Der Brettspieljüngling – die ersten 365 Tage eines Brettspielhobbyisten kreuz und quer

  • Exakt 365 Tage ist es her, da hatte mich die Brettspielwelt ein zweites Mal in ihren Bann gezogen. 365 Tage ist es her, da hatte ich mein Taschengeld noch für Restaurantbesuche, wunderbare Ausflüge ausgegeben und hatte abends aufgrund Trainings und Freundestreffen sowie Zeit mit Familie kaum einen Gedanken an Brettspiele verloren. Auch ist es gut 365 Tage her, als Corona meinen Lehrerberuf und uns allen das bis dahin normal geführte Leben auf den Kopf stellte…


    Diese nachfolgenden Zeilen sollen Euch anregen, eventuell selbst über euer Brettspielhobby und dessen Start zu sinnieren oder aber einfach als Abendlektüre dienen.


    Meine ersten 35.5 Jahre verbrachte ich mit üblichen Brettspielabenden, die von Siedler über Dominion bis hin zu Brandy Dog führten. Einfache Kost… Mehr war da selten auf dem Tisch, geschweige denn in der eigenen Sammlung. Ich spürte zwar immer wieder, dass ich mich von diversen Brettspielen begeistern liess, konnte aber kaum eines mein Eigen nennen. Zu «unverspielt» ist meine bessere Hälfte, meine direkten Verwandten und zu «busy» mein Freundeskreis, mit denen es maximal alle 2 Monate zu einem Spieleabend kommt. Dort werden dann meist eher No-Brainer gespielt, da die Gruppe mit 5-7 Spieler einfach zu gross für komplexere Spiele ist.


    Ich fand also vor gut einem Jahr mich auf Kickstarter wieder… Verlockende Angebote hier und dort. Hier Gratis-Content, dort cool ausschauende Minis und oh da ein herrlich cineastischer Trailer, der das Brettspiel zum Leben erweckt. Schnell wurden erste Projekte unterstützt. Dann kamen das Fachchinesisch… bgg, PM, SotlT, S&S, coop, true solo… solo…? Moment mal…

    Plötzlich war mein Wissensdurst für gewisse Schlagwörter «on fire». Brettspiele solo spielen, wann und wo mir beliebte. Das kann doch nicht spannend sein, dachte ich und kaufte ein, um mich selbst eines Besseren zu belehren.

    • MageKnight
    • Gaia Project
    • Gloomhaven
    • LCG Kartenspiele wie LotR oder AH
    • Scythe und und und…


    Alle samt hatten entweder einen tollen Automa oder liessen sich von Grund auf wunderbar alleine spielen. Corona liess überall den allgemeinen Stresslevel runterfahren, man blieb vermehrt zu Hause und traf kaum noch Verwandte und Freunde. Für den sozialen Aspekt ein Graus, für mein wieder entfachtes Feuer für Brettspiele ein Schmaus!


    Dann veränderte im November 2020 eine unerfreuliche Tatsache mein Dasein als Brettspielhobbyist. Es geschah während meiner 10-tägigen Quarantänezeit, in welcher ich mit Corona zu Hause, eingepfercht auf 10 Quadratmeter arbeitete, schlief und lebte... Am 10. November 2020 registrierte ich mich auf unknowns.de und verbrachte dort seither schon über 150h meiner Freizeit. Ich bereue keine einzige Minute dort. Ich lernte nebst unzähligen freundlichen und hilfsbereiten Brettspielspielern (Brettspieler, Boardgamern oder wie ihr auch genannt werden wollt) einige noch sympathischere Herren ähnlichen Alters und privaten sowie beruflichen Hintergründen kennen. Seither haben Sie meinen Geldbeutel unwissend, aber absolut wohlwollend für Brettspiele verschiedenster Settings und Thematiken, hauptsächlich für das kooperative Spiel, gelockert. An unseren Stammtischdiskussionen, welchen wir im kleinen Kreise führen, hat alles Platz was nur ansatzweise mit Brettspielen zu tun hat oder eben überhaupt gar nichts damit zu tun hat, Stammtisch eben.


    Als mich noch immer selbstbezeichnender Grünschnabel im Genre prasseln beim Lesen der verschiedenen Threads unzählig viele neue Informationen, Abkürzungen, Spielerfahrungen auf mich ein, die ich gar nicht alle auf einmal verarbeiten kann. So habe ich begonnen mich auf ein paar wenige Bereich zu fokussieren, welche mir ohnehin am meisten zusagen. Dies sind knackige Euros auf hohem Kenner- resp. Expertenlevel sowie kooperative Spiele, die aufgrund fehlender Mitspieler oftmals mit zweihändiger Spielweise kompensiert werden können.


