Beiträge von MetalPirate im Thema „Kennerspiel des Jahres 2016 (grauer Pöppel)“

    Bei einem Preis von 6,99 oder so ähnlich ist klar, dass sich viele "The Game" gekauft haben, nicht zuletzt weil der rote Pöppel drauf war. Ich auch. Ich bin es aber ganz schnell wieder losgeworden und kenne auch keinen anderen, dem es gefallen hat. Ich finde auch das Artwork mit den Totenköpfen völlig unpassend. Ich habe nichts gegen Totenköpfe (ich höre schließlich Metal ;) ), aber passt zu diesem Nummernlegespiel doch kein bisschen.

    Das Brettspielhobby hat im deutschsprachigen Raum ein Imageproblem und wird sehr häufig immernoch als kindisch angesehen. Das ist bestimmt nicht die Hauptschuld des SdJs, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass es nicht auch zu diesem "Problem" beigetragen hat.

    Deine Beobachtungen kann ich größtenteils nachvollziehen. Deine Schlüsse daraus weniger. Insbesondere glaube ich nicht an eine "Schuld" des SdJ. Spielen im Familienkreis gab's schon viel länger als das SdJ. Wenn das SdJ diese existierende Tradition aufgegriffen hat und durch die Einführung eines Preises dazu geführt hat, dass besonders gute Spiele sich dadurch hundert mal so viel verkauft haben, dann hat das dem Spielehobby doch wesentlich mehr genutzt als geschadet. Ohne einen ganz bewusst massentauglich ausgerichteten SdJ-Preis käme Spielen doch gar nicht in den Medien vor. Wäre das denn besser?


    Mit der Wahl von Codenames geht's aktuell auch ganz klar weg von Familie, hin zu (auch) Party-geignet. Auch hier passt dein Vorwurf nicht. Und was KSdJ angeht: da passt die Diskussion mit dem Abholen der potentiell spielbegeisterten Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch nicht mehr so ganz, dann der Preis richtet sich im Gegensatz zum roten Pöppel an bereits spielerisch vorbelastete Kreise.


    Etwas fragwürdig finde ich höchstens so Sachen wie "The Game - Spiel solange du kannst" auf der Nominierungsliste letztes Jahr. Wen man damit ansprechen wollte, erschließt sich mir absolut nicht.

    @BGBandit: Ich meinte mit "Smartphone-Integration" weniger das Hinzunehmen von motorischen Elementen bei der Bedienung, sondern eher das Auslagern von komplexen Berechnungen (damit auch mögliche Erhöhung des Simulationsanteils) sowie die Senkung der Abstraktionsschwelle bei gleichzeitiger Erhöhung der Immersion, etwa durch Wiedergabe von Audio- oder Video-Elementen.


    Dabei immer dazu gesagt: ich sehe "Brettspiel mit Smartphone" sehr kritisch. Vieles, was für mich das Brettspiel auszeichnet, verträgt keinerlei Digitalisierung bzw. ist mir ein willkommener Gegenentwurf zur Videospielwelt. Ich kaufe lieber ein physikalisch vorhandenes und theoretisch weiterverkaufbares Spiel als zeitlich begrenzte Nutzungsrechte an Software, die vom Macher jederzeit nach seinem Willen beendet, verändert oder mit Überwachungs- und Spionageelementen "angereichert" werden können.

    An alle, die Brettspiele mit starkem Geschichtenerzähl-Element für geeignet halten, per "Playstation-Effekt" Brettspiele stärker in der Erwachsenenwelt zu verankern: Bitte vergesst nicht, dass auch bei T.I.M.E Stories oder Pandemic Legacy (oder Scythe oder Zombicide oder was-auch-immer) letztendlich auch wieder nur Holz, Pappe und Plastik durch die Gegend geschubst wird. Ein Brettspiel wird immer mehr Beschäftigung und mehr Abstraktionsvermögen vom Nutzer verlangen als das Videospiel. Da kämpft das Brettspiel einen ähnlich schweren (aber keinesfalls aussichtslosen!) Kampf wie das klassische gedruckte Buch gegen den Kinofilm bzw. Fernsehserie.


