Schöne Grafik und toller Mechanismenmix, der mir aber etwas zu viel war

s war einmal vor langer, langer Zeit (genau genommen vor 12.000 Jahren) in einem Land, weit, weit weg (genau genommen in Nordamerika), da überlebten mehrere Stämme als Jäger und Sammler den endlosen Winter. Jeder von uns übernimmt einen solchen Stamm, um diesen zu vergrößern, Tiere zu jagen oder megalithische Bauwerke zu errichten. Und wozu das Ganze? Um am Ende die meisten Siegpunkte zu haben, natürlich. Willkommen bei „Endless Winter: Paleoamericans“ (auf Deutsch: „Endless Winter: Überlebe die letzte Eiszeit“).


Die Regeln von „Endless Winter“ sind umfangreich. Mechanisch ist es ein Arbeitereinsatzspiel mit Deckbaumechanismus, Set-Collection, Area Control, Teotihuacan-Pyramidenbau und Leistenschubsen. Es wird vier Runden gespielt, die sich jeweils in eine Aktionsphase und eine Sonnenfinsternisphase unterteilen. In der Aktionsphase hat jeder zwei Arbeiter und einen Stammeshäuptling zur Verfügung. Reihum werden diese auf vier mögliche Aktionsgebiete eingesetzt. Jedes Aktionsgebiet besteht dabei aus drei Aktionsfeldern, die ich nacheinander abarbeite. Die erste Aktion darf ich beliebig oft ausführen, die zweite genau einmal und die dritte nur vom ersten Arbeiter, der dieses Aktionsgebiet nutzt. Die Stammeshäuptlinge agieren dabei wie normale Arbeiter, nur bringen sie bei manchen Aktionsgebieten einen Bonus. Die Kosten für Aktionen sind meist Fleisch oder Äxte, die beiden Ressourcen im Spiel. Zusätzlich benötigen Aktionen oft noch Arbeitskraft. Die erhalte ich durch meine Stammesmitglieder in Form von Handkarten. Diese bringen mir neben der Arbeitskraft oft auch noch einen Ausspielbonus, um beispielsweise Ressourcen zu tauschen. Mit den vier Aktionen kann ich mit den verschiedenen Bereichen der Spielauslage interagieren. So kann ich mir neue Stammesmitglieder auf die Hand nehmen oder auf den Ablagestapel legen, um so mein Deck zu vergrößern. Mit manchen Aktionen kann ich mein Deck auch ausdünnen und Karten aus dem Spiel entfernen, was mir bei Spielende sogar noch Siegpunkte bringen kann. Oder ich erhalte Fortschrittskarten, die ich jeweils zu Beginn meines Zuges spielen kann, um Bonusaktionen durchzuführen. Mit einer anderen Aktion wähle ich einen Heiligen Stein, von denen ich genau drei im Spiel bauen darf. Diese geben mir zu jeder Sonnenfinsternis Siegpunkte, beispielsweise für erlegte Tiere, für gebaute Siedlungen oder Schritte auf der Götzenleiste. Eine weitere Aktionsmöglichkeit ist das Bauen und Verschieben von Zelten auf einem Gebiet von Hex-Feldern. Wenn ich drei benachbarte Hex-Felder belegt habe, darf ich mit einer Aktion daraus auch eine Siedlung machen. Die Zelte und Siedlungen geben mir ebenfalls Boni bei einer Sonnenfinsternis. Und zum Schluss kann ich noch Tiere jagen, die auf einem Markt ausliegen. Damit lege ich sie aber nur in meine Auslage und sie geben so Siegpunkte, je mehr Tiere einer Art ich habe. Ich kann diese aber auch erlegen und erhalte wieder Ressourcen wie Fleisch und Äxte dadurch. Zwei Sonderbereiche gibt es noch, mit denen ich agieren kann. Der Megalithbau ist ein extra Feld, welches mir pro eingesetztem Megalith (ein simpler viereckiger Stein) den abgedeckten Bonus bringt. Alternativ kann ich auch wie in „Teotihuacan“ auf vier existierende Steine einen Stein als Pyramide legen und so Siegpunkte abgreifen. Der zweite Sonderbereich ist die Götzenleiste. Hier kann ich in zwei Bereichen meine Marker hochschieben und erhalte auf der linken Seite am Ende mehr Siegpunkte für übrige Ressourcen und auf der rechten mehr Siegpunkte für ausgedünnte Karten. Nach der Aktionsphase gibt es eine Sonnenfinsternis. Vereinfacht ausgedrückt wird die Arbeitskraft der übrigen Handkarten gezählt und dadurch die neue Startspielerin bestimmt. Danach gibt es Einkommen durch die Reihenfolgeleiste (Ressourcen, Karten oder einen Megalith), durch besetztes Gelände (Ressourcen, Siegpunkte oder Megalith), durch Heilige Steine (Siegpunkte) oder gebaute Siedlungen (Karten) und Megalithe (Ressourcen und Götzenschritte). Dies wird vier Runden wiederholt und nach einer Schlusswertung (für die Tiersets, Handkarten und die beiden Götzenleisten) gewinnt jemand.


