Eindruck nach 30 Stunden

Mal wieder ein kurzer Solo Zwischenbericht von mir. Ich bin jetzt bei knapp einem Drittel der Kampagne und habe ca. 30 Stunden gespielt. Ich werde keine Storyschnipsel, Kämpfe, Abenteuer oder ähnliches spoilern, aber versuchen das Spielgefühl wiederzugeben. Wer komplett überrascht werden möchte, der sollte den Bericht vielleicht nicht lesen. Aufgrund vieler beeinflussbaren Spielermöglichkeiten (Hauptstory, Nebenabenteuer, Technologie und Gear Cards) kann es sein, dass andere Spielenden deutlich unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben.



Positive Punkte


Der Umfang von ATO ist gigantisch. Die bei BGG angegebenen 60+ Stunden für das Beenden von Cycle 1 werde ich mindestens benötigen. Dann sind aber noch Cycle 2 und Cycle 3 ebenfalls in der Spieleschachtel. Der Kickstarterpreis war ein absoluter Steal und ehrlich gesagt, wäre nur allein der Cycle 1 schon den 130 Dollar Preis wert gewesen. Insgesamt reden wir von gut 200+ Spielstunden, falls man direkt im ersten Versuch durchkommt. Dazu bietet das Spiel einen gewissen Wiederspielwert, da man verschiedene Abzweigungen (Story, Nebenquests, Technologie und Gear Karten) nehmen kann und es in einem weiteren Anlauf deutlich anders aussehen könnte.


Die grafische Gestaltung gefällt mir ausgesprochen gut. Die großen Bilder in dem Regelheft und den Storybüchern schauen fantastisch aus, die Map weiß zu gefallen, das Layout der Karten (Technologie, Gear, AI, BP usw.) finde ich zum einen super leserlich, konsistent und zum anderen wirklich schön. Die großen Miniaturen helfen für die Immersion. Lediglich das Spielbrett fand ich anfangs etwas überladen, mittlerweile hat sich auch gelegt.


Das Storybuch enthält einige Überraschungen und vor allem viel Text. Neben der Hauptgeschichte, sind unzählige Nebenquests aufgeführt, die Geschichte des Schiffes Argo wird erzählt und die Argonauten bekommen nach und nach ebenfalls eine Hintergrundgeschichte. Die Texte finde ich durchaus gelungen, gerade die Hintergrundgeschichten des Schiffes und der Argonauten finde ich faszinierend. Die Nebenquests wissen auch zu überzeugen, lediglich die Hauptstory lässt mich derzeit noch kalt. Insgesamt muss man viel lesen, was hier im Forum ja oft auf Kritik stößt, mir gefällt das aber gut.


Bis jetzt habe ich mich vier verschiedenen Primordials gestellt. Die Kämpfe waren schön unterschiedlich und abwechslungsreich. Jeder Gegner erforderte eine andere Herangehensweise, die Spielmechaniken wurden leicht angepasst und das Terrain unterschiedlich genutzt. Das gefällt mir ausgesprochen gut, vor allem da die Kämpfe durch die Bank interessant und spannend waren.


Hervorragend finde ich die Eskalation der Bosse. Das ist per se eine tolle Spielmechanik, das Balancing innerhalb der Bosse passt derzeit auch gut und man muss schon immer abwägen, inwieweit es jetzt sinnvoll ist eine BP I oder BP III anzugreifen.


Toll fand ich auch den Sprung im taktischen Anspruch zwischen der Bekämpfung von Level 1 und Level 2 Primordials. Auf Level 2 haben die Gegner zwar nur einen oder zwei Traits mehr, das hat allerdings schon verdammt viel ausgemacht und auf einmal war zum einen mein Stellungsspiel viel entscheidender und zum anderen musste man umdenken und sich anders ausrichten.


Des Weiteren gibt es unglaublich viele Ideen und Konzepte, die bisher nur angeteasert oder noch nicht getriggert wurden. Da bin ich schon richtig heiß drauf, was mich noch so erwartet. Das meiste davon klingt nämlich ausgesprochen cool.


Der größte Pluspunkt ist in meinen Augen die Motivationsspirale. Es passiert ständig irgendetwas. Mal geht die Story weiter, man erhält eine neue Technologie, eine Nebenquest tut sich auf, oh ein Kampf, neues Gear kann gecraftet werden, ah ein Hinweis ist aufgetaucht usw. Das Spiel zieht mich mit fortwährenden Belohnungen oder Teasern in einen wahnsinnigen Sog. Es stellt sich ein Civilization „nur noch eine Runde“ Spielgefühl ein. Und zack ist man auf der Timeline 5 Jahre weiter und es wartet ein Primordial Kampf auf einen. Ach den könnte man doch auch noch aufbauen… oder gleich die ersten Runden spielen… ohhh es gibt massig neue Ressourcen, da könnte man doch auch noch craften. Ganz, ganz großes Kino.



