Ich habe mir ja nun auch ein Exemplar von der Spiel mitbringen lassen, obwohl ich unsicher war, ob ich das Spiel neben TMB noch brauche.
Nun – BRAUCHEN nicht, das kann ich nach dem ersten Akt nun sagen, aber beide Spiele sind tatsächlich ausreichend unterschiedlich!
Victorum ist ein ganz hervorragendes Solo-Spiel, das einen immer wieder vor kleine taktische Minipuzzles stellt.
Jeder Kampf findet in einer Arena mit ganz eigenen Regeln statt – mal rennen wilde Tiere herum, die alles angreifen, was ihnen vor die Lefzen kommt, mal sind die Kombatanten aneinandergekettet, mal gibt es Höhenvorteile oder sich bewegende Elemente.
Dazu gibt es immer eine kleine Regeländerung, die durch die Kampfkarte bestimmt wird. Und schließlich treffen kleine Armeen von sich gegenseitig beeinflussenden Keywords aufeinander.
Und im Gerüst dieser Regeln und einzigartigen Besonderheiten muss man immer wieder ein bestimmtes Ziel erreichen (immerhin ohne Zeitdruck!) - und wenn es dann hart auf hart kommt, entscheiden ohnehin die Würfel über Wohl und Wehe!
Und WAS für Puzzle das manchmal sind!
Bestes Beispiel heute aus einem „Sporting Event“. Capture the Flag. Auf dem Spielfeld zwei wilde Tiere, unter den Gegnern ein „local“ (also eine Einheit aus der Gegend), die von den wilden Tieren nicht angegriffen wird, und zwei kleine Dummy-Gegner. Eine der Regeln sagt, dass ich einen Gegner zum „Tribun“ machen muss – das ist der Feind, der nicht sterben darf, sonst habe ich das Event verloren. Mein local hat satte 4 Lebenspunkte, die Dummy-Gegner nur 2, also ernenne ich den local zum Tribun. Das hat einen doppelten Grund: Erstens können ihm die Tiere nichts anhaben, und wenn ich ihn dann noch in Frieden lasse, dann ist alles in Butter und er kommt heil aus der Sache raus.
Zweitens verlangt die Eventkarte, dass ich beim Einsetzen einer Einheit drei gelbe Würfel werfe – das sind die mit einer 1/3 Chance auf einen Treffer, und für jeden Treffer startet die Einheit direkt mit einem Lebenspunkt weniger. Das heißt, die beiden Dummygegner kommen möglicherweise nicht mal lebendig aufs Spielfeld, und wenn einer von ihnen der Tribun wäre, hätte ich direkt verloren. Also muss der local ran.
Also eingesetzt, drei gelbe Würfel geworfen, zack – drei Treffer! Mist!
Da steht er nun, der local, der Tribun, der überleben muss – mit nur noch einem mickrigen Lebenspunkt.
Okay, sag ich mir, muss ich halt noch besser aufpassen, dass ihm nichts passiert, und werfe direkt meinen Tank, „Felsi, der Standhafte“ in den Ring, damit der ein bisschen auf ihn aufpasst.
Der zweite Gegner scheitert direkt beim Einsetzen an den gelben Würfeln und stürzt noch beim Betreten der Arena unglücklich auf sein Schwert. Pech gehabt, schwer verwundet wird er von den mürrischen Sanitätern auf einer blutverwaschenen Trage abtransportiert und jammert dabei wie ein kleines Kind.
Nun bin ich wieder dran, und jetzt werfe ich MEINEN Local in den Ring. Der Grund ist easy: Er hat drei Bewegungspunkte, ist also ratzfatz in der gegnerischen Zone und mit der Flagge zurück zu Hause, und in zehn Minuten sitzen wir siegreich lachend im Lager und genießen unseren Braten. Das wird ein Spaziergang!
Doch plötzlich bemerke ich, wie sich das ganze Dilemma vor mir ausbreitet und mein siegessicheres Grinsen erstarrt.
