Ich habe heute im aktuellen Katapult Magazin (Druckausgabe) einen interessanten Artikel über die Buchpreisbindung gelesen und wie sie dazu beigetragen hat, die Vielfältigkeit der deutschen Verlags- und Buchhandelsszene aufrecht zu erhalten...
(Ich beziehe mich auf den gesamten guten Beitrag von @DailyAviator, wollte nur nicht alles zitieren)
Das ist eine interessante Ansicht, die sich lohnt weiter zu besprechen, finde ich! Allerdings möchte ich hier nicht auf den Punkt "Buchpreisbindung" und deren Vorteile eingehen, wenn wir eine Preisbindung für Brettspiele hätte, sondern auf die übertragbaren Punkte auf die aktuelle Ist-Situation.
Im Durchschnitt lese ich aus diesem Thread bisher heraus – der Beitrag von z.B. Goldfuzzy hat das schön zusammengefasst – dass viele Leute den Fachhandel schätzen. So löblich das auch ist, allein vom Ansehen wird aber niemand satt. Immer wieder taucht in diesem Thread die durchaus berechtigte Ansicht auf, dass man als Käufer ja auch schauen müsse "wieviel Hobby man für sein Geld bekommt". Ich denke, dass die wenigsten Leute so agieren wie Ben2 das für sich beschrieben hat ("Hobbybudet pro Monat, aus dem man eben nicht das Maximum an Quantität rausholt). Das darf auch jeder für sich selbst entscheiden, denn in erster Linie ist die Beziehung zwischen Fachhändler und Kunde eine Geschäftsbeziehung.
Halten wir also fest: Das Gros der Käufer ist an "Rabatten" bzw. Preisvergleichen interessiert. Da hat der Fachhandel schon aufgrund seiner Ausrichtung und seiner Eigenarten, die PeterRustemeyer hervorgehoben hat, keine Chance gegen. Weil er einfach nicht dieselben Möglichkeiten wie eine Kette oder gar der reine Onlinehandel hat.
Über unbedachte Aktionen wie die Beratung kostenpflichtig zu machen und bei Kauf anzurechnen haben wir zum Glück nicht mehr weiter gesprochen. Denn wenn ich als Fachhandel einen Vorteil gegenüber dem Onlinegeschäft habe, dann ist es der persönliche Kontakt. Diesen Vorteil dann auch noch mit einer Kostenhürde zu versehen ist wie sich sein eigenes Insolvenzgrab zu schaufeln. Der Schluss liegt nahe, dass ich als Fachhändler ausgenutzt werde, dass sich die Leute bei mir informieren und dann im Internet günstiger einkaufen. Auch das kam in Goldfuzzy 's Beitrag heraus ("mal in der Hand halten"). Und dieses Vorgehen kann man den Kunden nicht verübeln, denn ein kluger Händler kauft auch bestmöglich ein. Schließlich besteht zwischen dem Kunden und dem Fachhändler in erster Linie eine Geschäftsbeziehung, in der der Kunde dem Fachhändler nichts schuldig ist (was aber gern so gedreht bzw. romantisiert wird).
Jeder weiß einen guten Fachhandel wegen des Erlebnisses zu schätzen, mal ein Spiel in der Hand zu halten. Das geht mir unbestritten auch genau so. Aber: Kaufe ich dann ein Spiel, wenn es teilweise über 10% teurer ist als im Internet? Wahrscheinlich machen das die wenigsten. Auch das hat Brettspiel Dude in seinem Beitrag schön beschrieben. Auf der anderen Seite liest man aber aus den Beiträgen auch raus, dass es kein wirklicher Verlust wäre, wenn dieses Erlebnis nicht mehr geboten würde.
Für mich persönlich habe ich festgestellt: Ich besuche meine Fachhändler in der Nähe (Tellurian oder Kult Spiele) so gut wie gar nicht mehr. Das hat 3 Gründe:
- Die Preise sind tatsächlich teilweise extrem weit über dem, was im Internet geboten wird. Ich persönlich durchforste nie nach Bestpreisen – diese Seiten nutze ich nur, wenn ich etwas verkaufen will, um den aktuellen Neupreis festzustellen und so die Preispolizei zu vermeiden. Bei größeren Titeln können das schnell mal 10-20 € sein. Im Internet habe ich auch meine Anlaufstellen und bestelle nicht bei dem Shop, der mir am günstigsten erscheint, sondern bei dem, der mir am besten erscheint. Da geht es mir ebenfalls um Kommunikation und Service. In diesem Sinne hat also ein gut aufgestellter Onlinehändler dieselben Vorteile wie ein Fachhändler vor Ort. Nur das Medium unterscheidet sich.
