Brettspiele und Spieltheorie

  • . Punkte, sehr oft das Spielziel, sind für mich letztlich Schall und Rauch; in den meisten Spielen, die auf Punkte gehen, könnte ich mir auch andere zu erreichende Spielziele vorstellen.

    Dazu vorhergehend dein Beitrag, koala-goalie:

    Ich sehe die Nutzenfunktionen im Spiel eigentlich schon ... als recht eindeutig an. ich hab es selten erlebt, das Leute aktiv gegen das Spiel spielen. Ich hab es eher beobachtet, dass die Leute zusätzliche, oder andere Nebenbedingungen setzen ... sich also bewusst noch andere Ziele setzen ... zum Beispiel "ich spiele schon auf Siegpunkte, aber es muss für mich thematisch auch Sinn machen." Oder "Klar terraforme ich auch den Mars, aber wenn ich sein nicht der beste sein kann, will ich zumindest den größten Wald." Und so weiter ...


    So wie Ernst Juergen Ridder meinte ich das. Für mich ist das nicht unbedingt eine "Nebenbedingung" und die Siegpunkte sind der Hauptpunkt, sondern ich wollte sagen: es ist manchmal nicht so einfach, herauszufinden wie die Nutzenfunktion von jemandem (vor allem von sich selbst :D) überhaupt aussieht.

  • Ich habe auch nichts dagegen einzuwenden, dem vielleicht ja sogar sehr gut spielenden Führenden in einer konzertierten Aktion der übrigen Mitspieler so entgegenzutreten, dass er keine Chance mehr auf den Sieg hat.

    [...]

    Werden solche Gesichtspunkte eigentlich in der Spieltheorie berücksichtigt?

    In der Spieltheorie wird unterstellt, dass jeder im Sinne einer allgemeinen Gütefunktion erfolgreich spielen will. Üblicherweise also: das Spiel gewinnen wollen.(1) Sofern ein Ausbremsen des Führenden die eigenen Siegchancen erhöht (bzw. überhaupt erst erhält), ist dieses Einbremsen auch spieltheoretisch das "richtige" Vorgehen der Mitspieler.

    Ganz allgemein glaube ich, dass vieles von dem, was die Spieltheorie auf Einstiegsniveau auch mathematisch gut begründen kann, für geübte Brettspieler keine allzu große Überraschung ist. Für den normalen Spieler (d.h. nicht Autor oder Redakteur; die sollten idealerweise mehr davon verstehen) ist Spieltheorie eher der theoretische Unterbau von diversem, über viele Jahre des Spielens als "normal" erlerntem Verhalten. Dass man niemanden ungestört auf seinem Weg gewinnen lässt, ist eine Ausprägung davon. Wenn man das mathematisch betrachten möchte: gut. Wenn nicht: auch gut. Zwingend notwendig, um mit Spielen Spaß zu haben, ist's ganz sicher nicht.

    Anmerkung (1): In Turnieren kann ggf. auch das Spielen auf "mindestens Platz 2" oder ähnliches optimal sein, wenn das einzelne Spiel in einem größeren Kontext steht, z.B. Qualifikation für eine nächste Runde. Das kann dann ggf. auch zu komischen Situationen führen, z.B. dass zwei Spieler bei jeweils spieltheoretisch optimalem Verhalten in einer Weise kooperieren, gegen die der berühmt-berüchtigte "Päärchenbonus" bei Gelegenheitsspielern überhaupt nichts ist. Auch daran sieht man: wenn das Gewinnen an sich und nicht der Spaß am Spielen an erster Stelle steht, kommen schnell komische Sachen heraus, die dann überhaupt nicht mehr mein Fall sind...)

  • Die Frage ist da nur immer: wer legt fest, dass das komplett erratischer Blödsinn ist?

    Im Endeffekt immer die Spielerunde gemeinsam. Da sind unterschiedliche Ausprägungen möglich, aber im Grunde dürfte es bei den meisten halbwegs ähnlich sein.

    Wenn ich spiele, unterstelle ich, dass jeder Mitspieler gewinnen will. Wohlgemerkt: nicht verbissen um jeden Preis, mit "alles totgrübeln", aber schon mit dem Ziel, mit einem gewissen Mindestmaß von Ehrgeiz möglichst viele Siegpunkte (oder was auch immer) zu erreichen. Das ist die Grundannahme, damit Interaktion in Spielen funktioniert. Gewisses "ich spiele eine Rolle" bzw. Selbsteinschränkung der Form "ich will mal etwas ausprobieren, z.B. eine Extremstrategie mit komplettem Verzicht auf eine bestimmte Ressource" ist für mich persönlich auch noch völlig in Ordnung, denn das ist dann ja auch noch in gewisser Weise vorhersehbar oder berechenbar. Ich kann jedoch auch verstehen, wenn da bei anderen Spielern die Problemzone schon anfängt.

    Problematisch wird's für mich, wenn irgendwer aus Lustlosigkeit (oder warum auch immer) irgendwas zusammenspielt, was jedem allgemeinen Ziel (Gewinnen) oder persönlichem Ziel (gut abschneiden unter bestimmten Randbedingungen) klar erkennbar zuwider läuft. Also z.B. Züge, die einem Mitspieler mehr nutzen als einem selbst, und zwar so, dass derjenige das auch leicht hätte selbst erkennen können. Sowas macht dann ein Spiel schnell für die gesamte Runde kaputt und das geht gar nicht.

  • Gütefunktion?

    Im einfachsten Falle: Spielerfolg in Siegpunkten messen und davon mehr haben als alle Mitspieler. Die Definition von "Gewinnen" kann aber auch deutlich komplizierter aussehen.