Heilige Akropolis, der Gegner bewegt sich auf den SCHWÄCHSTEN Gegner zu – also den mit den wenigsten Lebenspunkten. Und das ist nicht länger mein pflichtbewusster Tank, sondern inzwischen mein sich gerade noch schnell die Schnürsenkel zubindender local. Und mein local hat „retaliate“, was bedeutet, dass er, sobald er getroffen wird, einen Schaden zurückschlägt (Der Junge versteht da keinen Spaß!). Okay, denke ich mir – ich könnte auf mein Würfelglück hoffen (Ha!) – vielleicht trifft der Tribun ihn ja nicht, überlebt, und mein local kann davonflitzen, dass dem Tribun der Staub ins Gesicht spritzt – immerhin hat er 3 Bewegungspunkte, der Tribun aber nur 2. Dann jedoch sehe ich, dass der Tribun „Combat Lock“ besitzt, was bedeutet, wenn eine Einheit ihren Zug neben dem Tribun beginnt, kann sie sich in diesem Zug nicht bewegen, also ist es Essig mit „auf die Würfel hoffen und Fersengeld geben“. War ohnehin ein mieser Plan.
Und plötzlich dreht sich das ganze Puzzle gar nicht mehr darum, die Flagge zu kriegen und ins Lager zu bringen, sondern den Tribun mit seinen zwei Bewegungspunkten in der winzigen Arena von meinem local fernzuhalten, denn sobald die beiden nebeneinander enden, habe ich verloren. Uff!
Also schiebe ich meinen Tank zwischen die beiden, kann so das Schlimmste vorerst verhindern (Felsi ist breit, und der Weg um ihn herum lang) und in der nächsten Runde eine weitere „schwächste“ Einheit aufs Feld bringen, die ich dem Tribun zum Fraß vorwerfen kann, und die sich bereit erklärt, den Prügelknaben zu spielen und sich heroisch aufopfert. (Zum Glück sind Sporting-Events nicht tödlich!) So gelingt es mir, die Situation lange genug in einer kippeligen Balance zu halten, bis mein local sich an den Tieren vorbei zur Flagge durchgeschlagen hat, wo er noch kurz die schon angeschlagen aufs Feld gehumpelte Archerin umtackelt, die ebenfalls bewusstlos weggeschleppt wird.
Und plötzlich wird wieder alles anders, denn jetzt verliert der Tribun schlagartig jedes Interesse an meinen Ablenkungsgegner, jetzt will er nur noch den Flaggenträger und setzt mit Eifer meinem local nach. Ich sehe keine Chance mehr, meinen Flitzi an dem Tribun vorbeizuschleusen, ohne von seinen 2 Punkten erhascht zu werden, als mir plötzlich einfällt, dass ich noch eine Stun-Tactic habe, mit der ich den Tribun eine Runde lang aussetzenruhen lassen kann. Also schicke ich noch einen Tactician in den Ring, der das auch über weite Entfernungen machen kann, warte, bis der Tribun dicht an meinen Flaggenträger herangekommen ist, und setze ihn außer Gefecht. Nun schnellt mein local an dem betäubten Kerl vorbei, in die eigene Zone und – SIEG!
Doch noch einen Weg gefunden! Werft den Braten auf den Rost, und holt ein Pflaster für Felsi!
Das Ganze hat eine knappe Viertelstunde gedauert, die ich aber echt nicht stillsitzen konnte, sondern hoch angespannt über den Tisch gebeugt dastand, weil ich versucht habe, das hoffnungslos scheinende Dilemma noch irgendwie zu retten.
Mit einer anderen Karte oder einer anderen (zufälligen) Gegnerkonstellation wäre der ganze Kampf vollkommen anders verlaufen.
Wer solche Puzzle mag, ist hier also gut aufgehoben.
Mittlerweile habe ich den ersten Akt beendet und meinen ersten Primus gelegt. Ein gutes Gefühl!!
