Beiträge von Yakosh-Dej im Thema „Santa Maria: historische Themen und der Umgang damit“

    Absolut deiner Meinung. Ich brauche keine Holzhammer-Spiele (meist auch noch mit schlechter Mechanik), die nur eine politische Botschaft transportiert wollen ... ich würde mir aber wünschen, dass wir neben den locker seichten Spielen, den Weg zu mehr Mut auch für ernstere, kontroversen Themen finden. Ich denke nicht, dass solche Projekte generell Nischenprodukten sein bzw. bleiben müssen. This war of mine hat es doch trotz ernstem, erwachsenen Themenkomplex geschafft kommerziell erfolgreich zu sein. Brettspiele sollen kein Mittel des Klassenkampf oder der Belehrung sein, aber bitte auch nicht schwierige Teilbereiche bei der Gestaltung grundsätzlich auszusparen. Warum in einem Wirtschaftspiel nicht auch die Schattenseiten mit aufgreifen? Das hilft nicht nur der Reflektion, sondern bringt dem Spieler auch ein Mehrwert an Möglichkeiten, Authentizität und Realismus. Mir geht es in erster Linie garnicht darum Moral oder Botschaften zu transportieren, sondern um ein echtes vielschichtiges Spiel, das im besten Fall unter Umständen noch zum Nachdenken und Hinterfragen einläd ... und über nullachtfünfzehn Konsum und reiner Schwarz-Weiss-Malerei hinausgeht. Nicht als pädagogisches Mittel, sondern für das bessere Spielerlebnis insgesamt ...

    Yakosh-Dej

    Um einige Dinge zu ergänzen/präzisieren:

    1. Die 1.001 Nacht-Geschichten stammen ursprünglich aus Indien sind aber über den arabischen Raum nach Europa gelangt. Auf dem Weg gab es bestimmt inhaltliche Anpassungen. (Genauso natürlich in Europa, wo jede Anzüglichkeit eliminiert wurde und weitere Geschichten hinzugedichtet worden, wie zum Beispiel Sindbad oder Alibaba und die 40 Räuber. Das geschah wesentlichen in Frankreich. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Europäer immer noch ein auf 1.001-Nacht-Geschichten basierendes Orientbild haben. Damit meine ich nicht dich.)


    2. In Folge des Überlieferungsweges ist es gar nicht so verkehrt Fakire (als die muslimische Variante des Yogis) anzuführen.

    Besser erst mal selbst recherchieren, Fakire sind überall in der islamischen Welt verbreitet. Diese indischen Asketen tragen nur den selben Namen. Das hängt vermutlich mit der britischen Kolonialzeit zusammen. Diese islamischen Sufisten werden auch alternativ als Derwische bezeichnet.

    Schau an, wieder was gelernt. Danke für die Aufklärung, hatte ich so tatsächlich nicht auf dem Schirm. Dies ist aber im Kern für meine ursprüngliche Aussage eigentlich auch eher zweitrangig, da ich im Allgemeinen die Nachsteuerung des Verlages in diesem besonderen Fall (und auch im Allgemeinen) einfach für schwierig halte, unabhängig davon, ob sie jetzt thematisch passt oder eben nicht. Für mich persönlich ist es einfach fragwürdig, wenn man bei kontroversen Themen (und wegen gewissem medialen Gegenwind) im Nachhinein einfach ausbessert, anstatt aufzuklären. (Unabhängig davon, dass es nachvollziehbar ist, wenn man das "Problem" aus der rein kommerzieller Sicht des Verlages beleuchtet.) Das insgesamt verhältnismäßig wenige ernste oder schwierige Themen in Brettspielen abgebildet werden, hat neben eher den mutlosen Verlagen, meiner Meinung nach auch den Grund, dass Spiele im Allgemeinen und Brettspiele im Besonderen immer noch von einer großen Masse als Kinderspielzeug und Heilewelt-Produkt gesehen wird, und sich viele gar nicht (auch nicht am Rande) mit unbequemen Fragen, Themen und Wahrheiten auseinander setzen möchten. Und schon garnicht, wenn die eigenen Kinder unter Umständen im Verlauf eines Familienspiels dazu etwas nachfragen könnten ... Viele interessante, spannende Themen mit durchaus kritischer Reflektion werden aber auch in Spielen für Jugendliche/ Erwachsene nicht oder nur mit spitzen Fingern angefasst, und die meisten Verlage scheuen soetwas mehr als der Teufel das Weihwasser. Warum gibt es gefühlt tausend Wirtschafts-Spiele um Aufstieg und Erfolg, aber keine ernste Umsetzung zum Thema Obdachlosigkeit? Wäre doch ein spannendes Konzept, oder nicht? Und sicherlich von den Mechaniken genau so gut z.B. als Eurogame umsetzbar, wie der angehende Firmengründer ... es kommt nicht von ungefähr, dass eins der bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Brettspiele, eigentlich ursprünglich eine kritische Auseinandersetzung mit dem aufkommenden Kapitalismus, und später auch der Weltwirtschaftskrise war. Von diesem Aspekt ist in den heutigen Versionen nicht mehr viel zu finden, was dazu führt, dass er den meisten Spieler des Spiels unbekannt sein dürfte. Ich spreche von Monopoly ... ein hochgradig erfolgreiches Massenprodukt, aber geradezu stromlinienförmig unkritisch zurechtgefeilt.

