Beiträge von Ernst Juergen Ridder im Thema „Wie wichtig ist Euch das thematische Gewand eines Spiels?“

    Ich könnte Dir inhaltlich ja zustimmen. Geht aber nicht:lachwein:, weil Du Dich ausdrücklich gegen Stegmaier richtest:crying:, dessen Viticulture -verbunden mit der Tuscany-Erweiterung- halt mein TOP1-Spiel:thumbsup::!: ist. Das hat einen thematischen Hintergrund, auch wenn die Umsetzung nicht immer so ganz korrekt ist, von dem sich vieles in den Mechaniken auch wiederfindet. Trotzdem ist es immer noch ein Spiel, ein Spiel das mir Spaß macht, anders als etwa das völlig verkopfte Vinhos:thumbsdown:.

    So, ausnahmsweise mal "ganz viele Smileys", mache ich ja sonst nicht.

    Früher habe ich abstrakte Spiele sehr gemocht, wie z.B. Go oder Twixt. Mittlerweile ist das deutlich anders. Heutzutage bin ich weitaus mehr thematisch orientiert.


    Damit meine ich nicht ein bloßes "thematisches Gewand", denn das haben viele im Grunde abstrakte Spiele. Mich spricht an, ob ein Spiel ein Thema hat und wie es dieses Thema in seinen Mechaniken sichtbar macht. Setzt ein Spiel ein Thema wirklich um, reizt es mich, mich über das Spiel hinaus mit seinem thematischen Hintergrund zu befassen. Deshalb lese ich Vorworte zum Thema und ein etwaiges Beiheft zum Thema sehr gerne.


    Eines meiner eindringlichsten Beispiele für das, was ich meine:


    Ruhrschifffahrt.


    Darin findet sich z.B. der Spielmechanismus, dass Kohle an Qualität verliert, wenn sie auf ihrem Transportweg auf dem Fluss über ein Hindernis im Fluss befördert werden muss. Thematischer Hintergrund ist, dass die Kohle damals an einem solchen Hindernis umgeladen werden musste und -wenn ein solches Umladen sehr häufig stattfinden musste- schlimmstenfalls als Kohlenstaub in Duisburg ankam.

    Dieser Themenkomplex -Kohlegewinnung im Ruhrgebiet- liegt ja der ganzen "Kohletrilogie" zugrunde. Bevor wir erstmals Ruhrschifffahrt gespielt haben, hat einer aus der Spielgruppe einen 10-minütigen Vortrag zum Thema Kohletransport auf der Ruhr gehalten. Einige Monate später haben wir dann als Spielegruppe eine gemeinsame Wanderwoche (machen wir seit vielen Jahren jedes Jahr woandershin) im Ruhrgebiet verbracht, bei der wir historische Stätten zum Thema aufgesucht haben.


    Natürlich machen wir so etwas nicht bei jedem Spiel. Wo immer sinnvoll, knüpfen wir allerdings an den thematischen Hintergrund eines Spieles an. So haben wir z.B. vor einer Partie Round House ein YouTube-Video zum Thema Rundhäuser in Südchina, ihre Geschichte und heutige Bedeutung angesehen.


    In diesem Sinne kann Spielen sehr viel mehr sein, als das mich eher anödende Abarbeiten von Spielmechaniken zur Erzielung möglichst vieler Punkte.

    Für mich ist das Thema der wichtigste Punkt, mich für ein Spiel zu interessieren. Wirklich abstrakte Spiele mag ich nicht und Spiele mit einem Thema, das mich nicht interessiert, schaue ich mir gar nicht erst an.

    Richtig gut wird ein Spiel für mich erst, wenn seine Mechaniken weitgehend aus dem Thema "fließen", sich aus diesem erklären oder das Thema zumindest unterstützen. Gibt es da große Brüche, verleidet mir das das Spiel.


    Bei Stone Age z.B. wäre ich nie auf die Idee gekommen, meine Leute hungern zu lassen, um an anderer Stelle mit ihnen mehr Punkte "machen" zu können; ich mag das Spiel, auch wenn es über die Stufe "Einsteiger" nicht hinaus kommt.

    Bei Macao ist mir das Spiel dadurch verleidet worden, dass in der Stadt gekaufte Waren wie durch ein Wunder auf dem auf hoher See befindlichen Schiff auftauchen, der Autor findet das mechanisch wohl zwingend, mich hat es derart gestört, dass ich das Spiel verkauft habe.

    Bei Freedom The Underground Railroad lebt das Spiel vom Thema, wodurch die Spannung erzeugt wird, ohne dieses ist es im Kern nur eine aufgemotzte Wolf-und-Schafe-Variante.

    Nieuw (New) Amsterdam (das spätere New York) spielt auf historischem Hintergrund, als die Stadt noch niederländisch war, und bildet so manches ab, was sich im ersten Kapitel des Romans von Edward Rutherfurd abspielt; spielmechanisch hakelt es etwas, aber das übersehe ich angesichts der thematischen Dichte gerne.


    Betrachtet man Spiele als Kulturgut, kann es doch nicht schaden, wenn ihre Thematik einen dazu bringt, sich mit dieser zu beschäftigen. Als wir z.B. Ruhrschifffahrt in unserer Runde gespielt haben, wurde vor der Spielerklärung erst einmal eine Art Referat zu diesem Thema gehalten, damit alle Mitspieler ein Gespür dafür bekamen, worum es im Spiel eigentlich geht. Dann versteht man auch viel besser, warum im Spiel etwa der Wasserstand des Flusses überhaupt eine so wichtige Rolle spielt.


    In Snowdonia stört so manchen der Einfluss des Wetters auf die Aktionsmöglichkeiten. Nachvollziehen kann ich das nicht, ist das Wetter doch mittelfristig vorhersehbar, so dass man sich darauf einstellen kann. Zum anderen baut sich halt eine Eisenbahn auf einen Berg bei schlechtem Wetter nicht so gut.


    So ließe sich das beliebig fortsetzen.


    Interessant finde ich auch, dass sich zwischen (thematischen) Brettspielen, Geschichte und Literatur Verknüpfungen herstellen lassen, die über das bloße Abarbeiten von Spielmechaniken doch deutlich hinausgehen und auch auf andere "Spiele" ausstrahlen können. So habe ich z.B. einen Geocache ausgelegt, der auf der Grundlage von zehn Brettspielen, ihrem historischen Hintergrund und der teilweisen literarischen Einbettung Aufgaben stellt, die man lösen muss, um die "Dose" finden zu können (GC55HV0).