Beiträge von PeterRustemeyer im Thema „Wann ist ein Spiel für Dich „balanced“?“

    fjaellraeven


    Auch reduziert auf den kompetitiven Gedanken gibt es sinnvolle, meist indirekte "Aufholmechanismen":

    *Mehr Armeen kosten mehr Geld. Mehr Einkommen, mehr Steuern.

    *Wenn du mit 20 Armeen 18 Länder erobert hast, bist du halt auch extrem dünn aufgestellt, und bietest wieder Angriffsflächen, selbst wenn der Gegner nur 6 Armeen hat.

    *Einen mächtigen Helden umzuboxen bringt mehr Ruhm als einen Verlierer, zB ELO im Schach: Ein Großmeister kriegt quasi keine Punkte gutgeschrieben, wenn er einen Amateur abwatscht.


    Spiele ohne sowas spiele ich nicht. Wenn die Kette "mehr Burgen => mehr Einkommen => mehr Armeen => mehr Burgen => ..." ungebrochen durchläuft, dann ist das für mich spielerisch uninteressant (bzw nach dem ersten Scharmützel entschieden). Reines "rich get richer" gibt es im realen Leben schon zur Genüge, das brauch ich nicht am Tisch.


    Denn es gibt mehr als "gewinnen wollen".

    Ich will im Spiel auch unterhalten werden. Und ein 88:82 fühlt sich nunmal spannender an als ein 88:2. Vor allem, wenn die Punkte schon während der Partie ersichtlich sind (Siedler von Catan kommt davon, weil die Punkte geheim sind, du hast dann wenigstens das Gefühl, noch mitzuspielen).

    Und ich will Spaß haben. Bis auf den leicht masochistischen Gedanken des "vielleicht lerne ich ja was fürs nächste Mal" ist aus einer Klatsche wenig Spaß zu holen.


    Aber natürlich: Es gibt saublöde Aufholmechanismen. Einfach "Punkte für Nichts" ist nie eine Lösung.

    Es wäre zB vermutlich Quatsch, Bayern gegen Köln mit 0:3 anfangen zu lassen, damit Köln auch mal gewinnen kann. Wenn du "den Besten" ermitteln willst, ist alles außer "gleiche Startbedingungen" eine Verfälschung (wobei ich nicht davon ausgehe, dass im Vereinsfußball gleiche Startbedingungen vorherrschen).

    Gerade Massive Darkness ist ein schönes Beispiel dafür. Da beschweren sich genau die gleichen Leute, die Agents nicht töten, um die von ihn gespawnten Monster-Mobs für XP farmen zu können, dass das Spiel zu einfach wäre. Mit extremer Optimierung gespielt ist Massive Darkness selbstverständlich zu einfach. Ich bin kein großer Coop-Spieler, aber warum kommen bei solchen Problemen eigentlich so wenig Spieler dann auf die (naheliegende?) Lösung, einfach mal irgendwelche Exploits wegzulassen oder etwas schwächere Upgrade-Pfade bei ihrer Charakter-Entwicklung auszuprobieren?

    Weil Menschen nunmal so sind.

    Das Beispiel ist auch schon fast ein Klassiker. Es ist aus genau solchen Gründen nicht unüblich im wunderbaren Genre des "Monster Verdreschens", dass Summons keine XP und keinen Loot bringen.

    Na ja, die vielgesuchte, allgemeingültige Wahrheit ist ja bekanntlich etwas schwerer zu finden .

    Ich habe auch nicht gesagt, dass die Aussage an sich, passend eingegrenzt, völliger Mumpitz ist.

    Aber der mathematische Begriff "hinreichend" ist schon ein ziemlich starker. ;)


    Und somit wäre die Balance-Forderung auch für Koops nicht von der Hand zu weisen.

    Ein Coop erfordert aber eine völlig andere Art der "Balance" als die oben genannte (und das war alles, was ich damit sagen wollte).


    Es ist zum Beispiel vermutlich manchmal einfach hinzunehmen, dass ein Spieler situativ mal mehr beiträgt als die anderen (Balance untereinander).

