Beiträge von ravn im Thema „SPIEL'17 Abstraktes im thematischen Gewand: Photosynthesis“

    Am Ende sind es schlicht nur Schubladen, um für sich irgendeine Ordnung schaffen zu wollen. Eine Vereinfachung von Sachverhalten, gepresst in einzelne Worte. Für mich persönlich ist einzig wichtig, ob das Spiel spielenswert ist. Meine Einordnung "Abstrakt im Kern, thematisch im Gewand" ist dabei nur ein Versuch, mit Worten das auszudrücken, was ich in meiner Erstpartie erlebt habe und was Photosynthesis für mich besonders macht. Andere können und sollten das für sich durchaus anders sehen, auch weil "abstrakt" im Brettspielgenre seine ganz eigene und selbst da nicht einheitliche Bedeutung hat.

    Abstrakt habe ich für mich hier so verstanden, dass ich es mir wunderbar als Holzversion von der Gerhards Manufaktur vorstellen könnte. Ersetze Bäume durch unterschiedlich hohe Holzzylinder und denke Dir die ganze Grafik weg. Rein spielerisch würde es weiterhin genauso gut funktionieren. Haptisch und vom Handling eventuell sogar besser.


    Allerdings würde es dann einen weniger hohen Aufforderungscharakter besitzen, weil Bäume sehen in dieser warm-schmeichelnden Farbpalette mit den vielen kleinen niedlichen Gimmicks wie Eichhörnchen & Co einfach schöner aus. Im Kern sehe ich Photosynthesis deshalb abstrakt, aber in ein perfekt passendes Gewand gehüllt, das zudem den Spieleinstieg erleichtert, weil es die abstrakten Mechanismen erklärbarer macht. Somit alles richtig gemacht vom Verlag. Weiss jemand, ob Thema oder Mechanismen zuerst da waren?

    Azul habe ich nicht gespielt, hatte ich auch nicht im Fokus, da es mir eben zu abstrakt aussah mit seiner "Retro-Tischdecken- oder auch Badezimmer-Kachel-Optik" und seiner "Excel-artigen Spielerablage". Deshalb wie viele der 1200 Neuheiten aussortiert aus diesen rein subjektiven Gründen voller vorschneller Vorverurteilungen.


    Thematische Spiele werden in meinen Spielrunden den rein abstrakten Spielen aktuell vorgezogen. Photosynthesis sieht erstmal toll aus, hat einen hohen Aufforderungscharakter und bis man merkt, dass es eigentlich ein abstraktes Spiel ist, spielt man es schon längst.

    Während das Spiel nicht nur optisch gelungen ist, so ist das Schachtelinlay ein Griff ins Designer-Klo. Um das Spielmaterial sortiert zu verstauen, gibt es vier Pappstreifen, die auseinandergeklappt werden und als vier Pappquadrate in Summe vier Fächer bilden. An sich eine gute Idee, auch wenn die so einfarbig weiss im Direktvergleich zum restlichen Spiel arg billig aussehen und von minderer Pappqualität sind. Spielablagen und Spielplan sollen dann auf diese Fächer gelegt werden und Plan und Ablagen zentriert halten. So zeigt das zumindest die beiliegende Abbildung.


    Klappt nur nicht, weil die Abstände nicht stimmen, der Spielplan zu klein ist. Zudem passt der Sonnenanzeiger zusammengeklappt nicht mehr in die Spielschachtel, ohne dass der Deckel absteht.


    Ich warte noch ab und hoffe auf Ideen bei BGG & Co, wie man aus dem vorhandenen Material etwas nützliches sich zurechtbasteln kann, ansonsten wird das Pappinlay mal wieder komplett entsorgt, stattdessen Spielerablagen sowie Spielplan und Sonnenanzeiger plan auf den Schachtelboden gelegt und das restliche Material nach Spielerfarbe in Tüten sortiert.


    Schade eigentlich, denn was bringt ein extra beiliegendes Inlay, wenn es doch so gar nichts nützt? Dann hätte der Verlag es auch gleich ganz weglassen können. Testet das niemand vorab? Das merkt man doch beim allerersten Zusammenbau und Einsortieren. Für einen Verlag, der mit Kingdomino die Spiel des Jahres Auszeichnung gewonnen hat, ist das ein kleines Armutzeugnis, zumal das Spiel mit 40 Euro nicht gerade billig war.

    Audio überlasse ich lieber denjenigen, die es richtig können oder ausreichend Zeit zum üben haben. Deshalb zurück zum ganz persönlichen Ersteindruck von der SPIEL'17 in geschriebener Form, unterstützt durch ein paar Bildimpressionen, um die Stimmung des Spiels einzufangen. Mein Samstagmorgen startete am Herner Spielebus mit Photosynthesis von Blue Orange. Im Rahmen der Neuheitenshow konnte ich dazu eine erste Meinung einfangen, jetzt wollte ich es aber gerne selbst in entspannter Dreierrunde spielen. Ob es daran lag, dass der Herner Spielebus dieses Jahr auf neue Offenheit setzt und die abgrenzenden Zäune weggelassen hat, oder ob Photosynthesis einfach gut aussieht, so viele interessierte Messebesucher sind selten während einer laufenden Partie stehen geblieben, wollten gerne das Material anfassen, eine Meinung wissen oder selbst im Regelheft schmökern. Bäume sind eben beliebt.




