Brettpotato spielt... My City von Reiner Knizia

  • Hallo zusammen,


    ein neues Brettspiel ist bei mir eingezogen und wurde auch schon durchgespielt.


    #MyCity vom Spieleautor Reiner Knizia.



    Das Spiel ist für 2-4 Personen, ab 10 Jahre und soll ein Familienspiel sein.


    Das Spiel verspricht, dass man in 24 kleinen Spielen, gebündelt zu jeweils 3 Spielen in insgesamt 8 Kapiteln, den Aufstieg und die Geschichte der eigenen einzigartigen Stadt erlebt. Die 8 Kapitel fügen immer neue Varianten, neues Material etc. in das Spiel ein und verändern auch die Spielregeln. Ein Kapitel füllt mit seinem speziellen Material jeweils einen versiegelten Umschlag, den man zu Beginn des neuen Kapitels öffnet und die Geheimnisse und Herausforderungen lüftet. Die 8 Kapitel bilden eine Kampagne. Während dieser Kampagne wird der Spielplan dauerhaft verändert, weil dieses Spiel als Legacy-Spiel konzipiert ist. Man verändert also während des Spielens das Spiel(-brett). Wenn man die komplette Kampagne mit 24 Spielen durchgespielt hat, kann man dieses Spiel in der „ewigen Variante“, immer wieder spielen. Die Spieltableaus verfügen hierfür über zwei Seiten. Eine ist für das Legacy-Spiel und die andere für das ewige Spiel. Wegschmeißen muss man das Spiel also nicht, wenn man die Kampagne durchgespielt hat, vorausgesetzt es hat einem gefallen und man hat noch Lust es wieder auf den Tisch zu bringen. Ein Spiel also, was auch als Mitbringsel für alle die, die sich um Nachhaltigkeit und Ressourcensparen mühen, durchaus eine Option sein könnte, trotz des „Legacy“-Konzepts, denn das Material wird nicht zerstört und auch nicht weggeschmissen, lediglich durch Sticker beklebt und modifiziert… Eine Partie soll ungefähr 30 Minuten dauern, so dass man ein komplettes Kapitel in gut 90 Minuten an einem Abend locker spielen können kann. Städtebau als Legacy-Spiel, mit Stickern und allerlei Überraschungen. Na, wenn das nicht interessant klingt! Schauen wir doch einmal genauer hin…

    Keine Spoiler!

    Vorab aber trotzdem noch ein Hinweis: Legacy bedeutet ja, dass sich dieses Spiel mit jeder Partie verändert und weiterentwickelt. Das eigene Spieltableau, sprich die eigene Stadt, wird erweitert, abgewandelt und dauerhaft für die kommenden Spiele in dieser Kampagne modifiziert. Spielregeln kommen hinzu, andere Regeln fallen wieder weg, der Spielplan wird mit Stickern beklebt und allerhand kleine Überraschungen warten auf einen in dieser neugierig machenden Spieleverlockung. Von daher werde ich natürlich nichts verraten und ihr könnt gefahrlos lesen, ohne inhaltlich über den Verlauf der Kampagne etwas zu erfahren. Allerdings habe ich das Spiel schon durchgespielt und bin durchaus daran interessiert, mich über einzelne Erfahrungen und Eindrücke hier auszutauschen bzw. andere Erfahrungen zu lesen. Daher werde ich an den Schluss meines allgemeinen Eindrucks einen extra gekennzeichneten Spoiler setzen. Heikles landet also in Spoilern. Ich möchte alle dringend darum bitten, also diejenigen, die dieses Spiel noch nicht gespielt haben, das wirklich nicht zu lesen. Ihr würdet mit diesen Informationen schon das allererste Gebäude anders setzen als ohne, und euch sowohl um die Überraschungen, von denen es einige gibt, als auch um das unvoreingenommene Spielerlebnis bringen. Macht euch also dieses charmante Spiel nicht aus Neugierde kaputt. Sollte euch das Spiel interessieren, dann lasst euch einfach darauf ein und macht eure eigenen Erfahrungen! Drüber reden kann man anschließend ja immer noch… und sollte jemand Lust haben eigene Spielerfahrungen hier zu posten – worüber ich mich freuen würde! – dann bitte seid so fair und setzt das umsichtig ebenfalls in Spoiler.


    Warum habe ich dieses Spiel eigentlich gekauft?


    ENDLICH einmal wieder in einem richtigen Spieleladen stöbern, Spielkartongeruch schnuppern und mal wieder etwas ausprobieren. Ganz genau darauf hatte ich mich nach den letzten Monaten so richtig gefreut! Irgendetwas findet man schließlich immer, naja meistens… jedenfalls ich.


