Beiträge von MetalPirate im Thema „Ich sehe rot, ich sehe grau...“

    Wer unter uns fällt denn tatsächlich seine Kaufentscheidung unter Breücksichtigung dessen, was die Jury empfiehl oder auszeichnet?

    Vielleicht nicht direkt "Kaufentscheidung", schon gar nicht in dem Sinne, es wie Oma Erna im Kaufhaus nur wegen des aufgedruckten Pöppels als Geschenk einzusacken, aber ein "Oh, das haben die empfohlen? Das muss ich mir nochmal näher anschauen!", das schafft die SdJ-Jury bei immer noch. Die Fachkompetenz und Unabhängigkeit ist absolut da, da gibt's für mich keine Zweifel, auch wenn ich nicht Zielgruppe der Preise bin.


    Die Jury schaffte es in früheren Jahren auch immer wieder, gute Titel zu nominieren, die ich vorher gar nicht kannte oder wo ich nur mal den Namen gehört hatte. Gute Spiele, die ohne Erwähnung auf Empfehlungs- oder Nominierungslisten vermutlich in der Neuheitenflut untergegangen wären. Als Beispiel mal K2, das grau-nominiert war. Wer kannte das damals vorher? Oder Targi, das auch eher überraschend auf die Nominierungsliste kam. Dass die Jury sowas in den letzten Jahren nicht mehr bei mir geschafft hat, das liegt in erster Linie an mir, nämlich daran, dass ich mir mittlerweise wesentlich mehr Neuheiten anschaue als früher.

    Terraforming Mars wird seinen Reiz in der ersten Partie auch nicht voll entfalten können.

    Oh doch. Ich kenne einige Fälle, wo Terraforming Mars seinen Reiz sofort entfaltet hat, insbesondere auch bei Personen, bei denen man vorher gedacht hätte, dass dieses Spiel nicht 100% auf ihrer Wellenlänge liegen würde. (Kein großes Interesse an Science Fiction Themen, im allgemeinen keine große Lust auf optimierlastige Euros, etc.)
    Randbemerkung: Genau sowas zeichnet für mich ein wirklich großartiges Spiel aus.

    Bei Isle of Skye geht es glaube ich auch weniger um das Spiel, als vielmehr darum, dass Pandemic Legacy nicht gewonnen hat.

    In meinem persönlichen Falle falsch. Ich finde den Catch-Up-Mechanismus so extrem, dass er das Spiel zerstört, weil es sich schon lohnen kann darauf zu spielen, vor der letzten Runde knapp hinter einem anderen zu liegen. (Und ich habe ähnliche Meinungen auch schon von anderen gelesen.)

    Und das Argument, die Jury habe eine andere Zielgruppe, zählt zumindest dann nicht, wenn sie die entsprechenden Spiele nominiert - denn damit macht sie ja deutlich, dass die Spiele aus ihrer Sicht als Preisträger in Betracht kommen.

    Jein. Dass ein Spiel -- wie etwa Terraforming Mars :) -- als BGG-Top-10-Titel nominiert wird, heißt ja noch lange nicht, dass es deshalb alle Konkurrenz automatisch aus dem Feld schlagen müsste. Es dürfte immer eine Abwägung diverser Plus- und Minuspunkte bei der endgültigen Wahl geben. Unter anderem dürfte sicher auch eine Rolle gespielt haben, dass (a) die Grafik (und damit der Aufforderungscharakter für Wenigspieler) im Vergleich zur Konkurrenz eher unterdurchschnitlich ist, (b) der Preis dafür sehr hoch und (c) die Einstiegshürde auch nicht zu unterschätzen ist, incl. möglicher Verständnisschwierigkeiten bei der Regel (u.a. das bekannte "darf ich mehr als zwei Aktionen pro Generation machen?"-Problem, das auch einige Vielspieler erwischt hat). Alles drei -- Grafik, Preis, Einstieghürde -- macht dem Unknowns-lesenden Vielspieler tendenziell wenig Probleme, aber im Bezug auf die Kennerspiel-Zielgruppe (so wie von der Jury selbst definiert) sind das Minuspunkte, die die Jury sicher entsprechend berücksichtigt hat.


    Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Terraforming Mars ist für mich das klar beste Spiel des letzten Jahrgangs und ich halte die Exit-Spiele keineswegs für eine besonders tolle Wahl. Aber zu fordern, dass Terraforming Mars als BGG-Top-10-Titel fast automatisch dann automatisch den grauen Pöppel gewinnen müsste, sobald es nominiert wird, ist einfach falsch. Durch die Nominierung lösen sich die Minuspunkte nicht auf. Vielmehr müsste man sagen, dass es positiv aufzunehmen ist, dass es trotz der oben angesprochenen Minuspunkte (immer zu lesen als: in Bezug auf die Zielgruppe) trotzdem nominiert wurde, anstatt wie viele andere tolle Vielspieler-Spiele der letzten Jahr "nur" auf die Empfehlungsliste zu kommen. Ich war jedenfalls sehr überrascht, Terraforming Mars auf der Nominierungsliste zu finden.

    Ein Spiel wie First Class, in dem man als Erstspieler von einem erfahrenen Mitspieler erinnerte drei Mal auf dem Punkterundkurs überrundet wird, hat eh ein ganz eigenes Problem.

    Der Rundkurs hat zu wenig Punktefelder? ;)



    Back on topic: mit stark unterschiedlichen Punktezahlen am Spielende habe ich überhaupt kein Problem. Beim Endergebnis schaue ich nur auf die Reihenfolge; absolute Punktzahlen interessieren mich eigentlich nie. Probleme habe ich höchstens mit dem (ursächlich damit zusammenhängenden) Lawineneffekt bei der Punkteausschüttung, in Russian Railroads wie auch in First Class. Wieviele Punkte man in Runde 1 holt, ist da eigentlich relativ wurscht. Ob 7, 10 oder 12 Punkt, ppfffft, komplett egal. Viel wichtiger ist, dass man sich so aufstellt, in der letzten Runde dann 200+ Punkte auf einen Schlag machen zu können. Das ist nicht so ganz meine bevorzugte Art von Spiele-Design. Klar: sowas ist natürlich strategisch extrem anspruchsvoll. Aber gleichzeitig auch so komplett starr, spaßbefreit und so überhaupt nicht "spielerisch", wenn alles als Kopfrechen- und Optimierübung im Zahlenraum bis 400 endet...

    Vielleicht hätten sie El Dorade bei grau nominieren sollen. Wäre ein toller Gewinner gewesen.

    Da bin ich ganz deiner Meinung. Das war mein Tip als Grau-Gewinner.


    Und warum bitte wurde First Class nicht berücksichtigt? Wäre doch auch ein gutes Kennerspiel gewesen.

    First Class ist meiner Meinung nach kein gutes Spiel. Nachdem ich es auf dem Spieletreff spielen konnte, habe ich mir anschließend das Spiel vom Besitzer ausgeliehen, nochmal zuhause mit meiner Frau probegespielt, und dann mein in Essen gekauftes Exemplar in nicht ausgepöppelten Zustand direkt wieder verkauft. First Class gefällt mir überhaupt nicht. Das ist für mich kein Spiel, sondern eine öde, langweilige Kopfrechenübung. Handwerklich solide, ich würde ein Mitspielen jetzt nicht kategorisch ablehnen, aber First Class bereitet mir sehr, sehr wenig Spielspaß. Ich denke, dass dieser Eindruck der "relativ öden Kopfrechenübung" unter Gelegenheitsspielern noch stärker durchschlägt. Von daher wäre ich doch sehr überrascht gewesen, das unter den nominierten Anthrazit-Pöppel-Spielen zu finden.