Aber auch von ein wenig Wehmut erfüllt, denn ich kann nur unterstreichen, was ein Youtuber irgendwo meinte: Ähnlich wie im Videospiel X-Com wachsen einem die eigenen Kämpfer im Laufe der Zeit irgendwie ans Herz und werden mehr als nur ein paar billige Plastikchips. Es werden Kameraden! Im Kampf gegen den Primus musste sich mein tapferer Tank, „Felsi, der Standhafte“, der mir elf Wochen lang treu den Rücken freigehalten hat, dann doch der in Ketten heranhumpelnden Übermacht beugen, und bekam vom großen Decimus persönlich den Todesstoß verpasst. Nun ist er im Gladiatorenhimmel, wo er hoffentlich weiterhin nichts und niemanden vorbeilässt, und sich auch am großen Abendmahl der Ahnen immer das größte Stück vom Braten nimmt – eine Eigenart, die seine Mitstreiter in jedem Lager auf der Reise in den Wahnsinn getrieben hat.
Kurz: Wer auf kleine Taktik-Puzzle-Skirmisher steht, dürfte hier finden, was er sucht.
Die Regeln sind manchmal echt kleinteilig, schleifen sich aber mit der Zeit ein. Trotzdem ist es wichtig, von Anfang an sorgfältig zu arbeiten, damit man keine, oder besser möglichst wenig Fehler macht (völlige Fehlerfreiheit halte ich hier für einen größeren Mythos als die Hydra!) : Welche Phase kommt wann in welcher Reihenfolge? Welche Sonderregeln gelten für diesen Kampf (in einem Gefecht habe ich leider völlig vergessen, dass die Gegner laut Karte allesamt +1 Range hatten … ), und wie genau funktionieren die Arena-Sonderregeln? Welche Prioritäten setzen die Gegner wann und wo?
Das Spiel ist echt Regelintensiv, und dazu kommen Dutzende Keywords (wobei es in den Standard-Kämpfen immer dieselben sind. ), die man beachten muss. Man muss sich also in das Spiel einarbeiten.
Bei mir kamen auch noch der ein oder andere z.T. grobe Lesefehler dazu, wodurch ich manche Regeln kräftig missverstanden habe. Hier muss man wirklich auf jede noch so kleine Formulierung achten, wobei ich ja auch keine Hemmungen habe, ein Spiel halt mal falsch zu spielen, solange es irgendwie funktioniert und Spaß macht.
Leider habe ich in meinem Exemplar offensichtlich einen Satz defekter Würfel bekommen, der immer nur für die Gegner gut wirft, aber nie für mich … ich muss da mal Ersatz anfragen. Einzig der rote Würfel ist halbwegs zuverlässig – der Hauptgrund, warum ich ihn tatsächlich immer mit großer Wonne durch meinen Würfelturm jage: Damit ich überhaupt mal Treffer werfe!!
Übrigens weiche ich in einem Punkt schon von der Aufbau-Anleitung ab: Ich platziere die Primuses nicht in der Zuschauer-Box, sondern lege sie auf der Landkarte auf ihre jeweilige Hauptstadt. Das macht es mir deutlich einfacher, meine Ziele im Auge zu behalten. Und einen kleinen Kritikpunkt noch: Die weißen Verbindungslinien auf der Karte sind auf dem helleren Untergrund mancher Regionen wirklich schwer zu lesen ... bei den Pluto's Refugees muss man teilweise echt raten, ob zwei Orte verbunden sind oder nicht.
Erneut ein schönes Spiel. Über die Langzeitmotivation kann ich nichts sagen, und ich glaube auch, dass ich eher lange an einer Kampagne sitze, denn ich würde schon gerne jeden Akt am Stück spielen, brauche dafür dann aber doch aktuell noch mehr als die angegebenen 90 Minuten (heute waren es über den Tag verteilt mehrere Stunden), und auch wenn ich glaube, dass man mit der Zeit "schneller" wird, will ich mich gar nicht hetzen. Es braucht also Gelegenheiten, das Spiel auszupacken und dann auch in Ruhe einen ganzen Akt zu spielen, und die habe ich gar nicht so oft ... Aber ich freue mich schon auf die nächste Runde.