Kommende Woche stellt Wil Wheaton in seiner TableTop Videoshow das Spiel vor. Spätestens dann wird es wohl in Sachen Abverkäufe durch die Decke gehen. Die deutschsprache Version von Heidelberger ist seit letztem Donnerstag verfügbar und sollte inzwischen flächendeckend für knapp 40 Euro zu bekommen sein.
Ich selbst konnte Winter der Toten erstmalig vor einigen Stunden am Samstagabend spielen. In Fünferrunde haben wir uns aufgemacht, die Zombiehorden in Schach zu halten, in unserer Kolonie zu überleben und das gemeinsame Ziel zu erfüllen. Da es für uns alle die Erstpartie war, sind wir der Anleitungsempfehlung gefolgt und haben das "kurze" Szenario mit nur sechs Spielrunden gespielt, bei dem wir einen Haufen Zombie-Gewebeproben sammeln mussten. Zusätzlich hatte jeder noch so sein ganz persönliches Geheimziel, was es zu erreichen galt und was so seine Aktionen kostete auf dem Weg zum Sieg. Tja und dann gab es noch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verräter unter uns weilte, der das gesameinsame Ziel sabotieren wollte und seine ganz eigenen Ziele mit der Kolonie verfolgte.
Der Zufall wollte es, dass ich der Verräter war. Ich sollte vorzeitig die Moral auf 0 bringen und da ich besessen war, sollte ich neben meinem Anführer genau eine Gefolgsperson im Schlepptau haben, zusätzlich alle Beide bewaffnen und einen bestimmten Mix an Gegenstände vorweisen können. Keine leichte Aufgabe, da ich nicht zu offensichtlich gegen die Gruppe spielen konnte, weil stets die Gefahr drohte, dass ich vorzeitig verbannt werden würde. Zum Glück war ich in Reihenfolge der letzte Spieler in der ersten Runde und konnte so erst einmal beobachten, was die lieben Mitspieler so alles machen würden - neben ein wenig Misstrauen streuen und nicht so ganz optimale Ratschläge geben.
Da ich nebenbei noch damit beschäftigt war, wie wir alle, das Regelwerk richtig umzusetzen, hatte ich in der Situation völlig verpeilt, dass wir zwar Werkzeuge für die Bewältigung der gemeinsamen Krise sammeln sollten, es aber ausreichte, dass ein Werkzeug-Icon auf so einer Karte abgebildet war, selbst wenn auf der Karte ein anderer Begriff steht. Also locker so eine Karte offen weggespielt, zum Entsetzen meiner Mitspieler. Was dann folgte, das war ein verbaler Spiessrutenlauf, um nicht vorzeitig als vermeintlicher Verräter verbannt zu werden und stattdessen dieses Ungeschick meiner mangelnden Erfahrung zuzuschreiben - was es ja auch wirklich war. Heftige Emotionen am Spieltisch und eine sich verdichtende Atmosphäre des gegenseitigen Misstrauens. Wahrhaftig schön, das mittendrin mitzuerleben!
Also in den Folgerunden möglichst kooperativ und für die Gruppe gespielt, um den Anfangsverdacht erlöschen zu lassen. Blöd nur, wenn einem ein Mitspieler bei einer spielerischen Lüge ertappt. So geschehen, als ich einen Aussenposten der Kolonie nach dringend benötigter Nahrung durchsuchte, dabei Medizin fand, die ich selbst brauchte und grossspurig behauptete, zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln, weil ich jetzt meine gerade eben gefundene Nahrung offen ausspiele, damit die Kolonie ihren Nahrungsvorrat aufstocken konnte. Er hatte aber mitbekommen, dass ich nicht die eben gefundene Karte, sondern eine andere Handkarte ausgespielt hatte. Ich hatte zudem mitbekommen, dass er das mitbekommen hat. Also schnell versuchen, "in der Rolle bleibend" von dieser Situation abzulenken, was mir zum Glück auch gelungen ist - eventuell weil die anderen Mitspieler ausreichend mit sich selbst beschäftigt waren.
Damit Atmosphäre aufkommt und sich diese auch zu einer Meta-Ebene verdichten kann und damit für ein besonderes Spielerlebnis sorgt, scheint es wichtig, dass man gesprächsfreudig "in seiner Rolle" als Überlebender der Zombie-Apokalypse agiert, mit den Mitspielern Pläne schmiedet und dabei die rein mechanische Ebene verlässt. Ein wenig Pen-and-Paper-Rollenspiel-Erfahrung kann da helfen und gut tun, denn rein auf die Mechanik reduziert, ist das Spiel reinster Amitrash im besten Sinne des Wortes.
Ob es zwingend eine Spielrunde braucht, die diese Meta-Ebene gemeinsam erschaffen kann, vermag ich noch nicht zu beurteilen. Aber zumindest eröffnet es die Chance eines aussergewöhnlichen Spielerlebnis, bishin zur gedachten Präsenz in dieser fiktiven Situation. Das mag nicht jeder und das wird auch nicht jedem gelingen und das Spiel trägt auch ohne die Meta-Ebene ausreichend. Eine passende Grundstimmung und der Wille, die Stimmung am Spieltisch, wenn auch nicht selbst aufzubauend, zumindest durch die Mitspieler entstehen zu lassen, sollte aber schon vorhanden sein. Wer hingegen ein strategisch durchplanbares und nonkommunikatives Euro-Optimier-Puzzle um Siegpunkte sucht und sich nicht umstellen kann, ist wohl gänzlich falsch in so einer Runde.
