Beiträge von MetalPirate im Thema „Was bedeutet "Legacy" tatsächlich (für Dich)?“

    In Ergänzung zu Pau: Das Konzept, Regeln schrittweise einzuführen, gibt's auch in recht puristischer Form bei den Fabel- und Fast-Forward-Sachen von 2F-Spiele (Friedemann Friese). Dafür braucht's keine destruktiven Elemente. Klar, das ist dann nicht mehr "wie Weihnachten", aber dafür sind die Spiele der Fast Forward Reihe auch offiziell ab einem geringen Einstiegsalter geeignet und kosten nur 10-12 EUR.

    Grundsätzlich bin ich immer noch der Meinung, dass Legacy nur bei kooperativen Spielen so richtig funktionieren kann.

    Da wäre ich mir mittlerweile nicht mehr ganz so sicher. Weil "Legacy = Kampagne + Irreversibilität" gilt und Kampagnenspiele schon den Beweis erbracht haben, dass lange Spieldauer über mehrere Abende und kompetitiver Modus zusammen passen können (von alten 2er-Cosims bis #NearAndFar als Beispiel des aktuellen Spielejahrgangs), sollte das theoretisch auch mit Zerstörung von Spielmaterial machbar sein.


    Ich will die Autorenleistung bei Legacy-Spielen nicht kleinreden. Da trotz der systembedingten Irreversibilität noch halbwegs robust zu sein gegen "Die Würfel fallen mal extrem einseitig" oder "Spieler spielt in seiner Erstpartie nach mehr oder minder guter Regelerklärung nur kompletten Mist zusammen" (was für Anfänger ausdrücklich erlaubt sein muss!), das ist nicht komplett trivial. Aber das grundlegende Designproblem bei kompetitiven Legacy-Spielen liegt doch eher im Gestalten einer interessanten Kampagne (vgl. deine Seafall-Schilderungen...) als im Anbauen von irgendwelchem Kartenzerreißen und Aufkleberaufbringen. Ein paar solcher Elemente an Near and Far noch dranzubauen, wäre für Ryan Laukat sicher kein Problem gewesen.

    das irreversible Verändern bietet auch einfach Möglichkeiten, die sonst nicht so ohne Weiteres da wären

    Zu einem gewissen Grade stimme ich dir da zu. Aber ist es wirklich immer so, dass erst der gewünschte Spieleffekt da war und dann das dazu passende irreversible Verändern als Antwort kam? Ich habe vielmehr den Eindruck, dass Rob Daviau bei "seinem" Legacy-Ansatz erst eine neue Lösung hatte und dann dafür passende Probleme und Begründungen gesucht hat.

    Du musst mit den Konsequenzen deines Spiels leben, statt so lange vor und zurück zu springen, bis alles optimal ist.

    Lasst den Spielern doch die Freiheit, das Spiel so zu gestalten, wie sie es wollen. Der normale Spieler bzw. die normale Spielergruppe wird sich schon nicht selbst den eigenen Spielspaß nehmen wollen durch ständiges Neuladen bzw. Zurücksetzen.


    Die theoretische Chance zum Reset ist für mich ein klarer Pluspunkt, sei es zum Neustart nach eklatanten Regelfehlern, sei es zum erneuten Durchspielen oder sei es zum Reset wegen Verkauf. Dem steht für mich persönlich einfach kein entsprechender Mehrwert durch die destruktiven Elemente entgegen. Sich selbst das missbräuchliche Nutzen von Reset-Möglichkeiten zu verbieten ist doch auch nichts anderes als auf das Schummeln beim Spielen zu verzichten.

    Dass innerhalb einer Reihe von Spielen (im Sinne von Spieldurchführungen) mit dem Material eines "Legacy"-Spiels das Ergebnis eines Spiels einen Einfluss auf folgende Spiele hat, ist wohl unstrittig. Legacy heißt übersetzt Vermächtnis, Erbe und das betont das ja auch ausdrücklich.


    Absolut unklar ist hingegen -- und das zeigt sich auch in diesem Thread überdeutlich -- ob unwiderrufliche Veränderungen durch Zerreißen, Bekleben, etc zwingend zu dem Konzept Legacy dazu gehören, u.a. in Abgrenzung zum alten Hut "campaign games". Legacy-Erfinder Rob Daviau sagt: "Ja, das Zerstören gehört fest dazu." Falls wir diese Definition übernehmen, die sich meiner Meinung nach international mittlerweile auch durchgesetzt hat, dann sind Spiele wie Near and Far oder Time Stories oder Fabelsaft keine Legacy-Spiele und selbst Gloomhaven ist auf der Kante, weil man die irreversiblen Veränderungen (Überkleben der Karte) durch Verwendung einer App ersetzen kann.


