Meine englischsprachige Kickstarterausgabe von Etherfields habe ich letzte Woche vom Pile of Shame gehievt und angefangen solo zweihändig das Spiel zu erkunden. Das Spiel polarisiert ja ungemein, aber ich war guter Dinge, dass es mir gefallen wird. Mittlerweile bewege ich mich seit 10 Stunden in der Traumwelt, habe fünf Träume erfolgreich abschließen können – einen davon musste ich wiederholen – und möchte nun meine Ersteindrücke schildern.
Negativ
Der Spieleinstieg fiel mir relativ schwer. Das Regelwerk führt zwar die meisten Regeln ein, folgt einer klaren Struktur und ein Glossar befindet sich darin, trotzdem ist die Spielanleitung unübersichtlich. Etliche Regeln kommen auch erst im Laufe des Spiels auf kleinen Karten hinzu und jeder Traum hat Sonderregeln. Das ist vom Aufbau so ähnlich wie This War of Mine gemacht – nur in deutlich schlechter. Letztendlich hatte ich Mühe den generellen Ablauf des Spiels zu verstehen. Mit 2 Let´s plays hat es schließlich funktioniert. Dazu kommt, dass das Wording teilweise zu unpräzise ist und ich öfters rätseln muss, wie dieser Kartentext in dem Kontext zu verstehen ist.
Das Layout vom Brett ist nicht funktional. Gerade für Solospieler oder 2 Personen am Tisch müsste man immer wieder Kopf verrenken, damit die wichtigen Informationen gut lesbar sind. Ich lege die Träume und die Traumwelt etwas anders aus, damit ich alles im Blick halte. Nicht umsonst sind auf BGG schon verschiedene andere Spielpläne zu finden.
Neutral
Die Slumbermechanik stand in den Reviews im Zentrum der Kritik. Das kann ich nachvollziehen, aber ich finde das bisher kaum störend. Worum geht es dabei eigentlich? Ähnlich wie bei einem Computerspiel bewegen wir uns in einer übergeordneten Traumwelt. Hierbei ziehen wir von Ort zu Ort, mit dem Ziel Schlüssel zu generieren, die wir auf bestimmten Feldern einsetzten können, um in spezifische Träume zu gelangen. In dieser Traumwelt können wir einen Shop besuchen, Abkürzungen nehmen, wir werden viele Schicksalskarten ziehen müssen und v.a. sog. Slumbers also Miniencounter überstehen. Letztere verstecken sich im Slumber Deck und von diesem wird jeweils ein Tile gezogen, wenn man auf einem Slumber Feld landet. Problematisch ist die geringe Varianz der Anfangsslumbers, die mögliche große Wiederholungsrate von den Slumbern und das mit etwas Pech oder schlechter Planung viele Slumbers am Stück gespielt werden müssen, um überhaupt zum Herzstück des Spiels – den Träumen – zu kommen. Teilweise kann man die Slumbers gegen eine Bestrafung auch skippen. Ich war positiv überrascht, dass ich deutlich länger in den Träumen als in der übergeordneten Traumwelt gespielt habe, weswegen ich diesen Punkt bisher nicht negativ wahrnehme. Das könnte (wird?) sich noch ändern.
Der Wiederspielwert von Etherfields dürfte gering sein. Aus einem Traum musste ich überstürzt flüchten und wollte ihn später noch einmal spielen. Vieles war mir bekannt, letztendlich hat mir der 2. Durchlauf aber Spaß gemacht (anders als bspw. bei Time Stories). Nichtsdestotrotz bin ich überzeugt, dass die ganzen Träume vor allem beim ersten Mal überraschen und überzeugen und man das meiste auch gesehen haben wird. Die Spielmechanik ist nicht soooo stark, dass ich die Kampagne mit unterschiedlichen Charakteren wiederholen möchte.
Etherfields wird mMn den Sweet Spot wohl zu zweit haben. Solo funktioniert das auch richtig gut, aber zu dritt oder viert würde ich dieses Spiel bzw. allgemein diese Sorte von Spiel nicht spielen wollen. Die kooperativen Möglichkeiten in Bezug auf Heldenunterstützung usw. sind bisher schwach ausgeprägt, weswegen spielmechanisch relevante Entscheidungen in Bezug auf Gegnerangriffe usw. kaum abgesprochen werden müssten.
