Beiträge von Ernst Juergen Ridder im Thema „Warum kauft ihr englische Versionen?“

    Spielst Du dann eigentlich keine Spiele, in denen die Spieler von vornherein unmoralisch und böse handeln? Also zum Beispiel #BlackOrchestra?

    Solche Spiele, die verlangen, von vornherein unmoralisch und böse zu handeln, spiele ich in der Tat nicht.


    Black Orchestra kenne ich zwar nicht, habe aber darüber gelesen. Man kann ja durchaus der Meinung sein, es wäre gerechtfertigt gewesen, Hitler zu töten, spielen wollte ich das aber auch dann nicht.


    Schönes Beispiel für die Gratwanderung ist aus meiner Sicht Freedom - The Underground Railroad. Sieht man mal davon ab, dass man dieses auch als Unterrichtsmaterial für den Geschichtsunterricht in USA gedachte Spiel auch als rein abstraktes Spiel betrachten und spielen könnte, "lebt" es halt von seinem Thema. Es ist sozusagen "gut", die Aufgabe ist ja, Sklaven zu befreien. Aber wie man weiß, sind diese Versuche nicht alle gelungen, viele wurden wieder eingefangen und hatten dann oft Schlimmes zu erleiden bis zur qualvollen Tötung. Im Spiel findet sich das eher "abstrahiert" wieder; man muss halt möglichst viele durchbringen und darf nicht zu viele verlieren. Das etwa ist ein Spiel, das ich trotz dieses "Negativeffektes" spiele; ich habe ja "gute"Absichten, versuche dabei so erfolgreich zu sein, wie irgend möglich, weiß aber auch, dass ich "Kollateralschaden" nicht vermeiden kann.


    Auch Colonial 2nd Ed ist so eine Gratwanderung, die ich durchaus spiele. Nicht nur das, ich habe auch eine Regelübersetzung dafür geschrieben, die bei BGG eingestellt ist. Es spielt in der Kolonialzeit und -besonders anstößig, aber historische Tatsache- es gibt auch Sklavenhandel, aber: Am Ende zahlt er sich nicht aus, wird spielmechanisch "bestraft".


    Gar nicht geht z.B. Seenot im Rettungsboot. Habe ich gehabt, einmal gespielt und wieder verkauft. Es ist mir ein schlichtes Rätsel, wie man seinen Spielspaß daran finden kann, entscheiden zu müssen, wer (immerhin ist es ja kein "neutrales" Klötzchen, sondern sozusagen der in einer Spielfigur personalisierte Mitspieler) jetzt über Bord geworfen werden muss, damit die anderen überleben können. Wenn sich dann in unserer Partie wenigstens jemand gefunden hätte, der sich zugunsten der anderen selbst geopfert hätte; aber Helden und Heilige sind nunmal selten und das Hemd… Verstehe ich, aber spielen muss ich so etwas nun wirklich gar nicht.

    (...) Und bei Scythe macht man eher keinen schweren Fehler, wenn man die Flavourtexte auf den Begegnungskarten einfach ignoriert und völlig willkürlich eine Option wählt.

    Das stimmt schon - aber ich fand immer, daß gerade bei #Scythe der Kartentext und die spielmechanischen Auswirkungen sehr gut zusammen passen; beispielsweise kann man mit dem Bauern auf dem Feld handeln ("gib 2 Münzen und erhalte vier Nahrung") oder ihm seinen AgrarMech stehlen ("erhalte 2 Metall, aber verliere 1 Ansehen"). (Die Beispiele sind frei erfunden und finden sich so im Spiel vermutlich nicht wieder.)

    Man kann die Flavourtexte zwar ignorieren, weil es im Grunde immer Tauschoptionen sind, die aus dem spielerischen Kontext heraus auf ihren Nutzen zu bewerten sind; genauso kann man aber auch sagen "ich tausche nie Ansehen ein, weil meine Nation gut und edel ist/erscheint" - dann tauscht man halt was anderes. Der "Flavour"-Spieler wäre nur dann im Nachteil, wenn es "böse" Optionen ohne spielerischen Nachteil gäbe, also im obigen Beispiel den Bauern bestehlen, ohne etwas dafür abgeben zu müssen (hier: Ansehen). Die gibt es aber bei Scythe nicht!


    In anderen Teilen (Flußüberquerung) ist Scythe etwas abstrakt, aber gerade von den Begegnungskarten lebt nach meinem Empfinden das Spiel, dort wird die ganze Hintergrundwelt (und übrigens auch die Charaktere) erst lebendig. UND es ist spielerisch sinnvoll, sie aufzudecken.