    Wenn es primär um Verankerung in der Erwachsenenwelt ginge, dann müsste man weniger in die Richtung Brettspiel mit "story telling"-Elementen denken, sondern viel eher in die Richtung "Brettspielspiel mit Smartphone-Integration" -- mit allen damit verbundenen Nachteilen wie Software-Updates, die ein Spiel unspielbar machen können, oder dem Zwang zur Internetanbindung. Trotzdem könnte ich mir da deutlich eher vorstellen, dass ein solcher Transfer dauerhaft gelingen kann. Man sieht's ja auch schon teilweise daran, dass mittlerweile Brettspielumsetzungen für Android, IOS oder PC (Steam) die Verkaufszahlen der zugrunde liegenden Brettspiele erhöhen können, weil in der modernen Welt manche Leute den Erstkontakt zu Brettspielen über die zugehörigen digitalen Umsetzungen bekommen.

    Eine Auktion definiert sich nicht durch 1-X Gebote (dann wäre 1 ein erlaubter Sonderfall), sondern durch die festen Regeln dahinter, durch das Verfahren, das auf eine iterative Annäherung zwischen Verkäufer und einer Gruppe möglicher Kaufwilliger zielt. Um als Auktion zu gelten, müssen außerdem bestimmte weitere Kritierien gelten, etwa Bieteranonymität. Innerhalb der Auktionsregeln müssen alle Kaufwilligen gleichbehandelt werden. Der Kioskbesitzer kann sagen: "Peter, du bist ein guter Kunde, du kriegst das Bier für 1 EUR statt 1,30 EUR." ;) Der Auktionator kann das nicht, der kann keine Sonderpreise für bestimmte Kunden machen, sonst wär's keine Auktion mehr.


    Du kannst natürlich "Auktion" nennen, was auch immer du Auktion nennen möchtest. Aber im allgemeinen gelten da schon gewisse Regeln und Definitionen.


    Als Einstieg: Auktion – Wikipedia

    Dem möchte ich entscheidend widersprechen und behaupte, dass Erwachsene nicht auf einmal zu Videospielern geworden sind, sondern dass ab Mitte der 90er eine immer größere Zahl vormals jugendlichen Videospieler einfach erwachsen geworden sind

    Dem würde ich zustimmen, wobei das mit "erwachseneren" Spielen und Themen sicher einher geht.


    Welche für Erwachsene gedachte Videospiele würden Kinder überfordern, präsentierte man sie in einer kindgerechten Darstellung?

    Strategiespiele. Von Civilization bis zu den Grand Strategy Titeln von Paradox (hochkomplexe Sandbox-artige Spiele auf der Grenze zwischen Strategie und Simulationen der Sorte "alles hängt mit allem zusammen").


    Ich tue mich also schwer mit der Vorstellung, dass die einfache Formel "mehr Brettspielinhalte für Erwachsene = mehr Erwachsene Spieler" in der Realität wirklich aufgeht.

    Geht mir ähnlich, allerdings mit ein bisschen anderer Begründung. Die Schnittmenge zwischen "erwachsen(er)en" Themen und den Restriktionen beim Brettspieldesign ist kleiner und weniger massenkompatibel als beim Videospieldesign. Beim Brettspieldesign ist allzu viel Verwaltungsaufwand immer tötlich. Das kann der Computer allemal besser. Gleichzeitig setzt es notwendigerweise immer viel stärker auf Abstraktion. Egal ob Eurospiel oder Ameritrash: letztendlich schubst man doch nur Pappe und Plastik durch die Gegend. Während das Videospiel eben direkt zeigen kann, was es zeigen will. Das Brettspiel kann gar nicht so massentauglich sein; es verlangt mehr vom Spieler.


    [Spielen im Familienkreis]
    Die einzigen die spielen weil sie Spaß am Spielen haben sind die Kinder.

    Hast du Kinder? Ich kann dir versichern, dass es mir Spaß macht, mit meinem Töchterchen große Duplo-Türme zu bauen. Ja, echt Spaß, nicht nur "ich freue mich, wie sie lernt".


    Man kann Erwachsene im Alter nicht zum Spielen aus Spaß bekehren, wenn sie nicht schon als Kind zum Spielen erzogen wurden.

    Sehe ich nicht so. Es gibt immer mal wieder Menschen in unserem Hobby, die erst spät und familiär völlig unbelastet dazu gekommen sind. Sei es durch Freunde, sei es durch Nachbarn, sei es durch Arbeitskollegen, sei es durch sonstwen.


    Nun fragt man sich aber zu Recht woher diese große Diskrepanz kommt, dass die überwältigende Mehrheit der heranwachsenden Kinder mit Brettspielen aufwachsen, dass aber gleichzeitig die überwältigende Mehrheit der Erwachsenen mit diesen nichts mehr zu tun haben will.