    Spätestens wenn man eine KI für ein Spiel machen will, braucht man eine Funktion, die den Zustand eines Spieles (auf welchen Feldern stehen welche Pöppel, wieviele Ressourcen von jedem Typ hat jeder Spieler, alle Positionen von irgendwelchen Leisten, etc.) mit einem Zahlenwert versieht, bei dem gilt: je höher, desto besser. Radikal vereinfacht gesagt, wirklich sehr radikal, sagt man dann dem Computer: versuche, diese Funktion für jeden Spieler zu maximieren, unter der Annahme, dass jeder andere Mitspieler auch seinen jeweils besten Zug macht.

    Sobald man das Feld der komplett zufallsfreien 2er-Spieler mit abwechselndem Ziehen und komplett offener Information (wie z.B. Schach oder Go) verlässt, ist das jedoch in der Praxis ein knüppelhartes Problem.... :)

  • Dem wage ich dann doch zu widersprechen. Ich habe keinen Spaß an Partien die ich sicher gewinne. Das ist einer der Gründe warum ich oft in Spielen Extremstrategien teste obwohl mir ein ziemlich optimaler Weg (wie z.b. beim schon angesprochenen Tzolkin) bereits bekannt ist. Der Reiz ist dann nicht zu gewinnen sondern zu sehen wie das Spiel und die Mitspieler auf mein Spiel reagieren. Und ich kenne gerade bei Spielen die man oft spielt eine ganze Reihe von Mitspielern die das auch so handhaben.


    Übrigens hat die akademische Spieltheorie ja schon vor 50 Jahren den "Spielverderber" als bewusste Rolle in der Spieldynamik mit in die Theorie geholt, eigentlich schon im klassischen Homo Ludens, spätestens dann bei Villem Flusser mit seinem Aktanten, der die Regeln des Systems nur unvollständig beherrscht, und dadurch unberechenbare Elemente mit hineinbringt.

  • Gütefunktion?

    Nutzenfunktion, Auszahlungsfunktion, ...

    Viele Namen für die selbe Sache: ein Erfolgsmaß.

    Ging mir jetzt tatsächlich nur um den Namen. Ist eine Gütefunktion nicht etwas anderes? Zumindest kam mir das bisher nicht unter die Finger, und wenn ich den Begriff google, liest sich das für mich auch nicht unbedingt als Synonym.

  • Die Frage ist da nur immer: wer legt fest, dass das komplett erratischer Blödsinn ist?

    Im Endeffekt immer die Spielerunde gemeinsam. Da sind unterschiedliche Ausprägungen möglich, aber im Grunde dürfte es bei den meisten halbwegs ähnlich sein.

    Wenn ich spiele, unterstelle ich, dass jeder Mitspieler gewinnen will. Wohlgemerkt: nicht verbissen um jeden Preis, mit "alles totgrübeln", aber schon mit dem Ziel, mit einem gewissen Mindestmaß von Ehrgeiz möglichst viele Siegpunkte (oder was auch immer) zu erreichen. Das ist die Grundannahme, damit Interaktion in Spielen funktioniert. Gewisses "ich spiele eine Rolle" bzw. Selbsteinschränkung der Form "ich will mal etwas ausprobieren, z.B. eine Extremstrategie mit komplettem Verzicht auf eine bestimmte Ressource" ist für mich persönlich auch noch völlig in Ordnung, denn das ist dann ja auch noch in gewisser Weise vorhersehbar oder berechenbar. Ich kann jedoch auch verstehen, wenn da bei anderen Spielern die Problemzone schon anfängt.

    Problematisch wird's für mich, wenn irgendwer aus Lustlosigkeit (oder warum auch immer) irgendwas zusammenspielt, was jedem allgemeinen Ziel (Gewinnen) oder persönlichem Ziel (gut abschneiden unter bestimmten Randbedingungen) klar erkennbar zuwider läuft. Also z.B. Züge, die einem Mitspieler mehr nutzen als einem selbst, und zwar so, dass derjenige das auch leicht hätte selbst erkennen können. Sowas macht dann ein Spiel schnell für die gesamte Runde kaputt und das geht gar nicht.

    Sehe ich ganz genauso!

  • Problematisch wird's für mich, wenn irgendwer aus Lustlosigkeit (oder warum auch immer) irgendwas zusammenspielt, was jedem allgemeinen Ziel (Gewinnen) oder persönlichem Ziel (gut abschneiden unter bestimmten Randbedingungen) klar erkennbar zuwider läuft. Also z.B. Züge, die einem Mitspieler mehr nutzen als einem selbst, und zwar so, dass derjenige das auch leicht hätte selbst erkennen können. Sowas macht dann ein Spiel schnell für die gesamte Runde kaputt und das geht gar nicht.

    Genau diese Momente meine ich und ich habe da im Laufe der Jahre so einige erlebt. Beispiele wie geschenkte Siege in Root, komisches Aktionen in Cthulhu Wars (nicht aus Unwissenheit), blockieren von Aktionen oder Ressourcen ohne Sinn und Verstand, einfach weil man es kann und merkt, für mich geht gerade eh nicht viel, also rühre ich Meeplekäse an.

  • In der Spieltheorie wird unterstellt, dass jeder im Sinne einer allgemeinen Gütefunktion erfolgreich spielen will. Üblicherweise also: das Spiel gewinnen wollen.

    Dazu noch eine Ergänzung. Ich hab im Ausgangspost immer die Siegpunkte als Nuzenfunktion hergenommen, weil das so schön nahe liegend ist. Aber man kann auch andere Funktionen als Ziele verwenden.