    Wenn man sieht, welchen Stellenwert Gesellschaftsspiele im deutschsprachigen Raum haben, dann macht die SdJ-Jury ganz offensichtlich seit vielen Jahrzehnten einen alles in allem recht guten Job. Denn irgendwo muss ja der Nachwuchs für uns Expertenspieler herkommen... ;)


    Dass die Jury keine Sachen unbekannter Autoren und/oder Verlage empfiehlt, so wie von manchen hier im Sinne von Bestechlichkeit unterstellt, kann man ihr nun wirklich nicht vorwerfen. Da ist schon einiges erst durch die Jury größer bekannt gemacht worden, und zwar auf allen Ebenen der Würdigung, von Empfehlungsliste über Nominierungen und Gewinner. In diesem Jahr z.B. Magic Maze oder Räuber der Nordsee. Wer, außer den Experten, kannte das denn vorher? Im Übrigen ist mit den Räubern zum allerersten Mal ein Titel nominiert worden, dessen Ursprünge bei Kickstarter lagen. Auch das fand ich bemerkenswert, auch wenn's sonst nirgends thematisiert wurde.


    Ansonsten gilt das, was immer wieder zu hören und zu lesen ist, nicht zuletzt von der Jury selbst: Wir Expertenspieler, die wir uns in Foren tummeln oder in Spieleclubs sind, sind schlicht und einfach nicht die Zielgruppe des Preises. Für uns gibt's den DSP. Der Hauptgrund für die sich jährlich wiederholenden Anfeindungen ist doch nur, dass sich manche von einem "Kennerspiel"-Preis angesprochen fühlen, obwohl sie einfach nicht angesprochen sind. Eigentlich ist nur der Name "Kennerspiel" hier etwas unglücklich gewählt, aber da lässt sich jetzt nichts mehr dran ändern, das ist jetzt so etabliert. In diesem Sinne: weiter so bei der nächsten exakt genauso verlaufenden Diskussion im nächsten Jahr...

    @PeterRustemeyer: Sorry, aber ich verstehe diese moderne Tendenz nicht, aus jedem Rülps, den irgendeinen Trottel ins große weite Internet blökt, eine "Nachricht" generieren zu wollen. Kann man sowas nicht einfach stumpf ignorieren?! Dass es Deppen auf der Welt gibt, weiß ich auch so schon...

    Eine ähnliche Diskussion hatten wir schon mal bei den Legacy-Sachen. Ich habe noch nie ein Spiel gekauft, das beim Spielen irreversibel zerstört wird, und plane auch nicht, mich von dieser ablehnenden Haltung zu verabschieden. Aber erstens brauche ich das nicht jedem mit Schaum vorm Mund auf die Nase binden (ich kaufe mir das Zeugs einfach nicht und gut ist's) und zweitens finde ich das bei der Exit-Reihe im Vergleich zu Legacy-Spielen der 50-bis-100-Euro-Kategorie (Seafall, Charterstone, ...) noch halbwegs okay. Bei ~12 EUR wären meine Hemmungen, ein Wegwerf-Spiel zu kaufen, noch überwindbar, wenn das Spiel entsprechend gut wäre.

    Räuber der Nordsee ist meiner Meinung nach das erste Spiel auf den bisherigen KSdJ-Nominierungslisten, das ich für unterdurchschnittlich halte, und dass Terraforming Mars, so toll ich es auch finde, mit seiner Mischung aus hohem Preis, überdurchschnittlichem Anspruch und nur mäßig hübscher Aufmachung nicht gerade der Favorit wäre, konnte man auch so erwarten.


    Trotzdem finde ich die Exit-Reihe genauso diskutabel. Unter den Nominierten eine nachvollziehbare Wahl. Aber musste es wirklich sein, Wegwerf-Spiele zu nominieren und dann als zugänglichste Spiele unter den Nominierten auch gewinnen zu lassen? Gab es in diesem Jahrgang wirklich nichts Besseres, das zu den KSdJ-Kritierien gepasst hätte? Meiner persönlichen Meinung nach hätte Wettlauf nach El Dorado den graunen Pöppel noch eher verdient gehabt als die Exit-Reihe...