Informell würde ich das Spiel als „Endless Winter: Überlebe die nächste Spielmechanik“ bezeichnen. Mit der Mini-Erweiterung „Höhlenmalerei“ kommt sogar noch das „X'n'Write“-Genre ins Spiel, da jede Spielerin hierbei ein Mammut oder andere Tiere nachzeichnen kann und dafür Boni erhält. Autor Stan Koronskiy ist ein ganz guter Mechanismenmix gelungen, wobei ich zugeben muss, dass kein Mechanismus extrem zur Geltung kommt. Allein der Deckbau war bei mir nicht existent. Ich ziehe in einer Partie im Normalfall nur fünf Karten pro Runde. Mein Deck zum Spielende umfasste 25 Karten und es gibt nur fünf Runden. Viel wichtiger war es da, zu erkennen, wie die Mechanismen zusammenhängen. Zum Beispiel haben die Charaktere Fähigkeiten, womit ich ein Zelt bauen oder verschieben darf. In der Sonnenfinsternis lässt mich das einen Megalith bauen. Mit dem Bonus kann ich dann beispielsweise auf der Götzenliste vorgehen. Das wiederum lässt mich eine Karte auf den Friedhof lege. Hier hängt eigentlich alles irgendwie zusammen und fast egal, was ich mache, irgendeinen Bonus kann ich immer noch mitnehmen. Das kann zu schönen Kettenzügen und Bonischlachten führen. Es ist aber auch aufwändig, alle Möglichkeiten zu durchdenken. Und wenn hier ein Bauchspieler einfach drauflos spielt, kann es sein, dass er enttäuscht wird, weil der Plan nicht aufgeht. Ich selbst fand das Spiel zwar nicht überfordernd, aber mir waren es in Summe zu viele Mechanismen in einem Spiel.


Das zu viel betrifft auch die Tischpräsenz. So spielten wir mit der Deluxe-Ausgabe und der extra Spielmatte. Diese sieht toll aus, nimmt aber auch 104x60 cm² auf dem Tisch ein. Die Spielerinnen an den beiden langen Tischseiten konnten ihr Spielertableau zwar noch hinlegen, aber es war kein Platz mehr darüber für ausgespielte oder darunter für ausgedünnte Karten. Die Einzelteile ohne Spielmatte lassen sich da schon etwas praktischer und modularer auf dem Tisch anordnen. Die Größe der Spielmatte war auch ein Problem für mich an der kurzen Tischseite. Mein Spielertableau hatte zwar genügend Platz, dafür habe ich die Boni auf den Geländeplättchen oder der Megalithenauslage nicht mehr erkennen können. Ich stand also die meiste Zeit der Partie, um auch sehen zu können, was am anderen Tischende passiert. Auch die Spielerhilfe war nicht für Menschen mit schlechten Augen gemacht, da die Schrift darauf extrem klein war. Immerhin brauchten wir diese nur für die Einkommensboni in der Sonnenfinsternis. Die Figuren und Marker sind hübsch, einzig die Stammeshäuptlinge als Miniaturen fand ich unpraktisch. Sie passen zum einen nicht zum restlichen Holzmaterial. Zum anderen sind sie so groß und klobig und versperren die Sicht auf Aktionsfelder. So haben wir beispielsweise die Stammesarbeiter nach unseren Aktionen hingelegt, um zu signalisieren, dass wir fertig sind. Das ging mit den Miniaturen nicht. Etwas größere, besonders gestalteter Holzmeeple hätte ich praktischer gefunden. Der Menge an Material ist dann auch die recht lange Aufbauzeit geschuldet. Ich habe die Zeit nicht gestoppt, aber 15 Minuten werden es schon gewesen sein, ehe alles an seinem Platz lag.


