Beiträge von LemuelG im Thema „Fussball-WM: Übersteht Deutschland die Vorrunde?“

    Ich finde es ziemlich fragwürdig, wie diese Diskussion geführt wird. Darum mal ein paar grundsätzliche Fragen:

    1. Darf man Erdogan gut finden?

    Gegenfrage: Wo ist die Grenze, bis zu der jemand politisch zu akzeptieren ist? Wie schaut es aus mit Putin? Orban? Trump? Kaczynski? Seehofer? Lafontaine? Ab welcher Grenze ist es verwerflich, jemanden gut zu finden? Ab wann steht es uns zu, eine Person dafür zu verurteilen, dass sie einen Politiker unterstützt? Und wer bestimmt das? Ist es gesamtgesellschaftlicher Konsens, wenn es in der Bild steht? Oder in der taz? Oder in beiden?


    Ich finde nicht gut, was Erdogan tut. Aber offenbar ist er trotz allem noch geschätzter Partner unserer Regierung, NATO-Mitglied und hochbezahlter Löser der Flüchtlingsfrage. Zudem mehrfach weitgehend demokratisch gewählt, auch von einer großen Mehrheit der in Deutschland lebenden in der Türkei Wahlberechtigten. Inwiefern steht es uns also zu, jemandem vorzuwerfen, dass er nichts anderes tut als unsere gewählte Regierung auch, nämlich Erdogan zu unterstützen? Wer bestimmt die Grenze, wo wir das dürfen und wo nicht?


    Ich meine, es ist noch immer das Recht eines Deutschen, unangenehme Zeitgenossen zu mögen und zu unterstützen, solange diese nicht offiziell eines Verbrechens beschuldigt und überführt sind. Man darf für diese Menschen sogar werben. Auch wenn Özil sagt, er habe nicht werben wollen - ich meine, er hätte es gedurft. Selbst als Person des öffentlichen Lebens.


    2. Darf man Özil kritisieren?


    Selbstverständlich darf jeder, der sich mit einer politischen Meinung in die Öffentlichkeit begibt, hinterfragt und bei nicht überzeugender Begründung auch kritisiert werden. Allerdings hat ein Hinterfragen in diesem Falle nie stattgefunden. Sondern es hieß vom ersten Tag an: ungehörig. Das tut man nicht. Das ist nicht deutsch. Zu keinem Zeitpunkt habe ich in der großen Diskussion auch nur eine Stimme gehört, die gefragt hätte: Warum tut er das? Was spricht dafür, das zu tun? Wie steht er zu den negativen Seiten der Politik von Herrn Erdogan? Sondern es wurde vom ersten Tag an verurteilt und beschimpft.


    Und das ist die Stelle, wo ich dann durchaus Verständnis für die Wahrnehmung von Rassismus aufbringe. Denn in meiner Wahrnehmung wäre nicht jeder Fußballer in gleichem Maße niedergemacht worden. Wo sind solche Aufschreie, wenn mal wieder jemand sagt, ein schwuler Fußballer dürfe sich nicht outen, weil er dann im Stadion nicht mehr akzeptiert würde? (Also sowohl der Aufschrei über den, der diese Situation akzeptiert und Verstecken einfordert und der Aufschrei über den Pöbel, der das Outing nicht akzeptieren würde.) Wo ist der Aufschrei über Steuerbetrüger in Führungspositionen im Fußball? Über Bestechungen und Fußballkaiser, und und und ... Alles Peanuts, oder?! Und hat rein gar nichts mit Herkunft und Hautfarbe der jeweils Beschuldigten zu tun ...


    Oliver Bierhoff hat im Korrekturinterview von möglichen Zwängen angesichts von in der Türkei lebenden Verwandten gesprochen. Auch das ist ein Aspekt, der in der breiten Diskussion niemals aufgegriffen oder auch nur angesprochen wurde - und ich behaupte nicht, dass dem tatsächlich so ist (wie gesagt, ich meine, Özil durfte so handeln, wie er handelte, und vermutlich machte er das Foto, weil er das wollte). Aber die Komplexität der Materie ist doch ein paar Hausnummern größer, als die Bild uns glauben machen will.


    Soweit meine 2 Cent in einer komplexen Situation. Ich finde es sportlich schade, dass Özil nicht mehr für Deutschland spielen wird. Und daneben sollten wir uns alle fragen, was wir im gesamtgesellschaftlichen Konsens akzeptieren wollen und was nicht - und wo genau die Grenze verläuft.

    Aber interessant, dass das automatisch meine Meinung sein soll, weil ich hier jemanden zitiere. Wirklich spannende freie Interpretation von Dir LemuelG

    Schlecht, wenn das Deine Interpretation war.

    Vielleicht bin ich ja naiv, aber grundsätzlich gehe ich davon aus, dass jeder hier in seinen Posts seine Meinung postet, auch wenn das mal ein Zitat ist - es sei denn, der Post enthält klare Anzeichen, die diese Interpretation nicht erlauben (kritische Diskussion, hinterfragen, klarstellendes Emoticon, ...). An nichts davon kann ich mich beim besagten Post erinnern.


    Insbesondere gilt das bei Posts mitten im Thread - dass ein SP-Post zum Threadstart durchaus mal eine kontroverse These in den Raum stellt (in der Regel aber verbunden mit einem "Was meint Ihr?"), um eine Diskussion zu starten, ist ja zumindest nicht unüblich.