    Allerdings hatte ich Zahnschmerzen und kam gerade vom Zahnarzt… und so wollte ich also ein Spiel für meine neue Kategorie: Zahnschmerzspiel. Ein harmloses Spiel also, was beim Spielen zumindest nicht mehr weh tut als ein puckernder Zahn (also nicht L.A.M.A.). Ein Spiel, was man nach einer Kiefer-OP, bei nachlassender Betäubung, mit einer Ibuprofen 800 und auf halb 8 auf der Couch hängend, auch noch gut spielen kann. Ein Städte-Bau-Familien-Puzzle-Spiel, kam mir da gerade recht und schien mir ein perfektes Zahnschmerzspiel zu sein. Ohne Zahnweh wäre ich vermutlich, wenn es um ein (Städtebau-)Puzzle-Spiel gegangen wäre, eher bei meinen eigenen Spielen geblieben, weil ich da schon einiges habe und wäre wohl eher bei z.Bsp. Antiquity, Cooper-Island oder von mir aus auch noch Ein Fest für Odin oder so etwas gelandet. Hinzukommt kommt, dass Reiner Knizia nicht unbedingt der Autor von Spielen ist, die meine Spieleregale zum Bersten füllen und ehrlich gesagt hatte er sich für mich spätestens seit diesem Bratwurm-Heck-Meck und dem Psycho L.A.M.A auch eher zu einem Autor entwickelt, bei dem ich sagen würde: „Eher nicht.“ Und nicht mehr: „Sollte man unbedingt mal näher anschauen…“ Insgesamt war My City also ein Spiel was - verglichen mit meinen sonstigen Spielen - nicht unbedingt ein typisches Spiel in meinem Regal ist und auch nicht unbedingt in die Kategorie „Pflichtkauf“ für mich fällt. Aber besondere Umstände, erfordern besondere Maßnahmen…


    My city war also ein wirklicher Spontankauf. Denn Städtebau im Legacy-Style klang dann wohl doch so interessant für mich, dass ich bei nachlassender Betäubung, hängender linker Wange und schnell nach Hause wollend, ohne allzu große Erwartungen, zu diesem Familien-Spiel griff, von dem ich mehr als die Infos auf der Verpackung nicht hatte. Und so landete dann My City in meinem Rucksack und dann auf dem Tisch, weil mich Städte-Aufbau-Spiele einfach total reizen und ich so etwas auch mag.


    Und dann folgte:

    Die erste Partie:


    … und die zweite, die dritte, die vierte, die fünfte, die sechste…


    Zu Hause angekommen wurde ausgepöppelt, aufgebaut, die Spielanleitung gelesen und auch gleich der erste Umschlag geöffnet. Wie man hinten auf der Spieleschachtel schon sehen kann, enthält der erste Umschlag das erste Kapitel „Das neue Land“ und die ersten 3 Spiele der Kampagne.


    Mit dem sehr übersichtlichen Material, bestehend aus Karten, Spielplänen, Umschlägen und Gebäudeteile, ging es dann los. Die Spielanleitung ist mit den gerade mal schlappen 4 Seiten, die man für das erste Spiel benötigt, sehr schnell gelesen und verstanden. Auspöppeln, Aufbau und Spielregel lesen war bei uns in weniger als 30 Minuten erledigt. Der Einstieg in das Spiel ist wirklich denkbar leicht und einfach und man kann sehr schnell anfangen zu spielen. Die zusätzlichen Regeln sind als Faltblatt in den Umschlägen vorhanden und sind ebenfalls sehr überschaubar und knapp.



    Der Spielablauf


    Karte ziehen, das darauf abgebildete Gebäudeplättchen bauen oder passen oder Spiel für sich beenden und aussteigen. Das macht man so lange, bis alle ausgestiegen sind. Dann erfolgt eine Wertung. Das bepuzzelte Tableau wird aufgeräumt und es geht an die nächste Partie, unter Berücksichtigung der jeweils neu geltenden Regeln.
    Und dies macht man so lange, bis man 8 Umschläge gelüftet und 24 Partien gespielt hat.


    Das war´s.


    Und das macht Spaß?


    Ja, und wenn du wissen willst warum, dann probiere es einfach aus oder lese, um dich zu überzeugen, weiter…

    Einige Details:


    Jede*r bekommt ein eigenes Spieltableau (11x11 Kästchen) auf dem unterschiedliche Gebiete abgebildet sind. Es schlängelt sich ein Fluss von oben nach unten und teilt das Gebiet in zwei Seiten. Es gibt grüne Wiesenfelder, Gebirge, Steine, Bäume, Wald und besonders gekennzeichnete Felder mit Quadrat in der Mitte. Jede*r bekommt außerdem einen Satz eigener Gebäudeplättchen in rot (öffentliche Gebäude), gelb (Wohngebäude) und blau (Gewerbegebäude).