    Zum Beispiel einen Wahrheitswert: "Gewonnen" (=1) oder "nicht Gewonnen" (=0). Und schon impliziert die "Nutzenfunktion", die jetzt besser Gewinnfunktion heißen würde, dass man aktiv gegen andere spielt. Ganz ohne Nebenbedingungen. Bei Spielen ohne Siegpunkte, wie Oath oder Inis, muss man das auch so machen.

  • Beispiele wie geschenkte Siege in Root [...]

    Gutes Beispiel. Wobei gerade Root auch ganz schnell erratisch werden kann (bzw. erratisch wirken kann), ohne dass das jemand so beabsichtigt hatte... :D

    Root habe ich bei KS unterstützt, aber nach zweimaligem Spielen schnell wieder verkauft, weil es unrealistische Randbedingungen an die Mitspieler stellt (-> alle spielen ziemlich exakt auf dem gleichen Niveau) und selbst dann noch komplett "wacklig" sein kann. Für mich ist das schlechtes Spieldesign. Wirklich gute Spiele zeichnen sich IMHO auch durch eine hohe Robustheit gegenüber schlechtem oder sogar fehlerhaftem Spielen aus. Das ist natürlich nicht der einzige und auch nicht der wichtigte Faktor bei einem Spiel, aber trotzdem: Ein wirklich gutes Spiel hat am Ende jedem (!) am Tisch Spaß gemacht, egal ob man perfekt gespielt hat oder nicht.

  • Problematisch wird's für mich, wenn irgendwer aus Lustlosigkeit (oder warum auch immer) irgendwas zusammenspielt, was jedem allgemeinen Ziel (Gewinnen) oder persönlichem Ziel (gut abschneiden unter bestimmten Randbedingungen) klar erkennbar zuwider läuft. Also z.B. Züge, die einem Mitspieler mehr nutzen als einem selbst, und zwar so, dass derjenige das auch leicht hätte selbst erkennen können. Sowas macht dann ein Spiel schnell für die gesamte Runde kaputt und das geht gar nicht.

    Genau diese Momente meine ich und ich habe da im Laufe der Jahre so einige erlebt. Beispiele wie geschenkte Siege in Root, komisches Aktionen in Cthulhu Wars (nicht aus Unwissenheit), blockieren von Aktionen oder Ressourcen ohne Sinn und Verstand, einfach weil man es kann und merkt, für mich geht gerade eh nicht viel, also rühre ich Meeplekäse an.

    Ist eine Angewohnheit die im Charakter der Menschen begründet liegt. Wie schon Rolf Rüssmann treffend erklärte: “Wenn wir hier schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“

    You know I'm born to lose, and gambling's for fools

  • Nutzenfunktion, Auszahlungsfunktion, ...

    Viele Namen für die selbe Sache: ein Erfolgsmaß.

    Ging mir jetzt tatsächlich nur um den Namen. Ist eine Gütefunktion nicht etwas anderes? Zumindest kam mir das bisher nicht unter die Finger, und wenn ich den Begriff google, liest sich das für mich auch nicht unbedingt als Synonym.

    Also die Bedeutung war vom Kontext her klar. Vom Namen ist das für mich auch okay, weil "Güte" ja in der Regel die Qualität von irgendwas misst. (In der Regel die Qualität von Produkten oder Schätzungen durch Messung des Fehlers, sagt mein Hinterkopf.) Aber ob die Qualität der Spielzüge oder der Nutzen der Spielzüge gemessen wird ... läuft doch quasi auf dasselbe hinaus.

  • Ging mir jetzt tatsächlich nur um den Namen. Ist eine Gütefunktion nicht etwas anderes? Zumindest kam mir das bisher nicht unter die Finger, und wenn ich den Begriff google, liest sich das für mich auch nicht unbedingt als Synonym.

    Also die Bedeutung war vom Kontext her klar. Vom Namen ist das für mich auch okay, weil "Güte" ja in der Regel die Qualität von irgendwas misst. (In der Regel die Qualität von Produkten oder Schätzungen durch Messung des Fehlers, sagt mein Hinterkopf.) Aber ob die Qualität der Spielzüge oder der Nutzen der Spielzüge gemessen wird ... läuft doch quasi auf dasselbe hinaus.

    Ja, vom Kontext her war das klar. Ich habe nur gesehen (und ganz tief im Kopf verkramt), dass Gütefunktionen bei statistischen Tests sehr wichtig waren, aber nix mit dem Thema 'an sich' zu tun hat. Deswegen wollte ich wissen, ob mein VWL-Studium da mathematisch zu wenig unterwegs war, oder ob hier einfach Fachbegriffe durcheinander gebraucht werden. Denn das verwirrt mich dann einfach.

  • Wie schon Rolf Rüssmann treffend erklärte: “Wenn wir hier schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“

    Och. Passt das wirklich hier 100%-ig? Diesen (flapsigen?) Spruch könnte man spieltheoretisch sogar damit erklären, dass ein (im Rahmen der Regeln) kaputt getretener Rasen dem direkten Konkurrenten bei der übergeordeten Ebene, d.h. in der Meisterschaft über 34 Spieltage, schadet, und damit die eigenen relativen Chancen in eben dieser erhöht. Man müsste dann halt nur im "richtigen" Auswärtsspiel tätig werden...

  • Dem wage ich dann doch zu widersprechen. Ich habe keinen Spaß an Partien die ich sicher gewinne. Das ist einer der Gründe warum ich oft in Spielen Extremstrategien teste obwohl mir ein ziemlich optimaler Weg (wie z.b. beim schon angesprochenen Tzolkin) bereits bekannt ist. Der Reiz ist dann nicht zu gewinnen sondern zu sehen wie das Spiel und die Mitspieler auf mein Spiel reagieren. Und ich kenne gerade bei Spielen die man oft spielt eine ganze Reihe von Mitspielern die das auch so handhaben.


