Beiträge von Brutus44 im Thema „Die Verteidung von Procyon III“

    Die Verteidung von Procyon III - Erster Eindruck

    Da hier ja auch über das Spiel an sich und nicht nur über die diversen Schmiede-Problemchen geschrieben werden soll, will ich mal den Anfang machen, nach einer ersten Runde des frisch eingetroffenen Spiels am Wochenende.

    Vorweg I: Es ist nur ein erster Eindruck und ich habe nur die "Armada" (Raumflotte der Menschen) gespielt, vom Rest also nur einen oberflächlichen Eindruck bekommen.

    Vorweg II: Ich habe damals selbst lange mit mir gerungen ob ich es fördere, weil mich die Grundidee mit der Asymmetrie und den Teams sehr ansprach und aufgrund der vielen Vergleiche mit dem "Ringkrieg", den ich sehr schätze. Habe mich nur deswegen dagegen entschieden, weil ein Freund geordert hat und ich es eh nie auf den Tisch bekommen würde. Dementsprechend hatte ich sehr hohe Erwartungen, und wenn der folgende Text wie ein Verriss klingt, ist das nicht zuletzt auf diese (enttäuschten) hohen Erwartungen zurückzuführen.


    Material und Anleitung sind - von einem gewissen Schreibfehler abgesehen ;) - gut. Die Übersetzung ist sehr gut, die Regelhefte sind OK. Letzteres erwähne ich, weil die englischen Regeln beim letzten mir bekannten Spiel von Turczi "Imperium" im Hinblick auf Verständlichkeit und Struktur unterirdisch waren (das Spiel selbst ist gut). Hier ist die Regel halbwegs übersichtlich und enthält auf der Rückseite eine wirklich hilfreiche Übersicht. Es gab bei uns nur eine nicht lösbare Regelunklarheit, die evt. der Übersetzung geschuldet ist.

    Vom Spiel selbst war ich immer enttäuschter, je länger es dauerte. Warum? Kurz gesagt: Weil Spielen für mich bedeutet, relevante Entscheidungen zu treffen. Da dies m.E. kaum möglich war, erlebte ich das ganze nicht als episch und aufregend, sondern als zäh und uninteressant.



    In Langfassung


    1) Der Armada-Spieler zieht zu Spielbeginn 6 von 27(?) Karten. Drei davon werden zu Kampf-, drei zu Aktionskarten. Mit letzteren muss er die ersten Runden des Spiel klarkommen, erst dann gibts neue. Im Prinzip ist das Spiel an der Stelle schon entschieden, und man kann die nächsten 150 Minuten einsparen: Sind diese Karten schlecht, war's das (so lief es bei uns). Sind sie gut, war's das womöglich für die Gegenseite (keine Erfahrung dazu, kann ich mir aber vorstellen). Es gibt nämlich keinerlei Balance-Mechanismus, sprich wenn es für eine Seite schlecht läuft, kommt die Lawine ins Rollen. Auch die Geschehnisse auf dem anderen Spielbrett können daran kaum etwas ändern, denn der gegenseitige Einfluss ist nicht so groß.
    Am Ende war es bei uns so extrem, dass selbst ein Abfeuern der mühsam und teuer über mehrere Runden aufgeladenen "Superwaffe" der Menschheit (Ionen-Kanone) nichtmalmehr Schaden gemacht hat.
    Dieses Problem benennt Turczi auch selbst als altbekannt und er hat Workarounds vorgeschlagen, aber es war ihm wohl nicht wichtig genug, das Spiel diesbezüglich einfach vernünftig zuende zu entwickeln.

    2) A propos fertig entwickeln… Wir alle kennen Karten mit unpassierbaren Linien, beispielsweise den Gebirgen im Ringkrieg. Normalerweise zeichnen sich Weltraumspiele dadurch aus, dass es dort keine grundlosen unpassierbaren Linien gibt, höchstens mal Asteroidenfelder o.ä. Auch das ist hier anders, es gibt völlig willkürliche unpassierbare Linien mitten im freien Raum. Der Grund ist offensichtlich: Damit die Spielbalance angesichts der Kräfteverhältnisse, Raumschiffgeschwindigkeiten usw. einigermaßen passt, wurden einfach willkürliche Straßensperren ins All gepflastert. Von einem gut entwickelten Spiel dieses Anspruchs würde man erwarten, dass die Mechaniken so ausgetüftelt werden, dass alles passt. Stattdessen passte das Ganze offenbar so wenig, dass künstlich und völlig unthematisch nachgeholfen werden musste.

    3) Aktivieren kann der Armada-Spieler nur, was auf seiner gewählten Aktionskarte abgebildet ist. Da man, s.o., sehr wenig Karten auf der Hand hat, ist man hier oftmals extrem eingeschränkt. Was nützt einem ein Schlachtschiff in Schussposition, wenn die eigene Hand so aussieht, dass man dieses die nächsten drei oder vier Runden (bis zum nächsten Kartenziehen) nicht aktiviert bekommt. Und da führt kein Weg dran vorbei: Ohne Aktivierung durch eine Aktionskarte geht NICHTS, weder Bewegung noch Kampf. Man ist also frustrierend hilflos.
    Manche Aktionskarten können statt einer Raumschiffaktivierung eine "Koordinierungsaktion" auslösen, was nichts anderes bedeutet, als dass man eine Drohne aus dem Vorrat in den Pool bekommt. Grundsätzlich benötigt man diese durchaus (beide Menschenspieler nutzen Drohnen aus diesem Pool), aber halt nicht immer und vor allem nicht, wenn man eh schon hinterherhängt, denn dann nützen einem die Drohnen gar nichts. Unser Drohnenpool lief voll, dafür saß die Menschenflotte ziemlich bewegungslos im All rum.