    Zu Beginn der Runde wird eine Karte gezogen, auf der eines der farbigen Gebäudeteile abgebildet ist. Nun legen alle gleichzeitig nach den aktuell geltenden Legeregeln dieses Teil auf den eigenen Spielplan. Das erste Plättchen muss an den Fluss grenzen.


    Es gibt aber auch eine besondere Karte die bedeutet, dass das kommende Gebäude eben gerade nicht gebaut werden darf, sondern übersprungen wird. Im Minimum wird also ein Plättchen in jedem Durchlauf nicht zum Bau zur Verfügung stehen. Allein diese Unwägbarkeit sorgt schon für allerhand taktische Überlegungen. Ganz abgesehen davon, dass man sich furchtbar ärgern kann, wenn ein benötigtes Gebäude für diese Partie geblockt ist und man so bestimmte Gebiete nicht überbaut bekommt.


    Ist eine Karte gezogen und das zu bauende Gebäude ermittelt, kann oder will man dies aber nicht bauen, darf man passen. Das eigene Gebäudeplättchen wird dann auf die Rückseite gedreht, steht nicht mehr zur Verfügung für diese Partie und man erhält sofort einen Minuspunkt. Eine andere Möglichkeit ist, dass man unmittelbar nach dem Aufdecken der Gebäude-Karte aussteigen und das Spiel für sich beenden kann. Dann erhält man zwar keinen Minuspunkt, darf aber bis zum Ende dieser Partie auch kein weiteres Gebäude mehr legen.


    Sind alle ausgestiegen, so endet die Partie und es folgt eine Wertung. Je nachdem welche Felder nicht überbaut werden konnten, wird es am Ende Minus- bzw. Pluspunkte hageln. Freie grüne Felder zählen einen Minuspunkt, nicht überbaute Baumfelder hingegen geben pro Baum einen Pluspunkt usw.


    Der so nach Punkten ermittelte Gewinner erhält nun Fortschrittspunkte, die am Ende auch über Sieg und Niederlage der gesamten Kampagne entscheiden. Diese Fortschrittspunkte werden auf dem eigenen Spielplan markiert. Die Siegerin der Partie erhält aber zudem auch noch ein Handicap in Form eines Stickers. Die Verliererin hingegen einen Bonus, der für Anschub sorgt und hilfreich ist oder sein kann…


    Nach der Abrechnung wird das Tableau aufgeräumt und der Plan beklebt, je nach Kapitel mit Boni bzw. Mali in Form von Stickern. Die Gebäudeplättchen werden wieder entfernt und es startet ein neues Spiel. Es ist also nicht so, dass man eine Stadt dauerhaft baut und sich darum sorgen muss, dass man eine bestimmte sinnvolle Stadtplanung vornimmt, die dann über die ganze Kampagne bestehen bleibt. Man sortiert und baut die Gebäude aufgrund der vorgegebenen Farbgebung und Form kurzfristig für eine Partie, in denen es allerdings durchaus unterschiedliche Zielrichtungen geben wird. So ist es eigentlich relativ unbedeutend, ob man ein (rotes) öffentliches Gebäude neben ein (blaues) Wirtschaftsgebäude baut oder ein (gelbes) Wohngebäude. Im Wesentlichen schaut man lediglich auf Farbe und Form. Das finde ich fast etwas schade, denn da hätte man noch etwas mehr aus dem Spiel rausholen können. Jedenfalls steckt da noch Potential in dem Spiel und es wäre meiner Ansicht nach ausbaufähig und böte die Chance noch stärker die Gebäudearten in ihrer Funktion mit in das Spiel einzubinden.


    Dahingehend kann einen der Text auf der Schachtel auch etwas in die Irre führen, denn das Bepuzzeln des Planes, der ja nach jeder Partie wieder aufgeräumt wird, hat meiner Ansicht nach nur wenig mit dem Bau einer eigenen einzigartigen Stadt zu tun. Und obwohl auf dem Spielplan einiges passiert und dieser sich verändert während der Kampagne und so natürlich irgendwie „einzigartig“ wird, so fange ich doch jede Partie wieder bei Null an und starte komplett neu mit dem Bau und Legen der Gebäudeplättchen. Es ist also wirklich eher ein Puzzeln und weniger ein richtiges Stadtaufbauspiel, bei dem die eigenen Gebäude dauerhaft auf dem eigenen Spielplan bleiben. Das ist in diesem Spiel und so wie es konzipiert ist für mich auch OK, aber ich habe von einem Stadtbauspiel bislang eher andere Vorstellungen gehabt und war daher doch etwas überrascht davon, dass ich am Ende der Partie alles wieder einreiße und anders als in anderen Spielen mich nicht darum kümmern muss, ob meine Stallungen nahe am Wasser gebaut sind oder ähnliches… darauf kommt es eigentlich nicht an und man vergißt, dass man gerade ein Wohngebäude baut, weil es einfach nur noch zu einem gelben Plättchen wird.


