Beiträge von MetalPirate im Thema „ <- meine/eure Erfahrungen und damit verbundene Lehren“

    Kickstarter ist ja auch für Autoren eine Möglichkeit ihre Version an den Kunden zu bringen, wenn etablierte Verlage reihenweise absagen, oder die Kalulation so nicht aufgeht. Hier ist vom Herzensprojekt bis zum gestylten Blender alles drin.

    Ja, das stimmt schon, aber auf ein Spiel wie XIA oder 7th Continent, das auf traditionellen Veröffentlichungswegen wohl eher schlechte Chancen gehabt hätte (*), kommen doch mindestens zehn Spiele, wo die Verlage allen Grund hatten, die Spielidee des Autors abzulehnen. Wenn der Autor das Spiel dann ohne professionelle redaktionelle Hilfe im Eigenverlag über Crowdfunding veröffentlicht, dann wird so ein Spiel dadurch in aller Regel doch nicht besser, sondern höchstens hübscher (nämlich wenn er weiß, wie wichtig die Aufmachung für den Crowdfunding-Weg ist und dort investiert).


    (*): Keine Ahnung, ob die beiden genannten Spiele überhaupt etablierten Verlagen angeboten wurden.

    Es hilft, wenn man versteht, wie Kickstarter läuft.


    Eine Veröffentlichung über Kickstarter und eine Veröffentlichungen über die herkömmlichen Vertriebskanäle erfordern komplett andere Herangehensweisen und eignen sich deshalb für unterschiedliche Spiele-Genres in unterschiedlichem Maße. Es ist sicher nicht ganz falsch zu sagen, dass Crowdfunding-Spiele sich eher über einen einmalig generierten Hype verkaufen, weshalb hübsche Grafik oder allgemein "wertige" Aufmachung neben viel Social Media Präsenz überproportional wichtig sind, während die traditionellen Vertriebswege eher auf längere Verkaufsperioden setzen und deshalb vielleicht ein bisschen mehr in spielerische Qualität ohne einmaliges Blendwerk investieren müssen, denn sonst kauft nach den ersten negativen Spielberichten und Reviews keiner mehr das Spiel, und das wäre schlecht, denn das vorab investierte Geld muss ja erst mal wieder reinkommen. Wenn dagegen Crowdfundingmacher eher mäßige Spiele ausliefern, kann es ihnen zumindest kurzfristig betrachtet egal sein. Das Spiel hat seine Kosten ja schon ein Jahr vorher eingespielt. Ganz wesentlicher Unterschied. Dass im Crowdfunding-Bereich viel hübsch aussehendes, aber spielerisch letztendlich eher mäßiges Zeugs veröffentlicht wird, ist deshalb kein Zufall, sondern systembedingt.


    Das heißt jetzt nicht, dass alle Kickstarter-Sachen Grafikblender wären und alle Verlagsveröffentlichung spielerische Meisterwerke. Definitiv nicht. Beide Seiten haben breite statistische Verteilungen bei der Qualität von schrottig bis toll, mit großem Überlappungsbereich in der Mitte. So klar trennen lassen sich beide Wege ohnehin nicht, denn die allermeisten Kickstarter-Sachen bekommt man auch als Retail-Version zu kaufen; die Crowdfunding-Verlage (unterhalb der Größe von CMON) wären ja blöd, wenn sie sich diesen Weg der kontinuierlichen Einnahmen selbst nehmen würden, und je etablierter ein Crowdfunding-Verlag wird, umso mehr drängt er im Normalfall zu klassischen Vertriebswegen.


    Mit meiner Erfahrung von vielleicht rund 50 Crowdfunding-Projekten im Spielebereich ist das Wichtigste, um die Wahrscheinlichkeit von Flops zu senken:

    1. Nicht vom Hype mitreißen lassen, sondern harte Fakten betrachten. Fertige Regeln sind z.B. wichtiger als hübsche Grafiken. Hübsche Grafiken zu einem funktionierenden Spiel dazubauen ist deutlich leichter als andersrum.
    2. Keine "ich könnte etwas verpassen"-Haltung. (Fast) alles bekommt man auch später noch. Manchmal kostet's halt mehr. Aber einmal die KS-Version (wenn's denn sein muss und Retail nicht reicht) für teuren Aufschlag auf dem Sekundärmarkt kaufen ist in der Regel immer noch besser als auf Verdacht fünf schrottige Spiele kaufen, die bloß Platz im Regal belegen und nur noch mit Verlust weiterverkauft werden können.
    3. Jedes Crowdfunding-Projekt ist mit Risiko verbunden. Das muss man wissen und akzeptieren. Je teurer das Projekt, umso eher muss man sich dessen bewusst sein. Ich unterstütze auch mal ganz bewusst irgendwelche exotischen Anfänger-Projekte, aber das ist dann definitiv nichts teures.
    4. Reputation von Autor und Verlag sorgfältig prüfen. Wie sind vorherige Projekte gelaufen? Wie wurde auf Probleme reagiert und wie wurden diese gegenüber Backern kommuniziert? (Dass Probleme auftauchen, ist kein Problem an sich. Zum Problem wird's, wenn nicht angemessen damit umgegangen wird!)
    5. Vertrauenswürdige Macher haben nichts zu verstecken, sie agieren transparent und offen. Da gibt's klare Zeitplanungen und einen offenen Umgang damit, welche Komponenten z.B. vorhanden sind und was noch fehlt. Es tauchen nicht während der Kampagne noch ein dutzend kostenpflichtige Add-Ons auf. Es gibt keine übertriebene "Eventisierung" der Kampagne mit irgendwelchem Stretch Goal Gehampel. Bei vernünftigen Machern stehen 95% der möglichen Stretch Goals vorher fest und sind entsprechend bereits eingepreist. Das weiß der erfahrene Backer.
    6. Dazu erwarte ich eine offene Kommunikation mit Backern, wo nicht nur das Blaue vom Himmel versprochen wird, sondern auch mal klar gesagt wird, warum z.B. irgendein Backer-Wunsch nicht realisierbar ist. Sowas wie ein "so ein Stretch Goal können wir nicht machen, weil das die Balance durcheinander bringt und noch zwei Wochen mehr Playtesting bräuchte, und die haben wir nicht im Zeitplan" ist für mich nichts Negatives, sondern im Gegenteil ein klarer Pluspunkt.

    Man muss sehr genau prüfen. Längst nicht jedes Kickstarter-Projekt, das auf den ersten Blick gut aussieht, ist es wert unterstützt zu werden. Wer am Ende ein gutes Spiel haben will, muss den ganzen Event-Hype, der ganz bewusst um Crowdfunding gemacht wird (weil das System nun mal so funktioniert), eben ganz genauso bewusst ausblenden.


    Im Übrigen ist es manchmal auch ganz interessant zu lesen, warum z.B. ein Scott Gaeta (Renegade Game Studios) oder ein Clay Ross (Capstone Games) als Gründer junger, aufstrebender Verlage bewusst nicht auf Crowdfunding setzen oder im Falle von Jamey Stegmaier (Stonemaier Games) nicht mehr auf Crowdfunding setzen. Die manchmal zu findende Gleichsetzung von junger Verlag und Crowdfunding als passende Veröffentlichungsmethode der Moderne ist jedenfalls so nicht richtig, und auch diesseits des Atlantiks haben wir ja mit neuen Verlagen wie Edition Spielwiese den Beweis, dass man keineswegs Crowdfunding braucht, um als Newcomer gute Spielideen zu realisieren.