    In meinen vergangenen 365 Tagen sind gut 50 Spiele neu hinzugekommen. Gut die Hälfte ist bereits wieder gegangen. Manchmal nicht einmal des Spieles selbst wegen, ich mochte es teilweise sogar. Aber wenn ich ein Spiel kaufe, welches bei mir nach den ersten 3-4 Runden nicht zündet, dann wird es dies in den seltensten Fällen später tun. Warum also ein Spiel auf dem Dachboden verstauen lassen, wenn jemand anderes damit weitaus mehr Spass haben wird? Da komme ich auf einen weiteren Punkt, welcher mir in den vergangenen Monaten aufgefallen ist. Der Wiederverkaufswert. Eventuell liegt es auch ausschliesslich an der Schweiz und dem extrem dünnen Markt an gebrauchten Brettspielen. Aber meine Spiele, die leider bereits wieder ausziehen mussten, konnten noch gute 70 bis 80% Verkaufswert im Minimum erzielen. Da kaufe ich vergleichsweise ein Auto, steige ein und der Werteverlust ist bereist auf über 50% angestiegen.


    Als abendlicher Ausklang kam in mir dann im Februar 2021 plötzlich die Idee auf, ich könnte meine Spielerlebnisse im unknowns-internen Blog schriftlich für mich und andere Interessierte festhalten. Dies macht mir sehr Spass und hoffe, damit den einen oder anderen Einblick in die besprochenen Spiele geben zu können.


    Mein bereits viel zu langer Text sollte sich eigentlich meinen ersten Erfahrungen mit Dungeon Crawlern Spielen widmen, welche wie eben erwähnt auch gut allein zu spielen sind. Natürlich fehlt das gemeinsame Erleben von unvergesslichen Abenteuern, das gemeinsame Freuen und Leiden bei Ereignissen und doch, es ist für mich noch immer besser als dieses Gefühl überhaupt nicht erleben zu können. Moment mal, sind es überhaupt Dungeon Crawler? Was genau umfassen die überhaupt? Diese für viele vielleicht mittlerweile einfachste Frage, lässt mich während des Lesens der verschiedensten unknowns-Threads, immer wieder verunsichern.


    Ich lese von Exploits, von schwacher gegnerischer KI, von atemberaubender Gegnervielfalt, von bahnbrechenden Geschichten in den verschiedensten Szenarien und und und… Heute, 365 Tage nach dem alles so wirklich seinen genommen hat, wird ein Siedler nur noch belächelt. Es bietet bestimmt die eine oder andere Partie Spass mit Teilzeitspielern aber je tiefer man in dieses wunderbare Hobby eintaucht, desto schönere und seltenere Perlen kann man dabei entdecken. Einmal triggert einen nur die Optik, das Setting und man pfeift total auf Mechanik, Preis und auf globale Wertungen (denen man eh nur bedingt Glauben schenken sollte, man sollte jedes noch so kleine Spiel selbst mind. 2-3x gespielt haben um eine eigene Meinung bilden zu können) ein andermal erinnert einen das Spiel an eine früher gespielte PC- oder Konsolenversion, die man nun endlich als Brettspieladaption unbedingt auf dem erleben möchte und ein drittes Mal lässt man sich einfach von anderen anfixen und merkt langsam wer einen ähnlichen Geschmack wie man selbst haben könnte.


    Meine bescheidene Sammlung an Dungeon Crawlern lässt sich an einer Hand abzählen. Nebst S&S (welches gerade auf dem Tisch inmitten des 2. Abenteuers sich befindet) besitze ich noch Gloomhaven und Mage Knight (sofern das zählt) und das war’s dann auch. Im Zulauf, also entweder bestellt und unterwegs oder auf Kickstarter seit April 2020 gebackt und irgendwo zwischen Suezkanal und Prototypenstatus, sind aktuell:


    • Shadows of Brimstone (2x Core plus Addons)
    • KD:M 1.6 (plus Gamblers Chest)
    • AT:O (Basis)
    • Galaxy Defenders (6-teilig)
    • Stormsunder (Basis)
    • Frosthaven (Basis)


    Alleine die noch zu erwartende Menge an Spielen ausserhalb von Dungeon Crawlern übersteigt zurzeit die Zahl 25 um Längen… Was tu ich da…


    Aber ja, zurück zum Thema. Ich habe also in den kommenden Monaten 200% mehr Dungeon Crawler in freudiger Erwartung, als dass ich solche Spiele besitze. Ob diese genannten Spiele nun Crawler sind oder nicht ist mir eigentlich schnuppe, ich will mit meinem äusserst textlastigem Gefasel nur sagen, scheisst auf die Meinung und Reviews von Anderen, holt euch die Spiele die euch optisch, mechanisch, preistechnisch aber auch bemaltechnisch interessieren und verkauft sie fairerweise wieder, bevor sie unbenutzt im Dachboden versauern. Das Spiel hat etwas Besseres verdient.