    Spieldauer: Wie lange haben wir zu zweit daran gespielt?


    Lange, zumindest an diesem Abend, denn es hat uns zunehmend richtig viel Spaß gemacht und einen Sog entfaltet, dem man sich richtig gerne hingibt. Am ersten Abend haben wir die ersten 3 Kapitel – also 9 Spiele - durchgespielt. Wobei die Spieldauer anzieht und im Spiel zu zweit kamen wir, je länger die Kampagne dauerte, nicht mehr mit 30 Minuten pro Partie hin. Warum auch? Hat ja Spaß gemacht und warum sollte man sich nicht auch mal ein Minütchen länger für das Überlegen nehmen… war ja keine Quälerei. Die ersten Partien sind aber wirklich in 30 Minuten in einem Spiel zu zweit locker spielbar. Dies liegt auch daran, dass jeder ja für sich puzzelt und nach dem Aufdecken der Gebäudekarte alle das Plättchen gleichzeitig legen. Manchmal muss man etwas länger überlegen und manchmal geht das innerhalb Sekunden, weil man genau für eine Lücke auf das bestimmte Plättchen gewartet hatte.


    Am zweiten Abend haben wir dann die 5 weiteren Kapitel gespielt. Wir hatten also das Spiel an zwei längeren Nachmittagen/Abenden komplett durch. Die letzten Kapitel haben bei uns länger als 90 Minuten gedauert. Da würde ich bis zu 120 Minuten veranschlagen. Ich habe aber auch keine Lust mich stressen zu lassen. 30 bis 40 Minuten pro Partie ist aber eine durchaus realistische Zeitangabe. Zu zweit funktioniert dieses Spiel übrigens sehr gut und hat uns sehr viel Spaß gemacht. Da man sich nicht in die Parade fahren kann und sich auch keine Konkurrenz auf dem Plan ergibt, weil jede*r ja einen eigenen Stadtplan bepuzzelt, ist es auch nicht wesentlich anders, wenn noch eine dritte oder vierte Person mitspielt. Dies wirkt sich eigentlich nur auf Boni und Mali aus, die am Ende der Partie vergeben werden.

    Tja, und nach Kapitel 8? Was kam dann?


    Oh, schon durch… schade eigentlich… Wann kommt denn das Recharge-Pack? Noch mal… JETZT? Naja, vielleicht nicht jetzt, aber morgen vielleicht….


    Und in der Tat haben wir die komplette Kampagne nach einer Woche noch einmal durchgespielt. Da es vier Tableaus gibt, kann man die Kampagne zu zweit also zweimal durchspielen. Zu dritt bzw. zu viert kann man es halt (leider) nur einmal durchspielen, jedenfalls bezogen auf das Sticker-Material und bekleben der Tableaus. Bei den Stickern mussten wir dann allerdings etwas improvisieren. Da fehlte uns an einer Stelle ein Sticker oder auch zwei, also in der Wiederholungs-Kampagne. Warum das mit den Stickern nicht aufging für einen zweiten Durchlauf zu zweit, habe ich nicht mehr nachvollzogen. War auf jeden Fall an einer Stelle so, dass ein Sticker fehlte, den ich mir dann gemalt habe.


    Mit dem Wissen was kommt, mit dem Wissen um bestimmte Boni und Mali ist es von dem ersten Gebäude an ein anderes Planen und auch anderes Vorgehen. Manche Mali sind oft gar nicht so schlimm, manche Boni aber auch nicht so umwerfend gut… Von daher war es wirklich sehr reizvoll mit diesem Wissen das komplette Spiel noch einmal zu spielen und sich auf die Dinge, die da kommen werden vorzubereiten und zu wappnen.