Wer aber Battlestar Galactica mag, nachdem das Regelwerk verinnerlicht ist und das eigentliche Meta-Ebenen-Spiel der Paranoia beginnen kann, findet in Winter der Toten seine Offenbahrung. Unterstützt wird das durch die Entscheidungskarten. Das sind Textkarten, die ein Mitspieler in der Händ hält und diese kontext-sensitiv auf bestimmte Ereignisse im Zug des aktiven Spielers aktiviert. Die Karte wird dann vorgelesen und es entfaltet sich eine zur Situation passende Story-Epiosode, bei der meist der aktive Spieler eine Entscheidung zu treffen hat oder gemeinsam abgestimmt wird.
An dieser Stelle überzeugt die deutschsprachige Version besonders, denn die Übersetzung ist gut und atmosphärisch und wer immer schon einmal "The Walking Dead" nachspielen wollte, bekommt hiermit ausreichend Gelegenheit. Gute Vorleser können hier Pluspunkte in Sachen Spielatmosphäre sammeln. Eine Spielatmosphäre, die morbide und düster und voller Hoffnungslosigkeit ist, wenn man zwischen Pest und Cholera entscheiden muss. Somit ein klares Erwachsenenspiel, auch wenn es besonders gekennzeichnete Karten gibt, die man vor dem Spiel mit zarten Gemütern entfernen kann, wer mag. Aber ein Spiel, was Selbsttötung als Ausweg anbietet, um eine sich ausbreitende Infektion zu stoppen, kann für so machen schon zu harter Tobak sein.
Am Ende unserer Partie hat übrigens niemand gewonnen. Ich hatte das Glück der letzten Aktion in der allerletzten Runde und damit die Chance, es meinen Mitspielern so richtig zu verderben. Eigentlich hätten die mich vorzeitig aufhalten und verbannen müssen, aber dieses besondere Spielelement kam eventuell in meiner Erklärung zu kurz, so dass es nur kurzzeitig als Idee zur Sprache kam, dann aber schnell wieder vergessen wurde. Ich war zwischen Regel-Erinnerer und Verräter-Rolle hin- und hergerissen und wollte auch nicht zu offensichtlich gegen mich selbst spielen. Schwierige Gradwanderung, die sich aber gibt, wenn alle Mitspieler ausreichend regelfest sind und ihre spielerischen Möglichkeiten erkennen und anwenden können.
Die Spielübersichten helfen dabei nur bedingt, denn da steht zwar schön aufgelistet, was man alles in seinem Zug machen kann und was in den Spielphasen passiert, aber eben nicht wie es konkret abgehandelt wird. Die Aktions-Möglichkeiten sind zwar vielfältig, mal mit Würfel-Einsatz mal ohne und mal ist das Ergebnis relevant und mal nicht, aber in der Ausführung dann einfachst gehalten. Für die Erstpartie empfehle ich deshalb die Universal Head Spielübersicht von BGG, die liegt aktuell allerdings nur in englisch vor.
Zwar konnte ich dafür vorsorgen, dass die Moral schliesslich auf 0 gefallen wäre, allerdings wechselte ich leichtfertig von der Kolonie zu einem Aussenposten, musste wie üblich würfeln, ob ich dabei eine Wunde, eine Frostbeule oder gar den direkten Tod durch Zombie-Biss hinnehmen musste und so starb meine eine Gefolgsperson und ich hatte meinen Geheimauftrag nicht erfüllt. Selbst schuld, weil ich auch da nicht wirklich realisiert hatte, oder erst dann, als es zu spät war, dass eine und auch nur eine einzige Gefolgsperson für meinen Verräter-Geheimauftrag überleben musste.
Was ich aus der Erstpartie mitnehme: Die Spielanleitung lässt an einigen Stellen wichtige Details zum Spielverständnis aus, die mir erst klar wurden, als ich das Spiel dann das erste Mal gespielt habe. Diese Details blieben damit auch für meine Mitspieler unklar, weil ich diese Unklarheiten als solche überhaupt nicht erkannt hatte und dementsprechend auch nicht vorab ausreichend gut erklären konnte. Hier sollte man eine Erstpartie wirklich als Erfahrung ansehen, um das Regelwerk zu verinnerlichen und ggf aufkommende Detailfragen gemeinsam zu klären.
Zudem braucht man mit fünf Erstspielern und damit in Maximalbesetzung am Tisch ausreichend Zeit und Gelassenheit, weil der Erklärer erstmal selbst noch ins Spiel finden muss und zeitgleich Spielsituationen klären soll. So eine der sechs Runden kann dann schon mal was dauern, besonders wenn einzelne Mitspieler unterschiedlich viele Charaktere bei sich anhäufen und dementsprechend mehr Aktionswürfel zur Verfügung haben. Eventuell hilft da eine Selbstbeschränkung, damit das Ungleichgewicht der aktiven Spielanteile nicht zu extrem wird oder lieber direkt nur mit drei oder vier Spielern in so eine Erstpartie starten?
So oder so, die Partie hat allgemein gefallen und Winter der Toten hat das gehalten, was ich mir davon erhofft hatte. Ein Amitrash-Spiel voller Atmosphäre mit vielen kleinen Storyepisoden und spielerisch ausreichend umfangreich, zeitgleich aber auch ausreichend unkompliziert zu spielen. Durch die diversen Szenarien-Karten kann jede Folgepartie neu werden und wer mag, spielt komplett kooperativ oder auch mit einer höheren Chance auf einen Verräter in der Runde.
Für mich das bessere Battlestar Galactica, weil es das Spielerlebnis und nicht das Regelwerk in den Vordergrund stellt. Ok, dass ich ein bekennender Fan von "The Walking Dead" bin, hilft dabei sicher auch, das Spiel als Highlight zu empfinden. Absolute Kaufempfehlung an alle gerichtet, die solcher Art von Spielen mögen. Ich fiebere der nächsten Partie schon entgegen - wer ist wann bereit? Mitspieler gesucht!
Cu / Ralf