    Sehe ich doch auch so, nur meine Frau halt nicht.

    Ich habe Kickstarter verpasst, das Spiel unmittelbar in USA bestellt

    Da bin ich jetzt etwas überrascht. Darf ich fragen, wo du bestellt hast? Laut KS-Seite galt ja "TMG will only make a Deluxified™ version through crowdfunding. We will make enough for Kickstarter Backers, some replacement copies, and some convention sales in Limited Quantity." Im Handel gibt es ja normalerweise nur die Retail-Version.


    Es kann natürlich trotzdem sein, dass Händler direkt oder indirekt über Kickstarter mitbestellen können. Aber dann wäre es zumindest interessant zu wissen, welche Händler da eine Anlaufstelle für verpasste Kickststarterprojekte sein könnten.

    Ich habe es beim "Kickstarter Resurrection Headquarters" gekauft, also hier: Master of the Boards. Da ist es jetzt ausverkauft. Keine Ahnung, wieviele Exemplare der KS deluxified-Version die hatten. Da gibt es auch andere verpasste Kickstarter.

    Tom Deine Sicht kann ich voll nachvollziehen, meine Frau spielt ja auch so. Die Spielmechanik ist es, die sie interessiert, auf die sie sich einlässt und die sie optimal in Richtung Spielsieg einsetzen will. Und bei Scythe macht man eher keinen schweren Fehler, wenn man die Flavourtexte auf den Begegnungskarten einfach ignoriert und völlig willkürlich eine Option wählt.


    Das ist halt ein anderer spielerischer Ansatz. Der meine ist dagegen eben sehr thematisch orientiert. Das heißt ja nicht, dass ich nicht auch mal die "böse" Entscheidung treffe, das hängt für mich einfach von der thematischen Spielsituation ab. Aber ich werde auch im Spiel nicht z.B. Leute im Stich lassen, die auf meine Hilfe angewiesen sind, nur weil das Bleiben schwerer ist als das Weglaufen. Trotzdem, irgendwo ist jeder ja auch im wirklichen Leben nicht Held, sondern einfach ein kreatürliches Wesen mit Lebenserhaltungsinstinkt, das darf ich dann auch mal im Spiel sein. Habe ich also schlicht keine Chance zu helfen, laufe ich halt weg; zum Helden oder Heiligen tauge ich eher nicht.

    Bei Scythe gibt es Begegnungskarten mit Situationsbildern. Die soll man sich ansehen, sich in die Situation hineinversetzen, dann den Text mit den alternativen Entscheidungsmöglichkeiten lesen und sich entscheiden, woraus sich eine Konsequenz ergibt. Ich finde das großartig. Meine Frau findet es lästig und fragt, wieviele Alternativen gibt es. Ich sage dann z.B. a, b und c, worauf sie dann z.B. sagt, ich entscheide mich für c. Den Text und das Bild will sie gar nicht lesen/sehen. Spielmechanisch ist das Risiko, dadurch einen schweren Fehler zu machen, ja zumindest beherrschbar. Aber für mich ist das ein Unding.

    Ist das nicht eher umgekehrt?!

    Die Fluff- und Flavortexte lenken doch von der eigentlichen Auswirkung der Option ab. Ob ich nun vom Fluff her eine Oma beklaue und damit 4 Nahrung bekomme, oder vom Fluff her auf einem Feld arbeite, und damit 4 Nahrung bekomme - Spielmechanisch total egal. Und die beklaute Oma hat auch keine weiteren Konsequenzen. Die taucht nicht drei Runden später mit ihren Enkeln in überschweren Clanmechs auf und ballert mich hinter den Mond! ^^

    Spielmechanisch stimmt das, es macht mir dann aber nicht halb soviel Spaß.


    Krasseres Beispiel vielleicht:

    Wenn Du bei Freedom - The Underground Railroad alles "Thematische" weglässt, also die Hintergrundgeschichte usw., was bleibt dann übrig? Ein immer noch spielbares, total abstraktes Spiel, das immer noch funktioniert, aber als bloß aufgemotzte Wolf-und-Schafe-Variante doch eher langweilig ist. Ob ein Klötzchen durchkommt, ist mir egal, wenn ich mir aber vorstelle, dass das ein Mensch ist, für dessen Rettung ich mich verantwortlich gemacht habe, ist mir das alles andere als egal.