    Das ewige Spiel…


    …entfaltet für mich lange nicht den Spannungsbogen und den Wiederspielreiz, den die komplette Kampagne auf mich ausübt. Kann man mal machen, ist mir persönlich aber zu wenig Fleisch dran, da würde ich andere Spiele bevorzugen. Potential ist vorhanden, müsste aber doch noch deutlich unterfüttert werden, um mich langfristig fesseln und überzeugen zu können, damit ich darauf wirklich regelmäßig zurückgreifen würde. Richtig gut finde ich persönlich (nur) das Durchspielen der Kampagne und die vielen kleinen Dinge, die ein sehr unterschiedliches Spielgefühl erzeugen, denn dies ist meiner Ansicht nach in diesem Spiel richtig gut gelungen.


    Solimodus, Legacy- und Material


    Sehr schade finde ich, dass es keinen Solomodus gibt. Klar, den kann man sich ja selber machen, fallen halt manche Sachen weg. Spaß macht es nämlich und möglich ist und wäre es auch, so etwas zu entwickeln und zu bieten, sowohl für eine Kampagne, als auch für das ewige Spiel. (Ich habe noch einmal die ersten 9 Spiele der Kampagne als eigene Solo-Abwandlung gespielt, einfach nur aus Lust und Spaß daran zu optimieren und zu puzzeln.) Allerdings, und da komme ich jetzt zu dem Legacy- und Material-Aspekt, geht das dann natürlich nicht mit dieser Sticker- und Einmalspielen-Variante. Richtigerweise müsste man Spielsteine haben und andere Tableaus. Die Sticker sind genau abgezählt für eine Kampagne zu viert.


    Ich weiß nicht so ganz genau, wie die perfekte Lösung für dieses Spiel sein könnte. Aber angenommen, Kosmos würde investieren und an diesem Spiel schleifen und dann eine richtig gute Ausgabe mit so vertieften, ausgestanzten Tableaus und Holzmarkern (oder Spielsteine ähnlich wie bei Azul) auf den Markt bringen, damit man ohne Sticker auskommt und es tatsächlich wieder auf Null drehen kann, dann wäre ich dabei. Vor allem dann, wenn es noch weitere Kapitel für eine (weitere) Kampagne gäbe. Eine Sticker-Variante dieses Spieles würde ich mir aber nicht noch einmal kaufen. Eine gute Ausgabe mit schönen Holzmarkern und Top-Tableaus aber sehr wohl. Außerdem könnte man hier wirklich noch einige Ideen für weitere Kapitel entwickeln und unterschiedliche Stadttableaus, so dass dieses Spiel durchaus mit einer Erweiterung noch viel abwechslungsreicher werden könnte.


    Ich habe es noch nie (so) bedauert, dass für ein Spiel eine Legacy-Variante dergestalt gewählt wurde und man ein Spiel bekleben muss, und es letztlich dadurch so be- und abschneidet und nicht mehr als Kampagne spielbar macht. Und das liegt vor allem daran, dass es sich so überhaupt nicht repetitiv spielt und nicht repetitiv anfühlt. Ich hatte wirklich direkt nach Abschluss der Kampagne Lust, das Spiel bzw. die Kampagne noch einmal durchzuspielen. Die kleinen Überraschungen und schon fast als ätherisch zu bezeichnenden kleinen Veränderungen bieten in den Kapiteln mit denkbar einfachen Variationen ein sehr unterschiedliches Spielgefühl in den Kapiteln, mit völlig anderen Überlegungen und ganz unterschiedlichem Vorgehen, um die Zielvorgaben zu erfüllen. Dies ist so überaus gut gelungen, dass ich (um es schon einmal vorweg zu nehmen) insgesamt von diesem Spiel nämlich wirklich angetan bin. Und selbst dann, wenn man weiß, was noch kommt, weil man die Kampagne schon einmal durchgespielt hat, so spielt sich jede Partie und damit auch jede Kampagne ja jedes Mal völlig anders, weil die Karten jedes Mal anders gezogen werden. Und alleine dieser Moment des Aufdeckens einer neuen Gebäudeplättchenkarte fand und finde ich spannend und äußerst reizvoll. Man muss jedes Mal gut überlegen, was man wie und wo anlegt und man muss kurzfristig entscheiden, wie man das Plättchen platziert, hofft auch bestimmte Formen oder eine benötigte Farbe… Schön wäre wirklich, wenn die ganze Kampagne als Herzstück dieses Spieles immer wieder spielbar wäre und es unterschiedliche Stadttableaus gäbe, damit man da dann doch mehr Abwechslung hätte. Ein weiterer Kritikpunkt findet sich hierzu am Schluss im Spoiler


    Noch mal etwas zum Material:


    Richtig lästig ist an dem Spieltableau die Nähe und Enge zwischen der zu bebauenden Stadtfläche, an der man ständig herumbastelt, zu der Zählleiste der Rundenpunkte. Die Fortschrittspunkte werden mit einem Stift eingetragen/abgestrichen, da kann nichts verrutschen. Aber das Holzwürfelchen auf der Punkteleiste, um die aktuellen Punkte der Partie zu markieren, verrutscht bei mir regelmäßig.