    Spielerisch ist Photosynthesis im Kern abstrakt. Das könnte abschrecken, wird aber durch die sehenswerte Aufmachung gekonnt verschleiert. Im Prinzip könnte man das Spiel auch mit Holzscheiben mit Ziffernaufdruck spielen. Dann allerdings wesentlich unspektakulärer. Es sieht einfach gut aus, überzeugt haptisch und kann auch flott gespielt werden. Wie lange man für seine 18 Züge, aufgeteilt in drei Umrundungen der Sonne, allerdings benötigt, hängt stark an der eigenen Denktiefe ab. Wer mag, kann vieles vorausberechnen, durchplanen und dadurch den Spielfluss ausbremsen. Da man selbst ebenso vorausplanen kann, während die Mitspieler am Zug sind, fällt das nicht wirklich auf. Wir haben uns durchaus mal mehr Zeit gelassen. Da es so viele versteckte Grafikdetails zu entdecken gibt, können auch eher optisch fokussierte Bauchspieler - wie ich - diese Bedenkzeiten überbrücken. Nur irgendwann wird man sich an Photosynthesis stattgesehen haben und spätestens dann sollte man in Vollbesetzung die angegebenen 60 Minuten nicht überschreiten.




    Unsere zwei Startbäumchen lassen Samen wegwehen und dort wird dann irgendwann mal ein neuer Baum wachsen. Denn wachsen sollten unsere Bäume bis zur dritten Wachstumsstufe, denn nur dann dürfen wir diese fällen und Punkte kassieren. Wer nur viel Wald wachsen lässt, also auf Masse setzt und die Bäume dabei nicht voll auswachsen, dem bleibt diese Siegpunktquelle verschlossen. Blöd gelaufen, auch wenn so ein Wald sicher beeindruckend aussieht, denn bis auf ein wenig Bonuspunkte für unverbrauchte Aktionspunkte am Spielende, ist das Fällen die einzige Möglichkeit, Punkte zu machen. Auf dem Weg dorthin ist jede Runde in zwei Phasen eingeteilt. Erst einmal zählen wir alle unsere Bäume, die von der Sonne beschienen werden und nicht im Schatten von anderen Bäumen stehen. Die Summe ergibt unseren Aktionspunktezuwachs, den wir anschliessend reihum ausgeben. So schaufeln wir damit Samen und Bäume von unserer Auslage in unseren persönlichen Vorrat und von dort aufs Spielbrett. Je grösser der Baum und je weniger wir davon noch auf unserer Auslage haben, desto teurer ist so ein Aktionsschritt. Da man einen Baum pro Zug nur einmal nutzen kann, braucht man schon ein wenig Weitblick. Es dauert eben mehrere Züge und noch mehr Aktionspunkte, bis aus einem Samen ein grosser Baum gewachsen ist, den man für Siegpunkte fällen kann.




    Die eigentliche Besonderheit des Spiels ist aber die Sonne. Die wandert per Pappanleger an sechs Ecken entlang dreimal ums Spielbrett und sorgt dafür, dass die Bäume in unterschiedliche Richtungen Schatten werfen. Stand eben noch der Mitspieler blöd im Weg mit seiner riesigen Rotbuche und hat alles beschattet, so kann man schon einen Zug später doch noch Aktionspunkte für seinem angrenzenden Minibusch einsammeln. Da man sich selbst auch Schatten machen kann, sollte man schon ein wenig auf Lücke vorausplanen, um sich nicht selbst in der Sonne zu stehen. Dazu kommt, dass man gewachsene Bäume mit seiner Auslage austauscht und deshalb dafür sorgen sollte, auch Platz dafür frei zu haben. Ansonsten kommt der Baum für ewig auf dem Waldfriedhof und man muss mit weniger Baumbestand auskommen. Trickreich und genau deshalb ist so eine Erstpartie auch ein Kennenlernen der Möglichkeiten und Wechselwirkungen. Einfach mal machen, schauen was passiert und dann mit dieser Erfahrung eine Revanche starten.


    Mir persönlich gefällt Photosynthesis ausgesprochen gut. Es bleibt aber trotz aller schönen Optik ein abstraktes Spiel. Wie lange der Wiederspielreiz deshalb trägt, wenn sich die Spielerfahrungen in unterschiedlichen Runden immer mehr auseinanderentwickeln, muss sich zeigen. Wenn ich mir im Herbst des Jahres 2017 ein abstraktes Spiel zulegen wollte, dann wäre es Photosynthesis. Eben weil es so gut aussieht und schon alleine dadurch Interesse weckt, gespielt zu werden. Eventuell auch von Mitspielern, die eigentlich gar keine abstrakten Spiele mögen. Deshalb meine Empfehlung.


    Cu / Ralf