    Ob die "überwiegende Mehrheit" noch mit Brettspielen aufwächst, oder doch nicht schon eher mit allerlei Smartphone-Unterhaltung, darüber könnte man sicher auch diskutieren, aber zu dieser Frage habe ich auch einen interessanten Gedanken beizusteuern, siehe unten. Erstmal dazu:


    Und hierfür mache ich zu einem nicht unerheblichen Teil das Spiel des Jahres verantwortlich!

    Meiner Meinung nach steigerst du dich hier in wilde Theorien rein. Der SdJ-Verein hat, wie jeder der für Spiele werben will, nun mal das unlösbare Problem, dass sich die Spielewelt weit aufgefächert hat. Früher konnte man mit SdJ-Siegertiteln wie Siedler von Catan, El Grande, Tikal oder anderen noch Gelegenheits- wie Vielspieler unter einen Hut bringen. Geht heute nicht mehr. Die SdJ-Leute haben darauf zunächst mit einem "Sonderpreis komplexes Spiel" reagiert (alle zwei Jahre verliehen), später dann mit der Einführung des grauen Pöppels. Dass die Ausrichtung der Preise tendenziell ruhig dem Publikum ein bisschen mehr zutrauen könnte, das würde ich so auch noch unterschreiben. Da war in den letzten Jahren doch arg viel allzu seichte Kost dabei, gerade im Vergleich zu früheren SdJ-Gewinnern wie Tikal, El Grande, Dominion oder anderen. Aber richtig ist auch, dass Expertenspieler wie hier in diesem Forum sicher nirgends abgeholt werden müssen, weil sie selbst schon gut wissen, was sie spielen wollen.


    In meinem Kopf habe ich immer das Bild eines Mittzwanzigers, der in der letzten Zeit immer mehr von den ganzen tollen neuen Brettspielen gehört hat und das kindliche Interesse am Spielen regt sich auf einmal wieder. Er/sie besorgt sich also das neue Kennerspiel - und legt Plättchen aus. Der enttäuschte Mittzwanziger fühlt sich von der SdJ Jury nicht auf eine tolle Reise mitgenommen, sondern vor 15 Jahren im Regen stehen gelassen.

    Für den Mittzwanziger ohne Spielerfahrung ist es meiner Meinung nach völlig egal, ob er Plättchen legen, Karten ziehen, würfeln oder sonstwas machen soll. Ob Legacy, Story-Telling, Plättchen aussortieren, Preise festsetzen. Alles ganz egal. Der erlebt "Brettspiel" auf "Kennerspiel-Niveau" so oder so als ungewohntes Gerüst komischer Regeln, und wenn er sich freiwillig da rein begibt, dann hat er entweder Spaß dabei oder nicht. Das ist das Entscheidende. Spielspaß. Beim einen kommt der eher bei Isle of Skye, beim nächsten eher bei T.I.M.E Stories und beim Dritten eben bei Pandemic Legacy. Die Jury musste abwägen, wo das am ehesten/sichersten funktioniert und hat da meiner Meinung nach eine nachvollziehbare Entscheidung getroffen.



    Ach ja: Meine These, die ich hier auch nochmal in den Raum schmeißen möchte: Wir haben in Deutschland das Problem, dass wir rein sprachlich schon Spiele als Untermenge von Spielzeug sehen. Damit ist unser Hobby automatisch in der Kinderabteilung verortet. Die Amis haben's da besser. Da gibt's "toys" und "games". Das steht eher parallel. Das eine als Hilfsmittel zum ziellosen Herumspielen (wie z.B. Lego-Steine), das andere als interaktive Form mit Regeln und Spielziel. In Deutschland hat jeder, der Spiele breiter in der Gesellschaft verankern will, das Problem, Spiele aus der Kinderecke herauszulösen. Wobei das, wie oben schon gesagt, wesentlich schwieriger ist als bei Videospielen, weil die Schnittmenge zwischen Erwachsenen und Spielern klein ist. Ob matheaffine Optimierfreaks mit Spaß am Kopfrechnen, Kriegsnachspieler mit Spaß am Handling von hunderten von Pappcountern per Pinzette oder passionierte Halb-Spieler / Halb-Miniaturenanpinseler -- alles nur Randgruppen hier. ;)

    Es ist keine Auktion, weil die Preisfindung zwischen Käufer und Verkäufer nicht über eine wechselnde Abfolge von sich annähernden Ankaufs- oder Verkaufsangeboten erfolgt. Vielmehr ist es ein (einmaliges) Verkaufsangebot mit gleichzeitiger Selbstverpflichtung im Falle des Nichtverkaufs. Mit Auktion hat das aber wenig zu tun.