    Die Puzzleteile passen nicht immer ganz exakt ineinander. Außerdem hantiert man kontinuierlich auf dem Plan herum, so dass es immer wieder beim Einsetzen von Plättchen zu kleinen Verschiebungen kommt und so unweigerlich auch dieser kleine Zählstein verrutscht. Es nervt nichts so sehr, gerade in einem Legacy-Spiel, wenn der Punktestand verrutscht und man nicht mehr genau weiß, wo der Marker lag. Richtig doofe Lösung! Entweder so doppelte ausgestanzte Tableaus oder ein getrenntes Brett für die Punkteleiste. Ich habe jedenfalls dann Zählräder aus anderen Spielen (glaube Gloomhaven oder Aeons End) genommen und darauf dann den Punktestand, der sich ja auch während einer Partie regelmäßig verändert, vermerkt.


    Auch die Karten haben nicht die beste Qualität. Da man die sehr oft mischen muss und es entscheidend darauf ankommt, dass man nicht weiß, welche Gebäudeplättchenkarte als nächstes gezogen wird, sollte man die Dinger sleeven. Kratzer auf den Rückseiten, an denen man die Karten erkennen kann, sind hier auch mal so richtig Mist. Das Sleeven der Karten war hier für mich ein Muss, weil man die Karten andauernd anfasst, mischt und aufdeckt.


    Solitär und Interaktion


    Das Spiel spielt sich sehr solitär und kommt ohne wirkliche Interaktion aus, ein weiterer Grund für eine gute Solo-Variante. Man bebaut den eigenen Stadtplan, versucht das Beste aus den Vorgaben zu machen und versucht das ein oder andere als erste zu erreichen. In die Quere kommt man sich nicht, kaputt machen tut man sich auch nix und so kann jede*r sein an seinem Städtchen basteln. Manche Modifikationen wirken sich allerdings darauf aus, wer manche Dinge zuerst erreicht. Da das aber alle wissen und es keine verdeckten Informationen gibt, weiß man ja worum es geht und was es zu erreichen gilt.


    My City - ein Familienspiel?


    Das Spiel hat mich allerdings auch dazu angeregt noch einmal über die Kategorie Familienspiel nachzudenken und meine Vorstellungen davon zu überdenken. Jedenfalls hat Kosmos wohl die Vorstellung, dass eine Familie aus nur 4 Personen bestehen sollte… und dieses Spiel nur 4 Leute gleichzeitig spielen sollen. Mein Eindruck ist aber, dass man es genauso gut zu 5 oder 6 spielen kann, zumal es ja so gut wie keine Wartezeit gibt.


    Ich habe das Spiel jetzt dreimal verschenkt. Einmal an ein befreundetes Paar, das die Kampagne ebenso wie wir, zweimal gemeinsam durchgespielt haben. Und zweimal an Familien mit Kindern zwischen 8 und 15 Jahren. Sowohl in meiner Familie, als auch im Bekanntenkreis kann ich die Altersangabe von 10 Jahren so nicht nachvollziehen oder bestätigen. Ja, das ewige Spiel und auch das Grundspiel mit dem ersten Kapitel der Kampagne, lässt sich sicherlich auch mit 10 oder sogar – je nach Übung – etwas jünger bewerkstelligen. Allerdings ließ sich bei uns kein Kind mit 10 Jahren für dieses Spiel über 24 Spiele locken. Gegen Ende zieht das spielerisch auch an, so dass man deutlich mehr beachten und auf dem Schirm behalten und aufeinander abstimmen muss als am Anfang. Das erfordert dann schon sehr viel mehr Planung als im Grundspiel und das aufeinander Abstimmen unterschiedlichster Einflüsse. Meiner Ansicht nach fallen die Kampagne und das Grundspiel hinsichtlich des Anspruchs und der zur Verfügung stehenden Optionen recht weit auseinander.


    Ab 12 wäre die gesamte Kampagne, also die Legacy-Variante – aus meiner Sicht – deutlich besser eingruppiert als ab 10 Jahren. Aber da mögen andere eben auch andere Erfahrungen gemacht haben. Bei uns war es so, dass es im wesentlichen Erwachsene spielen und Jugendliche (also ab 13 aufwärts, dann auch wirklich die Kampagne bis zu Ende). Das Grundspiel kam jedoch auch schon bei jüngeren gut an, nur halt eben nicht 24 mal am Stück.


