Beiträge von MetalPirate im Thema „Mechanische/Mathematische Siegpunktmulitplikatoren in Eurospielen“

    [...] Wenn die Autoren in der Lage sind ein Spiel ausgewogen zu designen, denn wird durch Multiplikatoren einfach nur ein Wert berechnet. [...]

    Dem würde ich so zustimmen. Allerdings würde ich das "wenn" am Anfang betonen. Wenn ein Spiel nicht gut balanciert ist und/oder nicht für alle Spielezahlen und Setup-Variationen ausgereichend getestet wurde, dann erhöhen multiplikative Wertungen (oder genauer: multiplikative Teilwertungen bzw. Produkte in Wertungsummen) signifikant die Chancen, dass irgendeine spezielle Strategie unter gewissen Umständen dominant wird. Das ergibt sich einfach durch die Mathematik. So ein Produkt natürlicher Zahlen kann halt sehr schnell sehr groß werden, viel schneller als die üblichen linearen Systeme der Sorte "X Siegpunkte pro irgendwas".


    Beispiel von der letzten Messe in Essen: The Sanctuary - Endangered Species. Eigentlich ein sehr schönes Spiel mit schönem und originellem Antrieb ("Sichtlinie auf Kartenreihe"). Aber man bekommt am Ende vor allem Punkte für vier Tierarten, und zwar nach der Formel: Anzahl der Tiere im Gehege mal Happyness-Wert der entsprechenden Tiere. Beides kann der Spieler gezielt steigern. Problem: Wer eine "alles auf eine Tierart setzen"-Strategie richtig spielt, gewinnt immer. Happyness auf verschiedene Tiere verteilen ist in 99% der Fälle Humbug. Konkurrierende Strategien wie "Renaturierung auf Maximum" sind nur konkurrenzfähig, wenn man dort bis ganz zum Ende kommt. Das ist anfällig und kann von der zufälligen Kartenverteilung oder von den Mitspielern leicht zerschossen werden. Ich habe das Spiel nach ein paar Spielen und dann etwas Hinsetzen & Nachrechnen wieder verkauft. Nicht gut balanciert. Was sehr schade ist, denn aus den Spielideen in dem Ding hätte etwas Großes werden können.


    Außerdem muss bei über-linearen Bewertungsfunktionen noch nicht mal etwas wirklich "falsch" sein, um negativ zu wirken. Solche Wertungen sind automatisch auch immer überproportional anfällig, im Erstspiel von Anfängern nicht richtig durchschaut zu werden. Autoren können noch so sehr darauf setzen, dass die Spieler z.B. nicht einem Mitspieler zuviele Multiplikatoren überlassen, schon gar nicht (fast) alle Multiplikatoren einer Sorte ... wenn die Erstspielerrunde es trotzdem tut, dann kann dort der (unberechtigte!) Eindruck entstehen, dass das Spiel schlecht balanciert wäre. Unberechtigt, aber real da. Siehe Startbeitrag. Concordia unbalanciert wegen multiplikativer Wertung? Humbug! Mac Gerdts weiß, was er tut. Auch bei Transatlantic, das auch bei mir ein paar Spiele gebraucht hat -- und ich erfasse Spiele eigentlich recht schnell. Da hat der Autor dann "eigentlich" nichts falsch gemacht, aber trotzdem ist das "die multiplikative Wertung stört mich!" der Eindruck, der Leuten wie dem Threadstarter hängenbleibt..

    Ich glaube, das Problem, das manche mit Concordia haben (und was 2014 vielleicht auch den KSdJ-Preis gegen das in meinen Augen klar schwächere Istanbul gekostet hat), ist weniger die mathematische Form der Endwertung, sondern eher die fehlende Verbindung zwischen thematischem Spielziel (-> erfolgreicher Händler sein im römischen Reich) und Gewinnkriterium (-> vom Himmel gefallene Wertung mit irgendwelchen komischen Göttern, die sich auf irgendwelchen Karten befinden, wo sie während des Spiels null Bedeutung hatten).


    Erschwerend kommt hinzu, dass es im ganzen Spiel eine einzige Wertung gibt, nämlich ganz am Ende. Das kann dazu führen, dass ein Anfänger am Spielende das Gefühl hat, während des Spiels eigentlich recht gut gespielt zu haben, aber nach der Schlusswertung ist er völlig abgeschlagen Letzter. Sowas ist nicht Eurospiel-untypisch, ganz und gar nicht, und ein starker Fokus auf eine Endwertung ist immer auch ein Zeichen für ein strategisches Spiel (da muss man eben drauf hinarbeiten) ... aber ich kann sofort verstehen, warum jemand, der kein erfahrener Eurospieler ist, mit einem Spieldesign wie bei Concordia gewisse Probleme haben kann.



    EDIT: In der Concordia-Anleitung steht WIMRE drin, dass man im ersten Spiel nach ein paar Runden eine Probewertung machen soll. Wie so oft gilt auch hier: wenn man sowas auf den ersten Blick "Verrücktes" in einer Anleitung von einem Spiel eines erfahrenen Autors in einem renommierten Verlag findet, dann hat das in der Regel einen Grund.