    Balance heißt dann, dass das für die Mitspieler in anderen Situationen gilt. Oder dass sie währenddessen wenigstens nicht sinnlos rumstehen. ;)

    Es ist vermutlich auch hinzunehmen, dass es zu Szenarien kommen kann, die sich einfach nicht lösen lassen (Balance Gruppe vs Spiel).

    Balance heißt dann, dass die Partien im Mittel zu x% gewonnen werden.

    Der Mathematiker würde dann sagen: eine gute Balance ist eine notwendige Voraussetzung für ein gutes Spiel, aber keine hinreichende.

    Ich grüble jetzt gerade, ob man das so stehen lassen kann.


    Oder ob ich Spiele gespielt habe, die hochgradig unfair sind, aber trotzdem Spaß machen (was für mich "gutes Spiel" bedeutet).

    Oder solche, in denen sich die Frage nach der Balance erst gar nicht stellt, weil das vom Spielkonzept her nicht nötig ist (zB koop?).

    Für mich ist ein Spiel Balanced, wenn man es nicht lösen kann. Wenn es nur einen Weg gibt zu gewinnen, dann klingt das nach dem Schuh runterspielen, was ich als langweilig empfinde. Dei Menge an Scripts auf BGG für Scythe Völker wären zB eine Andeutung in diese Richtung.

    #Scythe (zumindest ohne Erweiterung) fühlte sich für mich allerdings genau so an.


    Sobald ich meine Fraktion und mein Board bekomme, und bis ich tatsächlich mit den Mitspielern in Berührung komme (also gefühlt die ersten zwei Drittel des Spiels), sah das für mich nach einem lösbaren Algorithmus aus: es gibt eine Reihenfolge von Aktionen, die klar "besser" ist als ihre Alternativen, ich bin nur vielleicht nicht clever genug, sie zu sehen.


    Dass es viele Kombinationen gibt, hilft nicht, wenn ich alleine und ohne Zufall mein Programm runterspulen darf.

    Waten Spiele mit einem Catch-Up-Mechanismus auf und sind deshalb alle Spieler im gleichen Siegpunktesegment vertreten, dann ist das Spiel für mich nicht ausbalanciert, sondern höchst unmotivierend.

    Ein guter Aufholmechanismus sorgt nicht dafür, dass alle gleich viele Punkte haben.

    Stattdessen ist er dafür da, dass man die Partie nicht nach drei von zehn Runden abbrechen kann, weil der Sieger eh schon feststeht.

    Dass der Sieger nicht meilenweit davonzieht (einen ordentlichen Vorsprung darf er sich aber schon erarbeiten).

    Er darf schon gewinnen. Aber er könnte auch noch verlieren.

    Ich habe vor ein paar Tagen den Prototypen eines Deckbuilder-Formel1-Spiels gespielt, ein Spieler wurde in 5 Runden zweimal überrundet.

    Der hatte dann ungefähr das Gegenteil von Spaß.


    Bei den Spielen, in denen ich annähernd gleiche Punktestände beobachten konnte, lag das selten an der Aufholmechanik, sondern...

    • es gab Siegpunkte für ungefähr alles, inklusive Anwesenheit (Stichwort "Feldsalat")
    • und/oder die Punkte wurden völlig linear und gleichförmig vergeben ("Holz:Stein:Gold kostet 4:2:1 und bringt 1/2/4 Punkte")

    Als Beispiele:

    #Euphoria ist - als Worker Placement ohne "Felder blockieren" - imho so ein Spiel, wo alle annähernd dasselbe erreichen. Du machst mit jeder Aktion derart gleichförmigen Fortschritt, dass der Sieg gefühlt am Ende nur noch an den Dingen hängt, die nicht in deiner Hand liegen (zufällig gezogene Fraktionskarten, Pasch würfeln beim Arbeiter zurücknehmen für Doppelzug).


    #IsleofSkye dagegen, mit einer der wohl berüchtigtsten Aufholmechaniken (die hinteren Spieler werden mit Gold geradezu "zugeschissen"), hat das Problem nicht. Ich hatte zumindest seltenst Partien, die einen Endpunktestand à la "45:44:43:43" hatten. Der Hintenliegende kriegt zwar die Kohle, aber er muss immer noch eine vernünftige Insel für die Wertungen zusammengezimmert bekommen. Und er hat dabei eine deutlich schlechtere Ausgangslage (sonst läge er nicht hinten).