    Übrigens hat die akademische Spieltheorie ja schon vor 50 Jahren den "Spielverderber" als bewusste Rolle in der Spieldynamik mit in die Theorie geholt, eigentlich schon im klassischen Homo Ludens, spätestens dann bei Villem Flusser mit seinem Aktanten, der die Regeln des Systems nur unvollständig beherrscht, und dadurch unberechenbare Elemente mit hineinbringt.

    Hierzu will ich auch noch was sagen. Wir haben im Thread auch schon festgestellt, dass gute Spiele robust gegen Fehler oder gegen etwas andere Ziele oder was auch immer sind. Eigentlich geht es nur darum, dasd die Züge in einem sinnvollen, vom Spiel vorgegebenem Rahmen ablaufen. Der Unterschied zu "vollkommen erratischem Blödsinn" ist ja immer noch vorhanden.


    Dann Spieltheorie. Die ist ja mehr sowas wie ein Methoden-Baukasten, und keine geschlossene Theorie.

    Und die Spieltheorie sieht, wie du richtig sagst, auch Methoden unter Störungen oder Regelverstößen vor. Das finde ich nur mit Bezug auf Brettspiele eher uninteressant. Das wird viel relevanter und interessanter, bei Ökonomie unter Regulierung oder Verhandlungen. Brettspiele sind da ja oft ziemlich robust und Mitspieler sozial genug für faires Spiel.


    Optimales Spiel ist auch nicht nötig, wird aber der Einfachheit halber gerne unterstellt um eine Spielsituation zu bewerten. Weil "keine Fehler" ist eindeutig. So kann ich sagen, die Schachstellung ist remis, wenn keiner mehr einen Fehler macht. Die Bewertung der aktuellen Situation vereinfacht es, ist aber keine Vorhersage auf den Spielausgang. Auch wenn ich Strategien gegeneinander testen will, unterstelle ich das. Die Spieltheorie wurde mit ökonomischen Hintergrund entwickelt. Und Optimierungsprobleme (daher kommt das Ganze) brauchen Sinne Funktion die sie maximieren oder minimieren können. Nur so als Hintergrund.


    Wirklich gute Spiele zeichnen sich IMHO auch durch eine hohe Robustheit gegenüber schlechtem oder sogar fehlerhaftem Spielen aus.

    Der Aussage stimme ich eigentlich voll zu. Ich würde nur die Zielgruppe noch mit rein nehmen.

    Aber ich halte Root trotzdem für ein gutes und interessantes Spieldesign. Nur eben für eine spezielle Interessentengruppe.


    Und da kann ich jetzt wieder zum Thema Stabilität überleiten. Root hat nämlich einfach ziemlich wenig Stabilität. In Root kann sich die Situation sehr schnell ändern, die Bewertung der Spielsituation ist sehr schwierig. Ein Gleichgewicht indem alle Spieler gute Chancen haben ist nicht so leicht zu erkennen und schwer zu halten. Das führt zu den angesprochenen Problemen, steile Lernkurve, Leute machen öfter blöde Fehler und zusammen mit der direkten Interaktion haben unterschiedlich erfahrene Spielgruppen wenig Spaß. Alles richtig. Das wird aber hier so bewusst über Bord geworfen wie bei Lacerda die geringe Regelhürde.

    Root belohnt die eingespielte Runde nämlich dafür mit einer eigenen Art von Komplexität: Dem Tanz auf diesem labilen Gleichgewicht. Also ... eben nicht die bessere Heuristik bzgl. Siegpunktberechnung und Aktionsverzahnung eines komplexen Euros haben, sondern die bessere Heuristik zur Einschätzung der Lage in einem hoch dynamischen Take-That-Spiel. Cole Wehrle ist auf derartige Design spezialisiert und hat das IMHO so gut drauf wie kaum ein anderer. Er ist für mich sowas wie der Lacerda des labilen Gleichgewichts.

    Ich denke dass man in einem Root oder einem Chtulhu Wars deswegen auch mehr schlechte Spielzüge ertragen können muss, als in einem durchschnittlichem Euro-Kennerspiel. Auch wenn sie in Root mehr weh tun. Mit Absicht irgendeinen erratischen Blödsinn spielen oder deswegen in den diesem Spielen aber aus den selben Gründen ein größeres NoGo, als in einem durchschnittlichem Euro-Kennerspiel.


    Edit und PS: ich halte Pax Pamir 2 und Oath trotzdem beide für bessere Designs als Root. Weil ... die Problemstellungen finde ich dort interessanter ... jede Fraktion hat mehrere Wege zum Ziel und nicht jede ihren konkreten eigenen. Man kann sich also dem Spiel anpassen und versucht nicht das Spiel der eigenen Fraktion anzupassen. Und sie mildern den "schlechter Spielzug, Gleichgewicht weg" Effekt durch mehr Zufall ab. Das macht das ganze etwas weniger berechenbar und auch irgendwie angenehmer zu spielen.

    2 Mal editiert, zuletzt von koala-goalie () aus folgendem Grund: PS zu Oath und Pax Pamir

  • Nutzenfunktion, Auszahlungsfunktion, ...

    Viele Namen für die selbe Sache: ein Erfolgsmaß.

    Yep. Und wenn wir das Optimierungsproblem als Minimierung statt Maximierung betrachten, dann sind Verlustfunktion, Kostenfunktion und manchmal auch andere Formulierungen wie etwa die Minimierung eines Energiefunktionals im Prinzip ebenfalls das Gleiche, nur mit anderem Vorzeichen.


