Wer wollt ihr sein – euer Charakter in Spielen?

  • Mich interessiert, nach welchen Kriterien oder Vorlieben ihr Spiele mit Thema auswählt (oder ablehnt). Mir geht es so, dass mir solche Spiele eher zusagen, wo ich in Rollen schlüpfen kann, mit denen ich mich auch im "wahren Leben" identifizieren kann. Spielen also mehr als Erfüllung realer Träume und Wünsche und weniger als Realitätsflucht. Geht es euch genauso, oder sind euch – im Spiel – "Albträume" und die Abgründe der Seele lieber, wie bspw. Horrorszenarien (Stichwort: Zombie). Und warum?


    Danke schon mal im Voraus für erhellende Einsichten! :merlt:

  • Auf jeden Fall Realitätsflucht. Realität brauch ich doch nicht zu spielen, die leb ich doch so schon oder sehe, wie sie mein Nachbar lebt ;). Nee nee, spielen darf gerne was sein, was sonst höchst unwahrscheinlich ist. Also Fantasy und Science Fiction oder halt Sachen, die AnnoDazumal passiert sind. Das kann man nämlich nicht mit Geld kaufen, auch mein Nachbar nicht :-). Trotzdem Anerkennung, dass du das anders siehst.

  • Wenn ich so durch meine Spielesammlung schaue, dann denke ich das ich mehr der Realist bin:
    Vor Millionen von Jahren kam ich mit meiner Invasionsflotte zur Erde, bekämpfte hier dann die anderen Invasoren, die Zwerge, Elfen und Orks, die Untoten, Zombies und Gnome, löschte mit meiner Crew die Dinosaurier aus und nach einigen milliönchen weiteren Jahren manipulierten wir so lange mit unseren Genen und denen von Affen herum, bis wir die Menschen erschufen. Aus langeweile bauten wir dann die Pyramiden, Stonehenge und einige andere Kleinigkeiten um von unserer Existenz Zeugnis abzulegen und die Menschen für lange Zeit vor ein Rätsel zu stellen. Unsere ersten Versuche der Menschheit die Macht über die Kernspaltung zu geben scheiterten kläglich und werden im Gilgamesch Epos beschrieben, später klappte es ja, aber die Folgen waren erwartungsgemäß lausig, weil uns bei der Züchtung der Menschheit ein kleiner genetischer Fehler unterlaufen war, der dazu führte das diese Gattung eine selbstzerstörerische Ader hat. Eine Zeitlang nutzten wir das zum Zeitvertreib und unterstützten mal die eine, mal die andere Seite in diversen Kriegen und Kreuzzügen aber das wurde bald zu langweilig. Der Versuch den Aufbruch zu den Sternen zu fördern um selbst bald wieder nach Hause zu können war auch nicht die große Show, die Entwicklung geht einfach zu langsam voran.
    Wie auch immer, mit Brettspielen kann man sich sicher auch die nächsten paar Jahrhunderte die Zeit vertreiben und schon der Gedanke daran, das ich hier einfach die totale Wahrheit schreiben kann, weil sie sowieso niemand glaubt, bringt mich zum lachen.


    Aber JA, ich bin und bleibe auch in meinen Spielen der totale Realist, weil es nunmal etwas wie Fantasy garnicht gibt.

  • Eigentlich bin ich relativ ungezwungen bei den Themen - mir gefällt fast Alles, und selbst die so oft geschimpften "aufgesetzten" Themen stören mich nicht.
    Im Spiel selbst bin ich meist, bis auf wenige Momente, nur auf die Mechaniken konzentriert, weshalb es mich auch meist nicht stört, wenn eine Mechanik "un-intuitiv" ist. Also zum Beispiel: Man nimmt ein Gebäude und bekommt je nach Art des Gebäudes Geld. Häh? Aber ich muss es doch KAUFEN? - Nö - die Regeln sind eben so, und fertig.
    Nur in seltenen Momenten nehme ich dann auch wieder die Thematik war und mache entsprechende Kommentare...


    Dennoch gibt es ein paar Themen, die ich nicht mag. Zum Beispiel finde ich Andean Abyss oder Labyrinth - War on Terror zu "nah" dran - während ich keinerlei Probleme damit habe, Spiele über den 2. Weltkrieg zu spielen, oder auch 1989, welches ja rein zeitlich betrachtet auch nicht so weit weg ist - und wo die Geschichte auch durchaus sehr blutig geschrieben wurde...


