Beiträge von Bierbart im Thema „Wo bleiben eigentlich...“


    Ich glaube nicht, dass sehr radikale Veränderungen im großen Stil eine Chance haben, auf dem Markt akzeptiert zu werden. Dafür ist das dann zu fremdartig im Vergleich zum Gewohnten.


    Vielleicht doch, sofern wir uns von der rein mechanischen Ebene lösen. Denken wir einmal an Sammelkartenspiele. Die haben die Spielelandschaft schon sehr stark und auch nachhaltig verändert. Gut, so eine Marktrevolution gab es seitdem auch nicht mehr, und es zeichnet sich derzeit auch keine solche ab, aber sowas kann immer mal wieder passieren.

    Um die Liste innovativer Spiele der jüngeren Zeit ein wenig zu erweitern: Mord im Aroso (Deduktion nach Geräuschen); Space Alert (war übrigens nicht ganz neu. In den 90ern gab es dieses Star Trek Next Generation Spiel mit einer Videokasette, die nebenher lief - kennt das noch jemand?!). Obwohl radikal anders, und obwohl beide Spiele als gelungen gelten, hat sich nichts davon als wegweisende Innovation durchgesetzt.

    Und warum? Ich stelle hiermit eine etwas steilere Hypothese auf: Die Ideen passten aufgrund ihrer Abgedrehtheit nicht zu den üblichen Erwartungen der Zielgruppe der Vielspieler. Das Gros unserer Szene will schwere Euros oder Ameritrash. Alles, was nicht in dieses Schema passt, taugt nur für Zwischendurch. Außerdem laufen die meisten Neuheiten bei uns durch den Durchlauferhitzer. Wir geben doch kaum einem neuen Spiel überhaupt die Chance, ein Meilenstein zu werden, selbst wenn wir es richtig gut finden (wer von Euch hat Space Alter schon mal durchgezockt?). Würden wir das, so hätten wir in der kollektiven retrospektiven Bewertung vielleicht schon das eine oder andere innovative Spiel der letzten Jahre gefunden.
    Okay, unter diesen Annahmen müsste also ein Spiel, das einen komplett neuen Trend setzen soll, unbedingt vom Mainstream wahrgenommen werden. Die Marktpräsenz reichte aber bei beiden Spielen nicht aus, um Gelegenheitsspieler zu erreichen, denn ohne Nachfrage kein Angebot, ist ja logo. Hätte man das geschafft, hätte sich vielleicht ein neuer Trend etabliert.

    (Space Alter war natürlich auch viel zu komplex für den Massenmarkt, aber ich bin mir sicher, dass ein weniger frickliges Echtzeitspiel sich richtig gut verkaufen würde)

    Ich finde den Vergleich mit Szene-Musik ziemlich treffend. Da gibt es genau das selbe Phänomen von Kreativen, die sich ganz überwiegend aus der Fangemeinde rekrutieren. Innovation bedeutet dort auch entweder nur schon Vorhandenes neu zu kombinieren, oder es bedeutet: Radikalität, und somit Schaffung einer neuen Stilrichung. Ich wüsste schon ein paar Beispiele für neue Entwicklungen im musikalischen Bereich, aber manches davon hat sich nicht durchgesetzt (z.B. Elektro-Elemente im extremen Metal, was in die Kategorie "Kombination von bereits Vorhandenem" fällt) oder ist eben so radikal, dass es kein normaler Mensch anhören kann.
    Innovation in Bereich der Brettspiele funktioniert da ähnlich: Man kann Mechaniken quantitativ varriieren, oder aber durch radikale Ansätze ein qualitativ ganz neues Subgenre schaffen, wie beispielsweise dadurch, jede Interaktion abschaffen, oder eine möglichst detaillierte Simulation zu entwerfen, oder andererseits die stimmige Umsetzung eines Themas zur höchsten Priorität zu erheben.

    Das als grundlegender Gedanke, sprich: Innovation muss sich nicht auf Mechaniken oder Medien beschränken, sondern kann auch auf die meta-Ebene abzielen.

    Ich bin jetzt nicht so der krasse Vielspieler, dass ich für mich in Anspruch nehmen kann, über alle Entwicklungen bestens informiert zu sein. Ich denke aber, bei der Masse an Neuveröffentlichungen müssten eigentlich jede Menge innovativer Ideen vorhanden sein, seien es thematische Ansätze, mechanische, oder das Artwork betreffend (z.B. Mushroom Eaters). WIr nehmen die aber vielleicht nur nicht zur Kenntnis, weil die in der Masse untergehen, oder weil das betreffende Spiel insgesamt trotzdem schlecht ist oder aus sonstigen Gründen nicht beachtet wird (infantiles Artwork, unverständliches Regelwerk, schlechtes Marketing, Tom Vasel schmeißt es vom Dach blabla...). Ich denke da natürlich an die ganzen halbgaren Kickstarter. Um die Zahlen einmal zu verdeutlichen: BGG listet für 2013 im Mittel JEDEN TAG 10 Neueinträge in die Datenbank (seit 1983 verdoppelt sich diese Zahl etwa alle 10 Jahre, nebenbei bemerkt). Klar, was ich meine? Da muss einfach mehr drinstecken, als wir zur Kenntnis nehmen können.

    Insgesamt finde ich übrigens die Sache mit den Innovationen eher zweitrangig. Wichtig ist für mich, ob es als soziale Aktivität funktioniert, und dabei am besten noch thematisch und - ja, ich stehe dazu - auch schön anzukucken ist. Dominion war beipielsweise zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung innovativ - ich finds trotzdem scheiße. Battlestar Galactica ist eine aufgeblähte 3-Stunden-Version von Werwolf, hat alles bei Camlot geklaut und bietet mechanisch nichts neues? Mir egal, ich finds geil, weil es genau das bietet, was ich von einem Spiel haben will.

    Will sagen: Ich brauche eigentlich keine Innovation, so lange ein Spiel auf der thematisch/sozialen Ebene funktioniert, oder besser funktioniert, als andere Spiele.... Diesen Gedanken weitergedacht: Wenn jemand ein Spiel auf dieser Ebene auf eine neue Innovationsstufe heben möchte, könnte man es wahrscheinlich stärker vom Medium lösen, und zwar nicht nur Richtung Einbindung anderer Medien, sondern direkt auf die soziale Ebene anzielend, also Richtung Scotland-Yard-Liveaction-Spiele oder Schach-Boxen.

    So, das als kleine Gedankensammlung ohne echten roten Faden hierzu. ;)

    (Übrigens: Hör ich da zufällig irgendwas von wegen "Hey, Dominion war mechanisch überhaupt nicht innovativ", oder so...? ;) Kann sein, das weiß ich nicht genau, aber das ist eben das, was ich meinte: Ausprobiert wird viel, die Ideen sind wahrscheinlich da, nur schlägt das aus verschiedenen Gründen nicht zwangsläufig durch.)