- Immer, wenn ich durch die Läden schaue, das ist mir in 2020 besonders aufgefallen, entdecke ich nichts neues oder interessantes. Entweder besitze ich die für mich interessanten Spiele schon, oder ich besaß sie, oder ich habe mich zuvor schon informiert und das einzige, was mir der Laden dann noch geben kann, ist das zweifelhafte Erlebnis, eine eingeschweiße Verpackung in die Hand zu nehmen. Dahinter steckt im Kern aber das Angebot. Natürlich beschränkt sich ein Fachhändler in erster Linie auf den Mainstream in unserer Nische. Da findet man ein Scythe, ein Twilight Imperium, die X-te Version von Catan.
- Eigentlich der wichtigste Grund, gerade in Corona-Zeiten: Ich bin kaum noch in der Stadt. Hat man sich früher mal "auf einen Kaffee" in der Stadt getroffen, gibt's das heute nicht mehr. Die Dortmunder Innenstadt (was nur auf Kult Spiele zutrifft, weil Tellurian in einem Wohngebiet zu finden ist) findet seit der Eröffnung der Thier-Galerie dort sehr gebündelt statt - zumindest gefühlt. Und diese Malls gibt es ja überall. Auf der einen Seite wird das Einkaufserlebnis gebündelt, um denselben Effekt wie im Internet zu ermöglichen (der nächste Shop ist nur einen Klick entfernt), inklusive vernünftiger Parkplätze, kurzer Wege, etc. Nur kann oder möchte sich anscheinend kaum Fachhändler die Mietpreise solcher Malls leisten.
Ergo glaube ich, dass die "Mal eben"-Kundschaft in Brettspielläden immer mehr abnimmt, nicht nur in Dortmund.
Doch woran liegt das? Was machen die Händler falsch? Oder machen sie alles richtig, nur die Zeiten ändern sich? Meine These: Beides ist der Fall! Meine Erklärung:
- Ohne Online geht es nicht! Sei es mit dem eigenen Onlineshop (der durch die Ausrichtung auf ein Ladengeschäft dennoch nie so funktionieren können wird wie ein reiner Onlinehandel), aber auch bzgl. der Präsenz. Da spielen viele Bereiche eine Rolle, wie Social Media, Erreichbarkeit, SEO, SEA, etc. Wenn ein potenzieller Neukunde nach Brettspielen sucht, muss er bei seinem örtlichen Fachhändler statt bei Thalia oder Amazon landen. Passiert das? Wohl in den wenigsten Fällen. Das ist ein Punkt, der sich mittlerweile einfach entwickelt hat. Wir haben damals schon wärend der Feuerland-Aktion zur Spiel 2020 besprochen, ob man von einem im Internet agierenden Verkäufer (ganz gleich welcher Art) einen funktionierenden Onlineshop (statt Bestellung per E-Mail und Vorkasse) erwarten kann. Da sage ich ganz klar: Kann man nicht nur, muss man sogar. Denn die Konkurrenz macht es vor. Ich will in der Brettspiel-Verkaufsliga mitspielen, dann muss ich mich auch den Regeln beugen. Im Extremfall heißt das: Ich setze mich mal 1-2 Wochenenden hin und lerne etwas über das Internet, oder ich bezahle jemanden, der das kann. Klar kostet das Geld und nicht jeder hat eine Affinität dafür. Aber dann kann ich auch überlegen, was mir wichtiger ist: Meine Komfortzone oder mein Geschäft, das an globale Gesetzmäßigkeiten gebunden ist?
- In meinen Augen dünnt sich das Einkaufserlebnis in den Großstädten aus. Entweder wird es zentralisiert (durch Malls/Einkaufszentren) oder aber es wird gar nicht mehr wahrgenommen, weil die Leute es schlichtweg nicht mehr brauchen/annehmen wollen. Da ist eine gute Lage umso wichtiger. Daran kann ein Fachhändler natürlich nur schwer etwas ändern, aber es trägt ja zum Problem bei. In Dortmund - beispiel Kult Spiele - ist es in 2020 sogar so extrem gewesen, dass wegen Umbau des Gebäudes der Laden durch ein anderes Geschäft betreten werden musste, ohne dass das vor dem Gebäude extrem auffallend gekennzeichnet wurde. Zumindest nicht in den Monaten, in denen ich in der Stadt war. Das ist sicherlich ein extremes Beispiel, aber so kann ein Neukunde auch nicht darauf aufmerksam werden. Auch ohne dieses Problem ist der Laden eher versteckt und abseits der Einkaufsstraße. In Wien bzw. München musste ich mich nach Planet Harry und dem Funtainment auch wundsuchen und im Endeffekt sind das zwei Läden in Garagengröße mit entsprechend kleinem Sortiment. Ohne Navi hätte ich die nie gefunden und ich habe explizit nach ihnen gesucht. Die Lage ist extrem wichtig.