    Bierbart :

    Vielleicht sage ich dir etwas, was du eh schon weißt, aber vielleicht ist's auch etwas, was dich auf neue Gedanken bringt. Die ersten beiden deiner drei aufgezählten Punkten hängen direkt an der Spielzeit dran. Bei längeren Eurospielen wird beim typischen-Eurospiel-Zielpublikum weder ein hoher Glücksfaktor toleriert noch die Möglichkeit, einen Spieler per direkter Interaktion für die restlichen eins bis zwei Stunden Spielzeit komplett aus dem Spiel zu schießen.


    Wenn die genannten Punkte der Grund ist, warum dir viele Euros nicht gefallen, dann solltest du ggf. gezielt nach KURZEN Eurospielen Ausschau halten, also geringe Spielzeit zum Auswahlkriterium machen, und du wirst ziemlich sicher mehr vom dem finden, was du in Euros oft vermisst.

    "Grundwert x (1+ (Anzahl Multiplikatoren/10)"

    Dann eben nimm "Grundwert x (10 + Anzahl Multiplikatoren)" und du hast nur noch natürliche Zahlen. ;)

    Scherz beiseite: 7 x 13 überfordert in der heutigen Zeit auch schon viele, und selbst wenn man gut im Kopfrechnen ist, ist das Multiplizieren mit Zahlen über 10 wenig elegant.


    Nur rein scherzhaft ist mein Vorschlag übrigens nicht. Das oben angesprochene Transatlantic nutzt so eine additive Konstante bei den Multiplikatoren, und zwar abhängig von der Spielerzahl. WIMRE 3/2/0 bei 2/3/4 Spielern.

    Zum Thema an sich: Solange die Endwertung nicht übermäßig lang wird, finde ich komplexere Wertungssysteme am Spielende nicht störend. Ein "multipliziere fünf Sachen mit jeweils eigenem Multiplikator und summiere den Kram auf" finde ich nicht schlimmer als Punkte in 5-10 Bereichen nach irgendwelchen Mehrheiten-Wertungen unter den Spielern zu verteilen. Punktevergaben, die während des Spieles (z.B. an jedem Rundenende) das Hinzuziehen einer Wertungstabelle oder die Anwendung komplexer Formeln erfordern, finde ich da viel kritischer. Multiplikative Endwertungen bringen ja sogar noch zusätzliche Spannung rein, wenn man die einzelnen Werte getrennt abrechnet, also zuerst für jeden Spieler Venus werten, dann Saturn, dann Jupiter, usw. Dann sind ja Führungswechsel eher normal.



    Zu Concordia konkret:

    Meine Mitspieler, die in jeder Ressourcen-Kategorie eigentlich deutlich besser waren, haben verloren, weil ich mich immer recht durchschnittlich, dafür aber breit aufgestellt und dann effizient multipliziert habe.

    Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich glaube, dass deine Mitspieler dann auch einfach nur schlecht gespielt haben. Oder freundlicher ausgedrückt: ebenso unerfahren waren. Breites aufstellen ist in solchen Spielen eigentlich wenig effizient, denn eine Summe vom Typ


    X1*Y1 + X2*Y2 + ... Xn*Yn


    maximiert man für feste Summen der Ixe bzw. Ypsilons alleine (-> die Zahl der Aktionen bzw. gekauften Karten ist begrenzt), indem man einen einzelnen Summanden rauspickt und den hochtreibt. In der gelebten Praxis der "Eurospiele mit multiplikativer Wertung" aber dann doch meist 2-3 Summanden, weil die Mitspieler einem kaum alle Multiplikatoren in einem Bereich überlassen werden.


    Genau so funktioniert meiner Erfahrung nach auch Concordia. Man versucht, z.B. beide Kolonisten-Karten zu holen und alle Land- sowie Seekolonisten aufzustellen. Oder in allen Provinzen vertreten sein und genau die Karten holen, die das belohnen. Winzer und alle Weinstädte. Tuchhändler und alle Tuchstädte. Und so weiter. Zweimal richtig dick punkten, ein- bis zweimal ein bisschen, ein bis zwei Wertungen quasi kampflos weggeben.


    Das muss man auch ein bisschen vorplanen, sonst wird das nix, weil die Ansprüche bzgl. Endwertung und der kurzfristiger Nutzen der Karte oft auseinanderklaffen. Den Winzer muss man ggf. holen, wenn man erst zwei Weinstädte hat, sonst holt ihn ein anderer, aber mit nur zwei Weinstädten bringt der erstmal nicht so viel, d.h. es wirft einen kurzfristig erstmal zurück. Ist's das wert? In solchen Entscheidungen liegt dann auch der Reiz von Concordia. Mit "ich kaufe im letzten Drittel stumpf ein, was ich kriegen kann" gewinnt man eigentlich nur in Anfänger-Runden, die die Bedeutung der Karten als Wertungsmultiplikatoren noch nicht voll begriffen haben.


    Tip: Häufiger Concordia spielen. Tolles Spiel. Ich glaube, du könntest noch viel entdecken.