Wie generell bei dieser Sorte von Spielen ist der Verwaltungsaufwand hoch. Ständig werden neue Karten und Tiles gesucht, gezogen oder aussortiert, oft muss gemischt werden und es gibt einiges im Secret Scripts Buch nachzulesen. Mich hat das noch nie sonderlich gestört.
Positiv
Die Produktionsqualität ist Awaken Realms typisch klasse. Die Komponenten (allen voran die Miniaturen) machen einen hochwertigen Eindruck. Die Box ist vollgepackt mit Stuff und wurde bei mir gut gepolstert geliefert. Lediglich die Karten klebten am Anfang etwas aneinander.
Das Artwork ist fantastisch. Durch die Bank weg fantastisch. Lediglich das Cover fällt im Vergleich deutlich ab. Die Träume, die Traumwelt, die Spielkarten – alle sind sehr schön illustriert und mit vielen liebevollen Kleinigkeiten gespickt. Schaut toll aus auf dem Tisch und auch in der Nahaufnahme. Surrealismus in Reinstform.
Mich überzeugen die Flavour Texte und lassen mich in die Traumwelt bzw. in jeden Traum gut reinfinden. Bisher sind Sie auf einem konstant hohen Niveau und ich bin schon gespannt, wie es weitergeht. Die eine umfassende Story gibt es bis dato nicht bzw. ist sie im Hintergrund, es gibt eher viele kleine Schnipsel, die das jeweilige Setting in den Träumen gut wiedergeben.
Die Spiele von Awaken Realms überzeugten bisher vor allem mit einer hohen Atmosphäre und nicht durch ausgeklügelte Mechanismen (gute Beispiele hierfür sind This War of Mine, Tainted Grail, Nemesis). Etherfields schlägt sicherlich in die gleiche Kerbe, spielmechanisch halte ich es trotzdem für das beste Spiel von Ihnen – zumindest die Träume fordern einiges an Denken, Stellungsspiel und unterschiedlichen Herangehensweisen.
Der Kern des Spiels sind die verschiedenen Träume, die man im Laufe der Kampagne besucht. Diese unterscheiden sich stark im Setting, in der Machart sowie im Designkonzept. Bisher sind sie sehr abwechslungsreich und gerade die letzten Träume hatten einige coole Kniffe und Ideen eingebaut. Letztendlich versucht man die Träume zu lösen, indem verschiedene Tests bestanden, mit Personen gesprochen, neue Passagen entdeckt, oder Gegner besiegt werden. Teilweise auch alles gleichzeitig. Man hat nicht unendlich viel Zeit, weswegen normalerweise auch nicht alles erkundet werden kann. Dabei werden die grauen Zellen angestrengt und ab und zu ist Denken out of the Box gewünscht. Die Träume finde ich ein das Highlight in dem Spiel und ich freue mich schon auf die (hoffentlich vielen) kreativen Ideen, die in Folge auf mich zukommen.
Der Kampagnenfortschritt kriecht aus an allen Ecken und Enden hervor. Hier mal ne neue Karte, da ein neuer Slumber, oh Erfahrungspunkte, diese Regel ist jetzt auch neu, wie wäre es mit einem neuen Traum, ach guck mal wie süß – ein Item. Ständig wird mir irgendetwas kurz präsentiert, worauf ich mich im späteren Spielverlauf schon freuen kann. Etherfields hält mich durch diese ständigen Belohnungen bei Laune und ich möchte das einfach alles erkunden.
Fazit
Bisher gefällt mir Etherfields ausgesprochen gut. Das Spiel bleibt aufgebaut auf dem Tisch, ich will die ganze Zeit weiterspielen und freue mich vor allem auf die folgenden Träume. Es gibt eine berechtigte Angst, dass die Slumbermechanik mir das weitere Spielvergnügen etwas verhagelt. Das würde ich zur Not entweder aussitzen, per Hausregel nachhelfen oder auf den kontinuierlichen Traummodus von Awaken Realms warten. Nach der geringen Spieldauer kann ich natürlich noch keine Aussage über die Balance usw. geben.
Wer vergleichbare Spiele wie Time Stories, Tainted Grail, 7th Continent oder the Hunters AD mochte, wird wahrscheinlich auch hier viel Spaß haben. Gerade solo oder zu zweit kann Etherfields seine Stärken ausspielen.
Derzeit 9 von 10 bei BGG.
Ich will Unreal Tournament Etherfields spielen!