    Nur selten trifft man hie und da Aussagen von verschiedenen Usern an, welche zu Recht auf gewisse Postings antworten «Spielst du das überhaupt?» «Brauchst du das überhaupt?» «Willst du nicht erstmal mit dem Basisspiel starten und dann entscheiden, ob du die Erweiterung Nr. 117 auch noch mit den vorherigen 116 mitnehmen sollst?»


    Eine berechtigte Frage. Nur wenige unter uns sind mit sich selbst genug streng, wirklich nur heisse Eisen in ihrer Sammlung zu haben, die jährlich genug oft auf den Tisch kommen um Preis, Platzbedarf und Unterhaltungsfaktor zu rechtfertigen. Ich spreche hier nicht von Sammlern, die soll es da draussen ja auch geben. Das gäbe bei mir aber mehr Ehekonflikt als mit lieb wäre…

    Und wenn ich ehrlich bin, der Tag hat definitiv zu wenige Stunden um alleine die obengenannten Spiele, was ja richtige Klopper sind, so oft zu spielen, dass man sie in die Ecke stellen kann.


    Wir alle lieben unser Hobby, die einen schon Jahrzehnte lang, andere als «Rückkehrer» und wiederum andere als Neulinge in der Branche. Erfreuen wir uns ab jedem Spiel, dass man nach Erhalt im OVP-Zustand liebreizend aus der Schrumpffolie befreit, das Auspöppeln einer Verführung ähnelt und nach Regelstudium mindestens mehrere Stunden Unterhaltung zum Preis von 4-5 Kinobesuchen gleichkommt.


    Wer bis hierhin durchgehalten hat, dem Danke ich für die geschenkte Aufmerksamkeit und entschuldige mich für den nicht vorhandenen roten Faden, der Euch durch den Text hätte führen sollen und darüber hinaus mit zig verschiedenen, kurz angedeuteten Themen. Ich habe einfach frei drauf losgeschrieben, was aktuell so in meinem Kopfe war und ist und hoffentlich für immer bleibt. ;)

  • Danke für den äußerst unterhaltsamen Bericht :)!

    Ich habe es wirklich komplett gelesen, daher irritieren mich zwei Deiner Aussagen :

    1. „Aber wenn ich ein Spiel kaufe, welches bei mir nach den ersten 3-4 Runden nicht zündet, dann wird es dies in den seltensten Fällen später tun“.

    2. „man sollte jedes noch so kleine Spiel selbst mind. 2-3x gespielt haben um eine eigene Meinung bilden zu können“


    Wie passt das zusammen ;)?


    „Eine berechtigte Frage. Nur wenige unter uns sind mit sich selbst genug streng, wirklich nur heisse Eisen in ihrer Sammlung zu haben, die jährlich genug oft auf den Tisch kommen um Preis, Platzbedarf und Unterhaltungsfaktor zu rechtfertigen. Ich spreche hier nicht von Sammlern, die soll es da draussen ja auch geben. Das gäbe bei mir aber mehr Ehekonflikt als mit lieb wäre…“


    Oh - Du bist verheiratet? Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet nach diesem Bericht und der offensichtlich allein versenkten Zeit ins Hobby *):aufgeb: ...

  • Danke gab für deine Rückmeldung 👍


    OK es war schon spät, deshalb sind meine Angaben um einen Einer verrutscht. ;)

    2 besser 3 Spielrunden muss man mind. über sich ergehen lassen. Je nach Spiel und Art reicht dies selbstverständlich bei weitem nicht aus.


    Hehe, der aktuell grosse Spielraum an abendlicher Zeit liegt daran, dass bald das zweite Mal Nachwuchs kommt und meine Frau, durch Müdigkeit abends selten lange wach bleibt. ;)

  • Ich denke, psykoman69 meint mit Runden hier gesamte Partien, und dann passt Punkt zwei ja genau: 2-3mal Minimum spielen, um festzustellen, ob es ihm gefällt, aber nicht öfter.