    Die Spieltheorie wurde mit ökonomischen Hintergrund entwickelt.

    Das ist mir ein bisschen zu verkürzt dargestellt, jedenfalls wenn wir das Ganze im Kontext von Gesellschaftsspielen betrachten. Da ist die mathematische Spielerei auch ohne ökonomischen Hintergrund eine wesentliche Triebfeder. Das Min-Max-Theorem, das man als ein wenig Theorie-interessierter Gesellschaftsspieler kennen sollte, stammt vom Mathematiker John von Neumann und auch später kamen die Entwicklungen gleichermaßen aus den Bereichen Mathematik, Ökonomie und Psychologie. Je mehr Verhalten, umso mehr Psychologie. Je mehr Formalisierung und Optimierung, umso mehr Mathematik.

  • Hallo,

    hmm - ich bin mir gerade nicht ganz sicher, ob die Herren "Mathematik Auf Schneider" uns des Königs neuen Kleider präsentieren und wir ein in unseren Kreise gebräuchliches Vokabular eher nur neu definiert erhalten. Irgendwie fehlt mir der Auftrieb und die Substanz dem Ganzen zu folgen. Mir ist irgendwie nach Ablenkung. :lachwein:

    Ich hören nun schon den großen Zauberer Huutini stöhnen und er ist nur ganz kurz mit den Fingern über der Tastatur verharrend ... 8-))

    Aber bei Spieltheorien verlangt es mir im Moment nach Definitionen. Und in dem Sinne bin ich gerade vor Kurzem über das Forschungsprojekt Empamos gestolpert.
    PROJEKT EMPAMOS - Empirische Analyse motivierender Spielelemente
    In dem Video auf deren Seite erklären sie ihr Projekt ausführlich. empamosfilm.mp4
    Im Netz sind auch PDFs zu finden, WAS sie eigentlich treiben - aber nicht, was sie erreichten.
    Die hausen praktischer Weise neben dem Spielearchiv Nürnberg; haben eben mal Tausende von Spielanleitungen über den Scanner gejagt; diese nach dem Vokabular analysiert - Und! - haben auf dem Weg 100 motivierende Spielelemente definiert - um diese Begrifflichkeiten für verschiedenste Anwendungsbereiche "nützlich" zu machen. Ist das der Grund, warum diese Liste nicht "greifbar" ist? :/

    Kennt denn jemand aus der Branche diese Liste und hat eine Meinung dazu? Ich hab den Brück nach dem Projekt gefragt. Es war ihm als Ex-Ravensburger noch nicht untergekommen.

    Wenn ich denn mal erfahren tät, von was wir eigentlich reden, mag ich mich vielleicht auch der Mathematik zuwenden. ;)

    Liebe Grüße
    Nils

  • Hallo,

    hmm - ich bin mir gerade nicht ganz sicher, ob die Herren "Mathematik Auf Schneider" uns des Königs neuen Kleider präsentieren und wir ein in unseren Kreise gebräuchliches Vokabular eher nur neu definiert erhalten. Irgendwie fehlt mir der Auftrieb und die Substanz dem Ganzen zu folgen. Mir ist irgendwie nach Ablenkung.

    Wenn ich denn mal erfahren tät, von was wir eigentlich reden, mag ich mich vielleicht auch der Mathematik zuwenden.

    Was genau verstehst du denn nicht? :)

    Der großen Mathematik musst du dich ja auch gar nicht zuwenden. Spieltheorie mag da grundsätzlich seinen Ursprung haben, ist aber sehr interdisziplinär.

    Da hilft es allein schon, ein paar Stichworte bei Wikipedia (oder einer anderen, verständlicheren Quelle) nachzulesen: zum Beispiel:

    Nash-Gleichgewichte

    Gefangenendilemma

    und so Zeugs.


    Das Projekt klingt faszinierend, bin gespannt, ob da etwas zu berichtet werden kann!

  • [...] Irgendwie fehlt mir der Auftrieb und die Substanz dem Ganzen zu folgen. [...]

    Spieltheorie hilft, Spiele zu verstehen. Zum Beispiel warum der Merge-Mechanismus von Ankh so kritisch gesehen wird (bzw. andersrum, wie man richtig spielen muss, damit er funktioniert). Oder sie ist geeignet, um zu erklären, warum der Verhaftungsmechanismus als zentrales Element von Die Architekten des Westfrankenreichs im 4er- und erst recht im 5er-Spiel "broken" ist -- und ja, ich weiß, wie hart dieser Vorwurf ist und dass 98% der Broken-Vorwürfte im Internet kompletter Humbug sind. Aber spätestens dazu müsste man dann wirklich Formeln bemühen.

  • Das Projekt klingt faszinierend, bin gespannt, ob da etwas zu berichtet werden kann!

    Es wird schon ein interessantes Tool präsentiert. Aber ich kann nicht beurteilen, wie nützlich es "uns" ist.

     


    Mit diesem Material soll man die einzelnen Spielelemente selektieren und visuell wieder vernetzen können, damit man die Zusammenhänge klar erkennen kann.

    Das alles soll auch auf einer App oder Tabletopia funktionieren.

    Die sprechen davon, wenn das vorhande Spielkonzept nicht "funktioniert", kann man sich mit diesem Tool helfen.

    Nützlich?

  • Von weitem sieht das erstmal wie ein Tool für Designer*Innen aus, oder? Kann man natürlich auch nutzen, um Kritik zu üben..