    4) Die Gegenseite, deren Regeln ich nicht studiert habe, hatte gefühlt wesentlich mehr Möglichkeiten zur Auswahl und insgesamt auch mehr Aktionen. Die schießen einfach pro Runde bis zu 9 (oder noch mehr?) Sporenwolken in den Raum. Als Mensch kann man übrigens (unter Kosten, versteht sich) maximal zwei davon pro Runde entfernen. Die Sporenwolken deaktivieren die Schilde der Menschenschiffe im Sektor (1 Schild pro Wolke). Sind erstmal 7 oder mehr Wolken in einem Sektor, sind diese für Menschenschiffe praktisch nicht mehr zugänglich, ohne im nächsten Zug sicher zerstört zu werden. Da es nur vier Orbit-Sektoren gibt, ist der Planet, wenn es blöd läuft, schnell abgeriegelt und die Menschen haben schon verloren.

    5) Die Mechaniken sind (mein subjektives Gefühl) fürchterlich unintuitiv. Jede Runde sieht man mehrfach nach… "ah, stimmt, die Fregatte hat zwei Aktionen pro Aktivierung, darf davon diese eine aber max. einmal machen, die anderen aber mehrfach." Und nein, mich stören komplexe Regeln normalerweise nicht. Ich spiele gerne Terra Mystica, Ringkrieg, Arler Erde, Rebellion oder Dungeon Lords. Es gibt einfach Spiele, bei denen man schnell "drin" ist und Spiele, bei denen hakt es. Dieses hier gehört zu letzteren.

    6) Insgesamt entsteht einfach nicht der Eindruck, "etwas tun" zu können. In großartigen Spielen kann ich immer etwas sinnvolles tun, wenn auch oft nicht das optimale oder wünschenswerte. Beim Ringkrieg z.B. rekrutiert man halt notfalls oder macht eine weniger wichtige Truppenverschiebung… irgendwas geht immer. Hier dagegen fehlen einem schlicht die Optionen. Da legt man am Ende halt die zehnte Drohne in den Pool, obwohl man die anderen neun schon nicht braucht…

    7) Mechanik um der Mechanik willen: Der Gedanke, dass vier Spieler in zwei Teams mit jeweils völlig unterschiedlichen Regeln und Zielen miteinander spielen, ist extrem ansprechend. Ich kann verstehen, dass Turczi so ein Spiel machen wollte. Es wäre halt nur schön gewesen, wenn es sich irgendwie alles organisch ergeben hätte, anstatt künstlich mit dem Hammer unterschiedliche Regeln und Mechaniken drüberzubügeln. Mechaniken sollten - soweit es nicht ein abstraktes Spiel ist - schon auch thematisch halbwegs passen. Vielleicht reichten seine guten Ideen bisher auch nur für ein oder zwei Fraktionen, und der Rest wurde dann trotzdem irgendwie hingebastelt… keine Ahnung. Die Armada spielt sich jedenfalls mechanisch nicht gut und natürlich.

    8) Vielleicht, und jetzt wird es wirklich spekulativ, ist Turczi auch nur dadurch "verdorben", dass er gefühlt den Automa jedes relevanten Spiels der letzten fünf Jahre gemacht hat. Vielleicht denkt er zu früh zu sehr in Automa-Tauglichkeit und -Mechaniken und vergisst dabei, dass Menschen wenig Freude daran haben, unintuitive Regeln zu folgen und dabei nichtmal selbst Entscheidungen treffen zu können.

    9) Mein Team-Kollege (menschliche Bodenfraktion) fühlte sich ähnlich "gespielt" wie ich. Mein Gegner wirkte auch nicht gerade begeistert. Bei ihm (also der Alien-Raum-Fraktion) scheint viel unnötige Komplexität dabei zu sein. Unnötig in dem Sinne, dass Mechaniken oder Regeln da sind, die keinerlei spielerischen Mehrwert bringen. Siehe Punkt 7 oben.

    10) Fazit: Keine Katastrophe, aber weit hinter den Erwartungen. Im Nachhinein verstehe ich, warum das Ding bei der Schmiede gelandet ist und nicht bei einem der richtigen Verlage.
    Bekommt vermutlich noch eine Chance, aber sicher nicht mehr als eine. Es gibt immer wieder Spiele, bei denen man als erfahrener Spieler in den ersten Spielen merkt, dass man total schlecht spielt, weil es noch viel zu verstehen und zu lernen gibt, dass aber offensichtlich Potential im Spiel steckt. Dieses Gefühl hatte ich beispielsweise beim Ringkrieg, Terra Mystica, Hannibal - Rome vs. Carthage oder Terraforming Mars. Hier nicht. Ich hoffe, ich täusche mich und der zweite Versuch wird gut.