    Da mag es andere Erfahrungen geben, würde mich mal interessieren, wie da eure Erfahrungen mit Kindern sind.


    Fazit:

    Ja, ich finde dieses Spiel charmant und Ja, mir gefällt es – zu meiner eigenen Überraschung – gut. Eigentlich sogar richtig gut. Ich wünschte, es hätte besseres Material, ließe sich damit auf Null zurückdrehen und böte weitere Kapitel.


    Ich finde es faszinierend, dass dieses Spiel mit so kleinen aber sehr effektiven Ideen und Variationen, ein so unterschiedliches Spielgefühl entfalten kann. Die Kapitel sind unterschiedlich und abwechslungsreich, so dass die Zeit beim Spielen wie im Flug vergeht und das Spiel überhaupt nicht langweilig wird. Und das, obwohl manchmal nur sehr kleine, fast schon in homöopathischen Dosen eingesetzte, Änderungen eingebracht werden.


    Etwas kritisch sehe ich, dass am Ende eigentlich nur die Fortschrittspunkte über Sieg und Niederlage der gesamten Kampagne entscheiden. Es kommt nicht darauf an, dass man am Ende der Kampagne wirklich eine Stadt gebaut hat oder eine besonders schöne und städtebaulich sinnvolle Stadtstruktur geschaffen hat. Eigentlich sollte man, egal wie, möglichst viele Partien gewinnen und die Fortschrittspunkte abgreifen. Die Boni, die man als Verlierer*in bekommt, sind nicht in jedem Fall so stark, dass sie es einem ermöglichen daraus einen deutlichen Vorsprung des anderen wieder aufholen zu können – jedenfalls nicht im Spiel zu zweit.


    Es kann sein, so zumindest im Spiel zu zweit bei uns, dass man gegen Ende der Kampagne doch recht deutlich mit den Fortschrittspunkten zurückliegt und man schon weiß, dass es recht schwierig sein wird das aufzuholen, wenn nicht sogar unmöglich. Allerdings bietet die Kampagne wirklich noch einige Wendungen und Optionen gerade gegen Ende, mit denen man noch Fortschrittspunkte bekommen kann…


    Für mich gibt es im Ergebnis mehr Lob als Kritik für dieses Spiel und es ist insgesamt ein Spiel, was ich ausgesprochen kurzweilig und angenehm zu spielen fand und damit wirklich eine schöne Spielzeit hatte.


    Ich würde empfehlen sich dieses Spiel zumindest mal anzuschauen. Paare oder Leute, die ein nettes kurzweiliges Kampagnenspiel für 2 suchen, können hier wirklich zugreifen, sofern man dieses Puzzeln mag und kein konfrontatives Spiel sucht. Wie das Spiel in Familien in Vollbesetzung gespielt ankommt, vermag ich – verallgemeinert oder pauschal - nicht einzuschätzen. Da wird es auf das Alter der Kinder ankommen, und ob diese wirklich Lust haben 24 Partien als Kampagne durchzuspielen. Grundsätzlich halte ich aber das Grundspiel, sowie die Spielidee sehr geeignet für Kinder.


    Der Legacy-Modus ist hier für mich ein Wermutstropfen, aber die Entwicklung der Kampagne ist vielseitig und richtig gut gelungen. MyCity ist somit wohl eines der wenigen Familienspiele, die ich in den letzten Jahren gekauft habe und was mir wirklich gut gefällt. Es ist eine Menge, aber kein Brainburner und trotzdem oft ganz knifflig und spannend. Von mir gibt es einen Daumen hoch für ein schönes, rundes Spiel und auch noch den zweiten, weil es so gut und nett gemacht war, dass es mir zu meiner Überraschung sehr viel besser gefiel, als ich mir hätte vorstellen können. Und wenn ein Spiel mich auch mal Zahnschmerzen (nagut, gab auch Ibuprofen… aber trotzdem) vergessen lässt und mich schon neugierig und gespannt am Ende der Partie 3 von Umschlag 4 auf Umschlag 5 schielen lässt, und ich unbedingt Lust habe weiter zu spielen, dann ist das für mich ein rundum gelungenes Spiel, was zwei THUMBS UP deutlich verdient. Außerdem werde ich jetzt doch wohl wieder Reiner Knizia in die Autoren der „Sollte man mal näher hinschauen…“ packen. Und so gäbe es nämlich sogar einen dritten Daumen, wenn ich einen hätte, weil MyCity mich für die furchtbaren L.A.M.A. Partien völlig entschädigt hat!


    MyCity! Thumbs up!!!!!