Neutrale oder negative Punkte


Die Voyage Phase ist etwas lahm. Auf der Karte herumfahren und Ressourcen finden. Mehr ist das letztendlich nicht. Da fand ich das Entdeckungsgefühl bei 7th Continent oder Tainted Grail deutlich schöner.


Generell ist auch die Abenteuermechanik Standardware. Das sind einfach Tests mit etwas Einsatzmöglichkeit und Push Your Luck und je nach anfänglicher Entscheidung und Würfelergebnis kommt ein unterschiedliches Ergebnis heraus. Mich unterhält das, aber es ist letztendlich ein sehr aufgeblasenes Choose Your Own Adventure mit einem großen Storyanteil.


Das Craften von neuen Gegenständen, Waffen und Rüstungen macht Laune und gerade in Abhängigkeit von Sonderfähigkeiten der Titanen und Argonauten kann man einiges basteln. Im Vergleich zu KDM vermisse ich bei ATO mit Abstand am meisten das Gear Grid. Das bringt bei KDM eine ganz andere Dimension und strategisches Puzzle mit rein und macht mir dort einen Heidenspaß, da man einfach viel mehr Möglichkeiten hat. Das bietet ATO in der Form leider nicht.


Das Frustrationspotenzial bei den Kämpfen ist immens. Bei KDM hat das ja schon viele gestört, wenn alle 4 Survivor mit ihren Angriffen danebengehauen haben. Bei ATO könnte das durch die Rerolls etwas besser sein. Praktisch ist das auch öfters so. Bei einem Versagen ärgere mich bei ATO trotzdem deutlich mehr, da ich nicht nur den ursprünglichen Wurf, sondern auch den Reroll Wurf vergeige, hierfür allerdings Fate aufbringen muss (was mir für den laufenden Kampf Nachteile bringt) und auch noch der Kratos Pool geleert werden muss. Schlecht würfeln ist hier immens nervig.


Die Kämpfe sind nicht nur durch die Würfeln swingy sondern auch durch die erlittenen Wunden der Argonauten. In den Wundenkartenstapeln ist eine große Bandbreite von „ok – das ist völlig irrelevant in dem Moment“ über „Ein fast schon verlorener Kampf wird durch die Wunde vielleicht doch noch einmal gekippt“ zu „Eigentlich nur eine leichte Verletzung, du bist aber trotzdem tot“ mit allen möglichen Abstufungen dazwischen. Wenn es blöd läuft, verliert man direkt am Anfang zwei Argonauten durch leichte Wunden. Wenn es gut läuft, wird es ein absolut epischer Kampf mit einem Hin- und Herwogen des Schlachtenglücks. Insgesamt finde ich die Eskalationsspirale der Argonauten nicht so gut gelungen wie bei den Monstern, da hierbei das Glück eine große Rolle spielt. Zumindest waren die letzten Kämpfe für mich deutlich tödlicher als zu Beginn. Scheiße Würfeln und nachteilige Wunden ziehen ist eine frustrierende Kombination.


Das für sich gesehen wäre in Ordnung, allerdings ist die taktische Einflussnahme der Argonauton durch Gear, Waffen und Spezialfähigkeiten bei mir immer noch gering ausgeprägt. Auch im Vergleich mit KDM bei ähnlichem Spielfortschritt, habe ich dort im Heldenzug mehr Möglichkeiten und kann taktischer agieren. Das wird bei ATO schon kontinuierlich besser, aber für meinen Geschmack könnte das deutlich schneller ansteigen.


Der Verwaltungsaufwand ist weiterhin immens. Ich bin natürlich deutlich besser im Spiel drinnen und viele Abläufe sind automatisiert, allerdings muss man trotzdem viel radieren, ändern, tracken, abkreuzen, blättern und lesen. Generell muss ich immer noch viel im Regelbuch nachschauen, da einige Sachen gefühlt auch nur alle 5 Stunden auftauchen und ich dieses Regeldetail bis dahin vergessen habe.



Fazit


Insgesamt gefällt mir ATO derzeit sehr gut. Ich passe meine Bewertung von 7.5 auf 8.5 nach BGG an. In den letzten drei Kämpfen habe ich insgesamt 8 Titanen verloren (u.a. ein TPK) und derzeit wird es für die Kampagne auch etwas eng. Auf die weitere Entwicklung meiner Argonauten bin ich gespannt und blicke auch etwas bange den Level 3 Primordials entgegen.


Wenn es so weitergeht, die angeteaserten Ideen funktionieren, der taktische Einfluss des Spielers weiter ansteigt sowie die Story noch etwas interessanter wird, dann wird das für mich eine 9+ werden. Die beiden Erweiterungen Cycle 4 und Cycle 5 werde ich wohl bestellen.


Großes Lob an ITU für diesen Brocken.