Beiträge von MetalPirate im Thema „Wann ist ein Spiel für Dich „balanced“?“

    Ich denke den Begriff "balanced" kann man nur dann anwenden, wenn eine Asymmetrie vom Start weg vorliegt.

    Dem kann ich so nicht zustimmen, denn du reduzierst hier "Balance" auf einen Teilaspekt. Man sollte schon unterscheiden, ob man mit "balanced" die Ausgewogenheit der Siegchancen zwischen unterschiedlichen Spielern meint oder die Ausgewogenheit zwischen den unterschiedlichen stategischen und/oder taktischen Optionen, die sich jedem einzelnen Spieler bieten. Für den ersten Fall hättest du natürlich Recht mit der Betonung der Aysmmetrie am Start, wobei das irgendwo trivial ist, denn aus völliger Symmetrie folgt ja direkt schon Chancengleichheit, sonst wär's ja gerade nicht symmetrisch. :)


    Die zweite Sichtweise, d.h. die Balance an den Strategien des einzelnen Spielers festzumachen, hat aber auch ihre Berechtigung. Wenn da eine Handlungsoption grundsätzlich immer die beste oder andersrum in keinem einzigen Falle die beste Wahl wäre, würde man das Spiel auch als "schlecht ausbalanciert" bezeichnen können. Wenn in Forum von Balance die Rede ist ("Spiel X ist unbalanced, Strategie Blafasel ist übermächtig!" bzw. andersrum "Strategie Blubb ist nutzlos!"), dann ist sogar in der Regel diese Sichtweise gemeint. In Bezug auf die strategischen und taktischen Optionen ist dann mit der Forderung nach Balance allerdings im Normalfall keine völlige Ausgewogenheit gemeint, sondern nur eine relative Ausgewogenheit innerhalb einer Untermenge, so dass immer genügend interessante Spielentscheidungen übrig bleiben, auch unabhängig davon, ob man gerade am gewinnen oder am verlieren ist.


    Konkretes Beispiel: Bei fünf Spielern mit asymmetrischen Startbedingungen erwarte ich, dass alle fünf ähnliche Siegchancen haben, sonst nenne ich das Spiel unbalanciert. Bei fünf Zugoptionen pro Spielzug reicht mir dagegen, dass ich im Regelfall mich mit zwei oder drei davon näher beschäftigen muss und dass die Untermenge dieser 2-3 interessanten Zugoptionen situationsabhängig wechselt. Das ist eine schwächere Anforderung, aber auch in diesem Bereich ist der Begriff der Balance angebracht, um ein Spiel zu beschreiben.

    Mache das soundso, automatic Win.

    Genau das meinte aber Herbert (so wie ich ihn verstanden habe) aber gerade nicht. Wenn es fünf strategische Hauptwege A bis E gibt und bei einem Spiel ist C der beste Weg, besser als A/B/D/E, dann haben immer noch alle Spieler die gleichen Siegchancen, wenn dann eber jeder auf Weg C spielen kann. Dass das Spiel dann langweilig wird, weil die einzige nennenswerte Spielentscheidung dann darin besteht, Weg C als besten Weg zu kennen, ist dann natürlich auch klar. Von daher wäre es schon ein wünschenswertes Ziel jedes Spieldesigns, dass auch unter variablem Setup immer 2-3 erfolgversprechende strategische Wege offen bleiben.

    Wenn es genau EINE Möglichkeit gibt, die (immer) zum Sieg führt, ist das Spiel nicht ausbalanciert sondern broken (Halifax-Hammer)

    Du veränderst gerade Herberts Aussage in unzulässiger Weise. Herbert sprach davon, dass eine allen Spieler zur Verfügung stehende Strategie besser wäre als die anderen möglichen solchen Strategien. Also z.B. dass bei Great Western Trail jeder auf Cowboys spielt, weil das unter bestimmten Umständen besser wäre als Bauen, Eisenbahn, etc. Balanced ja, aber eben langweilig. Der Halifax-Hammer ist etwas anderes, weil das eben nur einem Spieler zur Verfügung steht.