    Im Gegensatz zum Beispiel zum Anhäufungmechanismus von Agricola. Das ist eine reinrassige Auktion im Sinne der Auktionstheorie, nämlich zwischen dem Spiel selbst als Verkäufer und den Spielern als potentiellen Käufern: "Willst du die 3 Holz für einen Arbeitereinsatz? Nein? 6 Holz? Immer noch nicht? Nächste Runde 9 Holz? Ah, ja, Zuschlag!"

    Ich auch.

    Ich nicht.


    Ich finde, dass der völlig übertriebene Catch-Up-Mechanismus das Spiel leider völlig ruiniert. Ein Spiel, das sonst eigentlich richtig gut ist. Definitiv auch KSdJ-geeignet wegen seiner durchaus vorhandenen Stärken, die hier im Thread leider etwas untergehen. Der Mechanismus des "ein Plättchen killen und dann Preise festsetzen, ggf selbst dafür kaufen müssen" ist richtig gut. Wenn nur der übertriebene Catch-Up-Mechanismus nicht wäre, der die Hintenliegenden mit Geld geradezu zuschmeißt und so die Auktionen völlig aus dem Gleichgewicht bringt...


    (Zur Info: 2x gespielt, 2x gewonnen)

    Wenn ein Spiel nominiert wird, dann sollte es auch Chancen auf einen Sieg haben.

    Wieso sollte das nicht der Fall gewesen sein? Zu hohe Komplexität ist wohl eher MInuspunkt als KO-Kriterium. Mal reicht's noch für die Nominierung (Orléans), mal nicht (Auf den Spuren von Marco Polo, Tzolk'in -- "nur" Empfehlungsliste). KO-Kriterium ist's anscheinend erst auf dem reinen Expertenniveau von WYG-Titeln, Mombasa oder ähnlichem.


    Irgendwie gefällt mir nicht, dass nun Gründe gegen die Wahl von PL oder TIME Stories angegeben werden, die im Vorhinein völlig klar waren.

    Was meinst du damit? Alle nominierten Spiele sind vorher bekannt, mit all ihren Stärken und Schwächen. Ich denke auch, dass die Jurymitglieder die nominierten noch wesentlich öfter gespielt haben als wir hier, und deshalb Stärken wie Schwächen sehr gut gegeneinander abwägen können.

    @Lazax: Würdest du mir (und anderen hier) zumindest recht geben, dass Pandemic Legacy neben all den Pluspunkten, die es unbestritten hat, eben auch ein paar Minuspunkte im Sinne der SdJ-Kriterien hat? Isle of Skye hat sicher weniger ausgeprägte Plus- und Minuspunkte, das Spiel polarisiert sicher weniger, es mag im Vergleich "langweiliger" aussehen. Aber alle drei nominierten Kandidaten sind irgendwo gut, sonst wären sie nicht nominiert worden.


    Tja. Wen wählt man dann als Jury? Das ist dann eben ganz wesentlich eine Frage der Gewichtung der Plus- und Minuspunkte und darüber kann man immer diskutieren. Jeder gewichtet anders und das ist völlig normal. Aber an der Nachvollziehbarkeit der Entscheidung (was nicht heißt, dass man selbst genauso entschieden hätte!) kann es meiner Meinung nach wenig Zweifel geben. Zu diesem Wahlergebnis kann man kommen, ohne die eigenen Kriterien zu verbiegen. Ich hätte sogar Verständnis dafür, wenn beim SdJ Minuspunkte der Spiele überproportional stark gewichtet würden. Es ist eben kein Preis für Vielspieler, die notfalls Regeldetails bei BGG nachschlagen, sondern für die Otto-Normal-Verbraucher und muss bei denen relativ sicher Spaß machen. Sonst legen die Kaufhäuser sich die ausgezeichneten Spiele nicht massenhaft in ihre Regale.



    Leider haben wir Deutschen das "Problem", das immer nur die Nr. 1 zählt.

    Das ist kein rein deutsches Problem.