    Meiner Meinung nach gibt es absolut nichts, was ein "Vermächtnis" erzeugt und dabei zwingend auf irgendwelches Zerreißen, Überkleben oder Zerstören angewiesen wäre. Nichts. Gerade beim Zerreißen einer Spielkarte ist es doch absolut offensichtlich. Das leistet absolut nichts, was nicht auch mit einem "stecke die Karte in einen Umschlag; sie steht dir bis zu einem Reset (= Kampagne verloren, wenn vorzeitig ausgeführt) nicht mehr zur Verfügung" zu erreichen wäre. Diese bewusst vorgesehenen Zerstörungen sind natürlich den Herstellern mehr als recht, weil sie so sehr elegant den Sekundärmarkt ausschalten. Das müssen sie nicht mehr selbst erzwingen (man vergleiche z.B. mit dem Kampf, den die Videospiel- und Musikindustrie mit allerlei DRM-Maßnahmen führt), nein, die Brettspielhersteller reden einfach den Spielern ein, sie müssten ihr Material selbst zerreißen ... und die machen das auch noch freiwillig. Echt clever.


    Man stelle sich mal vor, ein Musikproduzent würde sagen: "Kauf dir die neue CD von Künstler X, höre sie genau einmal an und schiebe sie dann lächelnd in den Aktenvernichter, um das zuvor erlebte Musikerlebnis zu steigern." Jeder würde sagen: "Der spinnt doch!" Aber wir Brettspieler lassen uns einreden, diese Zerstörungen von Spielmaterial seien notwendig...

    Wenn dem nicht so ist, dann wären diese ja eigentlich die erste Form von Legacy Spiele

    Regeln für ganze Feldzüge als übergeordnetes Regelwerk, das einzelne nachgespielte Schlachten verknüpft, dürften vermutlich die ersten Spiele gewesen sein, bei denen Spiel X Auswirkungen auf Spiel X+1 hat. Aber das ist eben nicht identisch mit "Legacy", denn Rob Daviau (Autor von Risk Legacy, Pandemic Legacy, SeaFall und Begründer des Legacy-Trends), Jamey Stegmaier (Autor von Charterstone) und die breite Masse der internationalen Brettspielwelt definiert Legacy eben nicht über die Auswirkungen von einem Spiel auf das nächste, sondern über die Irreversibilität von Spielentscheidungen (durch Überkleben, Zerrreißen, etc.).


    Gute und erfolgreiche Spieleautoren kennen die Historie ihres Geschäfts und Rob Daviau dürften "campaign games" sehr wohl bekannt gewesen sein; alles andere würde mich überraschen. Vermutlich reitet er auch genau deshalb bei jeder Gelegenheit darauf herum, dass sein Legacy-Konzept zwingend eben die Irreversibilität der Entscheidungen enthält, mit irgendwelchem Begründungs-Geblubber von stärkerer Immersion des Spielers und ähnlichem, was mich nicht so wirklich überzeugt. Aus seiner Sicht absolut verständlich. Mit seiner (inzwischen auch allgemein etablierten) Definition von "Legacy" ist er der Begründer einer neuen Richtung, während er über die alternative Legacy-Definition "Auswirkungen von Spiel X auf Spiel X+1" eben nur einer von vielen Autoren in einer langen Reihe solcher Spiele wäre.

    Und als Abgrenzung vom Kampagnenspiel: Dass Spieler Einfluß auf die Weiterentwicklung haben.

    Bei dem, was ich als Kampagnenspiel kenne, oder eigentlich: campaign game = Ursprung im militärischer Bereich = Feldzug aus einer Reihe von einzelnen Schlachten, hat Spiel X sehr wohl Einfluss auf Spiel X+1. Fabelsaft als Legacy zählen zu wollen und Kampagnenspiel davon abzugrenzen, als ob es bloß sagen würde, dass man ohne Zusammenhang hintereinander X, Y und Z spielen sollte ... das ist irgendwie schräg.