  • Eigentlich sehen die eher ihr Potenzial in branchenfremden Bereichen. Dort - wo Abläufe nicht richtig funktionieren und auf Basis der Motivation "Spiel" Verbesserungen erreicht werden sollen. Ein Beispiel - der Bereich Suchttherapie - die Wahlfreiheit der Abläufe der Maßnahmen

    Werden aber auch uns neue Möglichkeiten geboten?

    Matthias hat auch vor einigen Jahren mal ein Interview mit dem Projektleiter geführt.

    [Externes Medium: https://youtu.be/Ca-Ch59GlMo]

    darkpact Hast du das Projekt weiterverfolgt?
    Diese Box wurde erst ein Jahr später "verlegt".

  • Dem wage ich dann doch zu widersprechen. Ich habe keinen Spaß an Partien die ich sicher gewinne. Das ist einer der Gründe warum ich oft in Spielen Extremstrategien teste obwohl mir ein ziemlich optimaler Weg (wie z.b. beim schon angesprochenen Tzolkin) bereits bekannt ist. Der Reiz ist dann nicht zu gewinnen sondern zu sehen wie das Spiel und die Mitspieler auf mein Spiel reagieren. Und ich kenne gerade bei Spielen die man oft spielt eine ganze Reihe von Mitspielern die das auch so handhaben.

    Gehört das nicht zum Bereich der Voraussetzungen, damit eine Theorie überhaupt zur Anwendung kommt?

    Den ziemlich optimalen Weg, den du da siehst, siehst du ja nur, wenn du das Spiel mehrmals gespielt hast. Ich wage zu behaupten, in einem Erstspiel wird man kaum nach dem Bauch spielen, sondern sich mehr an die Regeln klammern, um überhaupt die Abläufe zu verstehen, bzw. überhaupt ans Ziel zu kommen. Hier greift mMn wieder die Spieltheorie.

    Erst wenn man die Abläufe verinnerlicht hat, sprich mehrmals gespielt hat, kann man das Spiel spielerisch erkunden und die Feinheiten der Spieltheorie ergreifen [und dann mMn auch nur wenn ein Ungleichgewicht vorherrscht.] Mit Ungleichgewicht meine ich, dass ein Spieler, wie auch immer, das Spiel besser beherrscht als seine Mitspieler.

  • Wenn ich denn mal erfahren tät, von was wir eigentlich reden, mag ich mich vielleicht auch der Mathematik zuwenden. ;)

    Ursprünglich ging es darum sich ein Spiel, oder besser dessen Ablauf, als gedanköiches Konstrukt vorzustellen, um anhand dessen besser verstehen zu können, wie unser Gehirn dabei Entscheidungen trifft (oder eine K.I. weil die weniger kompliziert ist).

    Danach ging es auch immer wieder darum ob und wie irrationales Mitspielerverhalten darin einbezogen werden sollte.

    PROJEKT EMPAMOS - Empirische Analyse motivierender Spielelemente
    In dem Video auf deren Seite erklären sie ihr Projekt ausführlich. empamosfilm.mp4

    Danke. Kannte ich nicht und finde ich durchaus spannend. Da würde ich ganz gerne mal in deren Datenbank stöbern.

    Mit Spieltheorie hat das jetzt aber weniger was zu tun. Die behandelt ja die Frage "Wie spielt man ein Spiel gut?" auf deduktive Art und Weise. Empanos fragt ja eher "Durch was wird ein Spiel gut?" Und will das durch empirische Analyse beantworten.

    Nützlich?

    Keine Ahnung.

    Du meinst schon nützlich für den Spieler? (Und nicht den Autor, Redakteur, Kritiker oder Forscher?) Spontan fällt mir dazu wenig ein außer in der Datenbank nach tollen Mechanismus Kombinationen zu stöbern und so noch weitere Konsumwünsche zu entwickeln... ;)


    Bei der wissenschaftlichen Google Suche findet man aber durchaus ein paar Veröffentlichungen. Wenn ich wieder am Rechner bin, werde ich vielleicht mal meine Nase rein stecken.

  • darkpact Hast du das Projekt weiterverfolgt?

    Wir hatten Termine, aber Corona kam dazwischen. Daumen drücken, dass es dieses Jahr im Juni klappt.

    Be seeing you,
    Matthias Nagy

    Das hier ist mein Privat-Account. Alle hier geäußerten Meinungen sind nur meine privaten Meinungen und geben nicht die Meinung von Deep Print Games oder Frosted Games wieder.

  • Empanos fragt ja eher "Durch was wird ein Spiel gut?" Und will das durch empirische Analyse beantworten.

    Oder etwas ketzerischer gesagt, so ist's jedenfalls mein Eindruck aus dem Bretterwisser-Interview: Empamos haut mit viel Machine Learning und Statistik auf ein unbekanntes Etwas drauf, entwickelt und erkennt dabei Sachen, wo Kenner der Materie sagen: "Moment mal, das wissen wir doch schon lange, in unserem Jargon nennen wir das so-und-so", aber durch die Masse an Daten und den neuen Ansatz kann dabei trotzdem Interessantes herauskommen.

    Ob der Design-Ansatz "mach einfach das, was anderswo schon 1000 mal geklappt hat und allgemein populär ist" dann mehr als gehobenen Spiele-Durchschnitt vom Typ grundsolide 08/15-Massenware produzieren kann, ist freilich eine andere Frage. Andererseits: von verlässlichem (!) Produzieren von gehobenem Durchschnitt können viele Verlage gut leben; das ist per se ja nichts Negatives, insbesondere wenn man unsere Expertenblase derer verlässt, die eine über Jahre und Jahrzehnte selektierte Sammlung von Spielen zuhause rumstehen haben...