    Genau das verstehe ich nicht. Wenn man dem Argument folgt, dass "Pandemic Legacy" und "Time Stories" nicht so recht zur Kennerspiel-Zielgruppe passen, dann hätten sie erst gar nicht nominiert werden dürfen.

    Wieso? "Passt nicht ganz zur Zielgruppe" ist doch kein KO-Kriterium, sondern bloß ein Minuspunkt, der mit vielen anderen Plus- und Minuspunkten verrechnet wird. Das reicht vielleicht trotzdem noch für die Nominierungsliste, wenn sich sonst niemand stärker aufdrängt. Aber zum Gewinnen dann eben nicht.


    Es mag überraschend klingen, wenn mir keiner der drei Nominierten wirklich gefällt, aber ich kann die Nominierungs- und Empfehlungslisten für den grauen Pöppel, inclusive der Wahl des Gewinners, absolut nachvollziehen. Einzig dass Steam Time völlig übersehen wurde, finde ich etwas schade, denn das hätte auch noch gut für die Zielgruppe gepasst. Finde ich auch besser als den ehemaligen Gewinnertitel Istanbul, der sehr schlecht auf unterschiedliche Spielerzahlen skaliert, insbesondere auf 2, und von daher für mich eine Fehlbesetzung als Sieger ist.

    Vielleicht hat die SdJ-Jury auch schon zu oft Prügel für ihre Wahl bekommen, um da allzu sehr Innovation zu belohnen. Es gilt halt auch immer: was für uns Vielspieler eine neue, innovative Idee ist, ist für die Gelegenheitsspieler gleich eine komplett neue Welt.


    Außerdem: Die Tatsache, dass Time Stories wie auch Pandemic Legacy nominiert waren, sollte man auch als gewisse Auszeichnung begreifen. "Nominierter Titel" ist zwar nicht "Siegertitel", aber unter den besten drei von mehrere hundert Kandidaten ist sooo schlecht auch wieder nicht.

    Ich gebe allerdings zu bedenken, dass "Legenden von Andor" aus meiner Sicht keineswegs einfacher zu spielen ist als Pandemie, eher im Gegenteil.

    Meinst du hier das alte Pandemie oder die nominierte Legacy Variante? Letzteres habe ich nie gespielt (Geschichtenerzählen mag ich schon, aber Legacy im Sinne irreversibler Änderungen nicht). Trotzdem meine ich nach allem, was man so liest, dass die Komplexität bei Pandemic Legacy höher ist als bei Andor, u.a. durch veränderliche (!) Regeln -- ein Konzept, was außerhalb unserer Vielspielerkreis auch erstmal auf gewisse Verständnisprobleme stoßen dürfte.



    [...] was der Verein selbst seinen "Sinn und Zweck" nennt [...]

    Einerseits möchte ich dir recht geben. Ich habe früher ähnlich argumentiert. Auf der anderen Seite gibt's die normative Kraft des Faktischen. Die ausgezeichneten Spiele werden jetzt im Weihnachtsgeschäft in enormer Stückzahl auf dem Massenmarkt verkauft. Dafür zahlen die Hersteller gerne Lizenzgebühren für die Verwendung des Pöppels an den SdJ-Verein, womit dieser sich finanziert. Das ganze System beruht eben auch darauf, dass genau solche Spiele ausgezeichnet werden, die in gewisser Weise Massenmarkt-tauglich sind. Das ist Isle of Skye eher als die beiden anderen. Genau mit dieser Begründung hatte ich auch Isle of Skye als Sieger vorhergesagt. Ich war von dem Spiel nicht so begeistert, als ich es mal beim Spieletreff spielen konnte (Bericht findet sich sicher bei unknowns.de mit etwas Suchen), aber Isle of Skye hat alles, was ein Grau-Pöppel-Spiel so braucht.

    Ich wage mal die Prognose: wenn in zehn Jahren über diesen Spielejahrgang geredet wird, dann wird über TIME Stories und Pandemic Legacy geredet, nicht über "Isle of Skye".

    Du dürfest vermutlich recht haben -- bezogen auf die Vielspielerkreise, wie sie sich hier bei unknowns.de oder BGG tummeln. Aber das ist nun mal nicht die Zielgruppe der SdJ Jury.


