Nachdem meine Besprechungen von "Waggle Dance" und "Among the Stars" im Wochenthread schon viele "gefällt mir" und ein paar schöne Diskussionen ausgelöst haben, versuche ich es mal mit einem eigenen Thread, so wie das anderswo hier im Forum für die Essen-Neuheiten vorgeschlagen wurde. Los geht's...
"Was macht das rote Schiff?" -- "Vergiss es einfach. Tu so, als wäre es schwarz wie die anderen sieben auch." -- "Häh? Aber irgendwas muss es doch bedeuten?!" -- "Na gut. Es gibt eine von den 15 Bonuskarten, kommt also nur in jedem dritten Spiel überhaupt vor, und wenn du die hättest, dann dürftest du mit dem roten Schiff etwas machen, was du eh kaum brauchst." -- "Ah-ja..."
Dieser Dialog zeigt exemplarisch, warum ich von Murano etwas enttäuscht bin. Die Spielregeln lasen sich sehr vielversprechend. Aber das Spiel erfüllt diese Erwartungen leider nicht. Komplexität ohne Mehrwert. Optionsvielfalt, die sich in Beliebigkeit auflöst. Vermeintliche Innovation, die sich nur als kompliziertere Umsetzung von Bekanntem entpuppt. Auf der Basisebene funktioniert's dann schon, die Grafik (Klemens Franz) ist gut, aber das Besondere ist einfach nicht da. Grundsolide, aber mehr auch nicht. Ein bisschen wirkt's so wie ein unausgegorenes Kickstarter-Spiel. Aber vielleicht tue ich da Kickstarter mittlerweile mit diesen Vorurteilen etwas unrecht, denn meine zweite Spielebesprechung heute behandelt ein solches Kickstarter-Spiel, das gerade mit seinem Feinschliff sehr begeistert...
Aber fangen wir vorne an. Murano ist eines der Spiele, die nach neuen Ideen suchen, um Worker Placement etwas aufzuhübschen. Dazu wird Worker Placement mit dem Rondell-Mechanismus verheiratet, wobei Rondell hier diejenigen Spiele mit einem gemeinsamen Rondellstein (z.B. Finca) meint und weniger die Spiele von Walther "Mac" Gerdts, bei denen jeder seinen eigenen Stein im Kreis bewegt. Murano ersetzt den gemeinsamen Rondellstein, der von allen Spielern zur Aktionsauswahl voran gezogen wird, durch acht gleiche Rondellsteine. Bzw sieben gleiche schwarze und einen etwas weniger gleichen roten Spielstein, denn die diese Spielsteine sind die oben angesprochenen Schiffe bzw. Gondeln, denn thematisch befinden wir uns vor Venedig auf den Inseln von Murano und sollen dort Glas herstellen und verkaufen.
Zur Aktionsauswahl bewegen wir eine beliebige der acht Gondeln auf ein Auswahlfeld. Dabei muss man immer hinter der vorausfahrenden Gondel bleiben; man darf weder auf das gleiche Feld ziehen noch andere Gondeln überholen. Will man ein besetztes Feld nutzen, so darf man "störende" Gondeln vorher gegen Geldzahlung vorwärts schieben. Es bilden sich Staus, deren Auflösung sehr viel Geld kosten kann und es ist die Aufgabe der Spieler, das taktisch zu nutzen. Soweit die Theorie. In der Praxis funktioniert das leider nicht so richtig, jedenfalls nicht so, wie dies für den zentralen Mechanismus eines Spiels erforderlich wäre. Alle wichtigen Aktionsfelder gibt es zweimal auf dem Spielfeld. Außerdem ergeben sich selten Situationen, wo man auf eine Aktion wirklich angewiesen ist; fast immer lassen sich ohne Tempoverlust eine oder zwei andere Aktionen dazwischen schieben, mit denen man auch selbst zum Stauabbau an der gewünschten Stelle beitragen kann. Als Folge dessen ist das "gondola movement" Marke Murano kein wirklicher Mehrwert gegenüber ganz klassischem "worker placement". Vielleicht nicht mal das, denn wirksame Blockade des Gegners ist kaum möglich. Dass man vielleicht mal einen Zug warten muss oder 1 Geld zahlen muss, ist eher lästig als behindernd.
Die Aktionen auf den am Spielbrettrand platzierten Feldern sind z.B. Geld bekommen, Gebäude in die eigene Auslege lesen (vier Typen, Aktionsfeld gilt immer nur für einen Typ) oder Bauen von der eigenen Auslage auf das Spielbrett. Hinzu kommt Glasproduktion (braucht Gebäudetyp Glashütte, kostet Siegpunkte), Nutzen des Gebäudetyps Glasladen zur Geldgewinnung und als Besonderheit das Setzen von Pöppeln auf Inseln sowie Kaufen von Siegpunktkarten. Diese Siegpunktkarten mit völlig vom Himmel gefallenen Bedigungen vom Typ "Die Paläste auf der Insel haben exakt genauso viele Wappen wie du Glasläden hast, dann 12 Siegpunkte" müssen am Ende zur Wertung den Pöppeln auf den Inseln zugeordnet werden.
Plus:
* nette Puzzleelemente
* ansprechendes Äußeres
* Das Bauen auf den Inseln bietet durch die Bedingung "erst Straßen bauen, dann Gebäude" die Möglichkeit, dem Gegner unfreiwillige Vorlagen zu bieten.
* Variabilität in den Siegpunkt-Bedingungen sowie in den Bonusgebäuden erhöht Wiederspielwert
Neutral:
* könnte eigentlich recht familien- und einsteigerfreundlich sein, aber das wird durch viel unnütze Komplexität leider verbaut
* Kartenglück spielt eine Rolle, wobei das durch die generelle Regel zum Kartenziehen, nämlich "ziehe drei, wähle eine aus" ein wenig entschärft ist.
Minus:
* Zentrale Mechanismen liefern nicht, was man sich davon versprechen könnte. Kein oder zu wenig spielerischer Mehrwert, der die erhöhte Komplexität rechtfertigen würde.
* Völlig vom Himmel gefallene (und teilweise ziemlich abstrus anmutende) Siegpunkt-Bedingungen
Wertung: 7/10 Punkte
Mit etwas gutem Willen gibt es von mir noch die (knappen) 7 Punkte. Das Spiel funktioniert, aber es ist nichts, was man unbedingt haben müsste. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die vermeintlich innovativen Elemente nicht liefern, was sie auf den ersten Blick versprechen. Übrig bleibt letztendlich ein grundsolides Spiel, aber eben nicht mehr als das. Ich werde auch das Gefühl nicht los, dass dem Spiel noch etwas Playtesting und Feinschliff fehlt; möglicherweise wurde es mit Blick auf eine Essen-Veröffentlichung zu früh herausgebracht.