Damn the Man, Save the Music (Erzählrollenspiel)

  • Damn the Man, Save the Music

    Ein Erzählrollenspiel für 3-4 Spieler (+ Facilitator)

    ca. 4h

    PDF erhältlich auf itch.io für knapp 10€




    Nachdem wir mit Alice is Missing viel Spaß hatten, habe ich mich auf die Suche nach weiteren Erzählrollenspielen gemacht, die für meine Gruppe gut funktionieren könnten.

    Voraussetzungen:

    - Keine Einarbeitung in die Spielwelt notwendig (also z.B. keine Fantasywelt mit eigener Geographie / Politik / Religion / ... )

    - OneShot, innerhalb von 2-5h spielbar

    - Simples Regelsystem mit Fokus auf Geschichte. Ohne Vorbereitung innerhalb von 10-15 min erlernbar. Es ist okay, wenn ich als Facilitator wesentlich mehr Zeit in die Vorbereitung stecke, aber für meine Spieler muss es einfach sein.

    - Unter 20€ Kaufpreis

    Nach einiger Suche im Netz habe ich eine Shortlist von ca. einem Dutzend Kandidaten erstellt und meine Freunde & Kollegen abstimmen lassen. Wir haben uns für Damn the Man, Save the Music entschieden und gestern gespielt.

    Setting & Atmosphäre

    Ich konnte mit dem Titel erst nichts anfangen, weil ich nicht wusste, dass mit The Man unterdrückende Autoritäten gemeint sind. Konkret geht es in diesem 90er-Jahre Setting darum, dass wir unseren Indie-Musikladen retten wollen, der kurz vor dem finanziellen Kollaps steht und dem eine Übernahme durch eine große Kette droht. Wir spielen einen Tag im Laden, der in drei Akte aufgeteilt ist. Höhepunkt ist der Besuch eines ehemaligen Musikstars, dessen verblichender Ruf noch ausreichen könnte, um genug Kunden in den Laden zu holen und mit den signierten Tonträgern genug Kohle für die nächsten Monate zu scheffeln. Aufgepeppt wird der Konflikt dadurch, dass jeder Charakter ein persönliches Ziel hat sowie zwei spannungsbehaftete Beziehungen zu anderen Charakteren. Es bleibt keine Zeit, um alles zu schaffen. Wo setzen die Spieler also ihre Prioritäten?

    Diese Grundprämisse zusammen mit dem nostalgischen Kontext, einer potentiell dramatischen Story, die aber genügend Luft für Humor lässt, fand ich sehr vielversprechend. Und tatsächlich hat es so gut funktioniert, wie ich gehofft hatte :) Meine Mitspieler fanden es sogar besser als Alice is Missing. Das würde ich so nicht sagen, es sind doch recht andere Erfahrungen und Alice fand ich schon besonders. In Stille zu tollem Soundtack ein dramatisches Abenteuer zu erleben hat mich dort richtig gepackt, das hab ich so noch nicht erlebt. Save the Record hat allerdings auf andere Weise mehr Spaß gemacht: Es war sozialer, interaktiver und wir haben viel gelacht.

    Material & Spielzeit

    Mit dem Material war ich sehr zufrieden. Die gut 50 doppelseitigen A4-Seiten sind liebevoll gestaltet und lassen sich leicht runterlesen. Viele Beispiele und Anregungen zu den Szenen holen auch Anfänger gut ab, man kann sie aber auch überspringen und die Lesezeit entsprechend verkürzen. Ausgedruckt habe ich mir 6-7 Seiten, vor allem der Facilitator Guide hat sich als handliche und übersichtliche Hilfe herausgestellt, so dass ich letztendlich kaum was vorbereiten und während des Spiels auch nicht mehr ins PDF schauen musste. Allgemein habe ich es als sehr befreiend wahrgenommen, dass ich im Gegensatz zu unseren RPG-Kampagnen früher inhaltlich fast nichts vorbereiten brauchte.

    Wir haben insgesamt fast 5h Spielzeit gebraucht, das schließt aber gemeinsames Essen und die Vorstellung der Charaktere mit ein. Wahrgenommen habe ich es als sehr kurzweilig. In jedem Akt bekommt jeder Spieler eine Spotlight-Szene, die so zwischen 3-8 Min dauert. Danach wird zur Auflösung gewürfelt und das Ergebnis ausgespielt. Da in jeder Szene ein neues Thema angesprochen wird (z.B. will der Musikstar ein Pony als Begleitung, oder der lebensgroße Michael Jackson Pappaufsteller fängt Feuer, ...), ist das Pacing dynamisch und lebendig. Gleichzeitig haben wir es als entspannter wahrgenommen als Alice, weil dort der Nachrichtenzug an dir vorbeirauschte, wenn 5 Spieler im Chat ihre Keyboards glühen ließen. Rückblickend bin ich über die Spielzeit ausgesprochen verblüfft. Bei drei Leuten mit drei Szenen, die paar Minuten lang sind ... das kann doch nicht länger als 90 min gehen?! Ich habe keine Ahnung, wo die Zeit hin ist. Gutes Zeichen ;)

    In jeder Szene entscheidet sich der Spieler zwischen drei Optionen:

    • Double Down: Mit vollem Einsatz das Problem lösen
    • Take a Moment: Eine der Beziehungen kitten und potentiell das Problem lösen
    • Shoot for your Goal: Einen Schritt zu seinem Ziel hin machen und potentiell das Problem lösen

    Je nach Entscheidung bekommt der Spieler andere Würfeloptionen bei der Auflösung der Szene. Mithilfe eines Standardkartendecks werden bei einem Fehlschlag Probleme getriggert, die dazu führen können, dass der Laden schließen muss. Uns hat die Kombination aus Würfeln und Karten gut gefallen, ein gewisses Drama als Abschluss der Szene.