    Klemens verweist auf die Seite eines Jury-Mitgliedes. Da kann man doch recht klar zwischen den Zeilen herauslesen, dass u.a. die Anforderungen bei Pandemic Legacy ein wichtiger Kritikpunkt waren. Anforderungen sowohl in Hinblick darauf, das Spiel relativ oft in der gleichen Runde spielen zu müssen wie auch in Sachen Regelkomplexität am Ende der Kampagne. Berechtigte Kritikpunkte für eine SdJ-Jury, wenn es darum geht, ob die Oma das Spiel blind im örtlichen Kaufhof kaufen und dem Enkelchen unter den Christbaum legen kann.

    Die SdJ-Jury ist sicher nicht gegen starke Elemente von "Geschichtenerzählen" in einem Spiel. Da muss man auch gar nicht 30+ Jahre bis Sherlock Holmes zurückgehen. Vor wenigen Jahren hat schließlich "Die Legenden von Andor" den grauen Pöppel gewonnen. Aber: das "System SdJ" basiert darauf, dass Otto-Normal-Käufer ohne Ahnung von Spielen die ausgezeichneten Spiele kauft, verschenkt, und der Beschenkte hat mehr oder weniger garantierten Spaß an dem Spiel. Deshalb legen sich die Händler die ausgezeichneten Spiele in riesiger Zahl in ihre Regale, deshalb zahlen die Hersteller Lizenzgebühren für die Benutzung der Pöppel-Logos, so finanziert sich das ganze System.


    Otto-Normal-Käufer tickt allerdings ein bisschen anders als wir Geeks hier. Ich glaube nicht, dass "T.I.M.E Stories" oder "Pandemic Legacy" da unter Gelegenheitsspielern auf die gleiche positive Resonanz stoßen würde wie unter denen, die mindestens 1x pro Woche ein Spiel spielen und dabei auch Sachen wie intensive Regelvorbereitung und -recherche für normal halten. Man schaue sich z.B. die Masse von Regelfragen zu "T.I.M.E Stories" an, die hier regelmäßig von Asmodee-Mitarbeitern beantwortet werden (was ich toll finde!). Der Otto-Normal-Spieler, der keine Spiele-Foren liest, wäre doch mit sowas schlicht überfordert -- und der wird mindestens so viele Fragen haben wie die Unknowns-Leser, eher mehr.


    @[Tom] weist bei den Legacy-Spielen auch zurecht darauf hin, dass die Partien aufeinander aufbauen und man sie quasi in einem Rutsch durchspielen sollte (oder sogar muss). Das kann man vom Zielpublikum der (K)SdJ-Preise nicht verlangen. In der Summe haben die beiden genannten Geschichten-Erzähl-Spiele meiner Meinung nach damit deutlich zu viele Angriffspunkte, um sie mit dem Massenmarkt-Preis KSdJ auszuzeichnen. Gedankenexperiment: Kann man sich gut vorstellen, dass die Verkäuferin in der Spielwaren-Abteilung vom örtlichen Galeria Kaufhof den Omas im Weihnachtsgeschäft "T.I.M.E Stories" als Geschenk für den spielfreudigen Enkel anpreist? Ähem. Eher schwierig. Von daher könnte ich mir Empfehlungsliste oder vielleicht sogar auch eine Nominierung als klare Würdigung dieses durchaus innovativen Konzepts zwar noch vorstellen, aber eben nicht mehr. Ich kann mich täuschen, aber den Gewinnertitel würde ich dann doch eher unter den "normaleren" und "gewöhnlicheren" Spielen vermuten.

    @HDScurox: Ich verstehe, was du meinst, zum Teil gebe ich dir dabei auch recht, aber es ist bei Oben und Unten sicher auch ein Kompromiss, um das Geschichtenerzählen (und damit die Gesamtspielzeit) kurz zu halten. Ich kenne Spieler aus der Hardcore-Optimier-Fraktion, die würden vermutlich nach der zweiten oder dritten vorgelesenen Geschichte sagen: "Lass das Bla-bla weg, sag mir direkt, welche Optionen ich habe und wieviele Laternen ich dafür brauche. Oder einfacher noch: Ich sag dir, wieviele Laternen ich ausgeben will und du sagst mir, was ich dafür kriege." :S


    BTW: Das Grundsystem von Oben und Unten lädt doch geradezu ein, eigene Geschichtenbücher zu verfassen. Früher oder später dürfte es Fan-Erweiterungen geben und dabei würde ich dann davon ausgehen, dass etwas weniger Kompromisse gemacht werden und der Fokus mehr Richtung Geschichtenerzählen verschoben wird.

    der ganze Jahrgang hat bisher kein Spiel hervorgebracht, dass mich beim Probespielen überzeugt hätte und von dem ich annehme, es könnte ins Auswahlraster zum grauen Pöppel passen.