Grafisch habe ich dagegen gar nichts auszusetzen. Bereits beim ersten Blick auf die Karten dachte ich mir ‚Das ist wohl vom Illustrator von „Architekten des Westfrankenreichs“‘. Und ja, Mihajlo „The Mico“ Dimitrievski hat in meinen Augen „Endless Winter“ einen sehr schönen Illustrationsstil verpasst. Aber das Spiel sieht nicht nur hübsch aus, auch die Symbolik ist überaus eingängig. Alle Symbole sind klar zu erkennen und finden sich an den Stellen wieder, wo ich sie auch erwartet hätte. Das machte das Hineinfinden ins Spiel sehr einfach.


Denn trotz der zahlreichen Mechanismen und einer halbstündigen Erklärung ist das Spiel nicht überaus komplex, auch wenn es sicherlich kein Spiel ist, das ich Neulingen im Spiele-Dschungel als Erstes vorsetzen würde. Was wie zusammenhängt, erschloss sich mir bereits bei der Erklärung und so konnte ich mich schon da auf eine Strategie festlegen, die ich verfolgen wollte – natürlich ohne zu wissen, ob diese sinnvoll ist. (Spoiler: Ich konnte ganz knapp gewinnen. ;) ) In der Partie selbst stellte ich dann aber ein „Problem“ fest: Die Aktionen und Züge gilt es wirklich zu durchdenken. Für meine drei Aktionen habe ich in der Regel nur fünf Handkarten und ein paar Ressourcen. Ich könnte oft mit der ersten Aktion schon alles ausgeben, aber dann verpuffen die anderen beiden. Diese Balance zu finden, mit allen drei Aktionen etwas Effektives zu tun und am Ende optimalerweise bei der Sonnenfinsternis noch die höchste Arbeitskraft spielen zu können, um Startspieler zu werden, fand ich eine sehr spannende Überlegung und ein großartiges Spieldesign.


Das Durchdenken war dann bei unserer Vierpersonenpartie aber das Problem. In Summe spielten wir 150 Minuten. Pro Runde (wenn ich die Sonnenfinsternis großzügig abziehe) sind das 30 Minuten, also pro Aktion 2,5 Minuten. Zwischen zwei Zügen muss ich also 7,5 Minuten warten. Und ja, ich überlege zwar vorab etwas, was ich tun möchte, aber nicht 7,5 Minuten lang. Die Downtime war also recht hoch, was sich dadurch verstärkte, dass es mir egal war, was meine Mitspielerinnen machen. Wenn sie mir eine Karte, einen heiligen Stein oder ein Tier wegnehmen, dann war das halt so. Ich hätte sowieso nichts dagegen machen können. Einzig bei den Zelten und Siedlungen auf dem Gelände gibt es in der Sonnenfinsternis eine kleine Mehrheitenprüfung, sodass ich leer ausgehe, wenn ich nicht auf die Zelte und Siedlungen meiner Mitspielerinnen achte. Diese Interaktion ergab sich aber erst später im Spiel, als genügend Zelte und Siedlungen auf den Geländeplättchen standen. Ansonsten beschränkte sich das Zusammen- oder Gegeneinanderspielen auf die Wegnahme von Optionen.