  • Okay, so ergibt es Sinn - Danke für den Hinweis! Ich dachte, er räumt ein Spiel nach 3-4 Spielrunden und nicht 3-4 Partien wieder vom Tisch.

    Aber mit den Begrifflichkeiten kann man als Küken ja schon mal durcheinander kommen 8o <3....

  • Ich denke, psykoman69 meint mit Runden hier gesamte Partien, und dann passt Punkt zwei ja genau: 2-3mal Minimum spielen, um festzustellen, ob es ihm gefällt, aber nicht öfter.

    Okay, so ergibt es Sinn - Danke für den Hinweis! Ich dachte, er räumt ein Spiel nach 3-4 Spielrunden und nicht 3-4 Partien wieder vom Tisch.

    Aber mit den Begrifflichkeiten kann man als Küken ja schon mal durcheinander kommen 8o <3....

    Liegt vielleicht auch an seiner schweizer Herkunft - die haben ja öfter Mal Probleme, die korrekten deutschen Worte zu benutzen - nicht nur beim Fußball. ;)

  • Sehr schöner Beitrag. Ein paar Worte von mir dazu:


    Sammlung: Bin ich absolut bei dir. Für mich macht es überhaupt keinen Sinn Unmengen an Spielen zu besitzen, die man niemals wirklich spielen kann. Jedes Spiel was neu ankommt, steht in direkter Konkurrenz zu den bereits vorhandenen Spielen. Limit ist die Größe des Spieleschranks. Knallhart. In meiner Wahrnehmung ist es auch oft so, dass der Besitz von Unmengen von Spielen häufig dazu führt, dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem einzelnen Titel ausbleibt. Das Resultat sind oberflächliche Eindrücke bis hin zu einem echten "Nicht-Verstehen" zentraler Elemente eines Spiels (Beispiele GD oder B-Sieged). Typische Vertreter dieser Gattung und gleichzeitig abschreckende Beispiele sind meiner Meinung nach viele youtuber. Da kommen dann wöchentliche Videos der Neuanschaffungen, welche realistischerweise niemals gespielt werden oder auch gerne Reviews, die dann im "Erklärteil" bereits mit Regelfehlern glänzen.


    Wert: Auch da hast du Recht. Viele Brettspiele (insbesondere Kickstarter) sind extrem wertstabil. Das hat bei mir zu zwei Dingen geführt: Erstens supporte ich Kickstarter offensiver, d.h. gehe unter Umständen auch mit erheblichen Zweifeln rein, insofern ich glaube das ein Spiel in irgendeiner Form interessant für mich ist, da ich es immer noch verkaufen kann. So bekommen kleine Entwickler und Projekte eben auch ihre Chance. Zweitens tendiere ich bei bestimmten Projekten auch eher zum All-In: Wenn es mir gefällt, super habe ich alles direkt da. Wenn nicht und ich hart aussortiere, steigert das den Erlös häufig stark.


    Spielegeschmack: Ich habe bis heute nicht den einen User/Youtuber o.Ä. gefunden, der meinen Geschmack zu 100% widerspiegelt. Ein interessanter Punkt, da ich in anderen Bereichen (Musik, Filme etc.) durchaus solche Personen benennen könnte. Ich musste auch feststellen, dass Let`s Plays zwar einen besseren Eindruck von einem Spiel bieten als Reviews, aber auch sie können die Präsenz und die Atmosphäre auf dem eigenen Tisch nicht zu 100% einfangen. Insofern kann man sich zwar immer irgendwie orientieren, aber am Ende des Tages hilft nur selber (viel) spielen. Auch diesbezüglich bist du meiner Meinung nach gut unterwegs.

    2 Mal editiert, zuletzt von MiMeu ()

  • Okay, so ergibt es Sinn - Danke für den Hinweis! Ich dachte, er räumt ein Spiel nach 3-4 Spielrunden und nicht 3-4 Partien wieder vom Tisch.

    Aber mit den Begrifflichkeiten kann man als Küken ja schon mal durcheinander kommen 8o <3....

    Liegt vielleicht auch an seiner schweizer Herkunft - die haben ja öfter Mal Probleme, die korrekten deutschen Worte zu benutzen - nicht nur beim Fußball. ;)

    Hey Junge pass bloss auf, dass ich dich nicht mit dem Gletteisen bearbeite und dazu genüsslich ein Glas Hahnenwasser trinke.


    Aber wir können die Sache auch friedlich lösen. Wenn du mir deine Nummer zukommen lässt, geb ich dir ein Telefon.


    🤣😅

    😅🤣

    2 Mal editiert, zuletzt von Scubaroo ()