    Balanced heisst für mich nicht dass jede Strategie die gleichen Chancen hat. Es ist ja die Aufgabe des Spielers herauszufinden welche Strategien die Besten sind.

    Damit unterschiedliche Strategien situationsabhängig die Besten sein können, braucht es wechselnde äußere Umstände, die während des Spiel etwa zu jedem Rundenbeginn (-> Fokus Taktik) oder schon beim Spielaufbau (-> Fokus Strategie; häufiger) auftreten. Das bringt jetzt das Thema "variabler Spielaufbau" mit in die Diskussion rein.


    Beispiel: Wenn es in einem Spiel fünf Hauptstrategierichtungen gibt und beim Aufbau drei aus X vorhandenen Zielkarten gezogen werden, die in einer Endwertung Punkte bringen (was sicher kein komplett unüblicher Design-Ansatz ist), dann ist im Normalfall offensichtlich, dass für eine einzelne Partie durch diese Auswahl unterschiedliche strategische Wege attraktiver bzw. unattraktiver gemacht werden. Dennoch würde man erwarten, dass (A) unter passenden Umständen alle fünf Wege sinnvoll sein können und (B) sich auch für einzelne Setups die Auswahl erfolgversprechender Strategien nicht gerade auf eins reduziert.


    Letzteres ist das große Problem bei komplett zufälligem variablem Spielaufbau bzw. bei festen unterschiedlichen Startbedingungen ("variable player powers") als eine konkrete Realisierungsform davon: man will auf der einen Seite bewusst unterschiedliche strategische Wege in ihrem Wert verändern, so dass dem Spieler eine gewisse Anpassung als Spielleistung abverlangt wird, aber auf der anderen Seite soll noch eine nennenswerte Auswahl unterschiedlicher Wege übrig bleiben, so dass eben das nicht allzu einfach wird.

    Balance bei Coop-Spielen ist ein sehr interessantes Unterthema. Ich denke da z.B. an Massive Darkness. Da kann man Erfahrungspunkte für Fähigkeiten ausgeben. Diese Upgrades sind extrem unausgewogen, da gibt's ziemlich offensichtlich bessere und schlechtere Optionen. Manches bietet schon arg weniger Gegenwert für die 5 oder 10 XP, die man abgeben muss. Ist das ein Problem?


    Jein. Beim Coop-Spiel beeinflusst eine fehlende Balance oder genauso auch irgendwelche ausnutzbaren Regelschwächen nicht die relativen Siegchancen der einzelnen Spieler untereinanderer (wie im kompetitiven Spiel), es ist also kein direktes KO-Kriterium bzgl. des Spielziel. Vielmehr passiert etwas ganz Interessantes: es beeinflusst im Endeffekt den Schwierigkeitsgrad des Spiels. Insofern kann man das auch positiv als Chance begreifen, den Schwierigkeitsgrad gezielt zu steuern.


    Gerade Massive Darkness ist ein schönes Beispiel dafür. Da beschweren sich genau die gleichen Leute, die Agents nicht töten, um die von ihn gespawnten Monster-Mobs für XP farmen zu können, dass das Spiel zu einfach wäre. Mit extremer Optimierung gespielt ist Massive Darkness selbstverständlich zu einfach. Ich bin kein großer Coop-Spieler, aber warum kommen bei solchen Problemen eigentlich so wenig Spieler dann auf die (naheliegende?) Lösung, einfach mal irgendwelche Exploits wegzulassen oder etwas schwächere Upgrade-Pfade bei ihrer Charakter-Entwicklung auszuprobieren?

    Okay. Ich ergänze hiermit, dass ich mich auf normal-übliche Strategiespiele mit mindestens mittlerer Spiellänge bezogen haben. In anderem Kontext (kurze Ärgerspiele, Geschicklichkeitsspiele, Coop, etc.) habe ich auch Balance-Diskussionen bisher auch eher selten erlebt.