    Verspielte Grüße

    Brettpotato



    Zum Schluss nun noch etwas als Spoiler. Bitte nicht lesen, wenn man die Kampagne noch nicht durchgespielt hat.



    Spoiler:

    Einmal editiert, zuletzt von gelöscht_02052023 ()

  • Perfekt zusammengefasst!

    Wir haben die erste Kampagne auch zu zweit gespielt und uns dabei die Sticker alle selber gemalt. Jetzt spielen wir es mit den echten Stickern gerade zu viert und haben die Hälfte absolviert.

    All die kleinen Mali für den Sieger und Boni für den Verlierer haben bei uns nicht viel bewirkt. Der bessere Spieler hat die erste Kampagne deutlich gewonnen und liegt jetzt auch bei der zweiten Kampagne schon wieder fast uneinholbar vorne.

    Das im Spoiler beschriebene Problem tauchte bei uns - zum Glück - nicht auf, da hattet ihr wohl einen extremen Spielverlauf.


    Martin

    aus der Kinderkiste in Marburg

    (der auch gerne wissen würde, wie das Spiel mit Kindern ankommt...)

    Martin Wehnert

    Spieleverkäufer in der Kinderkiste in Marburg

    Spielerezensent

    Veranstalter von Brettspielveranstaltungen

  • Sehr schöne Zusammenfassung!

    Besten Dank.


    ABER


    ...gemäß dem Titel eines Klassiker von Loriot: Das Bild hängt schief ;)

    ...kann aber auch sein, dass mein Monitor falsch herum steht 8o



    3 Mal editiert, zuletzt von Braz ()

  • MyCity... eine Stadt steht Kopf...

    ...es tut mir leid, ich kriege die Bilder nicht richtig herum hochgeladen. Auf meinem Rechner sind die Bilder richtig rum... nach dem Hochladen sind die gedreht...:S=O

  • MyCity... eine Stadt steht Kopf...

    ...es tut mir leid, ich kriege die Bilder nicht richtig herum hochgeladen. Auf meinem Rechner sind die Bilder richtig rum... nach dem Hochladen sind die gedreht...:S=O

    Ach da guck, das Phänomen hatte ich beim Spielebericht diese Woche auch, dann lag das nicht an mir. Ich konnte machen was ich wollte... Kam immer falschrum hier an.


    Sorry fürs Offtopic, aber das fiel mir grad auf. Ansonsten danke für den schönen Bericht, auch wenn mich das Spiel selbst nicht interessiert :) Trotzdem interessant zu lesen.

  • Ich konnte machen was ich wollte... Kam immer falschrum hier an.

    ;)

    ... und wenn ich die Bilder auf meinem Rechner drehe und falsch herum hochlade, in der Hoffnung, dass sie dann durch das Hochladen gedreht werden und schlussendlich richtig herum hier landen, hilft das seltsamerweise auch nicht... :lachwein: momentan steht´s halt Kopf... faszinierend...


    Und noch mal kurz zu My City:

    ich bin froh, dass ich das Spiel ausprobiert habe... normalerweise greife ich eher zu anderen Spielen, aber mir hat es wirklich gut gefallen... ich finde es richtig gut gemacht und gut entwickelt. Wirkt nicht wie ein Schnellschuss, sondern durchaus mit viel Spielerfahrung und auch Liebe zum Detail entwickelt. Trotzdem merkt man dem Spiel auch an, dass es etwas unter seinen Möglichkeiten und seinem Potential bleibt, damit es "familientauglich" (wie auch immer man das dann definiert und ausfüllt) und einstiegsfreundlich ist. Es ist doch dann deutlich für ein breiter angelegtes Publikum ausgerichtet, aber meiner Ansicht nach ohne dabei platt, flach oder simpel zu sein. Beim Spielen hatte ich den Eindruck, dass hier viele Ideen eingeflossen sind, die richtig gut umgesetzt wurden und in das Spiel eingebunden wurden.


    War für mich übrigens auch ein schöner Auftakt, nach den ganzen Wochen Dungeon Degenerates und Arkham Horror LCG und Aftermath, zu mal wieder kompetitiven Spielen. Da war ich echt völlig eingerostet. Nach MyCity hatte ich dann eine Euro-Phase mal wieder... und habe sogar mal wieder Euphrat und Tigris gespielt...

    Gruß :sonne:

  • ... und wenn ich die Bilder auf meinem Rechner drehe und falsch herum hochlade, in der Hoffnung, dass sie dann durch das Hochladen gedreht werden und schlussendlich richtig herum hier landen, hilft das seltsamerweise auch nicht...

    Die Antwort auf dieses Problem könnt ihr vermutlich hier finden:

    Profilbild steht Kopf