    Identifikation mit Charakteren in Spielen liegt mir eigentlich fern - zumal man ja auch oft genug eine abstrakte Wesenheit ist. Bei Dominant Species z.B., oder auch bei 1989 oder Twilight Struggle. Man steht sowieso leidenschaftslos über den Dingen und "verbraucht" Meeples und Waren und denkt dabei meist egoistisch nur an sich selbst (Siegpunkte). Vielleicht möchte ich mich ja auch garnicht mit meinem Spieler-Alter Ego identifizieren? Weil ich dann ein skrupelloser Industrie-Magnat wäre, der schon zum Frühstück kleine Hunde tritt (1 Siegpunkt!)? ^^

  • Danke für die Antworten! Dabei ist mir bewusst geworden, dass es einen schmalen Grat in der Wahrnehmung von Fiktion und Realität gibt; und den der Interpretation.


    Daher noch ein paar (hoffentlich) erhellende Einsichten von mir zum besseren Verständnis der Grundsatzfrage:
    Fantasie ist ein Teil meiner Realität. Träume und Wünsche sind Teil meiner Persönlichkeit. Im "wahren Leben" (darum die Anführungszeichen im ersten Posting) kann ich mich nicht einfach in ein Raumschiff setzen und mit Warp-Geschwindigkeit die nächste Galaxie ansteuern; oder die Zeit wählen, in der ich gerne leben würde. Im Spiel kann ich das und mache das auch sehr gerne! Das meinte ich mit "Erfüllung realer Träume und Wünsche" – durch Spielen. So tun, als ob es mein wahres Leben wäre (ein Raumfahrer oder ein Alien zu sein). Ich schlüpfe entweder in eine real existierende Rolle, in die ich in meinem sonstigen Alltagsleben nicht schlüpfen kann, aber gerne schlüpfen würde. Oder, ich möchte im Spiel das sein, was ich in einer fiktiven aber denkbaren Realität gerne sein würde. Das meinte ich mit "identifizieren". Gegenüber anderen Sichtweisen, Träumen und Wünschen betrachte ich das völlig wertneutral!


    Das Spielen an sich, oder bestimmte (fantastische) Themen, sehe ich dabei nicht als Realitätsflucht an. Sondern: Spielen (von fantastischen Themen) kann sogar Teil meines gesellschaftlichen Lebens sein. Wenn ich allerdings nur – anstatt auch – im Spiel die Erfüllung meiner Träume und Wünsche finde, dann wird es wohl zu einer Art von Realitätsflucht. Spielen kann natürlich auch das Ausleben von düsteren Träumen – oder "Albträumen" – sein. Dann ist es eher so etwas wie eine Katharsis; indem man in Rollen schlüpft, die man ansonsten ablehnen würde, nicht real verkörpern will und sie im Spiel bannen möchte – damit sie im wahren Leben ihren Schrecken verlieren. Das ist gewissermaßen auch Realitätsflucht, um danach aber wieder gestärkt in die Realität zurück zu kehren. Diese Art Spiele bevorzuge ich nicht, sehe aber dennoch ihren Wert und bin darum an anderen Sichtweisen und "Einsichten" interessiert.


    Mir ist bewusst, dass jeder unter Realitätsflucht und unter der Frage "Wer wollt ihr sein?" etwas anderes versteht als ich. Und ich habe Verständnis für all jene, die keinen (so tiefen) Einblick geben möchten. Darum kann auf die Frage auch einfach so geantwortet werden: Ich wäre gerne Feuerwehrmann in der Unterwelt von Alpha Centauri (Unterstrichenes bitte nach Belieben ersetzen).

    Einmal editiert, zuletzt von Gead ()

  • Hi,


    Ich bin wer ich bin und will niemand anderes sein.
    Ich bin wie ich bin und ihr könnt mich nicht ändern. :)


    Atti

  • Hallo Gead,


    für mich ist Spielen eine angenehme Art mit anderen zusammen " die Zeit totzuschlagen" -- d.h es hat etwa die Qualität sich ein Theaterstück anzusehen, Tennis zu spielen, Programme für Second Life entwickeln,...


    Ich schätze Spiele, die Atmosphäre haben, aber das allein reicht mir nicht. Ich möchte nicht gespielt werden, sondern selbst für mein Unglück sorgen -- wenn ich verliere, dann weil ich Fehler gemacht habe.


    So wie einige Schauspieler in allen Rollen nur sich selbst spielen, so kann ich mich schwer in Rollen hineinversetzen, die ich mir im richtigen Leben nicht aussuchen würde. In einen Räuber oder Intriganten kann ich mich schwer hineinversetzen. Absprachen werden gehalten und wenn mir jemand etwas klaut, bin ich nicht begeistert, auch wenn das Spiel das erlaubt.