  • Ob der Design-Ansatz "mach einfach das, was anderswo schon 1000 mal geklappt hat und allgemein populär ist" dann mehr als gehobenen Spiele-Durchschnitt vom Typ grundsolide 08/15-Massenware produzieren kann, ist freilich eine andere Frage.

    Nach den Eindrücken die ich bisher von dem Projekt habe, ist das noch ein weiter Weg dahin.

    Bisher ist das Projekt Sinne Datenkrake, welches eben auch Spielemechanismen aus dem gescannten Anleitungen erkennt und verschlagwortet. Manuell erstellt, auf vielleicht gröberer Ebene, gibt's das ja bei bgg auch schon.

    Das Empanos Projekt hat das sicher auf vielfältige Weise ausgewertet und analysiert, aber ich sehe noch nicht wie das bisher mehr als ein Stichwortgeber sein soll. Das "Wie", also wie wird bespielsweise Workerplacement im konkreten Spielkonzept gut implementiert, kann die Datenbank wohl noch eher nicht beantworten. (Ich nehme an ... wenn sie das könnte, hätten sie das gesagt...).

  • Nach den Eindrücken die ich bisher von dem Projekt habe, ist das noch ein weiter Weg dahin.

    Wie weit die schon gekommen sind, traue ich mich nicht auf der mir bekannten Datenbasis zu beurteilen. Aber es ist für mich klar, dass die genau dahin wollen: Mit automatisierter Datensammelei im großen Stil die Kompetenz erwerben, gegen Bezahlung andere darin beraten zu können, was bei Spielen gut funktioniert und was nicht. Spiele dabei bewusst allgemein verstanden, nicht nur die Sachen, die im Brettspiele-Fachhandel vor Ort kaufen können.


    Das "Wie", also wie wird bespielsweise Workerplacement im konkreten Spielkonzept gut implementiert, kann die Datenbank wohl noch eher nicht beantworten.

    Jein. Das Verbinden mit BGG-Rankings (oder ähnlichem) und die anschließende automatisierte Suche nach irgendwelchen Mustern, mit denen ein gutes Ranking korreliert, ist kein allzu großer Schritt. Da irgendwelche Ergebnisse zu produziert, geht noch recht einfach. Ich sehe das Problem eher darin, dass das, was die wirklich guten von den "nur" überdurchschnittlichen Spielen unterscheidet, doch weit über das reine Regelverständnis oder die Themenwahl herausgeht. Das sind dann auch Fragen, wie ein bestimmtes Thema passend mechanisch umgesetzt wurde, und vor allem auch ganz viel psychologisches Zeugs, etwa wie sehr auch die Verlierer noch Spaß an einem Spiel haben können, welche Spannungskurve ein Spiel hat oder wie gut Spieldauer, Spieltiefe und Glücksanteil zusammen passen. Und dabei haben wir dann noch gar nicht diskutiert, dass unterschiedliche Spiele sehr unterschiedliche Zielgruppen haben können. Ein Spiel muss gar nicht jedem gefallen, um kommerziell erfolgreich zu sein.

    Wenn es in Spieleforen wie diesem schon regelmäßig Diskussionen gibt, wie gut erfahrene Brettspieler ein in Essen erscheinendes Spiel nur nach Regellesen einschätzen können [persönliche Meinung: in gewissem Rahmen, dessen man sich natürlich immer bewusst sein musst, geht das], sollen wir dann automatisierten Regel-Scan-Algorithmen, Datensammlern und schnell angelernten Studenten da ein besseres Urteil zutrauen? Doch wohl eher nicht. Machine Learning mag durchaus geeignet sein, um kompletten Murks unter Spiele-Prototypen schnell (und voll automatisiert nur nach Regelscan!) als solchen zu erkennen, und als Nebenprodukt mag vielleicht auch sowas wie ein Bewertungsmaß für die Güte von Spielregeln abfallen, aber alles darüber hinaus ist ein sehr weiter Weg.

  • Was ich mich frage, ob man mit diesen oder einem ähnlichen Tool Spiele kreativ modellieren kann. Sprich - den Proto in seine Mechanismen und in weiteren Ebenen zerlegt und wieder verknüpft - und dieses Netz sich kneten und formen lässt. Die Masse vergrößern oder verkleinern. Ob das darstellbar ist.
    Peer Sylvester und und Marcel-André Casasola-Merkle sind z.B. Autoren gewesen, die eigentlich schon immer die Spiele in Bausteine zerlegt haben und diese Steine für sich verwalteten. Diese Datenbank wäre für die beiden eigentlich eine riesige Spielkiste mit lauter tollen Teilen drin.


    Die Frage ist aber, gibt es dieses nützliche Netz, die Bauteile alle zu verknüpfen, und das auch auf verschiedenen nachvollziehbaren Ebenen? Sowas wie Zeit, Spannung, Variabilität, Komplexität usw. sind ja ebenfalls Komponente die Spielempfinden /-gefühl ausmachen.

  • Ich komme zwar etwas spät auf die Party, da dieser Thread aber ja weit über das übliche Tagesgeschehen hinausgreift, möchte ich noch einen widersprechenden Beitrag zum initialen, hochinteressanten Post von koalagoali bzgl. Spieltheorie liefern. Da ich hier keine wissenschaftliche Abhandlung schreibe, verzichte ich auf Fussnoten und Literaturverweise.