    Yakosh-Dej

    ... in einem fiktiven Setting gibt es eben keine Notwendigkeit, explizit (!) Sklaven für bestimmte Aufgaben zu benötigen!

    PS. Das ist natürlich richtig, man hätte sicherlich auch Lehrlinge, Diener oder so nehmen können ... aber im Gegensatz zu den Fakiren, gab es dort im Nahen Osten/ Arabischen Raum sehr wohl Sklaverei, die auch historisch belegt ist. Fakire waren dort aber sicherlich höchsten selten anzutreffen ... wenn man schon etwas ändert, dann doch bitte mit etwas Überlegung und nicht einfach so mit heißer Nadel gestrickt ...

    Yakosh-Dej

    Five Tribes ist ein schlechtes Beispiel, weil es im Gegensatz zu Santa Maria ein fiktives Setting hat (oder sind Dschinns inzwischen historisch belegt?) und in einem fiktiven Setting gibt es eben keine Notwendigkeit, explizit (!) Sklaven für bestimmte Aufgaben zu benötigen!


    Außerdem: „historisch belegte Tatsachen sollten immer für mich in den Mechaniken abgebildet sein“

    Das könnte man jetzt falsch verstehen, denn etwa mit den Sklaven sind auch weitaus schlimmere Dinge gemacht worden, als sie „nur“ zur Arbeit zu zwingen.

    Five Tribes hat natürlich ein fiktives Setting, etwas anderes habe ich auch garnicht behauptet, aber das Spiel ist im Nahen Osten / Arabischen Raum inkl. 1001 Nacht usw. angesiedelt ... Fakire sind aber indischer Natur und kommen somit sowohl aus einem anderen Kulturkreis als auch aus einer völlig unterschiedlichen Region, ob nun mit oder ohne fiktivem Seiltrick. Five Tribes ist meiner Meinung nach das bekannteste Beispiel für Verlage, die sich anstatt sich einer öffentlichen Debatte zu stellen, und ihr Produkt und dessen Design zu erklären, lieber den kommerziellen Weg gehen und ihr Produkt einfach anpassen, auch wenn dies weder ursprünglich geplant war, noch ins Gesamtkonzept passen will ...


    Natürlich kann jeder selbst eine persönliche Schmerzgrenze ziehen, wenn es um die Genauigkeit historischer Fakten in Brettspielen geht, mir persönlich ist es aber lieber ein durchaus kritischen Aspekt teilweise oder vollständig abzubilden, anstatt ihn aus z.B. Vermarktung, Imagepflege oder anderen allgemeinen, rein unternehmerischen Gründen ganz wegzulassen. This war of mine hätte man sicherlich viel massentauglicher gestalten können ... wäre es dadurch umsatzstärker geworden? Vielleicht, aber sicherlich nicht emotional berührender ...

    Ich habe kein Problem z. B. mit Kolonialismus-Brettspielen, in den auch die ausbeuterischen Aspekte eine spielerische Funktion einnehmen. Viel schlimmer finde ich es, wenn ein solcher durchaus kritisch zu sehender Aspekt, absichtlich totgeschwiegen bzw. weggelassen und damit in gewisser Weise geleugnet wird. Mit solchen Selbstzensuren tut man meiner Meinung nach niemanden einen Gefallen. Historische belegte Tatsachen dürfen bzw. sollten für mich persönlich immer in den Mechaniken abgebildet sein, auch wenn sie nicht mehr der aktuellen Sicht der heutigen Mehrheitsgesellschaft entsprechen, solange sie nicht Kern bzw. einzige Gewinnoption sind. Für mich ist hier wichtiger die Sichtweise eines Menschen aus der Zeit des Brettspiels einzunehmen, auch bzw. gerade weil diese meiner nicht entspricht. Es gehört quasi zum vollständigen Bild der Person deren Rolle ich im Spiel ja einnehme. Bitte mehr kontroverse Themen in Brettspielen, und nicht weniger ...


    PS. (... und bitte keine nachträgliche, dem Umsatz und vermeintlicher "political correctness" geschuldeten Selbstzensuren ala Five Tribes, deren Sklavenkarten in Fakire umgedeutet wurden, was nicht nur historisch, als auch geographisch falsch (Naher Osten vs. Indien) ist, sondern auch in der Spielmechanik selbst einfach nur aufgesetzt, hölzern deplatziert und sprichwörtlich "an den Haaren herbeigezogen" wirkt.)