    Ciao
    Nora

  • Realitätsflucht, auch bei mir.
    Ich will beim Spielen Dinge erleben, die ich in der Realität nicht erleben kann - vielleicht auch gar nicht erleben will, die aber im Spiel durchaus ihren Reiz haben. Ich muss mich damit identifizieren können - je besser das geht, desto mehr Spaß habe ich. Dabei bevorzuge ich Settings mit Potential für epische Geschichten, an die ich mich idealerweise auch noch lange nach dem Spiel erinnere. Wobei das nicht zwingend der klassisch gute Held sein muss - wenn mir ein Spiel die Möglichkeit dazu gibt, lebe ich auch gerne meine dunkle Seite aus und morde mich durchs Land. Ausgenommen moderne Gangster-Settings, die mich so überhaupt nicht reizen.


    Grundsätzlich geht es mir dabei wie nora:
    Ich bin kein guter Schauspieler und bleibe mir selbst treu. Ich kann gut mich und meine Wünsche spielen, seien es nun die guten oder die bösen Fantasien. Aber es fällt mir schwer, anders zu spielen, als ich bin. Ich bevorzuge offenen, ehrlichen Konflikt, bei dem ich mich wehren kann, halte Absprachen und Allianzen, werde versuchen, der armen Familie gegen die Ork-Armee zu helfen oder das Kloster noch niederzubrennen, obwohl sich meine Henker bereits darum versammelt haben. Aber ich verabscheue Intrigen, versteckte Aggression (wie bei den meisten "interaktiven" Euros) und nicht gehaltene Abmachungen.



    Davon abgesehen gibt es aber noch ein zweites Kriterium, das für die Spielewahl wichtig ist: das Aufbau-/Entwicklungspotential eines Spiels.
    Ich baue gerne Dinge, ich mag es, Schritt für Schritt zu einem großen Ganzen zu gehen. Das ist der Punkt, der mich dazu veranlasst, doch gelegentlich auch Euros zu kaufen, wie beispielsweise Agricola oder Burgen von Burgund. Einfaches "Ich mache jetzt Aktion X, weil mir das am meisten Siegpunkte bringt" gibt mir nichts, egal wie ausgefeilt die Mechanismen sein mögen. Ich will dabei auch Fortschritt sehen und die Möglichkeit haben, mich in eine andere Richtung zu entwickeln, als meine Mitspieler das tun. Spiele, bei denen am Ende jeder alles hat, mag ich deshalb auch nicht. Zu... gleich.

    Wenn dir egal ist, wo du bist, kannst du dich auch nicht verlaufen.

  • So intensiv habe ich über das Thema bislang nicht nachgedacht, deshalb habe ich mir mal ein paar Denkminuten gegönnt mit dem Ergebnis, dass ich in Spielen mich so verhalte, wie ich es mir auch für das reale Leben wünsche.
    Ich möchte eine sinnvolle Strategie verfolgen, ich möchte etwas aufbauen, ich möchte möglichst keine Kriege führen und bin ungern das Böse. Danach wähle ich dann auch die Spiele (ob nun bewusst oder unbewusst) aus. Der zu spielende Charakter sollte dabei möglichst kein Böser sein und ich mag es nicht, angegriffen zu werden und sich verteidigen zu müssen, auch wenn es zum Spiel dazu gehört.
    Auch mag ich es nicht, so wie es schon Dirtbag formuliert hat, wenn Absprachen nicht eingehalten werden.
    Ein Spiel sehe ich oft nicht als Spiel einzelner Personen, die gegeneinander spielen, sondern man hilft sich auch mal gegenseitig, deshalb spiele ich auch gerne mal ein kooperatives Spiel.
    Wenn ich mit dem Thema (und damit auch mit dem Charakter) so gar nichts anfangen kann, weil es nicht meine Welt ist, dann kann sich das auch mal auf das ganze Spiel übertragen, schlüpfe also ungern in mir fremde Rollen rein, weshalb meine Rollenspielversuche je nach Thema auch nicht sehr erfolgreich waren. Der Bezug zur Realität muss schon gegeben sein, wobei ich, wenn ich in der Realität gerne Fanatasy-Bücher lese, dies dann auch als Teil der Realität betrachte.

  • Jetzt mal eine Frage an all diejenigen, die schreiben, dass sie in eine Rolle hineinschlüpfen möchten (und dies auch tun) - wie spielt ihr denn dann?
    Spielt ihr dann diese Rolle möglichst Rollen-treu - oder spielt ihr das Spiel "effektiv"?
    Damit meine ich: Bei Terra Mystica gibt es ja nun auch Rollen - in Form von Rassen. Spielt ihr dann, wenn ihr Zwerge als Rasse habt, auf möglichst viel Gold? Weil ja Zwerge viel Gold wollen?