    Eine Herausforderung ist die methodische Beschränkung auf eine von störenden Faktoren befreite Situation (z.B. ein einzelnes Spiel), realweltlich habe ich natürlich in der Regel nicht exakt die Randbedingungen, die für die methodische Abgrenzung und Komplexitätsreduktion erforderlich sind. Eine simple Analogie in der Naturwissenschaft beispielsweise wäre, dass z.B. physikalische Bewegungsgesetze, die man in der Schule lernt, meist voraussetzen, dass ein Körper sich reibungsfrei/im Vakuum/ohne andere Kräfte bewegt, was realweltlich ja selten der Fall ist. Die Gesetze sind trotzdem richtig, aber es gibt dann eben weitere Randbedingungen, die eine Berechnung dann eben sehr viel komplizierter machen.


    Ich versuche daher mal eine Unterscheidung in mehrere Ebenen, auf denen man das betrachten kann. Ich habe, wenn mich mit anderen Personen zum Spielen treffe


    (1) die Spielsituation in einem konkreten Spiel

    (2) die wiederholte Spielsituation, wenn ich mehr als einmal mit den gleichen Personen spiele, so dass ich aus Erfahrungen in vergangenen Spielen ggf. Erwartungen an deren zukünftiges Spielverhalten habe

    (3) die soziale Situation, in der ich mich befinde, wenn ich mich zum Spielen treffe

    (4) die ethische Bewertung, d.h. was beurteile ich denn als gut oder nützlich, sofern ich über die funktionale Setzung der Nutzenfunktion im Spiel hinausgehe und dann auch frage, was denn zum Gelingen eines guten Spieleabends nützlich ist. Frei nach Reiner Knizia, ist es zwar das Ziel im Spiel, zu gewinnen, aber der Sieg ist nicht relevant, sondern das Spielerlebnis.


    (1) und ggf. (2) sind die von @koalagoali adressierten Punkte. Die z.T. geäußerten Kritikpunkte an koalas Ausführungen basieren darauf, dass es andere Präferenzen auf Ebenen 3 und 4 gibt, das macht die spieltheoretischen Erwägungen zu Ebene 1 aber nicht falsch. Spieltheorie bezieht aber oft die dritte Ebene mit ein, denn es geht auch wesentlich um Erwartungen bezüglich des Handelns der Mitspieler und diese sind von sozialen Situation möglicherweise beeinflusst. Die dritte Ebene ist aber auch Gegenstand von Soziologie/ Psychologie/ Anthropologie. Die Beziehungen zwischen den Teilnehmern sind dann ein relevanter Faktor. Handelt es sich um eine private Runde mit Freunden, um eine öffentliche Runde mit Fremden oder sogar um ein Turnier? Das hat sicher Einfluss auf das Handeln im Spiel (wenn nicht, hat man eventuell keine Freunde :)


    Je nach Ebene habe ich ggf. eine unterschiedliche "Nutzenfunktion" und die oberen Ebenen können im Prinzip auch auf die anderen Ebenen durchschlagen, bzw. es kann dann dazu führen, dass ein ggf. auf Ebene (1) suboptimales Spiel einen Nutzen auf Ebene (3) hat (bis hin zu so speziellen sozialen Konstellationen (wenn ich meinem Gegenüber jetzt im Spiel nerve, läuft nachher nix mehr/ich krieg keinen Whiskey/ich muss zu Fuß nach Hause gehen) :) In dem Fall könnte man anthropologisch von einem Geschenk sprechen, für das andererseits auch Reziprozität (Gegenseitigkeit) erwartet wird. In extremen Fällen, kann das dazu führen, dass man dann eben seinerseits auf Ebene 3 Sanktionen verhängt (z.B. die Entscheidung, solche Konstellationen zu vermeiden und mit bestimmten Leute nicht mehr zu spielen).


    Tatsächlich ist so eine Ebenen-übergreifendes Verhalten in gewissem Maße durchaus angemessen und kann zu einer gelungenen Spielerunde beitragen (Achtung, Kategorienwechsel). Ich erinnere mich noch an eine Con, auf der bei einer Partie MegaCiv ein (zugegeben auch wirklich exzellenter) Spieler eine Runde Eis holen ging, und nach Spielende beim Bier erzählte, dass er damit natürlich nett sein wollte (das ist er - außerhalb von Spielen - wirklich), aber auch einkalkuliert hatte, dass man gegenüber einem so großzügigen Mitspieler innerhalb des Spiels eine gewisse Beißhemmung hat.


    Spieltheorie abstrahiert von solchen Faktoren, aber selbst auf Schachturnieren wird ja die Strategie nicht alleine auf spiel-immanente Faktoren (wie eröffne ich/wie decke ich Figuren), sondern vielfach auf andere Aspekte (wie bringe ich den Gegner aus der Ruhe) gesetzt.


    P.S. falls jemand jetzt findet, dass ich @koaligoali gar nicht wirklich widerspreche, ist diese Behauptung zu Anfang zumindest taktisch nützlich, um die Aufmerksamkeit für diesen Beitrag zu erhöhen ;)


    So, jetzt muss ich einkaufen gehen ...

    Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg.

    Einmal editiert, zuletzt von logicman () aus folgendem Grund: p.s ergänzt, jetzt geh ich aber wirklich einkaufen

  • Spieltheorie abstrahiert von solchen Faktoren, aber selbst auf Schachturnieren wird ja die Strategie nicht alleine auf spiel-immanente Faktoren (wie eröffne ich/wie decke ich Figuren), sondern vielfach auf andere Aspekte (wie bringe ich den Gegner aus der Ruhe) gesetzt.

    Das muss ich doch gleich wieder an

    denken, welches sich nur mit der psychologischen Seite befasst

    Ich gebe hier, auch wenn ich es im Text nicht explizit erwähne, immer meine persönliche Meinung wieder.

    Einmal editiert, zuletzt von Klaus_Knechtskern ()