    Bei den beiden Bedingungen "gefällt mir" und "passt zum grauen Pöppel" gibt's bei mir auch nur Steam Time als einziges Spiel, das beides erfüllt. Kein Überhammer, aber ein grundsolides, gutes Spiel und definitiv KSdJ-würdig. Kennst du das? Ansonsten gebe ich dir recht: die letzten beiden Jahrgängen waren nicht so reich an Highlights. (Und zwei der besten Spiele in dieser Zeit, nämlich Scoville und Steam Works, gibt's gar nicht erst auf deutsch.)



    Wenn Oben und Unten doch nur ordentlich Lektoriert worden wäre und das Konzept der Geschichten konsequenzt zu Ende geführt worden wäre

    Nach mittlerweile 7 Spielen (alles 2er mit meiner Frau) kann ich sagen, dass es diese holprigen Sätze gibt. Ja, auch zu viele davon -- kein Wunder, der Übersetzer ist der berühmt-berüchtigte Ferdinand Köther. Arghh. Wieso darf dieser Dilettant immer wieder Übersetzungen verhunzen?! Liebe Verlage, holt euch Übersetzer, die's auch wirklich können und nicht nur so ungefähr! Aber sooo dramatisch finde ich das alles in diesem speziellen Falle auch wieder nicht. Es ist kein Gesetzestext, wo's auf jedes Wort ankommt. Warum z.B. die Erfolgsbedingung "explore 3" (Laternen = "explore"-Symbol) mit "Erfolg 3" übersetzt wurde, bleibt vermutlich für immer Ferdinands Geheimnis. Aber man gewöhnt sich recht schnell dran, ein vorgelesenes "Erfolg X" als "ich brauche X Laternen" zu verstehen. Außerdem: Bei sowas Geschichten-Lastigem ist eh Phantasie gefragt, die Bilder zu den Geschichten müssen im eigenen Kopf entstehen, das ist wichtiger als die Übersetzung, auch wenn eine bessere Übersetzung dabei sicher manchmal helfen würde.


    Definitiv überzogen ist jedoch deine Kritik an den nicht zuende geführten Geschichten. Einfache Rechnung: es gibt 25 Höhlenkarten, auf jeder sind 6 Geschichten-Einsprungpunkte, die man per D6 erwürfelt. Macht 6*25=150 Geschichten (unter der naheliegenden Annahme, dass nichts doppelt vorkommt, sonst weniger).
    Es gibt im "Buch der Begegnungen" 223 Geschichten-Fragmente. Das heißt, dass ein nennenswerter Anteil sich über mehrere Fragmente erstreckt. Meist in Form von "Wenn du dich für Auswahl A entscheidest, lies weiter bei Geschichte Nummer X.", wobei da selten zweiteilige Sachen kommen. Wenn's mehrteilig ist, dann meist stärker verzweigt, was dann natürlich umgekehrt auch heißt, dass einteilige Sachen die überwiegende Regel sind.


    [Halb-Spoiler, weil eigentlich nicht überraschend, trotzdem entsprechend gesetzt:]

    Ich würde Quadropolis eher auf der "normalen" Liste verorten... Oder?

    Mit 8 Seiten Spielregeln? Nö. Für den roten Pöppel muss in diesem Jahrhundert das sicherere Beherrschen des Zahlenraums von 1 bis 100 sowie etwas Übung im Umgang mit einem Würfel reichen. Schau dir an, wieviel Kritik wegen "viel zu schwer" Colt Express mit seinen 6 Seiten Anleitung abbekommen hat...

    Mein Tip ist Isle of Skye als Gewinner, mit Chancen auch für Quadropolis, Celestia, Grand Austria Hotel und Steam Time. Nicht dass ich diese Spiele für besonders toll halten würde (von den genannten mag ich nur Steam Time), aber das könnte ins Suchraster der Jury passen. Wünschen würde ich mir eine Berücksichtigung von Haspelknecht oder von Oben und Unten, aber glauben kann ich das nicht so recht, dafür ist der dahinter stehende Verlag zu klein. Außerdem Mombasa mit guten Chancen auf die Empfehlungsliste, aber das ist schon zu komplex für eine Nominierung.