Fortsetzung Kapitel 1 - Zum Schlafenden Löwen
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Katz'eeky starrte an die Decke und lauschte dem lauten Schnarchen Beromars. Nach einem langen, gemeinsamen ersten Abend in der Taverne hatte sie mit den anderen eine Kammer über dem Schankraum bezogen, ihre Sachen in einem kleinen Winkel unter einem schrägen Dachbalken abgelegt und während die anderen drei schon seit einiger Zeit schliefen, hielten die Ratze die Gedanken an ihre neuen Gefährten noch wach.
Während eines warmen Abendmahls und einem Krug Met waren die Söldner an ihrem Tisch unten in der Taverne ins Gespräch gekommen. Der Verlust ihres Kumpanen, einem jungen Inox, bei einem Überfall durch eine Räubergruppe im Wald vor den Toren Gloomhavens lastete noch schwer auf der Gruppe und trübte die Stimmung. Katz'eeky hatte neben dem Quatryl Platz genommen und lauschte aufmerksam, während sie ihre Suppe, die in der Taverne in einer Tonschüssel mit einem Löffel gereicht wurde, der für ihre schmalen Ratzenpfoten fast zu groß war, verspeiste. Der Quatryl, den alle Kratz nannten, da sein richtiger Name aus einer scheinbar wahllosen Aneinanderreihung von verschiedenen Klick- und Schnarrlauten bestand, die die Sprache seines Volkes bestimmten, redete gerne und viel und erzählte von seinen wunderbaren technischen Erfindungen, die das Schlachtfeld zu seinen Gunsten verbessern sollten. Vor ihm auf dem Tisch lag ein kleiner Haufen Schrott, der sonderbare Laute von sich gab und den man mit viel gutem Willen als einen mechanisches Huhn identifizieren konnte. Außerdem schien Kratz besonders stolz auf seine Armbrust zu sein, die er mit Hilfe einiger mechanischer Verbesserungen zu einer schnellen und tödlichen Waffe gemacht hatte. Der Quatryl faszinierte sich besonders für die Anatomie anderer Völker, ebenso wie für die Verletzungen seiner Verbündeten, was ihn zu einem begnadeten Heiler machte. Seine Studien hielt er in einem kleinen Notizbuch fest und er träumte davon eines Tages das Geheimnis des Lebens erschließen zu können.
Im Gegenteil zu dem geschwätzigen Quatryl saß Beromar, das Savvas-Felsenherz, die meiste Zeit über schweigend am Tisch und ließ seinen Blick über die anderen Tavernengäste streifen. Als Ausgestoßener seines Volkes kennzeichnete ihn die fehlende Mitte seines Brustkorbes. Dort, wo sich bei anderen Savvas ein glühendes, steinernes Herz befand, war bei ihm ein vernarbtes Loch, ein Zeichen dafür, dass es ihm, aus welchen Gründen auch immer, nicht gelungen war eines der Elemente zu meistern, weshalb er dazu gezwungen wurde seinen Stamm zu verlassen und fortan sein Glück unter den anderen Völkern zu suchen. Wenn Beromar jedoch einmal das Wort ergriff, dann dröhnte seine Stimme laut durch die Taverne wie das Rumpeln einer Gerölllawine an einem Berghang und Katz'eeky stellte sich dabei jedes Mal bei einem wohligen Schauer das Fell im Nacken auf. Beromar hatte Kratz wohl schon vor einigen Wochen zufällig getroffen, nachdem er nach einer erfolgreichen Jagd seine Wunden behandeln lassen wollte. Der Quatryl war zu jener Zeit als Heiler mit einer Handelskarawane unterwegs und reparierte nebenbei ihre Wagen, wenn sie es nötig hatten. Beromar schloss sich ihnen als Leibwächter und zum Schutz vor marodierenden Räuberbanden an. Nachdem sie ihr endgültiges Ziel Gloomhaven erreicht und ihren Lohn erhalten hatten, folgten sie dem Aufruf der Söldner an einer Anschlagtafel auf dem Marktplatz.Katz'eeky drehte sich auf die Seite und ließ den Blick durch den Raum streifen. Ihre Augen hatten sich inzwischen an das Dunkel der Nacht gewöhnt. Auf der anderen Seite, auf einem großen Bett mit einer Matratze aus Stroh, lag Nor'Markh, der Inox und Anführer der kleinen Gruppe. Das Licht, das durch die schmale Dachluke fiel, spiegelte sich auf dem Blatt der großen Streitaxt, die griffbereit neben dem Kopfende des Bettes an die Wand gelehnt war. Offenbar hatte der starke Regen, der den ganzen Abend lang auf Gloomhaven niedergegangen war, nachgelassen, und der Mond zeigte sich als eine fahle Scheibe hinter einer Wolkenbank.
Nor'Markh war ein Veteran zahlreicher Schlachten und allein sein Äußeres flößte Respekt ein. Den Kopf des hünenhaften Inox zierten drei große, nach hinten geschwungene Hörner und zahlreiche Narben, die sein zerfurchtes Gesicht durchzogen, kündeten von seiner kampfreichen Vergangenheit. Eine schwere Rüstung aus fettig glänzendem Leder und ein dicker Fellumhang ließen seinen Körper noch massiger aussehen. Wenn er sprach, knisterte seine tiefe Stimme wie trockene Äste unter schweren Stiefeln. Der Met hatte Nor'Markh im Laufe des Abends die Zunge gelockert und er erzählte freimütig von seiner Vergangenheit. Er hatte seinen Nomadenstamm schon lange verlassen, um seine Kampfkünste als Söldner dienstbar zu machen und ein Leben inmitten der anderen Völker führen zu können. Dieses bestand seitdem aus erfolgreich ausgeführten Aufträgen, Abenteuern und dem Verprassen des Soldes nach der Rückkehr. Den jungen Inox, dessen Platz Katz'eeky nun ersetzen sollte, hatte er wie ein Mentor aufgenommen, um ihn in der Kampfkunst zu unterweisen und auszubilden. Ein Überfall auf dem Rückweg nach Gloomhaven und eine kleine Unachtsamkeit hatten zum frühen Ableben des Jungen geführt. Auch wenn seine Worte emotionslos gesprochen waren, konnte Katz'eeky doch ein Bedauern und ein Gefühl von Schuld in seinem Blick erahnen, wenn er in den Gesprächspausen gedankenverloren in seinen gefüllten Metkrug starrte.
Das Gefühl von Bedauern und Schuld überkam nun auch sie in dem dunklen Raum umgeben von ihren schlafenden, neuen Gefährten. Bilder ihrer Vergangenheit tauchten vor ihren Augen auf, die sie in den letzten Monaten immer wieder erfolgreich verdrängt hatte. Ihr Ratzenherz schmerzte, als sie an die brennenden Wagen, die schwer bewaffneten Inox-Räuber und ihre vielen toten Freunde dachte. Instinktiv hatte sich ihre Pfote um eines der kleinen goldenen Amulette gekrallt, das sie um ihren Hals trug und sie an die letzten schönen Monate erinnerte. Katz'eeky rollte sich zu einer Fellkugel zusammen, verbannte die schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf und mit einem leisen Seufzer fiel sie in einen unruhigen Schlaf.