Worauf ich noch gar nicht eingegangen bin, ist das Thema – vermutlich, weil ich davon nicht viel gemerkt habe. Die Aktionen selbst sind sicherlich thematisch: Stamm erweitern, Fortschritte erzielen, Heilige Steine und Megalithen errichten, Tiere jagen und erlegen sowie Lager und Siedlungen bauen. Die Umsetzung ist dann aber fast schon abstrakt. Für einen Megalithbau erhalte ich je nach Bauplatz einen Bonus. Und dabei gibt es alles, was das Spiel hergibt: Äxte, Fleisch, Schritte auf der Götzenleiste, Tierkarten etc. Ich habe keinen thematischen Bezug gefunden, wieso mir die Errichtung eines Megalithen genau diesen Bonus geben sollte. Die Stammeshäuptlinge können je nach Kartenseite Äxte in Fleisch wandeln oder Fleisch in Äxte. Wo die eine Richtung vielleicht noch Sinn ergibt (mit einer Axt erlege ich ein Tier und erhalte Fleisch und die Axt ist hinüber), aber wie erschaffe ich aus Fleisch eine Axt? Wenn ich Tiere jage, jage ich sie nicht, sondern finde sie erst einmal nur. Je mehr Tiere einer Art ich finde, desto mehr Punkte gibt es. Aber wieso? Positiv: Die meisten erlegten Tiere geben wirklich nur Fleisch in den Vorrat. Aber auch dabei gibt es Ausnahme, wie der Säbelzahntiger, der auch gleich noch zwei Äxte generiert. Das Vorrücken auf der Götzenleiste kam mir sowieso nur mechanisch, aber null thematisch vor. „Endless Winter“ funktioniert natürlich auch auf die Art. Aber ich fand es schade, dass ich bei den Aktionen gar nicht auf das Thema geachtet habe, sondern nur auf die Symbole und was sie mir bringen.


Wie hat sich die erste Partie zu viert nun angefühlt? Teilweise zäh, wenn ich nicht an der Reihe war und warten musste. Teilweise spannend, wenn meine Planung für die Runde mitsamt aller Ressourcen, Arbeitskraft und Karten genau bis zum Ende ausreichte. Wie geschrieben, empfand ich die Verwaltung und Auswahl der Handkarten, verteilt auf drei Aktionen als den spannendsten Mechanismus des Spiels. Etwas unspannend waren die Punktezahlen. Am Ende der ersten Runde führte jemand mit 2 Punkten. In Runde 2 schafften wir schon auf 10, Runde 3 endete bei circa 25. Ich habe mich da schon gewundert, wieso die Siegpunktleiste auf der Matte bis 180 geht. Nach Runde 4 und der Endwertung landete ich bei 90 Punkten. Grund für diese Steigerung am Rundenende sind vor allem die Heiligen Steine, die mir Siegpunkte während der Sonnenfinsternis bringen. Von diesen besorgte ich mir gleich zu Runde 1 und 2 welche, damit ich ein Ziel verfolgen konnte. Ansonsten wäre mir „Endless Winter“ zu offen in der Spielweise gewesen. Durch die heiligen Steine wusste ich genau, wie ich Siegpunkte bei der Sonnenfinsternis generieren kann. Die restlichen Siegpunkte kamen bei mir vor allem am Spielende durch die Schritte auf der Ruhmesleiste, ausgedünnte Karten sowie die Gesamtzahl an Karten im Deck und zwei Tiersets. Der Zweitplatzierte landete bei 88 Punkten, die anderen mit 72 und 56 Punkten weiter hinten. Da der Zweitplatzierte eine andere Strategie als ich gefahren hat (soweit ich das überhaupt verfolgt habe), denke ich, dass es schon ein gewisse Strategievarianz für den Sieg gibt. Essenziell ist vermutlich, keine der Aktionsmöglichkeiten pro Aktionsgebiet verfallen zu lassen.


„Endless Winter“ wurde an verschiedenen Stellen auch mit „Dune: Imperium“ und „Die verlorenen Ruinen von Arnak“ verglichen. Vermutlich, weil in allen drei Spielen ein Arbeitereinsatzmechanismus mit wenigen Arbeitern mit einem Deckbaumechanismus verwoben ist. „Endless Winter“ bietet hier aber viel mehr – und wie geschrieben, mir etwas zu viel. Einige Mechanismen fand ich sehr spannend und interessant, andere wiederum gar nicht. Zusätzlich haben alle drei Spiele gemeinsam, dass sie sich für mich völlig abstrakt anfühlten. Optisch sticht „Endless Winter“ aber dennoch positiv heraus. In Summe spiele ich es gerne wieder mit, wenn es sich ergibt.