Dem möchte ich entscheidend widersprechen und behaupte, dass Erwachsene nicht auf einmal zu Videospielern geworden sind, sondern dass ab Mitte der 90er eine immer größere Zahl vormals jugendlichen Videospieler einfach erwachsen geworden sind
Dem würde ich zustimmen, wobei das mit "erwachseneren" Spielen und Themen sicher einher geht.
Welche für Erwachsene gedachte Videospiele würden Kinder überfordern, präsentierte man sie in einer kindgerechten Darstellung?
Strategiespiele. Von Civilization bis zu den Grand Strategy Titeln von Paradox (hochkomplexe Sandbox-artige Spiele auf der Grenze zwischen Strategie und Simulationen der Sorte "alles hängt mit allem zusammen").
Ich tue mich also schwer mit der Vorstellung, dass die einfache Formel "mehr Brettspielinhalte für Erwachsene = mehr Erwachsene Spieler" in der Realität wirklich aufgeht.
Geht mir ähnlich, allerdings mit ein bisschen anderer Begründung. Die Schnittmenge zwischen "erwachsen(er)en" Themen und den Restriktionen beim Brettspieldesign ist kleiner und weniger massenkompatibel als beim Videospieldesign. Beim Brettspieldesign ist allzu viel Verwaltungsaufwand immer tötlich. Das kann der Computer allemal besser. Gleichzeitig setzt es notwendigerweise immer viel stärker auf Abstraktion. Egal ob Eurospiel oder Ameritrash: letztendlich schubst man doch nur Pappe und Plastik durch die Gegend. Während das Videospiel eben direkt zeigen kann, was es zeigen will. Das Brettspiel kann gar nicht so massentauglich sein; es verlangt mehr vom Spieler.
[Spielen im Familienkreis]
Die einzigen die spielen weil sie Spaß am Spielen haben sind die Kinder.
Hast du Kinder? Ich kann dir versichern, dass es mir Spaß macht, mit meinem Töchterchen große Duplo-Türme zu bauen. Ja, echt Spaß, nicht nur "ich freue mich, wie sie lernt".
Man kann Erwachsene im Alter nicht zum Spielen aus Spaß bekehren, wenn sie nicht schon als Kind zum Spielen erzogen wurden.
Sehe ich nicht so. Es gibt immer mal wieder Menschen in unserem Hobby, die erst spät und familiär völlig unbelastet dazu gekommen sind. Sei es durch Freunde, sei es durch Nachbarn, sei es durch Arbeitskollegen, sei es durch sonstwen.
Nun fragt man sich aber zu Recht woher diese große Diskrepanz kommt, dass die überwältigende Mehrheit der heranwachsenden Kinder mit Brettspielen aufwachsen, dass aber gleichzeitig die überwältigende Mehrheit der Erwachsenen mit diesen nichts mehr zu tun haben will.
Ob die "überwiegende Mehrheit" noch mit Brettspielen aufwächst, oder doch nicht schon eher mit allerlei Smartphone-Unterhaltung, darüber könnte man sicher auch diskutieren, aber zu dieser Frage habe ich auch einen interessanten Gedanken beizusteuern, siehe unten. Erstmal dazu:
Und hierfür mache ich zu einem nicht unerheblichen Teil das Spiel des Jahres verantwortlich!
Meiner Meinung nach steigerst du dich hier in wilde Theorien rein. Der SdJ-Verein hat, wie jeder der für Spiele werben will, nun mal das unlösbare Problem, dass sich die Spielewelt weit aufgefächert hat. Früher konnte man mit SdJ-Siegertiteln wie Siedler von Catan, El Grande, Tikal oder anderen noch Gelegenheits- wie Vielspieler unter einen Hut bringen. Geht heute nicht mehr. Die SdJ-Leute haben darauf zunächst mit einem "Sonderpreis komplexes Spiel" reagiert (alle zwei Jahre verliehen), später dann mit der Einführung des grauen Pöppels. Dass die Ausrichtung der Preise tendenziell ruhig dem Publikum ein bisschen mehr zutrauen könnte, das würde ich so auch noch unterschreiben. Da war in den letzten Jahren doch arg viel allzu seichte Kost dabei, gerade im Vergleich zu früheren SdJ-Gewinnern wie Tikal, El Grande, Dominion oder anderen. Aber richtig ist auch, dass Expertenspieler wie hier in diesem Forum sicher nirgends abgeholt werden müssen, weil sie selbst schon gut wissen, was sie spielen wollen.
In meinem Kopf habe ich immer das Bild eines Mittzwanzigers, der in der letzten Zeit immer mehr von den ganzen tollen neuen Brettspielen gehört hat und das kindliche Interesse am Spielen regt sich auf einmal wieder. Er/sie besorgt sich also das neue Kennerspiel - und legt Plättchen aus. Der enttäuschte Mittzwanziger fühlt sich von der SdJ Jury nicht auf eine tolle Reise mitgenommen, sondern vor 15 Jahren im Regen stehen gelassen.
Für den Mittzwanziger ohne Spielerfahrung ist es meiner Meinung nach völlig egal, ob er Plättchen legen, Karten ziehen, würfeln oder sonstwas machen soll. Ob Legacy, Story-Telling, Plättchen aussortieren, Preise festsetzen. Alles ganz egal. Der erlebt "Brettspiel" auf "Kennerspiel-Niveau" so oder so als ungewohntes Gerüst komischer Regeln, und wenn er sich freiwillig da rein begibt, dann hat er entweder Spaß dabei oder nicht. Das ist das Entscheidende. Spielspaß. Beim einen kommt der eher bei Isle of Skye, beim nächsten eher bei T.I.M.E Stories und beim Dritten eben bei Pandemic Legacy. Die Jury musste abwägen, wo das am ehesten/sichersten funktioniert und hat da meiner Meinung nach eine nachvollziehbare Entscheidung getroffen.
Ach ja: Meine These, die ich hier auch nochmal in den Raum schmeißen möchte: Wir haben in Deutschland das Problem, dass wir rein sprachlich schon Spiele als Untermenge von Spielzeug sehen. Damit ist unser Hobby automatisch in der Kinderabteilung verortet. Die Amis haben's da besser. Da gibt's "toys" und "games". Das steht eher parallel. Das eine als Hilfsmittel zum ziellosen Herumspielen (wie z.B. Lego-Steine), das andere als interaktive Form mit Regeln und Spielziel. In Deutschland hat jeder, der Spiele breiter in der Gesellschaft verankern will, das Problem, Spiele aus der Kinderecke herauszulösen. Wobei das, wie oben schon gesagt, wesentlich schwieriger ist als bei Videospielen, weil die Schnittmenge zwischen Erwachsenen und Spielern klein ist. Ob matheaffine Optimierfreaks mit Spaß am Kopfrechnen, Kriegsnachspieler mit Spaß am Handling von hunderten von Pappcountern per Pinzette oder passionierte Halb-Spieler / Halb-Miniaturenanpinseler -- alles nur Randgruppen hier.