    Es gibt Leute, die lesen die Flavourtexte in Anleitungen? Verrückt... =O8o^^

    In Zeiten, in denen immer mehr Leute nach thematischen Spielen rufen, finde ich das eigentlich nicht verrückt. :P

    Mittlerweile bin ich als Spieler thematisch orientiert. Für mich ist es geradezu selbstverständlich, die Flavourtexte zu lesen. Wenn das Spiel selbst dann auch noch wirklich thematisch ist und sein Thema in die Spielmechanik transportiert, ist das für mich sehr schön.


    Da ich meistens mit meiner Frau spiele, weiß ich sehr genau, dass man das auch anders sehen kann. Sie interessieren Flavourtexte gar nicht, weil für sie die Mechanik ganz klar im Vordergrund steht.


    Das kann ganz spannende Konsequenzen haben:


    Bei Scythe gibt es Begegnungskarten mit Situationsbildern. Die soll man sich ansehen, sich in die Situation hineinversetzen, dann den Text mit den alternativen Entscheidungsmöglichkeiten lesen und sich entscheiden, woraus sich eine Konsequenz ergibt. Ich finde das großartig. Meine Frau findet es lästig und fragt, wieviele Alternativen gibt es. Ich sage dann z.B. a, b und c, worauf sie dann z.B. sagt, ich entscheide mich für c. Den Text und das Bild will sie gar nicht lesen/sehen. Spielmechanisch ist das Risiko, dadurch einen schweren Fehler zu machen, ja zumindest beherrschbar. Aber für mich ist das ein Unding.

    Auch wenn ich in bestimmten Fällen eine englisch-sprachige Ausgabe kaufe, selbst wenn ich die deutsche schon habe, habe ich lieber die deutschen Ausgaben. In meinem Mitspielerkreis kann niemand so gut Englisch, dass er eigenständig z.B. die nicht für jedermann sichtbaren Texte lesen und im Sinne des Spiels/der Spielmechanik richtig verstehen könnte. Also muss ich immer alle englischen Texte übersetzen. Das heißt bei manchen Spielen schon ein ziemlich umfangreiches Hantieren mit Listen, das den Spielfluss nicht gerade fördert, auch wenn es grundsätzlich funktioniert.

    Meist kaufe ich englische Versionen von Spielen, die mich interessieren, wenn/weil sie deutlich früher auf dem Markt sind.


    Für mich bedeutet das aber, dass ich z.B. Karten übersetzen muss, weil das für meine Mitspieler nötig ist.


    Nicht einmal bei Spielen, die sowohl eine deutsche als auch eine englische Regel enthalten, kann man sicher sein, dass die Übersetzung ins Deutsche gut ist. Jüngst bei Moa z.B. klar nicht der Fall. Da ist es dann doch erfreulich, die englische Regel schon im Karton zu haben. Bei Moa habe ich allerdings den Eindruck, dass dem Übersetzer gar nicht die Endfassung der englischen Regel vorlag.


    Normalerweise kaufe ich nicht erst die deutsche und dann die englische Originalfassung, selbst wenn die Übersetzung schlecht ist. Dann fertige ich lieber selbst eine komplette Regelübersetzung, wenn ich der englischen Originalregel habhaft werden kann. Übersetzungen mache ich ja ohnehin für manche Spiele, von denen man dann meine deutsche Übersetzung bei BGG finden kann, wenn Autor/Verlag das genehmigen.


    Jüngst habe ich tatsächlich die englische Neufassung gekauft, obwohl das Spiel im Original auf Deutsch ist, und zwar bei Ruhrschifffahrt. Da gibt es nämlich mittlerweile eine amerikanische Neuausgabe "The Ruhr", die sowohl eine überarbeitete Fassung von Ruhrschifffahrt als auch ein darauf fußendes neues Spiel "The Ohio" enthält. Ach ja, auch bei "Lost Valley" habe ich später die amerikanische Neuausgabe gekauft, allerdings wegen der Änderungen im Spiel, nicht wegen der Regel. Auch bei "Wikinger - Die vergessenen Eroberer" von ProLudo (nicht HiG) habe ich auch die englische Neufassung "Fire&Axe" gekauft, wie ich ja auch zuerst das englische Ur-Original "The Viking Fury" hatte.

    Aber letztlich sind das doch Ausnahmen.


    Andersherum habe ich bei manchen Spielen nach der englischen dann doch noch die deutsche Fassung gekauft, wie z.B. bei "Oben und Unten", für das ich in der Originalfassung einfach keine Mitspieler habe. Bei Scythe habe ich das mittlerweile auch gemacht, obwohl wir mit meinen Kartenübersetzungen durchaus gut spielen konnten.