    Diese drei Optionen sind an sich simpel, aber anfangs haben sich meine Freunde damit etwas schwer getan. Muss ich im Spiel alles drei machen? Muss ich das entscheiden, bevor die Szene beginnt? Wie kann ich das Problem lösen, wenn ich mit meinem Ziel beschäftigt bin? Das waren so die Reegelfragen, bei denen ich als Facilitator unterstützen musste.


    Tipps für Spielleiter

    Falls ihr auch Interesse am Spiel habt, gebe ich noch ein paar Tipps mit, die ich anders als im PDF gelöst habe.

    In Alice hat mich die Musik richtig ergriffen und darauf wollte ich hier nicht verzichten. Da wir mit der Musik der 80er mehr anfangen konnten, haben wir schlicht das Setting 10 Jahre vorverlegt. Eine Woche im voraus gab ich über eine Spotify Playlist raus, die jeder frei ergänzen oder beschneiden konnte. Das hat sowohl die Vorbereitung als auch das Spiel selber sehr bereichert.

    Ein Highlight zum Reinkommen war die gemeinsame Gestaltung unseres Musikladens. Dieser Kniff hatte mich in dem Rollenspiel Beyond The Wall beeindruckt, in dem gemeinsam das Dorf gezeichnet wird, in dem reihum jeder Spieler einen Ort / NPC erfindet, der mit seinem Charakter in Beziehung steht. Das verankert den Kontext der Geschichte und legt die Basis für das, was passieren kann, wir spielen also nicht mehr im luftleeren Raum, der in jedem Kopf anders aussieht. Somit war später sofort jedem klar, welche Herausforderung es tatsächlich bedeutete, wenn der Musikstar unbedingt einen Sitzkreis mit weichen Kissen haben will. Oder wo der Tresor des Bosses steht. Außerdem kann sich hier bereits jeder einbringen und das Spiel mitgestalten, das ist gerade zum Einstieg sowohl hilfreich als auch spaßig, um mit dem kollaborativen Charakter des gemeinsamen Storytellings warm zu werden. Diese Visualisierung kann ich also unbedingt empfehlen.

    Eine Pappübersicht mit den drei Optionen für die Szene. Das Double Down etc. ist ja neu für die Spieler und unabhängig davon, ob man das vielleicht noch übersetzen will, hat es meinen Freunden sehr geholfen nochmal zu sehen, welche Wege sie einschlagen können. Ich habe ihnen außerdem anfangs nicht mitgeteilt, welche Auswirkung diese Entscheidung auf den Würfelwurf hat. Zum einem, um das Regelwerk von ihnen fernzuhalten, zum anderen weil ich wollte, dass sie sich aufgrund ihrer Charaktermotivation entscheiden, nicht aus mechanischen Regelgründen. So war es für sie auch spannender, weil weniger berechenbar.


    Da ich mir nicht sicher war, ob drei Mitspieler genügend Interaktion bieten, habe ich als Faciliator meinen eigenen Charakter erstellt, der aber keine Spotlight-Szenen bekam, sondern als NPC einsprang. Das würde ich wieder so machen und hat für mehr Farbe gesorgt. Der NPC bekam auch ein eigenes Ziel sowie Beziehungen, bei denen ich zwischendurch schaute, ob sie organisch hineinpassen.

    Das PDF gibt einige Archetypen mit, die sich als Charakterblatt ausdrucken lassen. Ich habe die Namen der Archetypen zur Auswahl gestellt und dann nur die ausgewählten an die Spieler geschickt. Außerdem noch ein paar Anregungen aus dem PDF, z.B. zu den Beziehungen. Diese Vorbereitungszeit war für meine Spieler wichtig. Teilweise haben sie richtig recherchiert, ich war etwas überrascht. Ich fand das cool, notwendig ist es aber nicht. Auch Musikwissen ist in keinster Weise notwendig.

    Der Spieler links von dem mit dem Szenenspotlight wurde Szenen-DJ, durfte also die Lieder aussuchen. Das sorgte nicht nur für einige Lacher (z.B. "Beat It" während Michael Jackson brannte), sondern teilweise auch zu Ergänzungen in der Szene, weil Lyrics oder Stimmung für neue Ideen sorgten.

    Das Spiel beginnt mit der Öffnung des Ladens um 11 Uhr morgens. Ich empfinde es als immersiv, wenn die Realzeit nicht komplett anders ist. So wie ich Alice nicht im Sommer im Garten spielen würde, fand ich es hier besser, wenn wir nicht erst abends beginnen. Also haben wir uns vormittags getroffen, zusammen den Laden und die Charaktere gestaltet und dann leicht zu Mittag gegessen. Danach dann entspannt losgespielt. Da nicht jeder Charakter in jeder Szene immer aktiv mitspielt, konnte man auch gut zwischendurch etwas snacken. Wir hatten u.a. belegte Brote, Suppe und Kuchen.


    Fazit

    Uns hat es großen Spaß gemacht! Es würde mich nicht wundern, wenn einige der Momente als Running Gag auch in Zukunft nochmal aufgegriffen werden. Das ist für mich immer ein gutes Zeichen, dass wir schöne Erinnerungen geschaffen haben.

    Für unter 10€ bekommt man hier ein nett geschnürtes Paket für einen unterhaltsamen Nachmittag. Fluxit approves.

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