    Ich stelle auch mal eine grundsätzlichere Frage: Kann Legacy (im Sinne von irreversiblen Entscheidungen) mit kompetitiven Spielen überhaupt funktionieren oder droht sowas bei unterschiedlichem Spielerniveau immer zu scheitern, weil man den Gewinner einzelner Spiele nicht gleichzeitig belohnen und bestrafen kann? Belohnen im Sinne der übergreifenden Legacy-Story und Bestrafen als Catch-Up-Mechanismus, damit das nächste Spiel auch noch spannend bleibt. Wenn "runaway leader" bei einzelnen Spielen der 90+ Minuten Spielzeit Kategorie schon zum Problem werden kann, wie ist es dann bei einer Serie von zwölf (oder ähnlich vielen) zusammen gekoppelten Spielen, die sich über viele Abende erstrecken sollen?

    Haben Legacy Spiele eigentlich eine natürliche Begrenzung an Komplexität, da Spielfehler in den ersten Partien sich auf alle anderen Partien auswirken?

    Meine persönliche Meinung: Theoretisch nein, praktisch ja.


    Wenn Irreversibilität zum Designprinzip erhoben wird, dann heißt das automatisch auch, dass jeder Verständnisfehler bei den Regeln (oder auch jeder Fehldruck oder jeder Übersetzungsfehler oder was auch immer sonst noch schief gehen kann) das Spielerlebnis komplett zerstören können. "Können", nicht "müssen". Aber "können" reicht schon, um bei komplexeren Spielen irgendwo das Risiko so hoch werden zu lassen, dass es den positiven Gegenwert des Legacy-Erlebnisses übertrifft. Insbesondere wenn das Spiel preislich deutlich jenseits 50 EUR Marke positioniert ist.

    Interessant fände ich Legacy Spiele, wenn man diese (ohne Zusatzkosten) immer wieder in den Ursprungszustand versetzen könnte.

    Jeder darf für sich den Begriff "Legacy" definieren, wie er will, und ich habe auch schon Meinungen gesehen, die "Legacy" auf alles beziehen, wo einzelne Entscheidungen Auswirkungen auf zukünftige Spiele haben. Wäre mir so herum eigentlich auch lieber, weil ich den Einfluss von einem Spiel zum nächsten interessanter finde als Kartenzerreißen. Aber der Legacy-Erfinder Rob Daviau (Risk Legacy, Pandemic Legacy) definiert "Legacy" nun mal so, dass die Irreversibilität der Spielentscheidungen fester Bestandteil des ganzen Konzepts ist. Womöglich hat das auch ein wenig damit zu tun, dass eben in der bewussten Zerstörung von Spielmaterial das wirklich neue und innovative Element liegt.


    Diese Definition von Daviau scheint sich so durchzusetzen, während ähnliche Ansätze ohne Zerstörungen dann als "campaign game" bezeichnet werden -- und an diesem Begriff ahnt man dann vielleicht auch schon, dass das nichts ganz so Neues unter dieser Sonne ist, denn das englische "campaign" heißt nicht nur Kampagne, sondern auch Feldzug. Die Kriegsspiel-Freunde kennen solche Konzepte schon lange, etwa indem man Einheiten mit ihren Erfahrungspunkten in die nächste Schlacht mitnehmen kann.

    [Charterstone]

    aktuell passen da für mich Preis und Spieleanzahl nicht zusammen, zumal das Rechargepack auch nochmal schlapp 25 € kostet...

    ...und, wenn ich die verfügbare Information richtig zusammenbaue, sich mit dem Rechargepack das Spiel auch nicht etwa in den Grundzustand zurück versetzen lässt, wie ich zuerst ganz naiv dachte ("recharge" = wieder aufladen), sondern sich genau ein zweites Mal spielen lässt und dann ist endgültig Feierabend. Im Recharge-Pack ist kein Spielplan drin, der Originalspielplan hat identische Vorder- und Rückseite, und genau diese Rückseite dient eben mit Recharge-Pack zum zweiten und dann endgültig letzen Spielen des Spiels vor dem Wegschmeißen.


    (Ja, das Spiel kann man angeblich auch im finalen Zustand noch als normales Worker Placement Spiel spielen, aber da können unmöglich alle denkbaren Endzustände ein ausgewogenes und getestetes Spiel geben, sofern das Spiel wirklich ein nennenswertes Legacy-Element enthält.)