Beiträge von Thygra im Thema „"Moderierte" Verhandlungsphase“

    Wenn die Spieler entsprechend die Regeln verinnerlicht haben, d.h. weniger moralisch, sondern eher innerhalb der Regeln denken, dann könnte es genauso gut eine andere Reaktion geben, nämlich diese: "Der Verratene ist selbst schuld, wenn er dem vermeintlichen Bündnispartner so eine offene Flanke bietet. Der Verräter hat alles richtig gemacht, ich hätte es genauso gemacht." Bei entsprechend niedrigen Kostenschwellen ist dann auch ein Zusatz nicht mehr weit: "Hätte der Verratene halt selbst früher den späteren Verräter verraten müssen. War doch klar, dass es an dieser Front früher oder später knallt." So ähnlich läuft's unter guten Spielern beim Urvater der Diplomatiespieler, nämlich #Diplomacy. Man verübelt keinem Mitspieler einen Verrat, weil's halt zum Spieledesign fest dazu gehört.

    Ganz so einfach ist es aber nicht. Bleiben wir beim Beispiel Diplomacy. 2 Nachbarstaaten, sagen wir Russland und Türkei, verbünden sich. Natürlich muss sich nun jeder immer noch fragen, ob er seinem Verbündeten gegenüber eine offene Flanke anbietet oder einen Sicherheitszug macht, weil er dem Frieden nicht traut. Nehmen wir an, Russland vertraut dem Türken (bzw. er riskiert es einfach), lässt seine Flanke Richtung Türkei offen und zieht alles nach Westen. Der Türke dagegen bleibt vorsichtig und macht einen Sicherheitszug, ohne den Russen anzugreifen, aber zumindest öffnet er die Flanke Richtung Russland nicht.


    Fazit: Der Russe breitet sich schneller aus und profitiert mehr davon, eine offene Flanke geboten zu haben, als der Türke. Das heißt, die offene Flanke ist nicht per so schlecht. Sie ist ein Risiko. Manchmal wird ein solches Risiko belohnt, manchmal bestraft, nämlich wenn in obigem Beispiel der Türke komplett nach Russland zieht. Der Russe wird zwar in dem Fall nach der Partie dem Türken dessen Verrat nicht verübeln, weil es zum Spieldesign gehört, wie du richtig sagst. Aber innerhalb dieser Partie wird der Russe dem Türken vermutlich kein zweites Mal mehr trauen.


    Hat der Türke deshalb alles richtig gemacht? Das ist auch nicht so einfach zu beantworten, denn evtl. hat er nun keine Freunde mehr, je nach sonstigem Spielverlauf.


    Meines Erachtens kann man Diplomacy nur gewinnen, wenn man länger als 1-2 Züge über 1-2 Verbündete verfügt. Dazu muss man über mehrere Züge hinweg Vertrauen aufbauen - wohlwissend, dass man jederzeit ein Messer in seinem Rücken spüren kann.


    Bei meiner allerersten Dippy-Partie per Post vor ca. 30 Jahren lief es so: Türkei und Russland hatten sich verbündet, ich war einer der beiden, weiß aber heute nicht mehr, welcher. Ist auch egal. Die Partie lief gut und wir wurden beide immer stärker. Wir achteten darauf, dass wir beide gleich schnell wuchsen und einigten uns früh auf das Ziel, die Partie mit 17:17 und somit einem gemeinsamen Sieg zu beenden.


    Irgendwann, als wir beide jeder ca. 13 oder 14 Zentren hatten, sah ich für mich den Zeitpunkt gekommen, das Bündnis zu brechen, bevor es der andere tut und ich der Dumme bin. Mein bis dato Verbündeter hatte nicht damit gerechnet, mein Hinterhalt war erfolgreich und es war klar, ich würde die Partie nun gewinnen. Doch mein Ex-Verbündeter nahm das persönlich. Er hatte wirklich daran geglaubt, wir würden auf ein 17:17 spielen. Wie langweilig ...


    Er sprach danach nie wieder ein Wort mit mir und weigerte sich, noch mal irgendein Postspiel mitzuspielen, an dem auch ich teilnahm. Aus meiner Sicht hat er das Prinzip von Diplomacy nicht verstanden.


    Aber ich glaube, ich bin jetzt irgendwie vom Thema abgekommen ...