Beiträge von Countrysidepop im Thema „Auf den Spuren von Marco Polo?“

    Ich möchte ein kleine Liebesrede für bewusste Asymmetrien, Dysbalancen und Schieflagen im Spiel halten, am Beispiel von MARCO POLO. Denn ich mag MARCO POLO gerade aufgrund der potenziellen Asymmetrien, Dysbalancen und Schieflagen im Wechselspiel der Charaktere und Stadtkarten. Warum? Weil sich das Spiel dadurch nicht kontrollieren lässt. Es wird ungerecht. Es verteilt ganz smart Vor- und Nachteile und wird unkalkulierbar. Dies ist die Herausforderung an den Spieler: in eine jedesmal neu gemixte Labyrinth-Stuation geworfen zu werden und im Spannungsverhältnis scheinbar stärkerer und schwächerer Charaktere in Beziehung der willkürlich ausliegenden Stadtkarten und dem anderen Zeug das Beste daraus zu machen. Denn so ist auch das Leben: unberechenbar. Es stattet Menschen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten und Gaben aus und befördert sie in den Raum. Kontrollfreaks werden ihre liebe Mühe haben, das Spiel in den Griff zu kriegen und Ungerechtigkeiten bejammern. Sollen sie. Denn dies ist genau das Kompliment für das Spiel. Freie Abenteurer finden hier eine Heimat. Die grösste Kunst der Dysbalance innerhalb eines gesteckten Rahmens erreicht für mich dabei A STUDY IN EMERALD von Martin Wallace. Wenn man ein Spiel spielt, weil man die möglicherweise leicht schiefe, nerdhafte Ausgangslage als Aufgabe betrachtet und die stets neue Bewältigung als Reiz, ohne dabei auf die Gerechtigkeit zu blicken und den Sieg außer acht zu lassen, dann ist MARCO POLO ein flexibles, dynamisches Euro-Wesen zum Surfen. Das ist für mich der eigentliche Zauber des Spiels: das, was kritisiert wird. HiG ist es gelungen, einen redaktionellen Schliff hinzulegen, der dem Spieler einen freien Raum lässt, der HELIOS abging, weil sich HELIOS entzaubern lässt. Ein Schicksal, das MARCO POLO vermutlich erspart bleibt.