    Oder ob ich Spiele gespielt habe, die hochgradig unfair sind, aber trotzdem Spaß machen (was für mich "gutes Spiel" bedeutet).

    Halte ich für schwierig. Selbst bei unfairen, kurzen Spielen ist es wünschenswert, dass eine Spielweise A nicht klar stärker ist als eine andere Spielweise B. Ausnahmen mag es geben, wenn Spielweise B zwar selten gewinnt, aber dafür anderweitig eine Belohnung bietet, etwa in Form besonderer Schadenfreude, wenn es alle Jubeljahre doch mal gelingt, damit zu gewinnen.


    Oder solche, in denen sich die Frage nach der Balance erst gar nicht stellt, weil das vom Spielkonzept her nicht nötig ist (zB koop?).

    Bei kooperativen Spielen ist die Frage nach der Balance sowieso eine ganz andere. Komplett unwichtig ist's aber auch da nicht. Es liegt dann z.B. an der Gruppe, in wie weit es als akzeptabel empfunden wird, wenn beim Dungeon Crawler z.B. die Monster zu 90% nur von einem der vier Spieler geplättet werden, während der Rest zu Hilfstätigkeiten wie Schätze aufheben oder heilen verdonnert ist.

    Ich lese in letzter Zeit öfter das ein Spiel „balanced“ ist, wenn die Siegpunkte am Ende dicht beieinander sind oder sich die Punkte der Mietspieler innerhalb des Spiels bis zum Ende angleichen.


    Das hat doch aber nichts mit balanced zu tun - oder?

    Jein. Wenn

    • bei gleicher Spielstärke der Mitspieler
    • im statistischen Mittel über die Zeit
    • trotz unterschiedlicher Startvoraussetzungen (Asymmetrie) und/oder unterschiedlicher gewählter Strategien

    die Punktergebnisse der Spieler bei den einzelnen Spielen vergleichbar sind (d.h. nicht absolut, sondern immer nur auf die einzelnde Partie bezogen!), dann würde ich das Spiel schon "balanced" nennen. Im Unterschied zu "am Ende haben alle ähnliche Punktzahlen" sagt diese Definition,

    • dass bessere Spieler auch häufiger gewinnen dürfen
    • dass nur wiederholtes Spielen Aussagen ermöglicht (während einzelnde Partien quasi nichtssagend sind)
    • dass es unterschiedliche Wege braucht, um deren Ausgewogenheit zu vergleichen.


    Aber Achtung: Dass ein gutes Spiel diese Definition erfüllen sollte, ist wohl ziemlich unstrittig, aber ein Erfüllen dieser Definitionen von "balanced" macht noch lange kein gutes Spiel. Unter anderem wäre ein Spiel, bei dem jeder Spieler weitgehend unabhängig von dem, was er macht, am Ende die gleiche Punktzahl bekommt, sehr wohl in diesem Sinne "balanced".


    Der Mathematiker würde dann sagen: eine gute Balance ist eine notwendige Voraussetzung für ein gutes Spiel, aber keine hinreichende.


    Ich glaube, in diesem Sinne sollte man die Balance-Diskussion auch sehen: Balance ist wichtig, aber Balance alleine reicht nicht. Anstatt irgendwelche anderen Qualitäten eines Spieles, etwa interessante Spielentscheidungen, noch krampfhaft irgendwie in die Balance-Definition reinstecken zu wollen (was IMHO kaum sinnvoll möglich ist), muss man dann eben sagen, dass Balance bloß eine notwendige, aber noch lange nicht hinreichende Bedingung für ein interessantes Spiel ist. Dass unterschiedliche Wege ähnlich erfolgversprechend sind, ist nämlich nur dann etwas wert, wenn diese unterschiedlichen Wege auch für sich genommen spielenswert sind, d.h. interessante Entscheidungen bieten, gutes Spielen belohnen und vor allem auch Spaß machen.