Beiträge von LemuelG im Thema „Spannungsbögen bei Spielen“

    Das mit der Einflussnahme legst jetzt Du mir in die Tasten, Atti. Das habe nämlich ich nicht geschrieben.


    Ich glaube, in letzter Instanz liegen wir mit unseren Ansichten gar nicht so weit auseinander, schaffen es nur nicht wirklich hundertprozentig, diese dem anderen verständlich zu machen.


    Alles was ich sage, ist, dass der Autor einen Korridor für den Verlauf des Spannungsbogens vorgibt. In diesem Korridor treffen die Spieler ihre Entscheidungen, wobei zumindest bei Vielspielerspielen der Autor wohl in aller Regel von gleichstarken Gegnern ausgehen wird. Unter dieser Voraussetzung ermöglicht er so eine mehr oder minder hohe Entscheidungsfreiheit der Spieler.


    Ich stimme Dir zu, ein Spiel ohne Einflussnahme (man wird vom Spiel gespielt) hätte keinen Spannungsbogen. Ob das Gegenteil, nämlich ein Spiel, bei dem jede einzelne kleine Entscheidung massive Auswirkungen auf den Spielerfolg hat, demgegenüber über einen guten Spannungsbogen verfügt, würde ich aber nicht als gegeben ansehen. Vermutlich überlagert hier dann eine Analysis-Paralysis-Tendenz (oder zumindest zu lange Überlegungspausen) einen Teil der Spannung. Wie auch Schach würde ich so ein Spiel dauerhaft nur mit Uhr spielen wollen. Ich glaube, der Großteil der (auch richtig guten) Spiele lässt sich irgendwo im Kontinuum zwischen diesen beiden Extremen ansiedeln. Es gibt angenehm viele schwierige Entscheidungen, die grundsätzliche strategische Ausrichtungen vorgeben, und demgegenüber auch leichtere Entscheidungen, die sich aus den schweren Entscheidungen ergeben. Insofern also eine Art Zyklus aus Anspannung und Entspannung im Kleinen, eingebettet in einen übergreifenden Bogen, der die getroffenen Entscheidungen immer endgültiger werden lässt.

    Zitat

    Original von Attila
    Ich habe schon immer gesagt: (Fast) jedes Spiel macht in der richtigen Runde auch Laune. Das heisst nicht, das die Spiele alle so doll sind, sondern das der Schwerpunkt beim Spielen halt (für mich) auf den Spielern liegt und nicht auf dem Spiel.
    Wenn es aber keine Kriterien gibt die ich mehr oder weniger objektiv erfassen kann, an denen ich die Güte eines Spieles festmachen kann, sondern nur Wischiwaschi Kriterien, wie den "Spannungsbogen" (wo keiner weiss was das ist, und jeder etwas anderes drunter versteht), dann ist es letztendlich Geschmack um den hier Diskutiert wird. Ich finde Artischocken zum kotzen. Salami schmeckt doch viel besser... ja ne, iss klar.


    Betrachte ich aber Spiele, mal unabhängig von den Leuten mit den ich spiele, dann habe ich für mich aber durchaus Kriterien die über "ja, finde ich gut" oder "tolle Dramaturgie" hinausgehen. Ein extremer Unterschied zwischen Film/Theater und Spiel ist z.B. das ich im Spiel Einfluss auf den Verlauf und dessen Ausgang nehmen kann, während das andere ein reines berieseln ist. (Jetzt schreien, die Cineasten natürlich das kann man so nicht sagen ...)


    Für mich ist das ein wesentlicher Teil eines Spieles. Ohne das, würde ich ein Spiel nicht mehr als Spiel bezeichnen wollen. Diesen Einfluss kann man imo durchaus quantifizieren (wenn man es wirklich auf die Spitze treiben möchte). Man könnte imo auch Sachen wie z.B. den Widerspielreiz daran fest machen und auch so manche andere dinge, die normal "aus dem Bauch" heraus bewertet werden, oder aufgrund von Schlussfolgerungsketten, bzw. meistens ist es dann wohl ein Mix aus beidem.


    Lieber Atti,


    damit unterschlägst Du aber in beträchtlichem Maße die schöpferische Leistung eines Spieleautors. Konsequenterweise müsste es sich beim Spieleerfinden nach Deiner Lesart um ein nahezu beliebiges Zusammenwerfen von Mechanismen handeln, ohne in irgendeiner Form darauf zu schauen, wie diese sich zusammenfügen und inwiefern das Resultat ein spannendes, halbwegs gleiche Chancen und Wiederspielreiz bietendes Spielerlebnis ist. Deine Spielekritiken müssten sich dann darauf konzentrieren, dem Leser Anhaltspunkte zu geben, für welche Spielerunden das Spiel geeignet ist. Noten dürftest Du auch keine vergeben. Ich glaube nicht, dass das ernsthaft Deine Meinung ist.


    Der von Dir angesprochene "extreme Unterschied" zwischen Filmen und Spielen, nämlich die Einflussnahme, ist doch ein arg gekünsteltes Argument. Es ist doch absurd zu behaupten, Du seist bei Spielen frei in Deiner Entscheidung. Bei Agricola kannst Du Dir doch nicht in Deiner ersten Aktion des Spiels mal eben 10 Steine nehmen, weil Dir nach Renovieren ist. Im Gegenteil - Deine Entscheidungsfreiheit besteht nur in einem engen, vorgegebenen Regelkorsett, in aller Regel kannst Du nur zwischen einer Handvoll von Optionen entscheiden - und in diesem Regelwerk manifestiert sich die schöpferische Leistung des Autors. Durch die Züge, die er Dir und Deinen Mitspielern ermöglicht, gibt er doch in einem vergleichsweise engen Rahmen vor, wie das Spiel sich nur entwickeln kann. Dabei trifft er realitätsbasierte Annahmen über wahrscheinlich sinnvolle Verhaltensweisen von Spielern (nämlich, dass sie versuchen werden, ihren Erfolg zu maximieren, indem sie auf Sieg spielen). Selbstverständlich bedeutet das, dass er so wie ein Drehbuchautor massiven Einfluss auf den Verlauf des Endproduktes nimmt und wesentliche Entscheidungen darüber trifft, wie eng und spannend und nervenzehrend ein Spiel in einer bestimmten Phase sein kann und soll.


    Ob sich nun (entsprechend dem Film, wo viele Bücher zu dem Thema geschrieben wurden) ein oder mehrere archetypische Spannungsbögen identifizieren lassen, wäre Gegenstand einer größeren Untersuchung, an deren Ende eine quasi wissenschaftliche Definition stehen kann. Ich persönlich finde den grundlegenden Dreisprung aus Strategieaufbau (Spannungselement: Welchen Weg soll ich gehen?), Strategieumsetzung (Spannungselement: Lassen die interagierenden Mitspieler/meine eigenen Entscheidungen/das Glück einen hinreichend schnellen Fortschritt zu?) und Finish mit der Entscheidung, wessen Strategie am besten gepasst hat (Spannungselement: Werde ich mich am Ende durchsetzen?) allerdings relativ offensichtlich in einer Vielzahl von Vielspielerspielen. Im Detail kann man hier sicher noch sehr viel speziellere Teilschritte identifizieren, und sicherlich auch Ausnahmen (Drehbuchautorenregel: an der geeigneten Stelle darf man auch mal gegen Grundregeln verstoßen). Aber die Behauptung, das Konzept des Spannungsbogens in Spielen sei nicht existent oder nicht sinnvoll, ist bei etwas Auseinandersetzung mit der Materie sicher nicht haltbar.