  • Hier wäre für mich der Unterschied zum Rollenspiel. Wäre ich im Rollenspiel ein Zwerg, würde ich höchstwahrscheinlich so wie du sagst, viel nach Gold suchen, grummelig sein, nicht wissen, ob ich Mann oder Frau bin ( :) ), also die Rolle "Zwerg" ausleben.


    Im Brettspiel gibt es ja teilweise mehrere Rollen zur Auswahl, und ich nehme dann z.B. den Zwerg. (Ich denke jetzt z.B. an Warhammer Quest, da ich Terra Mystica (noch) nicht gespielt habe). Hier wird ja nun die Rolle (irgendwelche Eigenschaften oder Zusatzkarten) vom Spiel grob vorgegeben, aber ansonsten spiele ich natürlich so effektiv wie möglich, um das Spiel zu gewinnen.

    Einmal editiert, zuletzt von Mat ()

  • Ich möchte diese Rolle dann auch so spielen können, ja.
    Ist es aber nicht effizient, dem Thema entsprechend zu handeln, weil mich das Siegpunkte-mäßig weit zurück wirft, kommt es sehr drauf an, wie ich gerade Lust habe. Es kann sein, dass ich dann versuche, effizient zu spielen (zähneknirschend) oder dass ich eben sage: sch*** auf die Siegpunkte, ich baue meine Mine tiefer und größer als anderen, und wenn es das letzte ist, was ich tu.


    Nicht ohne Grund schätze ich thematische Spiele besonders, spiele mechanische Spiele aber nur hin und wieder mal. Muss ich dann auch noch entgegen meiner "Rolle" oder meiner Vorstellungen handeln, um nicht abgeschlagen auf dem letzten Platz zu landen, ist das Spiel bei mir unten durch. Ganz egal wie gut die Mechanismen sind, ich werde es nur dann nochmal spielen, wenn es wirklich nichts anderes zur Auswahl gibt.
    Auf der anderen Seite sehe ich aber bei Spielen, die mich in ihre Welt eintauchen lassen, gerne auch mal über Schwächen in der Mechanik hinweg.


    Atmosphäre >>> alles andere.
    Vor die Wahl gestellt, ob ich lieber ein atmosphärisches Spiel spielen möchte, es aber verliere, oder ein trockenes Mechanismen-Spiel, welches ich gewinne, ich würde immer das atmosphärische Spiel wählen.

    Wenn dir egal ist, wo du bist, kannst du dich auch nicht verlaufen.

  • Wo gibt es denn so einen Charakter, bei dem man seine Rolle so frei interpretieren kann und trotzdem eine gute Siegchance hat? Vielleicht hab ich gerade eine mentale Blockade, aber mir fällt nichts ein.


    Negatives Beispiel für mich wäre Defenders of the Realm. Das Spiel (ein Koop) ist schön, hat irgendwie nostalgischen Charme. Aber die Charaktere sind für mich irgendwie nicht ausgearbeitet. Der Zwerg dort könnte vom Spielgefühl auch ein Ork sein oder was weiß ich. Da finde ich den Namen einfach nur aufgesetzt.


    Positives Beispiel (im Fantasy-Genre) wäre für mich Warhammer Quest: Da gibts z.B. einen Troll-Slayer. Hier wird erklärt, dass dessen Familie niedergemetzelt wurde und er jetzt im Kampf den Tod sucht. Im Verlauf des Spiels kommt u.a. über Levelsteigerungen nun dieser Charakter zum Tragen: Er hat kein Interesse an Gold (sic!), er weicht nie vom Kampf zurück, er flieht auch in aussichtslosen Situationen nicht aus dem Dungeon, er holt sich Tätowierungen, die Kampfgeschick steigern usw.


    Oder den Oger, der Krach macht wie fünf (Monsterereignis wird wahrscheinlich), einen Gegner auch mal an die Wand quetschen, einen Freund dafür 10m werfen kann, bei erbeuteter Rüstung erstmal würfeln muss, ob sie ihm passt und und und.


    Das sind für mich ausgearbeitete Charakterrollen. ABER: ich bin durch das Spiel trotzdem auf die mitgelieferten Eigenschaften limitiert, kann mir also nur vorher den Charakter ansehen und sagen: genau so stelle ich mir den vor, so will ich spielen. Jetzt aber einfach mal doch mit dem Zwerg Gold sammeln oder dem Oger einen Zauberstab geben, geht dann nicht, weil das Spiel das nicht erlaubt.


    Wo gibts denn das Spiel, wo man ein Zwerg ist und dann frei seine Zwergfantasien ausspielen kann ohne gleich zu verlieren? Wie gesagt Terra Mystica kenne ich noch nicht, wäre ja ein tolles Ding.

    Einmal editiert, zuletzt von Mat ()