskutieren kann.


    Ebenso richtig dürfte sein, dass Ausstattung und Produktionsqualität ein ganz wesentlicher Faktor bei der Bewertung von Brettspielen in Form von Noten geworden ist, insbesondere wenn Bewertungen nach 1-2 Spielen durchgeführt werden, wo man sowas wie strategischen Tiefgang gar nicht vernünftig bewerten kann. Ziemlich unstrittig dürfte auch sein, dass der Crowdfunding-Bereich da neue Maßstäbe in Sachen "aufgemotztes Spielmaterial" gesetzt hat, und ja, natürlich sind hübsche $100-Spiele auch irgendwo besser zu bewerten als normal ausgestattete normalpreisige Spiele. Die machen sich dann auch überproportional in den BGG-Top-100 breit, und zwar durchaus auch mit gewisser Berechtigung.


    Dass das Marketing-Konzept des ganzen Crowdfunding-Bereichs komplett darauf aufbaut, vorab ein "Habenwollen"-Gefühl zu erzeugen und durch soziale Medien zu verbreiten, trägt auch nicht unbedingt zu neutraleren und objektiveren Bewertungen bei.


    Manchmal würde ich mir bei BGG einen Schalter wünschen "alle Crowdfunding-Spiele ausblenden". Ich glaube (!), dass dann die Top-100 in der Art der Zusammensetzung gar nicht so anders bestückt wäre als wir das von früher kennen, und damit meine ich keineswegs, dass dann nur noch ältere Spiele übrig bleiben würden. Auch neuere gute Verlagsveröffentlichungen bleiben heutzutage oft hinter gut beworbenen Grafikblender-Sachen in den Rankings zurück. Ich will Crowdfunding nicht kritisieren. Über diesen Weg gab es schon gute Spiele, die es sonst so nicht gegeben hätte, und gut gemachte Marktingkampagnen kann ich als solche auch bewundern. Aber die Spielerankings, insbesondere bei BGG, hat Kickstarter für meinen Geschmack doch spürbar aus dem Lot gebracht.

    Ich habe mir angewöhnt, keine Spiele mehr zu kaufen die in der BGG-Wertung unter 7,3 liegen und bin damit bisher gut gefahren.

    Ich habe gerade mal bei BGG geschaut: knapp die Hälfte meiner (regelmäßig ausgedünnten!) Spielesammlung liegt unter 7,3 bei average rating. Ich würde sagen: man kann nur über 7,3 kaufen und damit verpasst man auch keinen der allgemein angesagten Hype-Titel, aber es entgehen einem dann schon viele Perlen, die vielleicht nicht vom großen Autor oder dem bekannten Verlag kommen, aber trotzdem sehr gut dem eigenen Geschmack (bzw. dem von Lebenspartner(in), Freunden, Spielegruppe, etc.) entsprechen. Zugegeben: die zu finden, ist überproportional viel Arbeit. Aber ich meine: das lohnt sich.

    Ich brauch zB kein Mage Knight / Lisboa, wenn ich mich in zu Expertenlastigen nicht wohl fuehle

    Ich finde, dass das irgendwie kein so glücklicher Vergleich ist. Mage Knight und Lisboa haben doch eine spürbar andere Art von Komplexität. Einmal haufenweise Detailregeln und einmal eher kleinteilige Abläufe. Während bei Mage Knight von Anfang viel Auswendiglernen von Regeln und Sonderregeln angesagt ist, kann man sich bei Lisboa (eigentlich allgemein bei Lacerda-Spielen) recht gut an "Checklisten" entlang hangeln, bis der Ablauf sitzt. Wenn man bereit ist zu akzeptieren, dass das Erstpartie ein reines Kennenlernspiel ist, kann jeder, der Mombasa schafft, auch problemlos Lisboa lernen. Beim Regellernen unterstützt einen bei Lisboa das Thema sehr schön; alles passt logisch zusammen. Lisboa sieht von außen betrachtet deutlich "expertenlastiger" aus als es wirklich ist. In diesem Sinne: wenn du es mal irgendwo mitspielen kannst, dann trau dich ruhig, da wartet ein tolles Spiel auf dich! ;)

    Seit es immer üblicher geworden ist, Spiele auch ohne vertiefte Spielkenntnis bereits zu bewerten, finde ich die BGG-Ratings längst nicht mehr so aussagekräftig wie früher. Insbesondere bei Kickstarter-Spielen findet man ja bereits vor Veröffentlichung problemlos Wertungen wie "10/10 -- I am so excited!!!!" und die gezielte Verwendung von hohen Fake-Bewertungen ist bei eigenen Kleinverlagen ja leider auch normal geworden (was auch die Nutzung von "average rating" als Kriterium begrenzt).


    Für BGG-Kommentare gilt das nicht. Die sind oft sehr nützlich! Wenn man sich für ein Spiel interessiert, ist es insbesondere sinnvoll, mal etwas die leicht unterdurchschnittlichen Kommentare zu dem Spiel bei BGG anzuschauen, um die Schwachstellen des Spiels kennenzulernen. Dann entscheiden, wie gut man damit leben kann. Wer bereits genug gute Spiele zuhause hat, für den geht es oft gar nicht so sehr darum, ob irgendein Teilaspekt eines Spieles gut oder sehr gut ist. Im Normalfall ist es wichtiger auszuschließen, dass an einem Spiel etwas ist, was es explizit stört, sei es fehlende Zweiertauglichkeit, zu wenig Variation beim Setup, zu viel direkte Interaktion oder was auch immer.

    Top-100 als wichtiger Faktor für Kauf oder Interesse? Nö, wirklich nicht. Wenn ein Spiel in die Top-100 neu reinkommt, habe ich mich vorher schon mindestens einmal näher damit beschäftigt und weiß längst, ob das etwas für mich ist oder nicht. Was mich interessiert, habe ich dann in der Regeln mindestens ein Jahr zuvor schon gekauft. Das dürfte vielen hier ähnlich gehen.


    Auszeichnungen jeglicher Art (und die BGG-Top-100-Mitgliedschaft eines Spieles ist eine solche!) sind eher etwas für Neueinsteiger im Brettspielehobby. Wer sich an solchen Auszeichnungen orientiert, seien Rankings oder renommierte Spielepreise, der macht zumindest nichts grob falsch.


    Meine Statistik unter den aktuellen Top-100: gut die Hälfte "owned" oder "previously owned".