- Die Einstellung der Fachhändler ist vielleicht nicht mehr up2date? Die Art und Weise, wie Menschen sich Informationen suchen, hat sich geändert. Das wurde auch hier schon beschrieben: Der Händler will erstmal verkaufen, was er auf Lager hat und wird darauf hin beraten. Was er nicht hat, muss er bestellen. Dann ist seine Relevanz für den Kunden schon komplett dahin, das kann er nämlich selbst tun. Es reicht heute nicht mehr, sich hinter seine Ladentheke zu setzen und auf die Schafe zu warten. Da muss man in die Öffentlichkeit gehen wie ein Marktschreier. Und zwar dahin, wo die Leute nunmal sind. Und je jünger das Zielpublikum, desto "normaler" ist das Internet für sie. Mittlerweile sprechen wir da auch nicht mehr von Schülern, auch ich bin mit Mitte 30 bewusst mit dem Internet aufgewachsen. Die Bevölkerungsschicht, auf die das zutrifft, ist also alterstechnisch gesehen so langsam die Mitte der Gesellschaft. Positive Beispiele dafür sind z.B. der Wolpertinger oder so langsam auch BigPandaV, die selbstständig in Gruppen aktiv sind, Videos drehen, etc. Man muss von Social Media ja nichts halten. Aber ein Händler sollte etwas von Werbung halten. Und das ist nunmal der kürzeste Weg zum Kunden. Auch zum Neukunden, wenn man ein wenig Geld in die Hand nimmt. Persönlicher Ausflug: Wenn ich als Händler den Persönlichen sozialen Kontakt als mein USP ansehe, dann aber wenig von Social Media halte, müsste ich eigentlich nochmal drüber nachdenken
Durch all diese Faktoren denke ich, dass sich mittelfristig herausstellen wird, dass Fachhändler immer weniger besucht werden. Das Informationsniveau im Internet steigt qualitativ und quantitativ jeden Tag. Abgesehen vom haptischen Erlebnis und dem netten Plausch habe ich bei einem Fachhändler keinen Vorteil gegenüber dem Internet. Dazu kommen aber Nachteile in der Verfügbarkeit, der Zugänglichkeit und der Preisfindung. Die Logistik ist mittlerweile so stark verbessert worden, dass ich nicht nur bei Amazon teilweise noch am selben Tag meine Ware erhalte. Wer da nicht aktiv gegensteuert und einen Mehrwert bietet als lokaler Händler, kann nicht gewinnen.
Diese These(n) beziehen sich natürlich in erster Linie auf Neukundengewinnung. Dass ein Fachhändler durch Leute wie uns, die wir alle zum bersten gefüllte Regale haben, überlebt bzw. gar wächst, glaube ich nicht. Und insgesamt dreht sich vieles in diesem Thread doch darüber, dass mehr verkauft werden müsste (Stückzahl, nicht Auswahl), damit die Verlage mehr verdienen, um nicht durch kleinere Auflagen (durch Auswahl) immer teurer zu werden.
Zusammenfassend kann ich als Ergebnis darunter schreiben, dass Fachhandelsaktionen und Aufrufe, die Fachhändler zu retten, nette Aktionen sind. Die für mich immer noch unbeantwortete Frage ist nachwievor, wie wichtig der Fachhandel für die Neukundengenerierung ist. Es ist aber auch möglich, dass es zutrifft, dass der Fachhandel sehr wichtig ist. Dann trifft es aber auch zu, dass der Fachhandel sich der Welt, die sich nunmal dreht, anpassen muss. Es überleben immer die anpassungsfähigsten. Ist es da richtig, den Kunden ins Gewissen zu reden, ihr Handeln entgegen aller anderen Bereiche aktiv zu konservativieren, statt von den Fachhändlern zu fordern sich den aktuellen Gegebenheiten anzupassen? Wie gesagt, wir sprechen hier nicht von vielen kleinen Amazons und Versandwundern. Viel mehr spreche ich davon, dass knapp der Hälfte der von mir ermittelten (knapp über) 100 Fachhändler in Deutschland nicht einmal eine rechtssichere bzw. moderne Internetseite hat, die innerhalb der letzten 5-10 Jahre mal aktualisiert worden wäre.
Letztenendes gilt doch: Der Kunde hat immer recht. Oder Kunde ist König, wie auch immer Gutes Marketing ist in meinen Augen, den Kunden so anzusprechen, wie er es erwartet. Denn ich will als Händler etwas vom Kunden, nicht umgekehrt. Denn der ist auf mich nicht angewiesen.
Mich würd mal eure Meinung zu den Punkten interessieren